◆[H A D E S]◆
Warum die Hölle im Jenseits suchen ? Sie ist schon im Diesseits vorhanden, im Herzen der Bösen.
|Jean - Jacques Rousseau|
Nicht vergessen, dies ist ein Specialkapitel, also ein Einschub !
Es war angebrochen.
Die täuschende Finsternis. Glänzend schön, Klarheit verschaffend, aber gleichermaßen erschreckend in die Irre führend.
Dunkelheit bedeutete nicht Ruhe, bedeutete nicht das Stillstehen der Zeit, die Gleichheit, die die Schwärze der Nacht über die ganze Welt warf und sie in Einheit schmückte. Die Nacht bedeutete ein schwarzes festes Tuch um die Augen gebunden zu haben, bei jedem unsicheren Schritt zu stolpern, die Orientierung zu verlieren und blind umher zu irren.
Wenn die späte Stunde anbrach, wurden die Türen fest verriegelt und die dicken blutroten Vorhänge zugezogen. Die Menschheit versteckte, verkroch sich hektisch unter seinen eigenen vier Wänden, in dem Glauben dadurch nicht mit der Wahrheit konfrontiert werden zu müssen und zwar mit der Dunkelheit, die sie in sich trugen. Wenn die Sonne unterging und es dem Mond den höchsten Thronplatz im Himmelreich anbot, legten auch die Engel ihr Gewand ab und der in ihnen schlummernde Dämon erwachte und schritt mit dominanten, gebieterischen Schritten auf den mächtigen Sitz zu, von dem aus er die vollkommene Hoheitsgewalt besaß.
Denn die Menschen wussten, wie auch die Engel, dass sie mit dem Heranbrechen der Nacht und dem Thornwechsel ihres Gebieters, ihr wahres Gesicht kund geben würden. So sehr sie sich nämlich auch bemühten, sie konnten sich nicht mehr in der Nacht verstellen, konnten nicht länger die schweren heimtükischen Masken tragen, die sie wie eine zweite Identität tagsüber anlegten. Und damit niemand genau diese verseuchten, hässlichen Gesichter zu sehen bekam, die blutüberdeckte Haut, die zuvor am helligsten Tage immerzu in einen makellosen weißen Kittel umhüllt war, legten sie sich in ihren Kokons nieder und warteten ab, bis die Nacht sich seinem Ende näherte und sie, in dem festen Glauben schwelgend, am nächsten Tag, wie ein neuer farbenfroher Schmetterling wieder auferblühen würden; wussten diese Menschen doch sogleich insgeheim, dass Schmetterlinge nicht lange zu leben hatten, wie auch ihre verdorbenen, sich einer anziehenden Illusion opfernden Seelen dieser Menschen, die bei Nacht erneut die Oberhand nehmen würden.
Nichtsdestotrotz lebte nicht jeder mit dieser Angst, mit der Befürchtung ihre wahre Natur zum Vorschein zu bringen und diese zu enthüllen.
Denn einige ernährten sich ausgerechnet von genau dieser Angst einflössenden Dunkelheit, wurden ein Teil von ihr und bildeten gemeinsam eine Einheit. Wenn die Nacht heranbrach, erstrahlten sie in ihrer vollen Pracht, schöpften Kraft aus ihr und suchten sich neue Opfer als Zielscheibe, wie auch just in London, der sich als Ideale Bühne zur Vorstellung des folgenden Szenarios anbot.
Die Stadt war groß, unübersichtlich. Menschen verloren sich in der Masse und doch wahrten sie ihre Anonymität, wie auch in diesem Moment.
Umgeben von der Urbanisierung, erstreckten Hochhäuser, leere Gebäuden eine hell erleuchtete abgelegene Straße,um diese späte Stunde mitten im Londoner Stadtviertel. Die sonst so verlassene stille Straße war just überfüllt von einer handvoll Menschen, die sich vor einem lang gezogenen Tisch versammelt hatten auf dem in gleichmäßigen Abständen gleich große Töpfe aufgestellt waren und vor der sich eine Menschenschlange gebildet hatte, die mit sehnsüchtigen Blicken auf die dampfende Brühe wartete, derweilen sie in ihrer verwahrlosten Kleidern, anständig einen Pappteller und ein Stückchen Brot in der Hand haltend, geduldig und diszipliniert zugleich in der Kälte standen, in der Hoffnung, dass sie nun endlich an der Reihe waren, um ihre tiefen und laut knurrenden Magengruben zur Ruhe zu bringen.
Inmitten dieser Menschenmasse, den drumherum verlaufenden Gesprächen, den routinierten Bewegungen der Arbeiter, die das Essen ausgaben, hatte niemand wirklich sonderlich auf die Hintergrundkulisse, auf die im Schatten verborgenen Häuser geachtet. Denn das eigentlich interessante, das eigentlich ungewöhnliche spielte sich nicht im Akt selbst ab, sondern war tief abseits verborgen. Mit dem Schatten eins wurdend, hatte sich eine Gestalt an eines der hoch erstreckten aber schon demolierten Fenster im größten Gebäude von allen, genau gegenüber der anderen Straßenseite, der Tische, gestellt und hatte seit einer Weile das Spektakel unbeeindruckt, kaum eine Miene verziehen, von oben herab im dritten Stockwerk betrachtet. Einer hierarchischen Ordnung gleichend, fokussierten sich seine mitternachtsschwarzwn Augen weiterhin gezielt auf einen Punkt nach unten. Der Dämon in ihm wuchs, kroch beim Finden dieser einen Gestalt hervor und er folgte ab da jeder einzelnen Bewegung, die betätigt wurde, wie als wollte er damit seine Untertanen unter Kontrolle halten.
Plötzlich erklangen Schritte im Raum dieses verlassenen Gebäudes und lauter kleine Steine, die auf dem Boden lagen, verteilten sich, als das Aufkommen von Schuhen auf den Boden in gleichmäßigen Abständen lauter wurde und somit auf das Fenster zukamen, an dem der dunkel gekleidete Mann, die Hände in seiner Jackentasche baumelnd, rausblickte.
Er drehte sich nicht um, schaute nicht nach dem Einbrecher, der es gewagt hatte ihn zu stören, denn durch den blumigen Duft nach Lavendel der urplötzlich die Atmosphäre umhüllte, wusste er ganz genau, wen sich ihm von hinten zunäherte. Mit der einen Hand stützte der junge Mann sich am Fenster ab, doch seine Gesichtszüge blieben beim Oberservieren unverändert. Sie waren steinhart und felsenfest.
Währenddessen kam der weibliche Eindringling Sekunden später vor ihm zum Stehen und aus dem Augenwinkel nahm er die blonden voluminösen Haare zur Kenntnis, die mit dem bordeauxfarbigen Tweed Mantel und den weichen grauen Schal gut ausgestattet war. Ihre stechenden hell leuchtenden Augen bohrten sich von der Seite aus in sein Profil, doch unbeeindruckt davon, starrte der junge Mann weiterhin auf sein Ziel. Obsessiv, stechend und ohne mit der Wimper zu zucken.
Ein Räuspern neben ihm machte sich bemerkbar, aber auch das nahm er kaum zur Kenntnis. Allein sein jetziger Fokus lag im Vordergrund.
«Das hätte schief gehen können. Das weißt du, oder ?», erklang die nun einige Oktaven in die Höhe schießende Stimme der Blondine neben ihm, ehe sie gestresst die Luft rausließ und sich die Jacke enger um den Körper schlang.
«Was wenn ich es nicht geschafft hätte ? Was, wenn ich mich in sein System nicht eingehakt hätte ? Sie hätten tiefer gegraben. Warum hast du zugelassen, dass sie in das Datennetzwerk der Universität eindringt ?», fragte sie nun außer sich, doch auch dieses Mal erwies er ihr nicht die Ehre das Gesicht durch ihren harschen Tonfall zu verziehen. Er stützte sich näher am Fenster ab, den Blick weiterhin nach unten haftend, anschließend er eine Zigarettenschachtel aus seiner Jackentasche herauszog und diese in wenigen Sekunden anzündete, wie als könnte, er erst durch diesen Eingriff, erst durch dieses Gift, welches seine Lungen tötete, richtig zu Atem kommen. Mit einer ruhigen Haltung bließ er, trotz des kritischen Blickes der auf ihm haftete, den Rauch aus, ehe er erneut die saubere Luft in sich aufnahm.
Verärgert über das Ignorieren seinerseits, wurden die Augen seines Gegenübers zu Schlitzen verengt, anschließend ein lautes Schnauben erklang.
«Iván, ich sagte sie hätten uns erwischen können ! Ihr Bruder ist einer der besten Spezialisten, er hätte uns auf die Schliche kommen können !»
Genervt brummte er auf, bließ den Rauch seiner Zigarrete bewusst in ihre Richtung, ehe er desinteressiert und spöttisch zu sprechen begann.
«Und, wo liegt das Problem ? Hattest du etwa Schiss, dass du am Ende den ganze Ärger ausbaden müsstest ?»
Erschrocken von seinen Worten, nahm sie ihren Schal ab, ließ diesen auf den Boden fallen und drehte sich nun komplett zu ihm.
«Es geht mir hierbei nicht um mich selbst. Es geht mir um dich. Sie hätten...», nahm sie einen weiteren Anlauf, derweilen ihre Stimme einen gequälten Ton annahm, doch das brachte das Fass zum überlaufen bei ihm. Die Stirn verärgert zusammengezogen, sog er die Luft gepresst aus seinen Nasenlöchern, die sich just weiteten.
«Schluss jetzt !», schnitten seine kalten Worte, wie im Einklang mit dem kalten Luftzug, ihre Worte ab und entnahmen ihr somit den Atem, den sie für ihren nächsten Satz benötigte.
«Jetzt mach ganz gut die Ohren auf, denn ich werde mich ein zweites Mal ganz bestimmt nicht wiederholen !», sagte er nun nicht mehr so nachsichtig mit ihrem jämmerlichen Gesülze umgehend. Seine dunklen Augen bohrten sich fest in ihre hellen, sodass sie die Angst in sich heraufkriechen spürte, durch diese Farbe unmittelbar zu versinken.
«Ich weiß was ich tue. Jeden einzelnen Schritt. Ich weiß, wann ich den Startknopf zu drücken, wann ich eine Pause einzulegen und ein Ende zu setzten habe. Ich brauche deine Belehrungen nicht. Mach einfach das, was dir befohlen wird, in Weiteres hast du dich nicht einzumischen», klärte er sie mit belegter hart klingender Stimme auf, drehte sich wieder zum Fenster und blickte, während er an seiner Zigarette zog, erneut nach unten, fixierte augenblicklich die Person von gerade eben. Seine Miene war ausdruckslos, doch durch die angespannte Kiefer wusste seines Gegenübers, dass er aufgrund ihre Worte regelrecht vor Wut schäumte.
Tief ausatmend, dies aber nicht weiterhin kommentierend, trat sie einige Schritte weiter vor, sodass sie dicht am Fenster stand und die ganze lange Gasse vor Augen vorgelegt bekam, deren Konturen durch die Laternen in regelmäßigen Abständen in der Straße auszumachen waren.
Auch sie blieb stumm, schlang sich ihren samtweichen Mantel enger um den Körper, während ihr Blick ebenfalls nach unten schoss. Einige Sekunden lang betrachteten sie beide zeitgleich dieselbe Person, ehe sich ihre zierliche Gestalt wieder zu ihm wandte und ihn ins Visier nahm. Hoch konzentriert hatte er die Stirn an seine Hand gelehnt, die zur Faust geballt an der Fensterwand abgestützt war. Auch ihr Blick glitt erneut zurück und sie konnte nicht anders, als traurig den Mund zu verziehen, derweilen sie das junge Mädchen hinter einem der vielen Tische betrachtete, wie sie in einem für sie angemessenen Rhythmus nach einer Schüssel in dem großen Topf vor ihr griff und immer wieder einzelnen vorbeilaufenden Menschen lächelnd Teller zureichte. Durch die geröteten Wangen und der roten Nase, sah man ihr an, dass sie sichtlich fror, doch verlor sie kein einziges Mal das aufrichtige Lächeln auf ihrem Gesicht und die Wärme in ihren Augen, die einen beim bloßen Anblick zum Schmelzen brachte. Ohne, dass sie sich noch zurückhalten konnte, sprach sie ein weiteres Mal verbittert aus:
«Du behauptest, du hättest alles unter Kontrolle. Du wüsstest was du tust, doch warum lebt sie dann noch, Iván ? Warum schlägt ihr Herz noch ?», fragte sie so ruhig wie sie nur konnte, aber auch er wusste, dass der Sturm in ihr schon längst ausgebrochen war. Das sah er an ihrem gerissenem Blick, an ihren größer werdenden Pupillen.
Der junge Mann, der nun vollkommen in der Dunkelheit verborgen lag, gab keinerlei Anzeichen einer Reaktion von sich. Lediglich zog er an seiner Zigarette und starrte hinaus, ignorierte dabei den aufdringlichen Blick der hübschen Blondine, die trotz der Kälte nicht einmal mit den Zähnen klapperte.
Während sie ihn also weiterhin anblickte, bis sie eine Antwort von ihm bekommen hatte, zischte ihr gegenüber genervt auf und presste die Lippen aufeinander, die seine bereits hart wirkenden Gesichtskonturen in der Nacht noch härter wirken ließen.
Doch als sie sich letztlich dann doch geschlagen gab und sich verärgert aufschnaubend über seine Starrköpfigkeit nach vorne richtete, begrüßte sie der Windstoß in der herrlichen Kälte, was sie nun komplett wach rüttelte.
Während beide also still am Fenster standen, sie hatte sich von der Seite angelehnt, er stand, die Hände in seine Jacke gesteckt direkt wie ein Herrscher vor dem.Fenstee, der einen perfekten Ausblick auf seine Untertanen haben wollte, verfolgten beide gleichzeitig den grazilen Bewegungen des jungen Mädchens, die mit ihrem herzhaften Lächeln schon fast etwas Kindliches an sich hatte, wusste sie in dem Augenblick hingegen kaum, dass sie dadurch erst recht die Zielscheibe dieser beiden Fremden wurde.
«Sie ist anders, habe ich recht ? Sie ist nicht das, was sie nach außen hin zeigt. Sie ist rein... und ein guter Mensch!' kam es flüsternd von der blonden Schönheit, die Stille kurzzeitig unterbrechend. Wie als hätte die Person, über die gesprochen wurde dies mitbekommen, umrandete sie in dem Moment von unten den großen Tisch mit einer Schüssel in der Hand, ehe sie vor einem kleinen Jungen stehen blieb im diese reichte, welches es dankend annahm, anschließend sie sih runter kniete um den Reißverschluss der Jacke des kleinen Jungen zuzuziehen, der sie mit zwei rot anlaufenden Hamsterbacken daraufhin anlächelte.
Bei dessen Anblick musste auch die im bordeauxfarbenen Mantel gekleidete traurig schmunzeln, ihre Gesichtszüge fielen, wirkten auf einmal recht faltig in diesem Licht.
«Sie ist hilfsbereit, aufopfernd, fürsorglich. Du hast sie falsch eingeschätzt.»
Wie zu erwarten war, meldete sich dieser mit einem spöttischen fast schon zynischen Zischen an sie, den Blick aber immer noch aus dem Fenster richtend.
«Glaubst du, nur weil sie hier bei der Essensausteilung der Obdachlosen hilft, sich für sie engagiert ist sie automatisch ein guter Mensch ? Denkst du, ihr Verhalten würde mein Herz erweichen ?»
Er lachte bösartig auf, ehe er die Zigarette in seiner Hand auf den Boden warf und diese achtlos zertratt und seine Unbeeindrucktheit deutlicher zu repräsentieren.
«Habe ich die immer noch nicht bewiesen, dass ich ein kaltes Herz besitze ? Denkst du, dass kann so ein dahergelaufenes albernes Kind und insbesondere eine von denen zum erweichen bringen !» Nun schrie er fast schon, sodass eine Ader an seiner Stirn schnell am pulsieren war.»
«Aber du hast nicht...»
«Es reicht !», knurrte dieser wutentbrannt und ohne, dass ein Wimpernschlag verstrichen war, hatte er hinten in seinem Hosenbund eine Waffe heraus gezückt, die in der Dunkelheit kaum zu erkennen war. Doch als die attraktive Blondine dessen Umrisse dann endlich ausmachen konnte, schnappte sie erschrocken nach Luft und presste sich die Hand vor dem Mund, um nicht laut aufzuschreien.
Dieser ließ sich davon nicht abhalten, sondern trat ebenfalls, wie sie, genau vor das Fenster, dicht neben sie, ehe er mit der Waffe in der Hand nach unten zielte.
«Ja, ich habe sie nicht getötet, aber ich kann es jederzeit tun. Jeden Augenblick, jeden verdammten Atemzug später, den sie macht. Ich kann beschließen, wann das dreckige Blut, welches in ihren Adern fließt zum Vorschein kommt. Wie sie keuchend ihre letzten Atemzüge vollzieht, mich flehend anblickt sie am Leben zu lassen... Sie wird betteln !» knurrte er mit weit aufgerissenen Augen auf, die Gesichtszüge angespannter denn je, während seine Stimme messerscharf die Luft zerschnitt, eine furchtbare Gänsehaut auf dem Körper seines Gegenübers veuraachte, die erschrocken den Blick starr auf die Waffe richtete, die er entschlossen auf das Mädchen unten abgezielt war.
Ihre Stimme doch noch rechtzeitig wiedergefunden verließ ein schmerzhafter Schrei ihren Mund und ihre Augenbrauen sackten im Nu zusammen, als ihre Gesichtszüge einen schmerzlichen Ausdruck annahmen, als sie langsam die Arme in Brusthöhe anhob.
«Iván... Iván hör auf, hör auf damit... bitte mach das nicht.»
Die eine Seite seiner Mundwinkel hob sich, doch erreichte dies keineswegs seine Augen. Zynisch, fast schon tadelnd, blickte er sie mit seinen dunklen Augen an, tat aber nicht wie ihm geheißen und legte die Waffe nieder, sondern blieb weiterhin fest, die Beine in einem angemessenen Abstand nebeneinander aufgestellt zu ihr rüber.
«Was soll das ? Hast du etwa Angst, dass ich ihr doch was antue ? Ich dachte du wärst auf meiner Seite. Waren Tian und du nicht diejenigen, die sich bereit erklärt haben, mir zu folge, ganz gleich was auch passieren wird.»
Die Augen angsterfüllt schließend atmete sie tief aus, ehe sie diese wieder öffnete und ihm erneut in die Augen blickte. Das Chaos in ihren Augen war vermindert, sie hatte sich wieder zurechtgefunden, doch zog sich ihre Brust beim Anblick der Waffe wieder scharf zusammen, wurde zu einem zusammengeknüllten Papierhaufen.
«Wir sind auf deiner Seite... wir sind es. Und nun leg die Waffe nieder. Bitte Iván.»
Doch dieser dachte nicht einmal daran. Ihr flehentlicher Ton, ihre Sentimentalität gegenüber diesen einen Person machte ihn noch gerissener, stimmte ihn noch zorniger. Er umschlang mit der Hand die Waffe noch fester, sodass seine Fingerknöchel weiß hervorlugten.
«Ich habe dich nicht gezwungen mitzumachen. Du bist aus freien Stücken zu mir gekommen. Ich brauche solch eine Gefühlsduselei nicht. Wenn du von Anfang an den Mut sazu nicht aufbringen kannst, dann geh !»
Er ließ die Waffe nach diesen Worten sinken und steckte sich diese mit einer leichten Handbewegung wieder hinten in den Hosenbund, indem er seinen Mantel kurzzeitig nach hinten schob. Wütend wandte er sich von ihr ab, drehte sich wieder zum Fenster um, sodass seine steinharten Konturen durch das Mondlicht mehr denn je zur Geltung kamen. Er war wütend, wütend, dass sie solch eine Reaktion von sich gegeben hatte. Er wollte kein Mitleid sehen, wollte keinen mitfühlenden, kein warmherziges Gefühl sehen, welches sich an die Person da unten richtete. Wütend fluchte er auf und das Mächen neben ihm, welches verkrampft zu Boden geblickt hatte, näherte sich wieder vorsichtig an ihn ran.
«Warum tust du das ? Warum vertraust du keinem Menschen ?", fragte sie nun vorsichtig, und war wirklich gespannt darauf eine Antwort zu bekommen. Dieser ließ sich bewusst Zeit, verschränkte derweilen die Hände hinter dem Rücken, als er monoton antwortete:
«Weil man seinesgleichen nicht trauen kann. Menschen sind Kreaturen, die ihresgleichen nicht schützen, sondern sie vernichten. Ich traue und vertraue niemandem, auch euch nicht», sagte er zu ihr gewandt und sah bereits in dem Augenblick an ihrem Blick, dass dadurch innerlich was bei ihr zugrunde ging, dass er sie mit seinen Worten verletzt hatte. Um diesem Anblick nicht länger ausgesetzt zu sein, starrte er geradeaus in die Finsternis.
«Du kannst nicht einmal deinem eigenen Schatten vertrauen, denn selbst der verlässt dich bei Dunkelheit. Wer nicht vertraut, der kann auch niemals betrogen werden.»
Sie sog seine Worte aufmerksam in sich ein und fragte sich ebenfalls zum ersten Mal, ob es stimmen konnte. Konnte es wirklich sein, dass dieser Kerl, der vor ihr stand kein Herz besaß ? Dass er zu sehr verletzt, zu sehr heruntergezogen worden war, dass er sein Herz in eine Schatulle eingesperrt hatte um es nie wieder rauszulassen ? Sie wusste es nicht, doch wollte sie hoffen, dass er noch etwas Gefühl hatte, nicht nur wegen des Mädchen willens auch seinetwillen.
Sie hustete kurz auf und leckte sich über die Lippen, ehe sie wieder ihre Stimme fand.
«Bedenke aber bitte dabei, dass auch du Schäden davontragen wirst. Ihr seid Gegensätze, Iván. Sie strahlt, wie die Sterne hoch am Himmel und du bist die Dunkelheit, die sie in der Nacht umgibt. Sie ähnelt dem reinen glasklaren Wasser und du bist das lodernde Feuer der Hölle, der jeden niederbrennen, jeden vernichten wird. Während du der Schatten ihres strahlenden Glanzes wirst, wird sie das höllische Feuer in dir zum Erlöschen bringen. Du wirst mit ihr niedergehen."
Ein höhnisches Lächeln legte sich auf seinem Gesicht, was sie zusammenzucken ließ. Das war nicht die Reaktion, die sie erwartet hatte.
«Um zu leiden, müsste ich ein Gefühle besitzen und die habe ich nicht, wie du weißt." Mit diesen Worten zückte er sein Handy aus, ehe er fragte:
«Wo ist Tian gerade ?»
Stirnrunzelnd richtete sie den Blick auf ihn.
«Er erledigt das, was du von ihm verlangt hast und...»
«Ruf ihn zurück», schnitt er ihr das Wort ab, was sie dazu verleitete ihn perplex anzustarren. Sie war kurz davor Widerrede zu erheben, doch besann sich eines besseren und blieb still.
«In spätestens zwei Tagen soll er hier sein.»
«Was hast du vor, Iván ?», fragte sie, sich nicht sicher darüber werden könnend, ob sie die Antwort darauf wirklich hören wollte.
Diabolisch lächelnd wandte er sich zu ihr. Die eine Hälfte seines Gesichtes war im Schatten verborgen, wie als hätten Teufel und Engel gleichzeitig von ihm Besitz ergriffen.
«Ich möchte sehen, wie schnell sich mein Feuer ausbreiten kann, wie schnell ich sie in die Hölle verfrachten, sie von ihrer Unschuld befreien kann.» Mit diesen entgültigen Worten, wandte er sich erneut nach vorne und schwieg.
Das Urteil war ausgesprochen, der Engelsgesang verstummt. Während die Dämonen aus ihren Verstecken hervorkrochen und sich langsam den Toren des Paradieses zunäherten, war eine Rettung kaum mehr in Sicht. Die zuversichtlichen sanften Klänge der Harfe wandelten sich um, die Saiten fielen alle nacheinander ab und ein grässlichen einem Schrei ähnelnder Klang ertönte, doch war es schon sichtlich zu spät. Die Engel hatten die Warnsignale erst dann zu hören bekommen, als ihre festen Mauern durch die eisernen Hände des Bösen durchbrochen wurden, woraufhin Hades, den ersten tropfen Blut der Unschuld den Eintritt über die Schelle der Unterwelt gewährt hatte, sodass beide Welten unmittelbar ab diesem Zeitpunkt miteinander verbunden waren.
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