◆8| S l e e p i n g B e a u t y ◆
Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.
|Bertholt Brecht|
Klarheit.
Nur selten verschaffte uns das Leben kleine Einblicke der Klarheit, in denen sich die Illusion auflöste, die mit der Fassade einen festen Knoten zustande brachte und sich weigerte, zu verraten, welche Schnur gezogen werden musste, damit dieser komplizierte feste Knäuel sich auflöste.
Wenn die Wahrheit ihre Rebellion startete und aus ihren Kerkern floh, wurde man auf der Flucht umzingelt von all den, für unbedeutsam erklärenden Tatsachen, die man trotz des mulmigen Gefühls absichtlich runter gespielt, gar verdrängt hatte.
Und während ich nun dastand, mein Körper erhitzt und schweißgebadet zugleich, mein Gesicht aschfahl, als müsste ich mich jeden Moment übergeben, nahm ich ganz weit am Ende des Tunnels meines noch zurechnungsfähigen Verstanden wahr, dass meine Statur aufgrund meiner klappernden Beine, die nach innen und außen gedrückt wurden, nicht mehr lange in dieser Position würde verharren können. Jeden Moment, je instabiler, je gerissener das Zittern wurde, würde mir der Halt unter den Füßen verwehrt werden.
Die Angst, dass ich jeden Moment kollabieren könnte, war aber nur das kleinste Übel in diesem überaus dramatischen Intermezzo. Denn in diesem fast schon rauschartigen unzurechnungsfähigen Zustand, realisierte ich nur eins. Nämlich, dass ich mich all die Jahre lang vor mir selbst verstellt hatte.
Fast schon neurotisch besessen von meiner Verzweiflung, hatte ich mich bereits unbemerkt in jungen Jahren in die Rolle einer Ersatzmutter eingefunden, weshalb beim schrillen Schrei dieser süßen kindlichen Stimme, die plötzlich wie aus dem Nichts alle anderen Stimmen überdeckte, meine Alarmsignale sich meldeten, meine Schutzpanzer zur Verteidigung anhoben und meinen Kampfinstinkt unmittelbar aus seinem Winterschlaf weckten. Es war, als hätte sich urplötzlich eine Bildleinwand vor mir erstreckt in denen ich verfolgen konnte, wie winzige Füße die ersten Schritte vollführten, kleine Finger sich fest um meine Finger schlangen, wie mich riesige helle bernsteinfarbige Augen, die mich an meine Mutter erinnerten unschuldig, so neugierig anblickten. Das kleine Wesen, welches ich liebevoll an meine Brust gedrückt hatte, um verzweifelt die klaffende Wunde und die tosende Leere, die Mamá verursacht hatte zu füllen, war mein Ein und Alles. Ich liebte sie nicht nur als Schwester, sondern meine Emotionen vergliechen sich mit der einer liebenden Mutter, die sich schreckliche Sorgen um ihr Kind machte. Delilah war viel mehr als nur eine Schwester für mich, sie war wie mein Kind.
Atemlosigkeit gewann die Macht über mich, als ich schwer nach Luft rang und mich schmerzhaft fest gegen das Gemälde drückte, welches gerade der einzige Stützpunkt war, der mir den nötigen Halt gebot. Mein Kopf schwirrte herum, meine Gedanken flogen wie verscheuchte Singvögel dahin und verstreuten beim Abgang durch ihren Gesang all meine rationalen Gedankengänge. Mein stockender Atem schien mich zu zerquetschen, wie ein zusammengeknüllter Papierhaufen und je mehr ich versuchte mich verbissen daran zu erinnern, was in den letzten Sekunden alles passiert war, desto radikaler wurde meine Konzentration durch den schrecklichen Lärm um mich herum betrübt.
Der Schweiß, der einer zweiten Haut ähnelnd meinen Körper beschlagnahmte, ließ mich Frösteln und das Einzige, worauf mein Körper eine Reaktion abgeben konnte, war die Wärme, die Álvaros Körper dicht an mich gedrückt übertrug. Ein innerer Instinkt, eine Überlebensstrategie baute sich in mir zusammen. Ich wollte so schwachsinnig das auch klingen mag, am liebsten die Arme um seine muskulöse Brust legen und mich an ihn klammern, damit ich endlich wieder zurückkam, auftaute und dem Spektakel nicht tatenlos eingefroren zusehen musste, wie ein Mittäter. Es gelang mir aber nicht. So sehr ich mich auch gedanklich anschrie, so sehr ich wollte, dass durch den Adrenalinkick meine Synapsen Signale an meinen Körper weiterleiteten, es geschah trotzdem rein gar nichts. Mein Körper war einem Stillstand erlegen. Ich war eine Mumie, die nur Unheil über das Ganze geschehen herbeiführen würde.
Langsam hob ich meine zittrige Hand, die ich fast schon kraftlos zur Faust bildete um sie mir anschließend gegen die Brust zu drücken.
'Atme' hatte er mir befohlen.
Meine bereits angeschlagenen Sinne, wurden durch die Vorstellung seiner autoritären dunklen Stimme nur noch mehr in ein Irrgarten geführt. Erschreckend hypnotisierend war diese Stimme, die eine ausgeglichene und ebenso infiltierende Note besaß. Wie schaffte er es nur die Fassung zu bewahren, obwohl um uns herum die reinste Apokalypse dem Ausbruch erlag ?
Derweilen ich seinem Blick untergeben war, der an meinen Haaransatz prallte und indes er sich mit der Hand an beiden Seiten von mir abgestützte, sodass dicht zu mir runter gebeugt, er seine Wärme auf mich herab strahlte, schlug ich ein weiters Mal hart gegen meine Brust.
Du sollst atmen !
Panik überkam mich, als mich plötzlich der erschreckende Verdacht einholte, dass ich womöglich einen Asthmaanfall erlitt. Das konnte nicht sein ! versuchte ich mich selbst zur Ruhe zu bringen. Mein letzter Anfall war vor Jahren gewesen. Das durfte einfach nicht sein. Nicht jetzt !
Während ich zuschlug und hoffte, mich jeden Moment wieder von meiner Starre lösen zu können, bedachte Álvaro mich mit einem wachsamen Blick, der meine Seele zu plündern begann.
Allerdings wurden wir beide in unseren Aktivitäten unterbrochen, als einer der quer durch den Saal rennenden Personen orientierungslos an Álvaros Rücken knallte, ehe dieser, ungeachtet dessen seine Flucht fortsetzte. Álvaro hingegen der dies hatte nicht kommen sehen, wurde mit seiner großen, fast schon einschüchternde Statur dadurch nur noch fester an mich gedrückt, sodass unser Atem sich vermischte, während unsere Lippen mit einem minimalen Abstand voneinander entfernt waren. Und das war der Moment, wo es passierte. Ich schnappte hörbar scharf nach Luft und riss die Augen auf. Ich hatte geatmet und war nun wieder im hier und jetzt. Schnell drehte ich den Kopf zur Seite, trotz dass ich den stechenden Blick von ihm auf mir spüren konnte und drückte mich dann vom Gemälde ab, nur um wieder einen aufrechten Stand einzunehmen. Auch wenn dies eher holprig und unsicher verlief und das Zittern meinen Körper immer noch unter Kontrolle hielt, wagte ich es, den Kopf leicht anzuheben und über Álvaros straffer Schulter, die von einem edlen Stoff überzogen wurde, hinweg zu blicken. Aber was ich dabei zu erblicken bekam, ließ mich zum ersten Mal in meinem Leben sprachlos werden.
Ich hatte in meiner Familie und während meines Studiums gelernt, dass die Sprachgewandtheit das Handwerk der Juristen war. Es war unser Kunstwerk, Worte auszubauen, zusammenzufügen, neue Konstellationen herzustellen. Doch zum ersten Mal fand ich keine Worte für das, was sich vor mir abspielte.
Der fein geschmückte Ballsaal, welcher zuvor äußerst prachtvoll und betörend wirkte, aufgrund der Damastvorhänge an den großen exquisiten Fenstern, waren nun komplett zerstört stören. Fensterscheiben lagen zum Teil zerstreut über den ganzen Boden. Menschen, die sich zu Gruppen zusammengefunden und den Abend ausgeklungen hatten, waren nicht mehr wie einzelne Schachbrettfiguren ordentlich auf ihren Positionen aufgestellt. Nein, eher glichen sie nun einem Armeisenhaufen auf den mit bloßen Füßen getreten worden war und die daraufhin panisch auseinanderfielen. Die kostenlastigen Instrumente der Orchestermitglieder wiesen Splitter vor und fielen ebenso achtlos zu Boden.
So sehr ich den Blick auch über den Saal wandern ließ, so sehr ich auch verzweifelt nach vertrauten Gesichtern suchte, nichts weiter als entsetzte von Angst gezeichnete Masken begegneten mir, die wie orientierungslose Bienen einen Ausweg in diesem Chaos zu finden versuchten. Würden sie es nicht tun... würden sie sterben.
Delilah.
Meine Alarmsirenen schaltete sich erneut ein und auf Anhieb wusste ich wieder, was die Quelle meiner Unruhe war. Eine erschreckende Gänsehaut überkam mich, die meine Nackenhaare geradewegs empor steigen ließ, derweilen Delilahs Schrei wie ein Echo in meinen Gedanken widerhallte. Was wenn ihr etwas zugestoßen war ? Was wenn... ?
Durch den treibenden Motor meiner Angst entwand sich mein Körper fast schon in einem hypnotischen marionettenartigen Zustand aus seiner Einkesslung. Ich stolperte ungeschickt einige Schritte zur Seite, sodass meine langen Haare mir wirr im Gesicht lagen. Sie mit ungeschickten Fingern zur Seite streichend, machte ich einen Bogen um ihn, langsam und mit Bedacht, die ersten Schritte kompakt zu setzten und meinen Blick dabei fast schon leichenhaft starr nach vorne zu richten. Und während alle Menschen um mich herum an mir vorbeirannten, gegen meinen Körper knallten, mich fast mit ihnen rissen, konnte ich nicht anders, als meine routinierte Bewegung fortzusetzen. Ich musste es tun. Ich...
«Bist du lebensmüde ?» Ein fester Druck nahm an meinen rechten Oberarm zu, ehe ich einige Schritte nach hinten taumelte. Zwei schwarze Knopfaugen hatten mich zu sich gezogen und erst da verknüpfte ich den Druck damit, dass er den Arm um meinen Oberarm gelegt und mich wieder nach hinten zu sich gezogen hatte. Sein attraktives Gesicht ziemte eine erschreckend kalte und zornige Fratze, die aber trotzdem nicht die Schönheit seiner feinen Gesichtszüge und seines sinnlichen Aftershaves überspielen konnte. Mit verständnislosen, fast schon verspottendem Blick bedachte er mich, als wäre ich ein kleines dummes naives Mädchen. Ich senkte den Kopf unter diesem vernichtenden und einschüchternden Blick.
Sehr darum bemüht, ihm ebenfalls mein vorgespieltes Gesicht darzulegen, realisierte ich, dass dieser Versuch bei ihm misslich fehlgeschlagen war. Meine Maske, die ich der Gesellschaft gelegentlich vorenthielt, um meine tiefsten Wunden vor der ganzen Welt verborgen in meine tiefsten Kerker zu sperren um dabei an einer Partie im Machtspiel der Gesellschaft teilnehmen zu können und unantastbar zu wirken, hatte immer funktioniert. Genau ihm gegenüber wollte ich dies ebenso darlegen. Álvaro Vera, sollte nicht Zeuge meiner Schwäche werden... Er, der mich von Anfang an mit Worten und Taten angriff, sollte nicht die Geheimwaffe gegen mich höchstpersönlich von mir zugereicht bekommen. Das würde einer Selbsttötung gleichen.
Nichtsdestotrotz wurde er nun Zeuge dessen. Er sah meine Angst, sah meine Verzweiflung. Er sah meine gebrochene Seele, um die ein Verband gewickelt war, kriegte bewiesen, dass diese Wunden wieder anfingen zu bluten. Er hatte äußerliche Wunden gehabt, dachte ich in Gedanken, als die verbundenen Hände von ihm, die ich nach der Vorlesung gesehen hatte vor meinem bloßen Auge auftauchten. Auch fiel mir auf, dass er damals zusammengezuckt und strikt dagegen war, dass ich seine Hände berührte. Unaufhaltsam huschte mein Blick auf seine Hand, die meinen Oberarm ergriff. Die Wunden an seinen Fingerknöcheln war nicht ganz verheilt und rote blutige Ergüsse waren in einem verdünnten Zustand auszumachen. Was war ihm nur zugestoßen ? Eine Traurigkeit machte sich in mir bereit, als ich die dezente Heilung an seiner Hand sah. Äußerliche Wunden heilten mit der Zeit, aber meine inneren Wunden würden immer an mir haften. Ich hatte Frieden mit dieser Ungerechtigkeit geschlossen und in frühen Jahren diese immer gut zu verstecken gewusst, bis jetzt.
Ein erstaunter, fast schon irritierter Ausdruck machte sich in seinen Zügen breit, als er einige Sekunden lang forschend von meinen Augen zu meinen Lippen wanderte, um dann seinen Blick langsam über mein ganzes Gesicht huschen zu lassen. Wie, als wollte er sich dieses Beweisstück in jedem ach so kleinen Detail merken. Mir war eiskalt und doch schien mein kalter Körper durch seine Berührung gleichermaßen lodernd zu brennen, als er eine lose Haarsträhne, die in mein Gesicht fiel, zwischen seine verwundeten Finger nahm und mir diese konzentriert aus dem Gesicht legte. Ich schluckte schwer und versuchte Stärke zu beweisen, indem ich seinen fast schon zu intensiven Blick erwiderte.
«Delilah...», brachte ich mit trockener Stimme stockend zustande.
«Ich muss Delilah finden.» Ich schluckte ein weiteres Mal, als sein Blick unergründlich wurde. Das Schwarz in seinen Augen nahm einen undefinierbaren Glanz an. Als hingegen seine nächsten Worte erklangen, spürte ich regelrecht, wie mein wild pochendes Herz von dieser Last komplett erdrückt wurde und letztlich zusammensackte.
«Mach dich nicht lächerlich. Was willst du schon anrichten können ? In diesem Chaos wirst du nicht einmal dich selbst wiederfinden.» Seine Worte glichen in dem Moment einem heftigen Stoß in die Magengrube, sodass ich spürte, wie mir erneut die Luft wegblieb. Einzelne schwarze Sternchen tanzten um mich herum und mein Tatendrang erlitt einen gewaltigen Knick. Selbst die angestaute Wut, mein bissiger Kommentar den ich am liebsten loswerden würde gegenüber diesem ignoranten Kerl, blieben mir wie ein Klotz im Halse stecken, während mein einziger Gedanke Delilah galt.
Ein Schuss war erklungen... ihr Schrei war wie ein Donner ausgebrochen. Was wenn der Schuss einen Treffer gelandet hatte ? Was wenn sie die Zielscheibe war ?
Die Zähne willig zusammenbeißend, warf ich ihm solch einen vernichtenden Blick zu, dass ich mir sicher war, dass dies mehr von meinen Gefühlen darlegte, als ich es je mit Worten ausdrücken könnte. Mit einen enormen Adrenalinkick ausgestattet, riss ich mich so plötzlich aus seinem Griff, dass ich drohte den Halt auf meinen Stilettos zu verlieren und rücklings runterzufallen. Doch ich hatte schnell wieder meine Balance gefunden, indem ich den Saum meines Kleides fest um die Finger gewickelte und diese gerade rückte. Gerade spürte ich, wie er mich still beobachtete, während ich wieder einige Schritte an ihm vorbei nach vorne setzte, um mich endlich dem eigentlichen Tornado hinzugeben. Doch bereits da erklang ein erneuter ohrenbetäubender Laut, dieses Mal ganz in unserer Nähe und bevor ich der Grund dafür ausfindig machen konnte, wurde ich am Arm umhergewirbelt und fest gegen einer der vier antiken Säulen des Saales mit voller Wucht gedrückt. Ein Körper war just, einer Mondfinstern ähnelnd, über mich gebeugt und war darum bestrebt mir den nötigen Schutz zu gewähren. Denn nun sah auch ich es.
Eine weitere Fensterscheibe, geradezu über uns, fiel mit einem äußerst harten Krachen zusammen und die Splitter, die in unzähligen Feinheiten entstanden, stürtzten nun direkt auf uns herab. Während mein Hörsinn begierig einsog, wie sie nacheinander auf seine muskulöse Statur herabregneten, verkrampfte ich mich anschließend, als diese ebenso hart neben uns auf den Boden aufkamen und erneut einen markerschütternden Lärm auslösten. Regelrecht am Abgrund meiner Gedanken stehend und jeden Moment die Fassung zu verlieren drohend, suchte ich Halt an ihm, indem ich meine Hände ausstreckte und meine Finger in sein Hemd rein drückte, die ich anschließend zur Faust bildete. Von meiner menschlichen Vernunft verlassen, platzierte ich Sekunden darauf mein Gesicht ebenso an meine Hände. Ich schrie von der Panik ergriffen hörbar auf, als weitere Scheiben auf dem Boden aufkamen und ein Meer voller messerscharfer Kristalle uns augenblicklich umzingelte. Dabei hatte ich kaum mitbekommen, wie fest ich meine Finger in seine straffe Brust gekrallt hatte und mich instinktiv mit dem Kopf an ihn schmiegte. Ich suchte den Schutz bei ihn und er über mich gebeugt, glich derweilen einem Schutzengel, der durch die Scherben von seinen mächtigen Flügeln enthauptet und damit hingerichtet wurde.
Meine Lippen pressten sich zusammen, als ich mir dieses Bild verinnerlichte und meine geschlossenen Augen wurden noch williger darin, sich der Dunkelheit hinzugeben, als der Wahrheit entgegenzublicken. Eine Stimme sprach zu mir, doch sie drang nicht wie gewollt zu mir durch. Ich konnte die Worte nicht ausmachen. Ich konnte einfach nicht, obwohl ich mich nun zum Öffnen aufforderte. Innerlich bettete ich, ich bettete rauf und runter, denn so sehr hoffte und wollte ich, dass beim Öffnen meiner Augen sich das ganze als einen scherzhaften Albtraum herausstellen würde.
Als ich aber den Kopf anhob, bekam ich nur Álvaros dunklen aufflackernden Augen zu sehen, die mich fast schon skeptisch in die Fittiche nahmen. Er war unversehrt, stellte ich mit Erleichterung fest. Seine Haare waren durcheinandergeraten, aber ihm ging es gut. Er verspannte sich, als er seinen Blick auf meine Hände hinab wandern ließ und beobachtete, wie fest ich meine Finger in sein Hemd eingegraben hatte. Auch ich folgte seinem Blick, spürte dabei unvermeidlich, wie er die Kiefer mahnte und zornig aufbrummte. Ihm gefiel dieser Körperkontakt nicht, dachte ich mir, was meine Mundwinkel noch weiter hinabgleiten ließen. Von meiner eigenen Reaktion ebenso erschüttert, wie über seine Abneigung, wollte ich ihn loslassen. Der innere Drang war groß, doch so sehr ich mich auch bemühte, so sehr ich mir innerlich einen Schub gab, ich konnte mich von ihm nicht losreißen. Peinlich berührt über solch ein Fehlverhalten meinerseits, suchte sich die Röte einen über meinen Hals hinaufund beschämt blickte ich langsam zu ihm hoch.
«Zuhören gehört anscheinend nicht zu deinen Stärken», kommentierte er das Ganze, um mich wieder mit seinen kalten und abschätzigen Worten runter zu machen und gerade, wo ich die Augen schloss und diese Prozedur an Beleidigungen kampflos über mich ergehen lassen wollte, verstummte er. Er wurde still. Verwundert über die plötzlich anhaltende Ruhe seinerseits, öffnete ich langsam wieder meine Lider und ein mulmiges Gefühl beschlich mich dabei. Es jagte mir regelrecht Angst ein. Der Adrenalinkick wurde gehemmt, wie als wäre er meine nächste Dosis, die ich benötigte, die durch meine Adern zu rinnen hatte, damit ich den nötige Impuls besaß, um nicht jedem Moment jeglichen Halt zu verlieren. Ich durfte und ich konnte mich nicht so gehen lassen! Ich musste sie finden, und zwar jetzt, ohne noch weiter Zeit zu verlieren.
Starr hatte ich den Blick auf meine Hände gerichtet, die sich verzweifelt radikal an sein Hemd klammerten und bei diesem Anblick kam ich mir urplötzlich erbärmlich vor. Ausgerechnet vor diesem unbekannten Fremden hatte ich es nicht geschafft meine Rolle zu spielen, sondern hatte erlaubt, dass er mir in die Seele blickte. Ich fühlte mich splitterfaser nackt. Meine Unterlippe bebte, als meine Augen sich fast schon kraftlos dagegen sträubten, sich nicht ein weiteres Mal zu schließen.
«Bedeutet sie dir wirklich so viel ?», drang eine unglaublich sanfte Stimme in mein Verstand.
Mein Kopf schoss bei diesen Worten unmittelbar in die Höhe und begegnete seinem Blick, der direkt über mir auf mich herabblickte. Zunächst verstand ich nicht worauf er hinauswollte, doch als er mit seinem Blick von meiner einen Gesichtshälfte zu anderen huschte, bemerkte ich es. Ich bemerkte die Nässe auf meiner Haut. Verdammter Mist, ich hatte angefangen zu weinen ! Unbemerkt hatte ich stumm Tränen vergossen, vor Angst um Delilah, vor Angst um diese Scheiben, die wie gefährliche Meteoriten auf uns hinabfielen und obwohl ich nicht verstand wieso, hatte ich sogar Angst um ihn bekommen. Er hatte mich bewusst an die Säule gedrückt und sich schützend an mich gepresst damit die Scheiben ihn trafen... und mich nicht. Er hatte mir praktisch das Leben gerettet und dies beschwor ganz gegensätzliche Gefühle in mir hoch. Ich war es nicht gewohnt, dass Menschen etwas für mich taten. Ich hatte Jahre lang selbst auf den Beinen gestanden... nun aber steckte ich in seiner Schuld und der Gedanke daran gefiel mir überhaupt nicht. Ich kannte diesen Mann nicht, der mich gerade wachsam observierte. So sehr ich es auch versuchte, ich konnte nichts herausfinden, ich konnte nicht in seine Seele blicken.
Mal dachte ich wüsste ich, wie er darauf ist, im nächsten Moment stellte sich aber schnell heraus, dass ich all meine Theorien über Bord werfen konnte, was ihn betraf. Wer war er und was stellte er mit mir an ?
Ich schluckte den Klotz in meinem Halse runter. Ich könnte meine Tränen wegwischen, könnte mich wieder aufrecht stellen, wieder eine Maske tragen, indem ich das hübsche Lächeln zutage brachte und meine kleine Krise überspielte, aber ich konnte es nicht. Seine Frage hatte mich aus der Bahn geworfen und die Art, wie er mich dabei angeschaut hatte war, als könnte er nicht wahr haben, dass ich mich mehr um das Leben eines anderen Menschen krümmerte als um meins. Er wirkte verwirrt und sogar leicht verärgert, dass er gesehen hatte, wie ich mich freiwillig einer Gefahr hingab und nicht die einfachere Option wählte und flüchtete. Aber was erwartete er auch von mir ? Oder was hielt er von mir ? Dass ich ein selbstsüchtiges ignorantes Biest wäre ? Ich spürte, wie sich meine Gesichtszüge verhärteten, als seine Anspannung und Unzufriedenheit sich auf mich reflektierte. Hatte ich mich falsch benommen ? Aber was war denn so falsch daran, sich für einen Liebenden zu opfern ? Wie konnte ihn das verblüffen, gar zornig werden lassen ?
Andererseits rief ich mir seine Frage wieder in den Sinn, während er aufmerksam das Hinabwandern einzelner Tränen auf meinem Gesicht verfolgte. Bedeutet sie dir wirklich so viel ? Er hatte es erkannt. Er hatte erkannt, wie wichtig sie mir war... er hatte mich durchblickt und das schneller, als manche Menschen, die mich mein Leben lang kannten. Genau das war das Erschreckende daran.
«Ich würde alles für sie tun», gab ich erstaunlich ruhig von mir, zu ruhig, obwohl ich im Hintergrund immer noch den ganzen Tumult wahrnehmen konnte. Er bedachte mich mit einem letzten überlegenen Blick, ehe er anschließend seine vollen Lippen aufeinander presste, die sich zu einer schmalen Linie verzogen. Das war nicht unbedingt eine Reaktion, von der ich ausgegangen war, weshalb meine Augenbrauen sich zusammenzogen. Doch während er zu sehr von seiner Wut geleitet wurde, dessen Quelle mir schier unbekannt war, entzog ich meine Hände von seiner Brust und blickte ihn ein letztes Mal an.
«Alles würde ich für sie tun und niemand wird mich davon abhalten können.»
Meine Nachricht war eindeutig und unverfehlbar. Selbst wenn er sich mir in den Weg stellen würde, würde er mich nicht davon hindern können meinen Weg fortzusetzen. Ich würde diesen Raum überqueren, wie gefährlich es auch sein mochte. Deshalb war ich mehr als erleichtert, als er dieses Mal keinen Protest erhob und mich auch nicht grob am Arm festhielt, als ich an ihm vorbeilief und Richtung Tanzfläche eilte, der heute extra für diesen Abend freigeräumt worden war, um den Gästen die Möglichkeit zu gewehren sich unterschiedlich zu verteilen.
Ich versuchte mir einen Überblick zu verschaffen, über die Schultern anderer, die sich an mir vorbei drängten, etwas zu erkennen, doch gegen den Sturm anzukämpfen erwies sich schwieriger als erwartet, während eine Menschenmeute immer wieder gegen mich ankämpfte und mich zurückzudrängen bestrebte.
Gerade knallte einer an meine Schulter, sodass ich einen Moment zurückstolperte. Als ich mich davon nicht beirren lassen und nochmal weitergehen wollte, rempelte mich auch schon der nächste an und ich spürte, wie ein flüchtiger Laut meine Kehle verließ und zeitgleich eine plötzliche Kälte an meinen Beinen mich kurz innehalten ließ. Mein Kleid war von unten herab zerrissen.
Gepresst atmete ich aus, stoppte in meiner Bewegung und nahm den teuren geschmeidigen Saum zwischen meine Finger. Ohne mir weitere Gedanken darüber zu machen, riss ich das Kleid noch mehr auseinander sodass, bis knapp über meinen Knien auf der linken Hälfte ein akzeptabler Schlitz entstand, was für mich den Vorteil darlegte, den Saum nun einfacher anzuheben und meine Schritte zu zügeln. Meine Bewegungen waren hektisch, fast schon roboterartig. Sie glichen einer routinierten Bauanleitung, die ich befolgte, ohne jegliches Gefühl jegliche Feinfühligkeit dabei zu empfinden. Mein klarer Menschenverstand war zu sehr eingenommen von der blanken Verzweiflung, die mich, je mehr die Sekunden verstrichen, heimsuchte und ich sie nicht fand.
«Gott... bitte, bitte Gott lass sie am Leben, bitte», brachte ich beinahe weinerlich hervor und zog mir an den Haaren als ich mich orientierungslos in der Masse umblickte. Jeder bewegte sich, doch die Zeit schien in meinem Kopf wie still zu stehen. Während ich mich umschaute, hatte ich gar nicht bemerkt, dass Àlavro mir gefolgt war, bis ich ihn einige Meter dicht hinter mir stehen sah. Menschen liefen an uns vorbei, rannten weiterhin, doch wir beide standen da, inmitten von diesem Chaos umgeben und ich spürte, wie er sich von hinten an mich näherte, bis sein Atem unmittelbar gegen meine Wange stieß und anschließend an meinen Ohr gelangte.
«Schhh....», hauchte er mir erneut sinnlich entgegen, was mich elektrisierte und meinem Körper eine Gänsehaut bescherrte. Wie konnte es sein, dass er in einem Moment wie ein distanzierter kalter Mann wirkte, in der nächsten Sekunde aber Feingefühl in seiner Stimme mitschwingen konnte, der meinen Puls wieder normalisierte ?
«Halt still und blick dich um. Konzentriere dich.»
Ich ließ meine Hände von meinen Haaren sinken, ließ sie trostlos fallen, als ich seine Präsenz dicht hinter mir fühlte, wie auch sein Atem, der meinen Hals streifte. Meine Schultern folgten diesem Beispiel und ließen sich ebenso schnell schlapp hängen. Es war unmöglich daran zu denken, dass ich hier nun die perfekte Fassade bewahren würde. Gerade hatte ich das Gefühl, als würde meine Welt um mich zusammenbrechen, als würde ich in ein schwarzes Loche fallen und doch, obwohl all dies vorhanden war, war das intensivste Gefühl, auf das ich mich konzentrieren konnte, die Luft mit der er meinen Körper kennzeichnete. Maßlos überfordert durch meine schwankenden Gemütszustand, wollte ich erneut eine Distanz herstellen und wegtreten, bis aus dieser Position heraus mir etwas pinkes unmittelbar ins Auge stach.
Ich horchte auf, hektisch suchte mein Blick diese Farbe erneut und dann sah ich sie.
Ich sah die feinen kleinen Zöpfe, sah das knielange feenartige Kleid... ich sah meinen Engel.
Einen weinerlichen Laut aus meiner Kehle lassend, eilte ich so schnell zu ihr, dass es mich dabei sichtlich nicht interessierte an wie viele Menschen ich knallte, oder ob ich ihnen unbewusst weh getan hatte.
Sie... sie lebte.
Kurz vor ihr angekommen, sah ich, wie sie die Mundwinkel tief runter gezogen hatte und auf den Boden starrte. Als ich ihrem Blick folgte entdeckte eine Pfütze vor ihr, die in einem Orangeton vor ihr lag. Moment mal, orange ?
Vor ihr zum Halt kommend, kniete ich mich zu ihr nieder, packte sie im Zuge dessen so heftig an den Schultern und drückte sie an die Brust, dass sie erschrocken nach Luft schnappte. Ich fuhr schnell, immer und immer wieder über ihre Haare um mich zu vergewissern, dass es ihr gut ging, dass ihr niemand etwas zuleide getan hatte und sie unversehrt war. Mitgerissen von der Todesangst um sie, strich ich ihr über die kurzen dünnen Arme, über ihren Rücken und vergoss erneut Tränen der Erleichterung.
«Oh díos. Oh díos. Estás bien», wiederholte ich in eine Wiederholungsschleife, um mir selbst ihren Zustand zu verinnerlichen. Dann fasste ich sie erneut an den Schultern und drückte sie dezent von mir weg. Ich begutachtete ihr Gesicht mir äußerster Präzision, strich erneut über ihre Arme und observierte jeden Winkel von ihr, ehe ich panisch fragte:
«Geht es dir gut ? Bist du verletzt ? Tut dir etwas weh ?»
Doch sie blickte mich immer noch mit großen Augen an, wie als könnte sie nicht verstehen, was hier gerade vor sich lief.
«Sí, mir geht es gut», antwortete sie schließlich und ich schloss erschöpft die Augen, nur um sie danach wieder auf sie zu richten.
«Ich hatte so Angst. Tuve mucho miedo», kräzte ich.
«Du hast nämlich geschrien und ich dachte...»
Da verzog sich ihr Gesicht erneut und ihre Unterlippe rutschte nach vorne, sodass sich ihr kleiner Mund zu einem Schmollmund wandelte.
Sie deutete auf die Lache vor ihr.
«Mein Eis ist mir runter gefallen. Blanca hat es mir heimlich gegeben. Sie hat gesagt, ich soll aufpassen und nicht kleckern, sonst würde Papa sauer werden wegen den Gästen. Ich habe mein Versprechen nicht gehalten. Und nun kriegt viel Ärger, hermana.»
Perplex betrachtet ich sie. Sie hatte geschrien, weil sie ihr Eis hatte fallen lassen ? Also hatte sie überhaupt nichts von dem Schuss mitbekommen und auch keine Bilder gesehen, die für ein 10-jähriges Kind ungeeignet waren und ein Trauma auslösen könnten. Über diese Erkenntnis wurde mir augenblicklich leichter ums Herz und dies ließ meine angespannten Schultern erleichtert runterfallen.
Gerade wollte ich den Mund aufmachen und etwas sagen, doch dann hob sie ihren Blick an. Der trübe Ausdruck verschwand und Neugierde machte sich bemerkbar.
«Heee wer bist du denn ?»
Ich drehte mich um und blickte in der Hocke nach oben, nur um zu sehen, dass Álvaro hinter mir stand. Sein Blick traf meinen, als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete. Er hatte die Hände in seine Hosentasche gesteckt und hatte ein Gesicht aufgesetzt an der jede Emotion abprallte. Das perfekte Pokerface. Das war nicht anders zu erwarten. Wie konnte er das nur so schnell auf peto haben ?
Bevor Delilah die Neugierde komplett einnahm und sie jeden Fremden, dem sie begegnete mit Fragen attakieren konnte, schreckte uns ein lautes Keuchen zusammen und zur anderen Seite blickend, sah ich aus dem Augenwinkel, wie ein atemloser Raúl auf uns zugerannt kam und sich anschließend mit den Händen an den Knien abstützte, als er heftig nach Atem rang. Er fuhr sich in die bereits auf allen Seiten abstehenden Haare und wirkte völlig neben der Spur, wie als wäre er meilenweit einen Maraton gelaufen.
Hustend schnappte er nach Luft, ehe er sich von seinen Knie abstützte und wieder gerade stand. Seine Kleidung war dreckig und der zuvor schick aussehende junge Mann war vollstens verschwunden, sodass anstelle dieser nun ein verängstigter Mann vor mir stand.
«Euch geht es gut, oh Gott sei Dank, euch geht es gut.» Verwirrt hob ich die Augenbraue in die Höhe, als ich seine Worte verinnerlichte.
Raúl war Atheist. Er glaubte nicht an Gott und er hatte auch nie zuvor dieses Wort in den Mund genommen. Ich wusste nicht, ob er es selbst bemerkt hatte, aber als sein Blick zwischen mir und Delilah besorgt hin und her wanderte, schlussfolgerte ich, dass er wirklich Angst um uns gehabt haben musste. Und auch ich spürte, wie ich den Atem anhielt, als ich nach gewissen Anzeichen einer Verletzung an ihm suchte. Mit wackeligen Knien richtete ich mich auf und bevor ich überhaupt einen Satz nach vorne machen konnte, hatte Raúl seine Arme um mich geschlungen und mich fest an sich gedrückt. Ich tat es ihm gleich, drückte ihn und vergrub mein Gesicht in seiner Schultern, derweilen ich mit Bestürzung feststellen musste, dass er am ganzen Leibe zitterte.
Ganz gleich, wie sehr ich Raúl auch für seine Eskapaden manchmal verachtete, wir waren auf eine andere Art und Weise miteinander verbunden, wie als wären wir Zwillinge. Manchmal da wollten wir uns gegenseitig nicht sehen, wenn wir uns wegen einer Kleinigkeit gestritten hatte, aber eins wusste ich dabei nur zu gut: Raúl und ich konnten nicht ohne einander. Er war mein Wegbegleiter. Ich wusste ganz gleich, wie er sich auch benahm, wenn ich ihn brauchen würde, würde er bei mir sein. Er wäre der Erste, der sich für seine Familie opfern würde und genau aus diesem Grund würde ich Raúl nie loslassen.
Er war offen gesehen und zugegeben von Außen betrachtet ein recht desinteressierter Mann und ebenso ein reicher verdammter Schnösel, der sich einen Titel, als Arschloch eingeheimst hatte. Er war der, der sich von dem Geld seines Daddys leiten ließ und der nur eine Seite der Welt kannte. Doch nur wenige sahen sein echtes Gesicht, nur wenige sahen den kleinen ängstlichen Jungen in ihm, der sich für seine Familie immer einsetzen würde, sobald er eine Gefahr vor sich sah. Nur wenige sahen, wie loyal er eigentlich war und das schätzte ich an ihm.
Er fasste mich grob an den Armen, drückte mich noch mehr an sich und flüsterte immer und immer wieder:
«Oh Gott sei Dank, oh Gott sei Dank.»
Eine Gänsehaut bereitete sich aus, als ich erneut das Wort aus seinem Mund hörte. Klar, er war schockiert, aber nun hatte er doch gesehen, dass es mir und Delilah...Ich stoppte mitten in meinen Gedanken und schnappte erschrocken nach Luft. Das war es nicht...
Dieser Schmerz, diese Angst, die er empfand, reichte tiefer und als mir durchsickerte um was es dabei ging, versteifte ich mich augenblicklich und zog scharf die Luft an, aber die aufkommenden Tränen konnte ich nur mit strengster Mühe zurückhalten.
Vorsichtig stich ich über seinen bebenden Körper, welcher sich regelrecht nach Schutz suchend an mich klammerte und flüsterte ihm sachte ins Ohr zu, sodass nur er es hörte:
«Uns geht es gut, Rául. Uns geht es gut. Wir werden dich nicht wie Mamá verlassen.»
Denn genau darum ging es nämlich. Genau diese Angst hatte ihn so gerissen, so aus der Bahn geworfen. Er hatte Angst, dass wir von einem Tag auf den anderen genau wie Mamá weg von der Bildfläche sein würden und die hochkommenden vergleichbaren Emotionen, die er damit assoziierte, hatten ihm den Rest gegeben und ihm die bleibende Energie für den heutigen Abend ausgelaugt.
Als ich bemerkte, dass er sich bei meinen Worten langsam entspannte, sodass sein muskulöser Körper nicht mehr allzu angespannt wirkte, fügte ich nun deutlich beherrschter und sachlicher in der selben Lautstärke hinzu:
«Delilah hat nichts von alldem mitbekommen. Wir müssen es schaffen, dass sie sich auf uns konzentriert und die Umgebung so wenig wie möglich wahrnimmt.»
Mit einem aufgesetzten Lächeln drückte ich mich von Raúl ab und warf ihm einen letzten vielsagenden Blick zu, doch dieser beachtete mich nicht mehr, sondern schien den Fremden in diesem Bunde erst jetzt erkannt zu haben. Er stellte sich gerade, observierte Álvaro von Kopf bis Fuß und die zuvor in seinem Gesicht geschriebene Angst schwand dahin. Er ließ wieder durch und durch den taffen Mann raus. Ein kurzer Blick zu Álvaro bestätigte mir, dass er ebenso kampfbereit da stand. Ok, sollte das hier jetzt allen erstens darauf hinauslaufen, dass sie ihr Revier markierten ? Ich räusperte mich und bückte mich wieder zu Delilah runter, die munter zwischen uns stand und sich wegen des Fiaskos mit dem Eis ein wenig beruhigt zu haben schien.
Gefasst lächelnd fing ich an:
«So cariña nun...»,
Abrupt pausierte ich. Und obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, mir neben der Kleinen nichts anmerken zu lassen, sackte mein Lächeln augenblicklich runter und meine Augen weiteten sich vor Unglauben, als mein Blick über Delilahs Schulter in der Ferne auf einem Punkt verharren blieb. Mein Gesicht verzerrte sich zu einer ungeheure Maske und Uglauben flackerte in meinen zusammengesunkenen Augen wider. Du gütiger Himmel !
Die beiden Männer, von denen ich auf beiden Seiten eingekesselt wurde, hatten meinen aschfahles Hautton und den schockierten Ausdruck in wenigen Sekunden wahrgenommen, denn ich bemerkte aus dem Augenwinkel, wie sie den Kopf in dieselbe Richtung drehten, in die ich ununterbrochen blickte.
Delilah, die irritiert zwischen uns hin und her schaute, schien erst da wirklich zu realisieren, was um uns herum geschah. Der blendene Vorhang ihrer Tugend fiel zu Boden und mit der Überraschung, die ihr sichtlich Gesicht geschrieben war, blickte sie den Gästen hinterher, die eilig Richtung Ausgang stürmten.
«Was...», sie wollte sich gerade umdrehen und ebenfalls unserem Blick folgen, bis ich mich da aus dieser Trance riss und sie unbeabsichtigt zu grob an den Armen fasste. Sie schrie einen Moment schmerzerfüllt auf.
Raúl, der ebenfalls verdutzt geradeaus starrte, wurde aus seiner Starre gerissen, als er Delilahs lautes Gequengel mitbekam. Er zuckte unmerklich zusammen und widmetet sich sofort Delilah zu.
Ohne ihn anzublicken sprach ich in einem schnellen spanisch aus:
«¡Lárgate!»
Protestierend zogen sich seine Augenbrauen zusammen.
«Und was ist mit dir ? Du kannst nicht ...»
«Raúl...», sprach ich warnende aus und drehte mich mit dem Kopf kurz zu ihm um.
«Por favor, ¡vamos!»
Ihm gefiel meine Aufforderung nicht. Natürlich gefiel es ihm nicht, dass ich wollte, dass er Delilah aus diesem Raum brachte, bevor sie das sah, was wir unglücklicherweise zu sehen bekommen hatten. Sie war ein Kind und das Bild was hinter ihr just zustande kam, waren nicht für ihre friedlichen und kindlichen Augen bestimmt.
Die Kiefer fest aufeinander gepresst, brummte Raúl auf, doch wie eigentlich angenommen, war sein Blick nicht auf mich, sondern auf ihn gerichtet worden.
Ich reckte meinen Körper zur Seite und sah, dass Álvaro sich immer noch nicht umgestellt hatte. Weder in seiner Haltung noch von seinem Gesichtsausdruck her. Raúl checkte ihn ab, bohrte regelrecht mit seinem Blick nach, wie als wollte er sich stumm von Mann zu Mann mit ihm verständigen und abchecken, ob Álvaro Mann genug war auf mich Acht zu geben, während er Delilah in Sicherheit brachte. Doch derweilen Álvaro dies weiterhin mit einem kalten Blick quittierte und keine emotionale Reaktion abgab, hatte diese kalte Fassade bei Raúl den entscheidenden Eindruck hinterlassen, sodass er ohne weitere Widerworte meine Hände von Delilah wegstieß und sie mit einem Ruck hoch an seine Brust zog. Ihr Gesicht presste er an seine Brust.
«Lass uns ein Spiel spielen cariña», fing er behutsam an, woraufhin Delilahs Augen zu Funkeln begannen.
«Ein Spiel ?», fragte sie enthusiastisch und wollte dabei den Kopf heben, doch Raúl hinderte sie von diesem Vorhaben.
«Schht schtt nicht den Kopf heben. Du wirst jetzt die Augen schließen, ok ? Nur so kann das Spiel funktionieren. Lass die Augen geschlossen und mache sie erst auf, wenn ich es von dir verlange, verstanden ? Ansonsten hast du dieses Spiel verloren. ¿ Prometes ?»
«Prometo», antwortete Delilah aufgeregt und klappte mit einem Mal ihre Augen zu. Sie liebte Spiele. Raúl hatte die perfekte Taktik angewendet. Wenn es um Spiele ging, vergaß sie alles um sich herum. Auch würde sie dadurch mein eigenartiges Verhalten von vorhin vergessen.
«Pass auf dich auf, Schwesterherz», brachte er nur schwer über seine nun trockenen Lippen und ich bemerkte, wie ihm regelrecht ins Gesicht geschrieben stand, dass er sich überhaupt nicht wohl dabei fühlte mich mit Álvaro, einem Unbekannten, alleine zu lassen. Es machte ihn fertig, dass er auf meine Worte hörte.
Ich drückte ein letztes Mal Raúls Hand, die auf Delilahs Rücken verweilte, ehe ich mit meinen Lippen formte:
«Te quiero, Raúl.» Ich wollte es ihm zeigen, in diesem kleinen Augenblick. Ich wollte zeigen, dass egal was passierte ich meinen Bruder liebte und ich immer für ihn da sein würde.
Er blickte mich mit einem bedauernden Blick an, als er kehrt machte und mit eiligen Schritten, Delilah in den Armen, dem Strom der Menschenmasse Richtung Ausgang folgte.
Einige Sekunden lang verharrte ich in dieser Ausrichtung, wohl wissend, dass ein Augenpaar hinter mir auf mich gerichtet war. Ich spürte wie seine Blicke sich, wie kleine Stecknadeln in meinen Rücken bohrten.
Schwer schluckend, versuchte ich all die Emotionen, die sich in meinem Gesichtsausdruck bemerkbar machten zu unterdrücken. Konzentriere dich Amalia. Konzentriere dich, rief ich mir immer wieder in Erinnerung. Doch während ich es schaffte, Raúl und Delilah einen kurzen Augenblick lang aus meinen Gedanken zu verbannen, tauchte ein neues Bild auf.
Ein Bild voller Blut... ein Bild voller roter Farbe. Ein Bild voller aussaugender Machtspiele.
Erneut war ich der Versuchung nahe die Fassung zu verlieren, doch bevor das geschah, drehte ich mich um und warf Álvaro einen Blick zu.
Er erwiderte diesen stumm und im Gegensatz zu mir, obwohl er ebenfalls gerade über Delilahs Schulter gesehen hatte, war er gefasst. Er war nicht aus dem Konzept gebracht worden. Trotz dass sich gleichermaßen ein dumpfer Schmerz und eine Angst in mir ausbreitete, konnte ich auch nicht anders, als erstaunt darüber zu sein, wie gut er es schaffte seine Gefühle zu verbergen. Er war undurchdringbar.
Wir sprachen nicht miteinander, wir flüsterten nicht einmal. Nur dieser eine Blickkontakt reichte aus und wie auf Kommando bewegten wir uns auf das Herzstück des Geschehens zu. Meine Adern verkrampften sich, alles in mir sträubte sich dagegen noch einen weiteren Schritt zu machen, doch auch hier bestärkte mich aus unerklärlichen Gründen der große Mann neben mir, der mit mir diesen Weg beschritt, weshalb ich mein Vorhaben nicht abbrach.
Kurz bevor wir ankamen, stockte ich. Aber als das Szenario ein klares Skript vor meinen Augen zusammenstellte, ließ ich all meine Vorsätze fallen, indem ich mit einem lauten Knack achtlos meine Stilettos von den Füßen streifte und rannte. Diese gespielte Gelassenheit konnte ich nicht mehr ertragen, schließlich war ich auch nur ein Mensch.
Außer Atem kam ich anschließend zum stehen und keuchend gab ich von mir:
«Was... Was ist hier passiert ?»
Dass sich diese Frage als überflüssig erwies, wussten wir alle. Denn derweilen ich wie wachgerüttelt dastand, richtete sich mein Blick auf die Blutlache vor mir auf dem Boden und dem leichenbleichen Gesicht von Mr. Howard. Erschrocken presste ich mir meine Hände auf den Mund, damit bei dessem Anblick, kein Laut aus meiner Kehle herausstach. Auf der anderen Seite schien aber sowieso keiner von mir Notiz zu nehmen.
Jon, der den fast leblosen Körper seines Vaters vor sich hatte, saß einem Kleinkind ähnelnd verzweifelt auf dem Boden. Sein bleiches Gesicht und seine weit aufgerissenen Augen wiesen auf seine Unzurechnungsfähigkeit hin, während er einzig und allein mit den aufeinander gelegten Händen fest auf die linke Brustseite seines Vaters drückte, unter dem das weiße Hemd einen großen roten Fleck gebildet hatte. Jon wirkte wie von allen guten Geistern verlassen.
Den anderen Anwesenden in diesem Bilde stellte sich ich als mein eigener Vater da. Beim genaueren Betrachten fiel mir auf, dass er womöglich derjenige gewesen sein muss, der Mr. Howard aufgefangen hatte, denn auf dem Boden liegend war sein Kopf auf Papás abgelagert worden. Papá, der ebenfalls Blut an den Händen kleben hatte und an dessem Anzug, den er sich für diesen Anlass extra aus Mailand bestellen und schneidern lassen hatte, zierten ebenso kleine rote Spritzer. Diesen Anzug würde er nie wieder tragen, kam es mir direkt in den Sinn.
Doch im Vergleich zu Jon, war Papá gefasster und nicht ebenso in einer Schockstarre eingekapselt. Er ignorierte mich zwar wie auch Jon, aber er hatte sich das Handy an sein Ohr gepresst und schrie mit befehlendem Ton in den Hörer, dass dringend ein Krankenwagen benötigt wurde und dass Mr. Howard schwer verletzt war.
Als das Wort wieder unmittelbar zu Mr. Howard überging, huschte mein Blick zum Besagten rüber und einen Moment lang begegnete ich seinen leicht schimmernden Augen, ehe seine Lippen sich dezent öffneten und er sich mit einem Augenrollen der Dunkelheit zum Fraß hingab. Seine Lider fielen runter.
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Die Nervosität und Ungewissheit nagte an mir, wie eine Zecke, die mir das Blut aus dem Körper saugte. Eine unausgesprochen schwere Stimmung wirkte um uns herum und nur das schreckliche Flackern einer Lampe über uns auf dem langen Krankenhausflur und der typisch unangenehmen Geruch, der uns hier herzlich begrüßte, lenkten uns ab und machte diese Stille halbwegs erträglicher.
Nachdem die Gäste in Sicherheit gebracht und der Krankenwagen erschienen war, war alles viel zu schnell verlaufen, sodass ich einen Moment brauchte, um wieder klar denken zu können. Papá hatte den Wachmännern erzürnt befohlen dieser Sache nachzugehen, herauszufinden von wo genau der Schuss herkam, derweilen wir uns alle zu den verschiedenen Autos in unserer Garage begeben hatten und dem Krankenwagen ins Krankenhaus gefolgt waren.
Und nun warteten wir vor dem OP-Saal. Mr. Howard hatte viel Blut verloren, weshalb ihm im Krankenwagen, so den Informationen zufolge, das Herz für einige Sekunden stehen geblieben war, ehe sie ihn reanimiert hatten. Die Kugel aber steckte weiterhin wie ein Gift in seiner Brust und musste schnellstmöglich entfernt werden, bevor es noch mehr Schaden anrichten würde.
Erst jetzt beim Sitzen und warten darauf, dass sich die Türen öffnen und einer der Ärzte uns etwas Positives sagen würden, spürte ich, wie ich am Ende meiner Kräfte war. Da nun der aufpumpende Kick, den mir das Adrenalin durch die Ader durchströmen ließ entebte, stellte ich fest, dass ich jeden Augenblick die Augen schließen und einschlafen könnte. Der Abend war einfach zu lang und die Ereignisse zu radikal gewesen, als dass ich noch jetzt weiterhin kräftig zuschlagen könnte.
Einen Blick zu Papá werfend, der sich abseits von uns allen befand, konnte ich anhand der festen Falten um seine Mundwinkel erkennen, dass er wütend war. Womöglich erzählte ihm gerade einer der Wachmänner am Hörer, dass nun auch die Presse davon Wind bekommen und sich am Tor unseres Anwesens, als auch hier vor dem Vordereingang des Krankenhauses eingefunden hatte. Er fluchte leise vor sich hin und gab Anforderungen ab, die er samt damit unterstrich, dass er sein zerknittertes Jackett zur Seite schob und seine Hände an seinen Gürtel, die locker an seiner Hüfte saß, einhakte. Elias, der sich zu uns gesellt hatte, nachdem er Clara und Carlos mit Delilah zusammen zu seinen Schwiegereltern gefahren hatte, war nur wenige Sekunden nach uns im Krankenhaus erschienen. Mein Herz hatte einen unbeschreiblichen Hüpfer gemacht, als ich mit Erleichterung festgestellt hatte, dass ihm ebenfalls nichts zugestoßen war.
Nun hatte er sich hingegen an die Wand gelehnt und die Hände vor der Brust verschränkt. Auch sein noch so junges Gesicht wirkte um Jahre gealtert, als er eine nachdenkliche Miene aufsetzend in seinen Gedanken versunken war.
Und ich, ich saß auf einem der sterilen Sitzplätze neben Jon, der nicht ein einziges Mal mit der Wimper gezuckt oder eine Reaktion von sich gegeben hatte. Nur starr blickte er geradeaus auf den Boden, was meine Brust schmerzhaft zusammenziehen ließ. Ich wüsste nur zu gerne, was in ihm vorging. Meine Augen füllten sich mit Tränen, ehe ich sanft meine Hand auf seine platzierte, die er an die Kante seines Stuhles umschlungen hatte. So fest umgriff er diese, dass seine Fingerknöchel weiß hervorstachen.
«Hey...», flüsterte ich behutsam und er zuckte bei meiner Berührung zusammen, entzog seine Hand aber nicht von meiner, als ich vorsichtig drüber strich.
Nun hob er zum ersten Mal seinen Blick. Seine kummervollen blauen Augen, in denen die Wellen tobten betrachteten mich Hilfe suchend. Ich spürte, wie mein Herz bei diesem Anblick in tausend Scherben zerfiel.
«Bitte Jon, bitte bleib bei mir. Dein Vater wird kämpfen, er hat schon immer gekämpft.»
Ich hätte mehr sagen, es anders formulieren sollen, aber andere Worte wollten einfach nicht aus meinem Mund kommen. Der dicke Klotz in meinem Hals hinderte mich von diesem Vorhaben. Allein aber durch meinen Aufenthalt und durch meinen festen willigen Griff wollte ich Jon zeigen, dass ich bei ihm sein würde. Auch wenn ich am liebsten selbst weinen und zulassen würde, dass meine Tränen in diesem Augenblick die Macht über mich gewannen. Ich würde es nicht zulassen. Wenigstens ich musste stark bleiben. Für alle von uns, wie auch damals nach Mamás Tod. Ich musste die zerbrochenen Scherben wieder zusammenführen.
Jon antwortete mir auf meine Aussage nicht, blickte mir nur eindringlich in die Augen, was mir die Sprache verschlug und sich ein warmes Gefühl in meinem Magen ausbreitete. Seine Augen leuchteten auf, doch als sein Blick über meine Schulter wanderte, verdunkelte sich dieser kurze Moment und löste sich wie in Luft auf.
Überrascht von dieser Wendung folgte ich seinem Blick den langen Flur entlang, bis ich bemerkte, wen er anblickte. Ganz am Ende des Flures, seitlich an die Wand gelehnt stand Álvaro Vera. Stimmt, er war ebenfalls mit gefahren. Verwundert über den stechenden Blick, den er uns mit zusammengekniffenen Augen zuwarf und dem hin und herwandernden seiner Augen zwischen mir und Jon, ließ ich wie auf Kommando von ihm ab.
Ich wusste gar nicht, dass sie einen Freund haben ?, fielen mir seine Worte wieder von heute Abend ein. Es könnte mir zwar egal sein, was er dachte und was er sich dabei zusammenreimte, aber irgendetwas in mir wollte nicht, dass ich als Lügnerin abgestempelt wurde, insbesondere in seiner Gegenwart nicht.
Ich drückte Jon ein letztes Mal mitfühlend in die Hand und stand auf. Obwohl ich mittlerweile fröstelte und der zerrissene schöne Saum, von dessen Glanz keine Spur mehr übrig war, nicht Mal annähernd viel von meinen Beinen bedeckte, versuchte ich gefasst zu wirken, als ich an allen vorbei auf ihn zulief.
Dabei ließ er mich keine Sekunde aus den Augen. Als er zusätzlich auch noch einen kurzen verstrichenen Moment länger mit dem Blick auf meine entblößten Beine verharrte, da wurde, mir noch unwohler zumute.
Ich kam vor ihm zum Stehen und da ich nun meine Stilettos nicht mehr anhatte, die ich im Saal zur Seite geworfen hatte, wirkte er sogar noch viel größer, als er schon war. Ich hatte eine passable Körpergröße und war um einiges größer als die Durchschnittsfrau und doch überragte er mich um einiges, sodass ich den Kopf in den Nacken stecken musste, um ihm komplett ins Gesicht blicken zu können.
Er ließ sich von meiner Präsenz nicht aus dem Konzept bringen. Die Arme lässig in seine Hosentasche steckend, lehnte er weiterhin da, als würde ihm die Welt unter den Füßen liegen. Und auch jetzt, wie all die anderen Male purer Sprachlosigkeit fragte ich mich, wer Álvaro Vera war.
Ich öffnete gerade den Mund, um ihm zu danken und um ihn darüber in Kenntnis zu setzten, dass er nicht hier zu warten brauchte, bis laute Schritte mich zusammenzucken ließen und ich zur Seite blickte.
Als ich die kleine und leicht füllige Gestalt von Blanca zu sehen bekam und die ihrer bildhübschen zierlichen Tochter Eva, die in einem hübschen dezenten Kleid von mir steckte, welche ich ihr aus Freundlichkeit für heute Abend ausgeliehen hatte, weil sie nicht viel älter war als ich, schnappte ich erleichtert nach Luft.
Eva schien uns gar nicht zu bemerken. Das Gesicht vor blankem Entsetzten angespannt, flog sie regelrecht, wie ein Schwan mit dem puder weißen Kleid den langen Flur entlang. Blanca hingegen, die mich Sekunden später erblickte, steuerte ihren Weg zu mir an und drückte mich mit Tränen in den Augen fest an sich.
«Ich habe gebetet. Durchgängig habe ich für euch gebetet. Oh Gott sei Dank geht es euch gut mein Kind. Elias ist auch hier, aber wo... wo sind die anderen. Ist Raúl oder Delilah etwas passiert ?», die drückte mich von sich, ihre Stimme brach abrupt ab.
Völlig unpassend zu dieser Situation konnte ich nicht verhindern, dass mich dennoch ein Lächeln beschlich, als ich in Blancas mütterliche älteren Augen blickte. Sie dachte wie immer als Erstes an uns Kinder und es rührte mich wie immer, dass wir, obwohl wir nicht dasselbe Blut teilten, trotzdem nicht untergeordnet zu ihrer eigenen Tochter Eva standen.
Ich strich ihr behutsam die kräftigen Arme entlang.
«Tranquila Blanca. Uns geht es gut. Raùl ist mit Delilah bei Claras Eltern. Der kleine Carlos hat den ganzen Weg über geweint, weil Clara bei der Explosion einen Moment das Gleichgewicht verloren hat und...» Ich stoppte, da ich erkannte, dass die Angst Besitz von ihr nahm und die ältere Dame vor mir noch zerbrechlicher gestimmt wurde.
«Ihnen geht es gut Blanca. Wirklich», beharrte ich darauf.
«Gott hat euch beschützt mein Kind. Der liebe Gott hat meine Gebete erhört», sagte sie und wischte sich gerührt die feinen Tränen aus dem Augenwinkel.
«Ich begebe mich weiter zu den anderen, vielleicht benötigt Mr. Alington etwas.»
Sie wandte sich von uns ab und setzte ihren zuvor angestrebten Weg fort. Meine Augen folgten ihren Bewegungen in die Ferne, bis siie beim Vorbeirauschen an einem winzigen Detail hängen blieben.
Eva, steuerte ihren Weg zu Jon an, doch beim Vorbeilaufen streiften ihre Finger unmittelbar die von Elias. Ich blickte Elias ins Gesicht, dieser hingegen gab keine Mimik von sich, schien diese Bewegung gar nicht einmal bemerkt zu haben. Oder etwa doch?
Plötzlich, wie als hätte er meine Augen auf sich gespürt, hob er seinen Blick an und seine leuchtenden Augen begegneten die meinen.
Starr erwiderte ich diesen, spürte aber, dass meine Schultern sich verkrampften und meine Finger sich fest in dem Saum meines Kleides verfingen.
Was löste eine solch zufällige kleine Bewegung nur in mir aus ? Doch plötzlich bemerkte ich, dass meine Anspannung einen viel trieftigeren Grund hatte. Es war der Atem, den ich an meiner Schulter, sanft und doch so intensiv kribbelnd, spürte. Gepaart, mit einer dunklen und doch mysteriöse Stimme hauchte sie mir entgegen:
«Du behauptest die Welt zu kennen, die Menschen zu kennen und doch hast du dich nie gefragt, ob du nicht in einem tiefen festen Schlaf steckst.»
Langsam drehte ich mein Gesicht zur Seite und spürte dabei sein Gesicht nur dicht an meinem gebeugt. Am liebsten hätte ich mich umgedreht, den Blick immer noch vor ihm verborgen gehalten, aber etwas zog mich wie magisch an, weshalb ich den Blick zu ihn aufrichtete, der mich mit voller Wucht traf.
Pechschwarz und doch so unfassbar klar. Seine Augen glichen zwei Kohlestücken, die durch das Funkeln seiner Augen zu Diamanten erleuchteten. Ich schluckte hart bei diesem atemberaubenden Anblick.
«Dornröschens Schlaf war kein Fluch, wie es in den Märchen erzählt wird. Es war das Beste was ihr passieren konnte. Denn sobald sie dem Kuss des edlen Prinzen ergeben war, war sie auch der Realität maßlos ausgegeben. Die Dornen, die sich um den Palast geschlungen hatten, sperrten sie nicht ein. Nein, sondern sie schützten sie vor der Wahrheit. Wenn du von deinem Schlaf erwachst und die Dornen um dich herum niederreißt, wirst auch du nicht mehr blind umherirren, du schlafende Schönheit.»
Mit diesen Sätzen entfernte er sich einige Schritte von mir, ohne den Blick dabei von mir zu nehmen. Dann, mit einem letzten vielsagenden Blick, drehte er sich letztlich um und ging...
Ging und ließ mich erneut in meinen Schlaf abtauchen. Mich... die schlafende Schönheit.
Hallöchen 😊
Da bin ich wieder mit einem neuen Kapitel. Ich hoffe doch sehr, dass ihr alle mit den Ereignissen und Details mitkommt. Die nächsten zwei Kapitel 9|Sniper und 10|Primadonna sind bereits fertig, jedoch werde ich die Kapitel in einem Abstand von drei Wochen voneinander posten 🙈 Das mache ich nicht um euch zur Folter zu spannen (ok ein bisschen vielleicht schon 😝) aber der Hauptgrund liegt darin, dass ich bis dahin wieder einige Kapitel vorschreiben möchte 😊 Was bringt es mir schließlich diese Kapitel in den nächsten zwei Wochen hochzuladen, wenn ihr danach sowieso wieder lange warten müsst ? Mit dieser Methode update ich zum einen regelmäßig und zum anderen müsst ihr nicht lange auf ein Update warten. Außerdem sind meine Kapitel in letzter Zeit immer über 8000 Wörter, demensprechend könnt ihr euch bestimmt denken, wie viel Arbeit bereits ein Kapitel beansprucht. 😥 In wenigen Kapitel geht es richtig los, also merkt euch die jetztigen Details bitte sehr gut, wie auch die der vorherigen Kapitel. 😈
Ich wünsche euch ein schönes Wochenende 💕
Eure Cherry 🍒
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