◆7| D e v i l i s h s h o t◆

Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden.

|1.Mose 9,6|

«Ist das so, Mr. Vera ? Freuen sie sich wirklich ein Mitglied der Familie Alington kennenzulernen?», fragte ich ohne große Umschweife und als dabei meine Augen geradewegs auf seine trafen, da wusste ich auf Anhieb, dass ich mit meiner Frage ins Schwarze getroffen hatte. Wortwörtlich ins Schwarze.

Denn während meine Augen noch auf seinen haftete, wurde ich Zeuge dessen, wie die Schwärze seiner Augenfarbe sich regelrecht weitete und eine noch tiefere Nuance einnahm, die ich kaum bei dieser Augenfarbe für möglich gehalten hatte. Seine Augen flackerten wie zwei kleine Diamanten, die sich in ihrer Rohform als Kohle tarnten und sich hinter einer Fassade verbargen, auf und nahmen mich ins Visier.

Das Lächeln versuchte ich bei meinem standhaften Blick ebenfalls, wie eine erstklassige gute Schauspielerin auf meinen Gesichtszügen zu wahren, jedoch wurde mir erst da wirklich bewusst, als wie schwer es sich erwies die Mundwinkel nach oben zu befördern, wenn sich alles in mir dagegen sträubte.

Indes ich in Gedanken beteuerte, dass ich keines meiner Worte, die mir gänzlich spontan aus dem Munde herausgekommen waren bereute, versuchte ich mich darauf zu konzentrieren, diesen inneren Willen ebenso gewollt auch nach außen wie auf ein Silbertablett zu servieren, derweilen mehrere Augenpaare zielsicher auf mich gerichtet waren. Disziplin war das A und O in unserer Familie. Zumindest erinnerte ich mich sehr gut daran, wie uns Papá von klein auf einige Grundregeln aufgestellt hatte, die wir strikt zu befolgen hatten. Von diesem Hintergrund aus betrachtet, wunderte es mich im nächsten Augenblick also kaum, dass genau er es war, der die anhaltende Stelle unterbrach, indem er sich unangenehm neben mir räusperte und leise aufknurrte, sodass dies nur zu mir durchdrang.

Doch so sehr ich es auch versuchte, so sehr ich mich auch Papá zuwenden wollte, ich schaffte es nicht. Meine Gliedmaßen schienen in einer Starre gefesselt zu sein und verweigerten mir somit jegliche Bewegung. Denn zu herausfordernd, zu kampflustig waren die Blicke meines Gegenübers, der trotz meiner Aussage die Fassade immer noch aufrechterhalten hatte. Derweilen sein selbstsicherer Blick langsam und absichtlich bewusst, dass ich dies mitbekam, über meinen Körper glitt, gab ich mir ebenfalls selbst die Erlaubnis ihn gleichermaßen näher ins Visier zu nehmen. Der vornehme dunkle Sakko, dessen eleganter Stoff seine breiten muskulösen Schultern umfassten, nahm er sich zwischen die Finger und rieb mit den Spitzen die Öffnung seines Anzuges vorne rauf und runter. Während mein Blick bei dieser Bewegung unwillkürlich auf seinen Händen verharrte, fiel mir auf, dass die Verletzungen, die unterschiedlich ausgeprägten Hämatome und die einzelnen Schnittwunden an seinen Händen von unserer letzten Bewegung abgenommen hatten. Verwundert öffneten sich dezent meine Lippen, als ich dabei erfasste, dass seine Fingerknöchel und auch einzelne Partien seiner Handfläche von Tattoos bedeckt waren, die ich zuvor nicht bemerkt hatte. Doch ehe ich mich erneut darauf fokussieren und die verschiedenen Zeichen und Schriftzüge auf seiner Haut identifizieren konnte, da zupfte er ein letztes Mal mit den Fingern an seinen Manschettenknöpfen und ließ seine Hände geschickt in seiner Hosentasche verschwinden. Bevor ich den herausfordernden Blickkampf mit ihm jedoch wieder aufnehmen konnte, kam das kratzbürstige Lachen des älteren Herren neben ihm mir zuvor. Also wandte ich mich ihm widerwillig höflich zu, wohl wissend, dass trotzdem diese dunklen Augen auf mir lagen. Eine Gänsehaut machte sich urplötzlich beim Gedanken daran in mir bereit und ich spürte, wie mir augenblicklich warm wurde.

«Wie ich es gesagt habe Eduardo, deine kleine Tochter ist eins zu eins wie du. Einen Jäger erkenne ich schon vom Weiten», gackerte dieser drauf los und hielt sich dabei an seinem runden Bauch fest, der nur schwer in diesem enge Hemd Platz fand, wie ich nun beim genaueren hinschauen bemerkte.

«Ein Jäger kann aber auch schnell zum Gejagten werden, stimmts ?», mischte sich nun Álvaro wieder ins Gespräch.

Die Wärme, die meinen Körper wie ein Sandsturm eingenommen hatte wurde jäh intensiviert, als sein raues Lachen erklang. Ich war mir nun sicher, dass in mir etwas explodierte. Ich würde hyperventilieren und durch die anbrechende Hitze einer Fatamorgana in die Falle tappen. Instinktiv rieb ich mir unauffällig die schwitzige Handfläche an der Seite meines Pailettenkleides ab und hob erstaunt über seine Worte die Augenbrauen fast bis zum Ansatz hoch. Auf was wollte er mit seinem Satz hinaus ?

Dabei entging mir zwar natürlich nicht, dass er meiner Frage umgangen war, doch dass er das Schweigen ausgerechnet mit solch erneut provokativen Worten durchbrach, trug nicht sonderlich dazu bei, dass das Misstrauen in mir gestillt wurde. Ganz im Gegenteil, es machte mir nur umso wachsamer und rasender zugleich. Meine Nackenhaare sträubten sich alarmiert in die Höhe. Ich warf meine Haare genervt von der plötzlichen Hitze, die mich überkam über meine Schultern, trotz dass ich mir darüber im Klaren war, dass dabei mein gewagtes Dekoltée zur Geltung kam. Ich wusste einfach nicht wohin mit meinen Emotionen und derweilen ich innerlich implodierte, war dies mein kleinstes Problem.

Da er auf meine Bemerkung nicht eingegangen war, hatte ich auch nicht vor auf seine einzugehen, obwohl sein belebter Blick mich regelrecht dazu aufforderte dem nachzugehen. Mein Vorhaben entpuppte sich hingegen als weniger effektiv, denn so wie mein Papá mich kannte und gut darin war meine Gesichtszüge zu deuten, wusste er, wann genau ich eine passive Haltung einnehmen würde. So wunderte es mich also nicht im geringsten, als sein erheitertes Lachen die geladene Atmosphäre umhüllte, ehe er Sekunden darauf seine Hand auf meiner nackten Schulter ruhen ließ und seine Finger leicht in meiner Haut bohrte, etwas zu fest meinen Ansichten nach, was mir deutlich kenntlich machen sollte, dass mein Verhalten Konsequenzen haben würde.

«So ist ist es. Bitte nehmen Sie die Zügellosigkeit meiner Tochter nicht persönlich Mr. Vera. Die Alington Frauen sind eben sehr temperamentvoll.» Erneut lachte mein Vater, aber durch den Ton erkannte ich, dass es ein gespieltes Lachen war. Am liebsten hätte ich das Gesicht verzogen, besann mich, aber aufgrund der auf mich gerichteten Blick eines besseren und blieb lediglich still.

«Das habe ich durchaus bemerkt», antwortete der junge Mann mit einer selbstsicheren Haltung und hob dabei leicht sein Kinn an, nur um seinen Blick dann über meine Statur hinab wandern zu lassen und einen kurzen Moment zu lang an meinem Dekoltee zu verharren, trotz dass er wusste, dass ich dies bemerkte. Er tat es mit Absicht. Dieser...

Gerade wappnete ich mich zu einer neuen Antwort auszuholen, als Papá sich erneut einmischte und mich somit unterbrach.

«Amalia, Mr. Vera ist ein wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Mr. Santos und steuert gelegentlich zu neuen Investitionen bei. Ich habe mich umgehört», sagte Papa nun seinen Adleraugen auf ihn gerichtet.

«Sie sollen für Ihre jungen Jahre recht gute Taktiken und Visionen vorweisen. Die Auktionäre sprechen nur hohen Tönen über Sie.»

Ich hatte mich interessiert von der Seite an Papá zugewandt, meine Stirn hatte sich jedoch je länger seine Erzählung anhielt in mehrere kleine Falten gelegt.
Wissenschaftler Mitarbeiter ? Investor ? Was hatte er dann noch an der Uni, in meiner Vorlesung zu suchen ?

Wie, als hätte der Steuerberater Mr. Santos, der neben Álvaro stand, meine Gedanken erraten, fügte er im Anschluss von Papás Worten, indem er einen anerkennenden Blick zu Álvaro warf, hinzu:

«Ja, dieser junge Kerl ist ein Prachtstück. Ich kannte seinen Vater, wir sind zusammen aufgewachsen. Er hat mir schon immer ausgeholfen. Hat dasselbe geschickt wie sein Vater und ist sehr überzeugend. Ich bin mir sicher, dass er es weit bringen wird.»

«Ach ist das so ?», Papá klang plötzlich sehr aufgeregt. Wie als hätte er unter all den Fischen im Meer einen großen Hai entdeckt, auf den er sich fokussierte nur um den größten Fang zu erzielen.

«Sagen Sie mir, Mr. Alvaro kenne ich Ihren Vater ? Ist er ebenfalls in dieser Branche tätig ?»

Álvaro, der seine Augen ununterbrochen auf mich gerichtet hatte und fast schon einen raubtierartigen Blick darlegte, spannte sich jäh bei den nächsten Worten von Papá an. Die Haut unter seinem eng anliegenden weißen Hemd spannte sich bis zum Zerreißen an, seine Kiefer mahnten sich, die er gefährlich langsam nach vorne reckte, ehe seine feinen attraktiven Gesichtszüge, die die ganze Zeit über gelockert und sündhaft schön wirkten sich wandelten, sich versteiften und undurchdringbar wurden. Es war, als wäre er Medusas Blick begegnet und augenblicklich zu einem Gesteinsstück modifiziert worden.

Na sieh Mal einer an, dachte ich mir und verschränkte die Arme vor der Brust. Denn nun war ich es die mit selbstgefälligem Blick darauf wartete Antworten zu bekommen und insbesondere bei diese hier war ich mehr als gespann. Seine Haltung hatte ihn verraten. Diese Frage war anders. Während er bei allen Fragen, sei es auch bei der unhöflichsten, die ich ihm gestellt hatte, immer beherrscht wirkte, zerstreute er regelrecht bei solch einer simplen.

Mittlerweile hielt die Stille auch nach Sekunden an. Álvaro streckte die Schultern nach hinten und zog scharf aus den Nasenflügeln die Luft ein, als er sich mit der einen Hand durch die Haare fuhr, die an den Seiten kürzer vorne hingegen länger gehalten wurden. Einzelne dunkle Strähnen fielen über seine verhärteten Züge und verliehen dem eine zusätzliche Schärfe.

«Nein, mein Vater stammt nicht aus dieser Gegend», erklang es mit zusammengebissenen Zähnen knapp aus seiner Kehle, ehe er die Kiefer wieder fest aufeinander presste.

«Woher stammt Ihr Vater dann ab ?»

Verwundert darüber, Sekunden später meine eigene Stimme zu hören und dass ich Papá, dem eigentlich  unverkenntlich das Wort übergeben wurde, diese wegnahm, hielt ich einen kurzen Moment lang den Atem an. Auch schien Papá, wie ich mit einem flüchtigen Blick zu ihm feststellte, erstaunt darüber zu sein, dass ich seinen Geschäftspartnern so offenkundig entgegentrat. Gelegentlich war es nämlich schon Mal dazu gekommen, dass ich an Meetings mit Papá teilnehmen musste, wenn Elias wegen Carlos nicht gekonnt hatte. Doch zumeist hatte meine Aufgabe nur darin bestanden still dazusitzen und die vornehme Tochter der Familie zu präsentieren, nicht etwa den Mund groß aufzumachen und alles heraus zu posaunen. Ich hatte mich deshalb niemals beklagt, denn mir war es auch ganz recht gewesen mich aus diesen Angelegenheiten heraus zu halten.

Nichtsdestotrotz waren die Worte nun eben aus meinen Mund heraus gerutscht und ich würde standhaft dazu stehen müssen. Wenn Álvaro Vera nämlich meinte ein Doppelspiel mit mir führen zu müssen, dann konnte ich das ebenfalls. Denn jeder, der meine Familie mit ins Boot nahm, hatte auch damit zu rechnen, dass ich nicht wie ein kleines Kind den Mund halten würde, sondern tatkräftig auf eine Reaktion überging.

Meine Worte begierig aufnehmend hob dieser seine ordentlich geschwungenen Augenbrauen hoch und bedachte mich dabei mit einem diabolischen Lächeln, was mich wieder schnell aus dem Konzept brachte. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Bevor ich aber tieferen Spekulationen Freiraum gewähren konnte, erwiderte dieser mit einer ausgeglichenen, fast schon emotionslosen Stimmlage:

«Sie scheinen sehr interessiert an meiner Lebensgeschichte zu sein.»

Genau in dem Augenblick lief einer der fein gekleideten Kellner an uns vorbei, sodass ich schnell ein Weinglas von dessen Tablett an mich rieß konnte, ehe ich erheitert mit dem Glas Wein in der Hand auflachte. Spiel deine Rolle gut Amalia. Lass dir bloß deine Emotionen nicht anmerken. Auch wenn du ihm gerade am liebsten den Wein auf das weiße Hemd überschütten würdest. Mit der anderen Hand fuhr ich mein Schlüsselbein auf und ab, ehe ich den Kopf leicht zur Seite neigte, um ihn unter meinen Wimpern verborgen einen prüfenden Blick zuzuwerfen und an mein Glas Wein zu nippen.

Fragend neigte er nun ebenfalls dezent den Kopf nach hinten und schaute von oben herab zu mir, wie als würde dies sein Blickfeld erweitern und er könnte dadurch schneller erraten können, was mein nächstes Vorhaben sein würde.

Mit einem Satz vollführte ich eine beschwingliche Handbewegung, wie als wäre es das normalste auf der Welt, ehe ich provokant lächelnd antwortete:

«Por supuesto. Schließlich sagt die Familie über einen Menschen viel aus, stimmts ? Es ist leicht sich eine Meinung über einen Menschen zu bilden, indem man dessen Familie vor Augen hat.»

Seine Augen flackerten bei meinen ausgesprochenen Worten gefährlich auf, doch entglitt ihm sein spöttisches Lächeln nicht einen Millimeter von den Lippen. Er hatte verstanden, worauf ich hinauswollte. Er war schließlich derjenige gewesen, der mich über meine Familie hinweg verurteilt und gemeint hatte mich damit abstempeln und in eine Kategorie verfrachten zu müssen. Ganz zu schweigen davon, dass er dies inmitten all meiner      Kommilitonen und Kommilitoninnen versuchte hatte, um mich zusätzlich unter all ihnen bloß zu stellen. Warum also nicht den Spieß umdrehen ? Ich war neugierig darauf, zu erfahren, ob ihn das ebenso reizte, wenn man ihn mit solch unerhörten Fragen überrumpelte.

Doch bevor er überhaupt antworten konnte, hatte sich einer von Papás Wachleuchten unauffällig von der Seite aus zu uns genähert und Papá einige Worte ins Ohr zugeflüstert, dabei bedacht, einen respektablen Abstand einzuhalten. Papá wandte sich anschließend an mich und glättete dabei seinen grauen Anzug glatt.

«Die Fotografen sind bereit und wollen für die Titelseite der Magazine ein Familienfoto von uns schießen.» Dann setzte er, wie der Geschäftsmann in ihm dies all die Jahre lang einstudiert hatte, ein sympathisches Lächeln gegenüber Álvaro und Mr. Santos auf, ehe er mit einer autoritären Stimme kund gab:

«Entschuldigen Sie uns für einen kurzen Augenblick meine Herren. Die Pflicht ruft leider wie immer.»

Ich schenkte Mr. Santos ein echtes Lächeln zu Verabschiedung, als ich Papás große Hand erneut an meinem Rücken spürte und mit etwas Druck zur Seite geschoben wurde. Álvaro hingegen bedachte ich nur noch mit einem monotonen Blick, der mich, wie ich aber daraufhin feststellen musste, bereits die ganze Zeit über kaum aus den Augen gelassen hatte.

Als wir außer Reichweite waren und ich mein Weinglas einem der Kellner zureichen konnte, beugte sich Papá leicht zu mir runter, ehe er mir ins Ohr hauchte:

«Was ist nur los mit dir princesa, dass du heute deine Krallen rausstrecken musst ?»

Ich lächelte ihn zuckersüß an, als ich bemerkte, dass bereits viele Blicke im Raum auf uns gerichtet waren und die ersten Lichter der Fotografen meine Sicht bedeckten.

«Ich war doch nur charmant.» Bewusst klimperte ich mit den Wimpern und lachte auf, damit ja keiner der Außenstehenden bemerkten, dass es sich um ein ernstes Gespräch zwischen Vater und Tochter handelte. Auch vor den Augen der Öffentlichkeit waren solche Angelegenheiten nicht unvermeidbar, aber man gewöhnte sich im Laufe daran, diese geschickt den Leuten nicht anmerken zu lassen. Papá brummte gepresst auf, verstärkte seinen Griff um meine Taille mit einem Mal und antwortete:

«Darüber sprechen wir später», denn nun waren wir in der Mitte direkt vor dem Orchester angekommen, wo wir uns auch mit dem Rest der Familienmitglieder zusammenfanden.

Elias hielt Delilah an der Hand fest. Clara, die in einem wunderschönen Versacekleid steckte, trug den vor sich hinbrabbelnden Carlos auf den Armen und selbst Raúl war wieder aufgetaucht und sah nicht mehr ganz so fertig aus. Na anscheinend hatte der werte Herr es doch noch geschafft sich einigermaßen aufzurappeln. Halleluja ! Vielleicht gab es ja doch noch eine kleine, wenn auch minimale Hoffnungen für ihn zum Weg der Besserung.

Während Elias sich mit Delilah und seiner eigenen kleinen Familie von der linken Seite aus neben Papá positionierten, kam Raúl auf meine rechte Seite zugesprinten und rückte sich dicht an mich, wie alle Familienmitglieder es nach Anweisungen der einzelnen Fotografen taten.

Als wir uns alle für die Bilder in einer ordentliche Pose eingefunden hatten, schossen bereits hier und da sich aufgestellte Fotografen Fotos. Ein Meer von Lichtblitzen überflutete uns und ich nahm kaum noch wahr, was dabei um uns herum geschah. Jeder von uns hatte das perfekte Lächeln, die aufrecht starke Haltung eingenommen.

Der Alington Clan. Stilvoll und ebenso machtvoll. Unbesiegbar...
So würde es auf dem Titelblatt vieler berühmter Zeitungen lauten. So war es nämlich immer.

Als uns nach wenigen verstrichenen Minuten endlich einer der Fotografen ein Handzeichen gab, dass wir uns nun wieder auflösen konnten, da traten wir einige Schritte voneinander zurück. Papá verabschiedete sich wie ein Gentleman beim Fotografenteam, ehe er wieder in der Masse verschwand und sich seinen Gästen widmete. Der Abend war jung und solche großen luxuriösen Galas boten die perfekte Gelegenheit an, um so viele Geschäfte wie möglich zu schließen. Champagner löste die Zungen und belebte die Sinne, was perfekte Voraussetzungen für einen erfolgreichen Abend waren.

Ich hingegen trat lediglich nur zur Seite und seufzte auf  mehr als froh darüber, dass ich meine Mundwinkel nicht mehr krampfhaft nach oben ziehen musste.

«Na...», sagte nun Raúl neben mir erheitert und schlang seinen Arm um meine Schulter. Er wirkte deutlich erheiterter und nicht mehr allzu mies grimmig, wie vorhin.

«Na...was ist ? Nicht auf der Suche nach hübschen Mädchen auf dieser Party ?» Ich wackelte verführerisch mit den Augenbrauen und versuchte eine Wellenbewegung darzulegen, die absolut scheiterte.

«Warum ? Die Hübscheste des ganzen Abends steht doch gerade schon neben mir», antwortete er ebenso verspielt, weshalb ich mich schnell zu ihm drehte und ihm grinsend durch die Haare fuhr.

«Du Charmeur. Nun kann ich wirklich nicht beurteilen, ob du wieder nüchtern bist oder ob der Alkohol aus dir heraus spricht.»

«Hey !», antwortete dieser entrüstet.

«Auch wenn dies der Fall sein sollte, merke dir eins, Schwesterherz: Betrunkene sprechen immer nur die Wahrheit aus.»

Mein Lächeln vergrößerte sich um ein zweifaches, worauf hin ich demonstrativ meine Augen verdrehen wollte, doch als mein Blick zu ihm gerichtet über seine Schulter hinweg auf ein schwarzes Augenpaar fiel, da machte mein kleines Herz einen Hüpfer und ich vergaß all das, was ich Raúl noch neckend an den Kopf werfen wollte. Nun stand Álvaro nämlich nicht mehr neben dem älteren Mr. Santos an Ort und Stelle, sondern er hatte sich ganz von der Menschenmasse abgeschieden an einer der vier antiken Säulen angelehnt, die Papá extra hatte von Innenarchitektin für diesen Saal konzipieren lassen, sodass Álvaro von dort aus einen guten und ungestörten Blickwinkel in unsere Richtung hatte. Die eine Hande steckte immer noch lässig in seiner Hosentasche mit der anderen hielt er sich ein halbvolles Whiskyglas in der Hand. Als er mit den Blick, der strikt auf mich gerichtet, gerade dabei war sich das Glas an die fülligen Lippen anzuheben, stoppte er, als er bemerkte, dass auch ich ihn nun beobachtete. Mein Körper versteifte sich unwillkürlich. Und anstatt den Weg zu seinem Mund fortzusetzen, erhob sich eine Seite seiner Mundwinkel verschwörerisch, ehe er mir mit dem Glas zuprostete und dann erst einen Schluck aus seinem diesem nahm. Dennoch waren seine Augen weiterhin auf meine gerichtet, während ich, wie hypnotisiert auf seinen Hals starrte, der durch das Hindurchgleiten des Getränkes auffällig zu Beben begann.

Allerdings entwand ich mich abrupt aus dieser Starre, als ich Sanjanas Stimme hinter mir ausmachte und Raúl dabei beobachte, wie er kurz zu ihr rübernickte, ehe er sich von uns entfernte.

«Ist das nicht...», fing sie als nächstes ungläubig an, indem sie meinem Blick gefolgt war, doch bevor sie überhaupt auf die Idee kam den Arm zu heben und auch noch auffällig in seine Richtung mit dem Finger zu zeigen, was mehr als typisch für Sanjana war, für die die Worte Scham und Scheu praktisch ein Fremdwort waren, zog ich ihren Arm wieder runter und wirbelte sie in die entgegengesetzte Richtung, sodass wir ihm beide den Rücken zugekehrt hatte.

«Sei still!», zischte ich ihr zu, sah wie sie mich aber mit aufgeregten Kulleraugen beobachtete und sich auf die dezent rosa gefärbten Lippen biss.

«Oh mein Gott das war er, oder ? Der Typ aus der Vorlesung !»

Sanjana machte erneut Anstalten sich umzudrehen, aber auch da hielt ich sie schnell von ihrem Vorhaben ab, indem ich ihrem Oberarm fest umklammerte.

«Schau bloß nicht dorthin", flüsterte ich ihr zu, was sie dazu brachte grinsend mit den Augenbrauen zu wackeln.

«Läuft da etwa etwas, was ich wissen müsste ?»

Genervt verdrehte ich die Augen und schnappte hörbar nach Luft. Erst die Leier mit Jon und nun fing sie schon wieder mit dem mysteriösen Kerl Álvaro aus der Vorlesung an. Ich wusste ja, dass Sanjana eine Schwäche für attraktive Männer hatte, aber sich jedes Mal eine Lovestory auszudenken, war für mich an manchen Tagen nur schwer auszuhalten, insbesondere jetzt, da ich sowieso genervt war und mich zudem eine urplötzliche Wärme überkam, seit ich seinen Blick ununterbrochen auf mir spüren konnte. Aus mir unerklärlichen Gründen brannte seit jeher mein ganzer Körper und so sehr ich es auch wollte, ich konnte diese brennende Hitze nicht zurückdrängen.

Zudem hatte ich völlig vergessen Sanjana davon zu erzählen, was vor kurzem nach der Vorlesung vorgefallen war und dass das Gespräch mit diesem arroganten selbstgefälligen Kerl noch weiter gegangen war. Doch angesichts der Umstände, dass ihr Vater im Krankenhaus lag, war es mir einfach völlig unpassend erschienen und ich hatte mich dazu entschlossen dem keine weitere Beachtung zu schenken. Um ehrlich zu sein, hatte ich eigentlich sogar recht verkrampft dagegen angekämpft seit jeher nochmal an dieses Gespräch zu denken, da mich der Gedanke daran immer wieder wütend stimmte und nur noch mehr Fragezeichen in meinen Gedanken hervor beschwor. Ich hatte es praktisch in die tiefsten Ecken meines Bewusstseins verbannt und es dort eingesperrt, doch nun öffneten sich langsam die verschlossenen Türen zu diesen geheimen Gemächern, nachdem ich völlig unerwartet seiner Wenigkeit auf dieser Veranstaltung wiederbegegnete.

«Er arbeitet sehr eng mit dem Geschäftspartnern von Papá und bitte versuche jetzt nicht in die Richtung zu schauen, da er sonst denkt, wir würden ihn beobachten.»

«Das tun wir doch aber...», grinste sie mit der Zunge genüsslich über ihre Zähne fahrend und zupfte dabei an dem rosafarbenen Cocktailkleid, welches von ihrer Taille hinab fließend auseinander fiel.

«Er hat einen Anzug an, Amalia. Männer in Anzügen sind heiß ! Ich will ihn sehen... bitte», schmollte sie rum, was mich ein weiteres Mal die Augen verdrehen ließ. Der Anflug eines Lächelns blieb mir dabei natürlich nicht erspart.

Ich gab ihren Arm frei und seufzte theatralisch.

«Fein», ich trat einige Schritte zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

«Dann nur zu. Wenn du dann wieder als Stalkerin abgestempelt wirst und eine Anzeige von der Polizei einkassieren möchtest, dann will ich dir gar nicht im Weg stehen.»

Sie lief auf Anhieb rot an, wie es ihr dezent dunkler Hautton überhaupt zuließ. Verlegen rümpfte sie die Nase.

«Hey ! Das war nur ein Mal ok. Und woher hätte ich wissen sollen, dass meine Sonnenbrille durchsichtig ist und dass der Kerl am Strand bemerkt, dass ich ihn die ganze Zeit über mit meinen Blicken abchecke.»

Ich musste schmunzeln, als mir dieser Vorfall vor knapp eineinhalb Jahren wieder einfiel, als Sanjana und ich einen Kurztrip übers die Feiertage hinweg gestartet hatten, der sich für Sanjana als der blanke Horror entpuppte. Doch wie es angesichts der jetzigen Umstände aussah, würde sie nie aus ihren Fehlern lernen.

Meine zur Antwort ausgeholte Luft verpuffte hingegen just, als Sanjana urplötzlich aufquickte und verdutzt einen kleinen Hüpfer praktizierte.

«Was ist ?», fragte ich besorgt, als ich bemerkte, dass sie panisch die Augen weit aufgerissen hatte.

«Du musst dich vor mich stellen !», sagte sie wie versteinert.

Irritiert betrachtete ich sie ehe ein 'Was ?' meinen Mund verließ.

«Mein Handy hat vibriert und... und da ich Taschen hasse und keine mitnehmen wollte da...», erneut blickte Sanjana verlegen nach links und rechts nur um sicherzugehen, dass uns niemand belauschte.

«Ich habe mein Handy in meinem BH verstaut», sagte sie zur mir gebückt und mir leise zuflüsternd.

Ungläubig weiteten sich meine Augen. Ich fragte mich allen ernstes, ob Sanjana mich nicht gerade auf den Arm nahm. Ihr Handy, in ihrem BH ? Gott, auf solche Ideen konnte auch nur sie kommen.

«Sanjana sag mir, dass das ein schlechter Witz ist.»

Unsicher grinsend zuckte sie unschuldig mit den Schultern, was mehr oder weniger eine entschuldigende Geste bei ihr darstellen sollte. Als sie mir zur Verstärkung auch noch aus ihren Rehaugen einen schmollenden Blick zuwarf, war ich eindeutig überzeugt davon, dass meine beste Freundin verrückt war.

Ich streckte mechanisch die Hände aus, ging einige Schritte auf sie zu und zog sie abrupt in eine Umarmung, dabei darauf bedacht etwas Abstand zwischen uns beizubehalten. Eine ihrer Arme schlang sie ebenfalls um mich, mit der anderen Hand griff sie hingegen in ihr Ausschnitt und zupfte und zog an dieser.

Als ich kurz danach bemerkte, wie sie ihre Hand sinken ließ, löste ich mich von der Umarmung und trat einige Schritte zurück. Tadelnd und ebenfalls erheitert schüttelte ich schmunzelnd den Kopf, als ich das Handy in ihrer Hand zu sehen bekam.

«Auf solche verrückten Einfälle kannst auch wirklich nur du kommen», kommentierte ich dies mit einem letzten bissigen Kommentar, doch Sanjana hörte mir gar nicht mehr zu. Das Lächeln auf ihrem Gesicht zerfiel und mit zusammengepressten Augenbrauen richtete sie ihren Blick auf ihr Handy und begann auf diesem rumzutippen.

«Ich muss los !», sagte sie anschließend, die Stirn kraus gelegt und blickte mich mit wachsamen Blick an.

«Meine Mutter ist mit den Medikamenten von meinem Vater durcheinander gekommen. Sie ist jetzt am Verzweifeln, welche sie ihm abreichern soll. Ich habe völlig die Zeit vergessen und bin sowieso viel zu lange hier gewesen", gab sie verstreut von sich und machte Anstalten zu gehen. Ich kannte sie zu gut, um zu wissen, dass sie sich innerlich mit Schuldgefühlen plagen würde, also legte ich ihr, einen sanftmütigen Blick zuwerfen, meine Hand auf ihre Schulter und bedeutete ihr mich anzublicken.

«Hey...du darfst ruhig auch etwas Spaß haben. Dafür solltest du dich nicht selbst anklagen. Übrigens mach dir keine Gedanken, der Arzt hat gesagt deinem Vater geht es gut. Also beruhige dich und lächel bitte wieder. Dass du still bist, gefällt mir nicht. Mein Chaffeur kann dich nach Hause fahren, deshalb bitte... lass die Schultern nicht so derart hängen", versuchte ich sie etwas aufzuheitern, doch stand ich in Wirklichkeit auch zu jeden einzelnen meine Worten, die ich ihr kund gegeben hatte. Es war nämlich nicht nur um sie aufzuheitern, sondern ich sah sie auch nicht gerne leiden. Ich gab es ja zu, dass sie manchmal einfach zu viel quatschte und ich mir wünschte es gäbe einen Ausschaltknopf für sie, aber wenn sie wiederum so still, so in sich zurückgezogen war, dann beunruhigte und störte mich diese Stille umso mehr, als wenn sie mich Stunden lang vollquatschte.

Nachdem Sanjana und ich den Saal verlassen und ich einen der Kellner dazu beauftragt hatte meinen Chauffeur Jeffrey zu informieren, dass er den Wagen vorfahren sollte, dauerte es nicht lange, bis ich vor der Haustür gelehnt stand und Sanjana ein letztes Mal zuwinkte, als das Auto unten vor dem Tor raus fuhr.

Ich blickte ihr ein letztes Mal besorgt hinterher, als ich auch schon die Hand nach der Tür ausstreckte, um diese zu schließen. Mein körperbetontes Pailettenkleid war zwar bodenlang, aber die feinen Spagettieträger und mein offener Halsbereich blieben nicht von dem kalten Windzug verschont, der sich einen Eintritt in unser Haus gewähren wollte.

Gerade wollte ich die Haustür wieder schließen, bis ich abrupt innehielt, als mich in dem Moment etwas blendete. Instinktiv hob ich die Hand an, ehe ich sie wieder sinken ließ und mit zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit blickte. Nanu, was war denn das ?

Auch wenn dieses blitzartige Licht plötzlich nicht mehr da war, runzelte ich die Stirn und richtete meinen Blick auf die Wolkenkratzer in der ferne unseres Anwesens. Kam es etwa von dort her ? Ich drehte mich um und blickte auf die Wanduhr im Flur; was mich wiederum dazu verleitete den Kopf zu schütteln. Zu dieser späten Stunde konnte in einem dieser Gebäude niemand mehr sein. Das war unmöglich. Zumindest befanden sich alle nennenswerten Namen heute Abend hier in unserem Ballsaal. Demzufolge mussten viele der Geschäftsleute aus den Firmen, die ihren Sitz in diesen Wolkenkratzern hatten, sich ebenfalls heute Abend hier aufhalten.

Wie als wollte man mich wegen meiner Gedanken hingegen verspotten nahm ich daraufhin wieder ein kleines Funkeln aus derselben Richtung wahr und stutzte. Mein Herz machte einen kleinen heftigen Sprung und ich setzte vom plötzlichen Impuls geleiteten mit dem Bein einen Satz nach vorne über die Türschwelle. Die Augen dabei fast schon zusammengekniffen lagen meine Augen zielsicher auf den Fenstern dieses Gebäudes, doch bevor ich meiner Analyse im Detail nachgehen wollte, wurde ich mit dem Erklingen meines Namens von dieser Aktion aufgehalten.

«Gefällt dir die Feier nicht. Was machst du ganz alleine hier ?»

Widerwillig drehte ich mich um, da ich wusste, dass es unhöflich wäre ihn zu ignorieren und einem merkwürdigen Licht auf die Schliche zu gehen, was ich mir bestimmt wieder eingebildet hatte. Als Jons funkelnden meeresblauen Augen auf meine trafen, bildete sich automatisch ein Lächeln auf meinem Gesicht und meine aufkeimende Unruhe löste sich augenblicklich auf.

«Hey Jon. Nein, ich habe mich nur kurz von Sanjana verabschiedet. Sie ist nach Hause gefahen.»

Die Hände in seinen Hosentaschen vergraben, streckte er sie langsam raus und so ungern ich es auch zugab, als ich das Spiel der Muskeln von Jon unter diesem engen Hemd beobachtete, musste ich heftig schlucken. Ich versuchte nicht auffällig auf seine Arme und seine Brust zu starren. Als er aber den Arm anhob und demonstrativ auf seine Armbanduhr tippte, machte sich wieder die Erleichterung in mir bereit. Er hatte meine Blicke nicht bemerkt. Na Gott sei Dank.

«Dann müsste sie sich ja gelangweilt haben. Der Abend beginnt erst jetzt», gab er mit einem kehligen Lachen von sich, was meine Puls urplötzlich einige Takte schneller schlagen ließ. Ich trat wieder ins Haus rein und schloss die Tür hinter mich, ehe ich die Hände hinter meinem Rücken verschränkte und meine Nervosität zu verbergen bestrebte.

«Ihre Eltern haben sie gebraucht. Sonst würde sich Sanjana sowas nicht entgehen lassen.»

Jon lachte und nickte anerkennend. Auch er war gelegentlich Zeuge von Sanjanas kuriosen Verhaltensweisen geworden, die ihm ebenfalls lustige Momente beschert hatten.

«Und was ist mit dir ? Hat dir die Feier nicht gefallen ?», fragte ich ihn neckisch, während ich mit ihm den langen Flur zum Saal langsam zurück schritt.

Ich war froh, dass sich alle im Saal befanden und ich nun etwas Freiraum hatte. Diese stickige Luft, die unübersichtliche Menschenmasse und der Alkohol zogen einen nach einer Zeit, ob man es nun wollte oder nicht, magisch in den Bann. Die kurzzeitig eingeatmete frische Luft hatte mir gutgetan und ich hatte das Gefühl wieder zu mir gekommen zu sein.

Ein kehliges Lachen kam nach meiner Aussage über seine Lippen.

«Um ehrlich zu sein, ein wenig schon. Mein Vater schleppt mich von einem Geschäftspartner zum anderen. So ist das eben, wenn man als einziges Kind und zudem als Sohn in die Fußstapfen des Vaters treten muss.»

Ich fuhr mir mit dem Handrücken über meine imaginär verschwitzte Stirn und tat so, als würde ich tatkräftig und absolut erleichtert nach Luft schnappen.

«Zum Glück übernimmt Elias bei uns diese Rolle. Und im schlimmsten Falle Raúl.»

Jon neben mir zuckte kurz zusammen und blickte mich fragend an.

«Elias? Raúl ? Was ist mit dir... Du hast auch das Potenzial dazu.»

Ich schüttelte belustigt den Kopf.

«Sie sind besser als ich und das nehme ich ihnen auch gar nicht übel. Insbesondere Elias nicht. Er hat sehr hart dafür gearbeitet. Er beweist von Tag zu Tag immer mehr, dass er mit jeder kleinsten Faser ein Alington ist. Das erkannte jeder schon seit seiner Kindheit, denn er war schon immer bereit für diesen Posten im Gegensatz zu Raúl und mir. Nehmen wir an, ich hätte dennoch die Möglichkeit, ich würde sie nicht ergreifen... Elias zuliebe nicht.»

Die Falten um Jons Stirn vervielfältigte sich.

«Du machst dich mehr runter als du es nötig hast, Amalia. Du bist unglaublich gut. Spätestens an deinen erbrachten Leistungen an der Uni müsste man das erkennen. Ich würde es mir an deiner Stelle nochmal gründlichst überlegen.»

Ich schwieg, spürte aber wie mein Kopf zu rattern anfing, als ich Jons Worte begierig in mich aufsaugte. Für uns stand es schon immer fest, dass wir ein Teil der Alington Kanzlei werden würden, doch während ich mich mit diesem Gedanken arrangierte, hatte ich mir immer in meinen Vorstellungen ausgemalt, dass Elias irgendwann die Führungsrolle dabei einnehmen würde.

Ich schüttelte verhemmt den Kopf. So wurde es auch bleiben, das war das einzig Richtige rief ich mir in Erinnerung und dachte an all die Situationen zurück, wo Elias uns beschützt hatte. Es war sein Traum und er war der geborene Alington für diesen Position. Niemals würden weder Raúl noch ich mich ihm in den Weg stellen, weshalb ich mich dazu entschied Jons Aussage nur lediglich mit einem Schweigen zu quittieren.

Als die letzten paar Meter ebenfalls stumm verliefen und die an der massiven Saaltür stehenden zwei Türsteher unsere Präsens in Kenntnis nehmen, uns die großen Türen zu beiden Seiten öffneten, geschah es, dass in nur wenigen Sekunden wieder die sanften Melodien der Instrumente und das laute chaotische Stimmengewirr sich geradewegs einen Weg in unsere Sinne bannten. Als wir gemeinsam den Ballsaal betrachten, warf mir Jon belustigt einen Blick von der Seite aus zu.

«Alles ist noch wie zuvor total im Gange», sagte er lässig mit der Schulter zuckend und ich nickte bestimmt, als ich meinen Blick erneut durch die Menschenmasse rüber gleiten ließ, ehe ich mich ihm ebenfalls zuwandte und sich ein kleines Lächeln auf meinen Mundwinkeln bildete.

Allerdigens stockte Jon sofort in seiner gelassenen Haltung und richtete sich kerzengerade auf, als er seinen Blick kurz über mich fahren ließ.

«Ist dir kalt ?», fragte er und deutete auf meine dürren nackten Arme. Unbemerkt hatte ich meine Hände auf und abgerieben und dabei auch gar nicht bemerkt, dass sich eine Gänsehaut auf meinem Körper gebildet hatte. Anscheinend hatte ich doch zu lange vor der Haustür verharrt um herauszufinden, was es mit diesem Licht auf sich hatte, dachte ich mir und ärgerte mich selbst über meinen Leichtsinn.

Aus meinen wirren Gedanken gerissen, als mein Blick zu Jon huschte, der Anstalten machte sich sein Sakko von dem Armen zu streifen, um sie mir dann über die Schulter zu werfen, wollte ich zum Protest eine verneinende Handbewegung vollführen. Doch bevor ich überhaupt die Gelegenheit dazu hatte, kam ein Kellner mit bedächtigen unaufdringlichen Schritten abseits des Saales auf uns zu und den Oberkörper dabei übertrieben nach vorne geneigt, wie als würde die Queen und der Prinz höchstpersönlich vor ihm stehen.

«Entschuldigen Sie die Störung», gab dieser beschämend von sich, ehe er sich an Jon wandte.

«Sir, Ihr Vater lässt ausrichten, dass Sie sich wieder zu ihm gesellen mögen.»

Jon seufzte auf, bedanke sich dann aber kurzerhand beim Kellner, der sich damit von uns abwandte.

Mit einem Schulterzucken hatte sich Jon wieder das Sakko über die Schulter gestreift und war mit der Hand glättend drüber gefahren, ehe er den Knopf vorne zuknöpfte.

Sein Blick, welcher eisern nach vorne gerichtet war, zog meine Aufmerksamkeit auf sich und ich folgte interessiert diesem, ehe ich Mr.Howard sah, wie er neben meinem Vater stand und diese sich gemeinsam mit zwei weiteren Männern unterhielten.

Kurzzeitig entglitten meine Gesichtszüge und ich warf Jon einen bemitleidenden Blick zu, ehe ich ihn mitfühlend am Oberarm berührte.

«Es dauert nicht mehr lange, dann hast du es hinter dir.»

Er warf mir ein schelmischen Lächeln zu und mit einem zusätzlichen Augenzwinkern in meine Richtung, befahl er mir:

«Drück mir die Daumen», anschließend er auf den Mittelpunkt des Saales zusteuerte, wo er sich zu den älteren und deutlich erfahreneren Männern dazustellte.

Ich ließ meine Hände an den Seiten trostlos herunterbaumeln. Sanjana war weg und nun musste ich mich wieder alleine durch diese bedrückende Gala schlagen. Als sich die Blicke einiger Gäste unbemerkt in meine Richtung wandten, stellte ich mich schnell aufrecht, warf meine Haare grazil zur Seite und gab mein schönstes Lächeln kund.

Diese paar Stunden würde ich noch einigermaßen aushalten müssen, ob ich nun wollte oder nicht.

***

Wie sich herausstellte, waren diese Stunden anstrengender, als ich es mir weiß machen wollte. Die Menschen redeten über belanglose Themen, schnupperten hier und da an ihren Champagnergläsern oder den Desserts, die sie nicht zu Ende aßen, weil sie befürchteten, dass dadurch irgendwelche Nähte ihrer luxuriösen Kleider platzen könnten, tanzten oder tranken immer mehr Unmengen von Champagner. Elias war als ich ihn ab und zu Mal erblickte in ernsthafte Gespräche mit den Geschäftspartnern von Papá verwickelt. Womöglich handelte es sich um die, die Papá nicht überzeugen konnte und deshalb Elias im voraus geschickt hatte. Elias hatte nämlich einfach diese einzigartige Ausstrahlung, sodass jeder sich auf Anhieb wohl in seiner Gegenwart fühlte und man ihm schnell vertraute. Clara hatte zwar den ganzen Abend organisiert, aber großartig viel bekam sie trotzdem von ihm nicht mit. Der kleine Carlos beanspruchte Mal wieder ihre ganze Aufmerksamkeit. So war es also, dass sie versuchte ihn in Schach zu halten, damit er ja nicht weinte und seinen Daddy von der Arbeit abhielt.
Delilah war das einzige Kind bei dieser Veranstaltung, weshalb sie mit keinem Spielen konnte. Demzufolge hatte es mich nicht gewundert, dass ich immer wieder einen Blick erhaschte, wie sie sich in der Nähe von Clara und Carlos aufhielt. Arme Clara. Nun hatte sie nicht nur Carlos sondern auch noch Delilah, auf die sie aufpassen musste.

Ich hatte derweilen hier und da einige bekannte Gesichter angetroffen und auch einige jüngere Gäste, mit denen Raúl gelegentlich auf Partys zu tun hatte, aber das waren eher seine Freunde als meine, weshalb es mich nicht wunderte ihn wenig später bei diesen Leuten anzutreffen.

Ich hatte nur die Augen verdreht und war weitergelaufen.

Sie waren kein guter Umgang für Raúl, aber so wie ich ihn kannte würde er sich nichts sagen lassen, also zuckte ich lediglich mit den Schultern und ließ ihn dies durchgehen. Denn wenn er letztlich auf die Nase fallen sollte, hatten Elias und ich wieder die Möglichkeit zu sagen, dass wir ihn gewarnt hatten. Ob es ihm nun gefiel oder nicht.

Ich musste bei diesem Gedanken daran schmunzeln, derweilen ich mich wieder an Blanca wandte. Sie war diejenige auf die heute Abend die meiste Last haftete. Sie koordinierte das Catering, die Kellner und die Securitymänner. Sie war diejenige die den Überblick über alle Gäste behalten musste und da ich mich nicht länger hier rumtreiben und einem Glas nach dem anderen trinken wollte, hatte ich mich dazu entschlossen ihr meine Hilfe anzubieten.

Liebevoll tätschelte sie meinen Arm.

«Liebes, du bist für solch Aufgaben nicht gedacht. Ich weiß deine Hilfe wirklich zu schätzen, aber Eva hilft mir schon, dass ist schließlich unser Job..»

«Aber...», fing ich an und sie hob beschwingt den Zeigefinger.

«Keine Widerrede. Ich weiß, dass dir solche Veranstaltungen nicht ganz geheuer sind, aber im Namen deiner Familie musst du dich als die feine Lady repräsentieren, also husch husch trink noch ein Gläschen und genieße den Abend.»

Nachdem Blanca mich mit einer schubsenden Bewegung davon gescheucht hatte, verzog ich das Gesicht und warf ihr einen letzten schmollenden Blick zu, ehe ich mich vom Buffet entfernte und wieder mitten im Saal bei den Leuten landete.

Wohin jetzt mit mir ? fragte ich und blickte mich irritiert um, doch zu keiner dieser Gruppen wollte ich mich dazugesellen. Gerade dachte ich, dass es peinlicher nicht sein könnte, wenn ich weiterhin alleine und völlig verloren in der Mitte stand, als sich mein Blick mit einem Gedankenblitz auf Anhieb erhellte. Ich blickte nach links auf die Wandseite des Saales, an dem das größte Gemälde von uns hier im Hause aufgehängt war. Das Bild war sogar größer als Picassos Guernica gewesen und war zudem Papás liebstes Kunststück. Mit anmutigen Schritten näherte ich mich diesem zu und war froh darüber, dass sich die Menschen nun doch miteinander unterhielten und sich nicht vor diesem Gemälde verschanzt hatten. Dann hatte ich eine Ecke für mich, wo ich abgeschieden sein konnte, aber trotz dessen nicht so abweisend, verloren und isoliert wirkte.

Ich ließ erleichtert ausatmend meinen Blick über das Gemälde schweifen und lächelte zufrieden.

Ich wusste nicht, was dieses Bild ausnahmsweise für eine Nachricht übermitteln sollte, denn Papá meinte, dass dieses Gemälde von einem unbekannten Künstler stammte. Er hatte es sich damals in jungen Jahren gekauft, als er noch ein armer Autowäscher neben dem Studium war und von einem Job zum anderen rennen musste, um als ältester Sohn einer sechs köpfigen Familie das Geld nach Hause zu bringen. Es erinnerte ihn an seinen Willen, an einen Lebensabschnitt, der ihn so kraftlos und doch so stark gemacht hatte und den Grund dafür darstellte weshalb er heute genau da stand, wo er jetzt war.

Es handelte sich um eine Figur, eine menschliche Statur, die sehr abstrakt und minimalistisch dargestellt wurde, sodass man eher von einer menschlichen Hülle sprechen konnte, als von einem vollkommen entwickelten Menschen. Diese hatte sich die Hände fest an die Brust gepresst in der sich ein schwarzer Knäuel befand, der den Mittelpunkt des Bildes darstellte. Während nämlich das ganze Gemälde in einem reinen weiß gehalten wurde, brachte dieses Chaos an Schwarz in der Mitte den Menschen zum Nachdenken. Zunächst ging man aufgrund des gequälten Gesichtsausdruck des Menschen davon aus, dass dies eine schwere Last im Inneren darstellen sollte, doch als die schwarzen Linien durch den Körper hinaus sich zu einem Phönix formten, konnte man nicht anders, als erstaunt den Mund zu öffnen. Ich fand dieses Bild wunderschön und konnte gut nachvollziehen, weshalb Papá ebenso vernarrt war.

Gerade streckte ich die Hand aus und wollte die Hand über die Flügel des Phönix streichen, ehe ich durch eine Stimme unmittelbar in meiner Nähe davon abgehalten wurde.

«Château Le Pin

Bevor ich den Kopf komplett wenden konnte, tauchten zwei schwarze Augen vor mir auf, die durch ein spöttischer Lächeln umrahmt wurden. Mein Atem stockte für einen Moment.

Er war es ! Als ich verwirrt fragen wollte, was er damit meinte, sah ich plötzlich das Weinglas in seiner Hand, welches er mir entgegenstreckte.

Ich atmete unauffällig wieder aus, versuchte dabei das Pochen meines Herzens durch sein plötzliches Auftreten zu ignorieren und nahm das Glas schweigsam an mich, sodass sich einen kurzen Moment lang unsere Finger streiften und eine Gänsehaut meinen Körper einnahm. In dem Augenblick begegnete ich erneut seinem Blick und bemerkte, dass seine Augen noch dunkler wurden, als für möglich gehalten.

«Danke», sagte ich und hielt das Glas in der Hand fest umschlungen. Ich war nicht darauf bedacht Smalltalk mit ihm zu führen, aber dass er auch jetzt nun mit diesem besserwisserischen und wachsamen Blick vor mir stand, glich für mich einer offenkundigen Kampfansage.

«Und was ist mit ihnen ? Trinken sie nichts ?»

Er hob seine andere Hand kurz an in der ich ein neues Whiskyglas mit einer bräunlichen Flüssigkeit ausmachen konnte.

«Ich bevorzuge eher etwas härteres», kommentierte er dies und einen kurzen Moment lang funkelten seine Augen bei diesen Worten auf.

Ich hob die Augenbrauen in die Höhe und bedachte ihn mit einem kritischen Blick. Doch so sehr ich mich auch bemühte, dieses Mysterium war einfach nicht zu knacken. Ich stand wie vor einer verschlossenen Tür dessen Schloss nicht zu durchbrechen war.

Er nippte kurz mit seinen fülligen schön geschwungen Lippen an seinem Glas, ehe er mit dem Kinn über meine Schulter hinweg deutete:

«Ich wusste gar nicht, dass sie einen Freund haben?»

Verwundert über seine Aussage folgte ich seinem Blick und bemerkte, dass Jon neben seinem Vater und einigen Kunden stehend kurze Blicke zu uns rüber warf. Wie von selbst wollten sich meine Augenbrauen in die Höhe bewegen, als ich verstand, dass er dachte Jon wäre mein fester Freund, doch dann stutzte ich bei meinem Vorhaben.

Hatte er etwas gesehen, wie Jon mir seine Jacke geben wollte und wie wir beide dabei den Saal betraten ? Und außerdem, warum stellte er mir überhaupt solchen Fragen ?

Ich drehte mich wieder zu ihm um, einige Strähnen kitzelten meine Wange, doch ich ignorierte dieses Gefühl und war darauf bedacht meine Ernsthaftigkeit beizubehalten.

«Und ich wusste nicht, dass Sie einer unserer Ehrengäste sind. Wo Sie es doch waren, der sich kritisch gegenüber meiner Schicht geäußert hat. Außerdem ... ist Jon nicht mein Freund. Er ist nur ein Freund.»

Weshalb ich den letzten Satz noch dazu geschoben hatte, wusste ich selbst nicht, schließlich ging ihn mein Liebesleben nichts an, aber trotzdem schüchterte mich sein auffordernder intensiver Blick ein, so ungern ich es auch zeigen wollte.

Ein amüsiertes Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er wieder ein Schluck von seinem Glas nahm. Ich tat es ihm gleich, indes wir dabei kein einziges Mal den Blickkontakt zueinander abbrachen.

«Stimmt. Ich bin auch eher davon ausgegangen, dass sie sich hier prächtig mit anderen ihresgleichen amüsieren, reden und trinken würden, stattdessen sind sie aber ganz abgeschieden von allen und stehen hier.»

Er ging auf meine Frage nicht ein. Na gut.

«Ich habe Ihnen schon Mal gesagt, dass Sie zu voreilig urteilen. Sie kennen mich nicht.»

Er blickte auf sein Glas nieder und trat einen Schritt näher an mich ran. Ich musste trotz meiner High Heels den Kopf heben, um ihn in die Augen blicken zu können.

«Und Sie kennen mich nicht», hauchte er mir entgegen.

Auch ich trat einen Schritt näher, wusste ich doch zugleich, dass diese Nähe zu nah war und ich fast an seine Brust stieß, aber ich wollte ihm nicht zeigen, was für einen Effekt er auf mich hatte. Ich wollte nicht, dass er sah, wie mein Körper sich anspannte, wie meine Nackenhaare sich bei seinem sinnlichen Duft erhoben und ich am liebsten genüsslich brummend die Augen schließen wollte. Ich wollte ernst genommen werden.

«In Ordnung. Was soll dieses Spiel ?», fragte ich wütend über meine eigene Schwäche, sodass meine Stimme härter klang als beabsichtigt. Belustigung zeichnete sich mit einem Mal in seinem Grinsen aus, zugleich aber auch Verwunderung in seinen Augen aufflackerte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ich ihn sofort anfahren würde.

«Ich verstehe nicht ganz worauf Sie hinauswollen, Ms. Alington .»

Ms. Alington ? Natürlich... nun legte er wieder die Masche des Ahnungslosen auf, dachte ich mir und umgriff fester mein Weinglas.

«Meine Frage war klar genug: Was soll dieses Spiel ?»

Er wusste, was ich mit meiner Frage andeuten wollte. Das bewies mir sein Lächeln, als sein Blick qualvoll langsam über meinen Körper hinabwanderte und er dabei leicht mit dem Kopf schüttelte. Doch als sein Blick augenblicklich zum Verharren kam und das Lächeln aus seinen Zügen entglitt, spürte auch ich, wie mein Körper sich anspannte. Ich folgte seinem Blick und bemerkte, dass seine Augen auf das Gemälde gefallen war, vor dem ich mich aufgestellt hatte. Das Gemälde mit dem Phönix.

Es schien, als hätte er es jetzt bemerkte, dass wir davor standen, denn dieser hatten die Augen zunächst auf den Rand des Bildes gerichtet, auf dem in Schwarz ein kleines Zeichen eingraviert worden war, welches ich nicht genau deuten konnte, ehe er den Blick hob und das ganze Gemälde betrachtete. Begierig fast schon von einem gezwungenen Drang getrieben prägte er sich jedes kleinste Detail ein.

Bevor ich bissig meine Frage wiederholen konnte, griff er mir schneidend ins Wort, doch würdigte er mich dabei keines Blickes, sondern starrte weiterhin auf das Kunstwerk.

«Von wo habt ihr dieses Gemälde her ?»

Verdutzt aufgrund seines barschen Tonfalls als auch der ungewöhnlichen Frage zogen sich meine Augenbrauen langsam zusammen. Was sollte das denn jetzt werden ? Dachte er sich etwa, dass er sich dadurch meiner Befragung entziehen konnte. Nein, nicht mit mir.

«Sie haben meine Frage immer noch...»

«Ich habe gefragt, wo sie dieses Gemälde her haben ?», knurrte er auf und deutete mit der Hand, in der er das Wiskyglas hielt auf das Gemälde. Seine Augen strahlten dabei puren Zorn aus. Ich klappte meinen Mund zu bei diesem Anblick.

«Ich weiß es nicht. Mein Vater hat es schon vor meiner Geburt gehabt. Er meinte, das Bild würde ihn an seine Wurzeln erinnern und...»

«Wie heißt der Künstler?»

Meine Hand bildete sich zur Faust. Er hatte mich schon wieder unterbrochen ! Musste ich mich jetzt einer Befragung unterziehen oder was ? Was geschah hier bloß ?

«Nun hören Sie mir Mal zu. Ich weiß nicht was das hier soll, aber Sie können nicht einfach so das Thema wechseln und so tun als, ob nichts wäre. Sie sind derjenige der mit Andeutungen über meine Familie und über meinen Stand macht und nun treffe ich Sie hier an, in einer der populärsten Veranstaltungen des Jahres, welches in dem Anwesen der Alingtons, meiner Familie stattfindet und muss feststellen, dass sie kein bisschen besser sind als wir und...»

«Ich bin nicht einer von euch

Ich blinzelte. Ich blinzelte ein weiteres Mal. Diese Worte kamen so abschätzig aus seinem Munde, dass ich einen Moment lang nicht wusste, wie ich darauf zu reagieren hatte. Es war als würde er jedes Wort spucken wollen, als wären wir nichts wert... Ich spürte, wie mir unwohl wurde, wie die Wut in mir hervorkroch.
Was für ein Bild hatte er von uns ?

«Ach ja ? Für wen halten Sie sich eigentlich. Sind Sie etwa der Kaiser von China ? Oh oder noch besser sind Sie...»

Doch zu mehr kam ich nicht, denn urplötzlich ertönte ein lauter Knall und die Stimmen, die zuvor den ganzen Saal mit Leben gefüllt hatten verstummten. Bevor ich realisieren konnte was passiert war, knallten urplötzlich lauter Glasscheiben zu Boden und zerbrachen. Sie regneten wie Kristalle nieder.

Und dann geschah es, plötzlich brach das Chaos aus. Menschen rannten, Menschen schrien... Menschen bewegten sich Richtung Ausgang, das Gesicht verzerrt vor Angst. Ich schnappte kurze Wortfetzen wie 'Blut' auf, weshalb ich erschrocken die Augen aufriss, doch bevor ich mich auch nur bewegen konnte, spürte ich plötzlich, wie zwei große Hände sich um mein zierliches Handgelenk legten und ich mit einem polternden Knall mit dem Rücken an das Gemälde gedrückt wurde.

Der Wein in meinem Glas schwappte über, doch das war es nicht, was meine Sinne beraubte, sondern sein Körper, der nun dicht an meinen gepresst war. Er ließ meine Hände los und stemmte sie auf beiden Seiten von mir mit seinen starken Armen ab. Es war, als würde die Zeit still stehen.

Der Lärm um uns herum nahm indes zu, Glasscheiben gingen immer mehr zu Bruch doch ich war wie gelehmt und konnte mich nicht bewegen. Es lag an den Menschen, an den Scheiben, an dem Geschrei und es lag an ihm. Sein Atem stieß gegen meine Wange und ich spürte, wie sein Blick von oben herab auf mir haftete, als er mich abkapselte. Ich war gefangen zwischen ihm und diesem Gemälde.

«Atme...», raunte er mir dicht an meinem Ohr zu, doch ich konnte nicht. Ich konnte mich weder bewegen, noch konnte ich endgültig abdriften. Ich war durch den Schock in meinem eigenen Körper gefangen.

Ein animalisches Knurren ertönte.

«Ich sagte du sollst atmen, Amalia.»

Meine Augen weiteten sich, mein Herz machte augenblicklich unzählige Saltos. Er hatte mich bei meinem Namen angesprochen und es klang so... so sinnlich, so verführerisch schön. Ich mochte es noch nie sonderlich bei meinem Namen gerufen zu werden, sondern zog es eher vor, wenn man mich nach meiner Mutter Layana ansprach, aber zum ersten Mal, da wollte ich nichts Sehnlicheres als diesen Namen ein weiteres Mal aus seinem Mund zu hören.

Unsicher hob ich langsam den Blick an und begegnete seinen Augen. Er war gefasst im Gegensatz zu mir und all den anderen hier im Saal und er blickte mich konzentriert an. Doch bevor ich etwas erwiderte konnte ertönte ein erneuter Knall.

Ich schnappte ängstlich nach Luft, denn dieser war anders. Dieser war lauter, schneidender. Dieses Mal war ein Schuss erklungen.

Bevor ich mich umsehen und mich aus seinem Griff entwinden konnte, durchbrach ein ohrenbetäubender Schrei das panische Eilen und Sprechen der Gäste im ganzen Saal und meine Gesichtszüge fielen, wie auch das Weinglas, welches ich vor Schreck aus der Hand fallen ließ.

Das Glas zerbrach in einzelne Teile und die rote Flüssigkeit bannte sich wie Blut einen Weg durch den makellos weißen Boden, der meinen Inneren glich der jeden Moment verunreinigt werden würde... der jeden Moment sterben würde und wie die Blätter einer kranken Rose auseinander fallen würde.

Denn der Schrei, der erklungen war, war die eines kleinen Mädchen. Es war Delilahs Schrei gewesen.

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