◆28| D e c o y◆
Je üppiger die Pläne blühen, um so verzwickter wird die Tat.
|Erich Kästner|
Ich muss auf niemandes Zustimmung warten.
Ich brauche keine Erlaubnis.
Ich muss auf niemandes Zustimmung warten.
Ich brauche keine Erlaubnis...
Wie ein immerzu anhaltender Ohrwurm spielten sich dieselben Worte im Wechselspiel in meinen Gedanken ab. Verzweifelt suchte ich nach dem Knopf, der diesen Worten, dieser Stimme ein Ende setzte, mir die Möglichkeit bot, mich in einer friedlichen Stille zu hüllen, wenigstens für einen kurzen Moment meine überaus in alle Himmelsrichtungen hin wehenden Gedanken zu sammeln, aber ich fühlte mich wie in einem Spiegelkabinett. Wohin ich auch blickte, welchen Pfad ich auch nahm, ich begegnete nur dem stoisch auf mich gerichteten Blick von Iván, der mir indirekt verkündete, ein Teil, nein, die Hauptprotagonistin einer Vergewaltigung zu werden.
Eine Vergewaltigung.
Dieses Zugeständnis an mich selbst und das Geschehen beim Namen zu nennen traf mich härter als erwartet. Ich versuchte mich an einen positiven Gedanken festzuklammern, blind in der Dunkelheit meiner Zukunft meinen restlichen Sinnen folgend einen Lichtblick ausfindig zu machen, doch die Bedeutung seiner Worte lasteten tief. Schrecklicher als meine Orientierung zu verlieren war jedoch der, dass er die Wirkung, die seine Worte in mir auslösten und nach draußen transportierten, bis ins Detail an mir beobachten konnte.
Ich hatte es versucht, hatte mich dagegen gesträubt und all der schrecklichen Ereignisse zuwider meinen eigenen Widerstand angezettelt, ungeachtet des Risikos einen Schlag mit dem Gürtel zu kassieren. Ich hatte einen starken Willen und einen bemerkenswerten Mut hingelegt, dennoch täuschte das nicht darüber hinweg, dass die Fassade, die ich sorgsam um meine Seele herum errichtet und wie ein schöner Sommergarten gepflegt und geliebt hatte, durch die Strapazen dieses Abends hauchzarte, sensible Risse von sich getragen hatte, die sich nun wiederum ausgeweitet, Regionen angeknackst hatte und schließlich in mein Innerstes durchgedrungen waren. Genau dort, wo ich mein innerstes Heiligtum bewahrte.
Zunächst dachte ich es handele sich um harmlose, kleine Risse, die keinerlei Angriffsfläche boten, aber Schäden waren nun Mal Schäden, ob kleine oder große würde letztlich keinen Unterschied machen. Mein Herz verkrampfte sich, ich widerstand dem Drang meine Hand über meine Brust zu legen, solange Iván mich noch im Auge behielt. Allerdings konnte ich nicht verhindern, dass sich meine Implosion durch perlenartiger Nässe auf meiner Stirn bemerkbar machte und mein Atem einen Staccato hinlegte.
Silvana sagte etwas, ich bekam es mit und doch hörte ich es nicht. Es war als würde ich gar alles aus einer Glaskugel heraus betrachten. Mit Mühe blickte ich nochmal in die Ecke, wo sie und Iván sich befanden und erkannte, dass sie den erneuten, aber doch hoffnungslosen Versuch gestartet hatte auf ihn einzureden. Als die Blondine jedoch bemerkte, dass seine Aufmerksamkeit nicht eine Sekunde lang ihr galt, folgte sie seinem Blick und aus einem Augenpaar wurden zwei. Kummer verzerrte Silvanas so hübsches Gesicht. Ihr Bruder folgte dem Beispiel und sah mit einem Blick in meine Richtung, der nichts als pure Erschöpfung und eine stumme Entschuldigung ausdrückte, weil auch er wusste wie das hier ausgehen würde.
Sie bemitleiden dich, lachte meine innere Stimme mich aus. Sie alle schauen dich an, weil sie wissen, was aus dir werden wird. Lediglich ein sexuelles Lustobjekt, das die Beine breit machen wird und...
Ich hielt es nicht länger unter diesen Blicken aus, ehe sie was sagen oder noch schlimmer, mir weiß machen wollten, dass Iváns Worte nicht stimmten, machte ich auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Raum. Auch im Flur tastete ich aufgrund meines von zurückhaltenden Tränen verschleiertem Blickes blind die Wand entlang, bis im Zimmer angekommen den Tränen endlich freien lauf ließ. Wie lange ich weinte, war mir schleierhaft. Irgendwann konnte ich aber nicht mehr die nötige Energie aufbringen und mein Geist war zu aufgewühlt, um meinem geschwächten Körper Ruhe zu gönnen, sodass auch an Schlaf nicht zu denken war. Ich saß auf dem Bett starrte aus dem Fenster und betrachtete den Halbmond, dessen Anblick mich jedes Mal an meine Mutter und damit an meine eigene Familie erinnerte. Doch gerade tat ausgerechnet der Gedanke an sie meiner Seele nicht gut. Die Sehnsucht nach Ihnen schmerzte, die Sorge darum, wie es ihnen angesichts des Umstandes ging, zerfraß mich von innen. Ich wünschte ich könnte sie sehen, wünschte ich könnte ihnen zumindest sagen, dass es mir gut ging. Das ist eine Lüge, trällerte eine boshafte Stimme in meinem Kopf mir zu, was mich, auch wenn es nichts brachte, dazu verleitete meine Hände auf meine Ohren zu platzieren.
Bitte, es ist genug für heute. Lasst mich in Ruhe, setzte ich nun zu Selbstgespräche an und zweifelte erstmals an meiner eigenen Zurechnungsfähigkeit. Doch ehe ich mich weiter im Mitleid suhlen konnte, hörte ich das leise Klicken meiner Zimmertür.
Schnell wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und drehte mich seitlich noch weiter an das Fenster vor meinem Bett, um dem Eindringling zu signalisieren, das seine Anwesenheit nicht erwünscht war. Dabei musste ich mir nicht einmal versichern, dass es nicht Iván war. Schon der süßlich blumige Duft, der binnen weniger Sekunden den Raum umhüllte, entlarvte Silvana als den ungebetenen Gast.
Sie schloss die Tür, wie ich mit einem kurzen unauffälligen Blick über meine Schulter bemerkte. Wenig später wurde eine Seite meiner Matratze nach unten gedrückt und sie hatte sich wenige Meter an den Rand meines Bettes niedergelassen.
«Können wir reden?», fragte sie zögerlich, was mit einem schweren Seufzen meinerseits quittiert wurde.
«Ich habe genug von euren Spielchen ...», sagte ich und machte ihr damit unmissverständlich klar, dass meine heutigen Kapazitäten vollsten ausgeschöpft waren. Ich bekam mit wie Silvana hinter mir mehrmals in dem Bestreben einen Satz anzufangen, nach Luft schnappe, aber auch ihr schienen die richtigen Worte zu fehlen.
«Er hat deine Angst gewittert, Amalia. Das ist der einzige Grund, weshalb er diese widerwärtigen Andeutungen gemacht hat. Die selbstzerstörerische Seite von ihm wollte in deinen Augen das Monster reflektiert sehen, das er zu sein scheint, glaubt.»
Sprachlos darüber mir jetzt auch noch Rechtfertigungen für Iván Fehlverhalten anhören zu müssen, brach ich mein Vorsatz mittendrin ab und drehte sich zu Silvana um. Und tatsächlich, sie sah mich an, als würde sie von mir Zuspruch erwarten. Hätte ich noch die kraft besseren, wäre just aus meinem tiefsten Inneren ein freudloses Lachen hervorgekrochen, um diese unangenehme Situation noch bizarrer zu gestalten. Aber mir war nicht nach lachen zumute. Das Einzige wozu ich imstande war, war Silvana mit einer derartigen Intensität anzustarren, dass mir nicht entging, wie sie sich unbehaglich mit dem Unterkörper hin und her bewegte. Dann stellte ich ihr die Frage auf dessen Antwort ich wirklich gespannt war.
«Glaubst du das wirklich Silvana? Glaubst du wirklich, dass meine Angst sein einziges Motiv ist»
Sie antwortete nicht. So sehr ich es mir auch erhoffte, keine Silbe verließ ihre Kehle. Und das war für mich Antwort genug.
***
Es vergingen Stunden. Stunden, die sich wiederum in Tage wandelten. In diesen Tagen hätte man eine einzige Stecknadel fallen lassen können, so still gestalteten sich die fortlaufenden Stunden danach und es war, als müsste sich das ganze Haus von den Strapazen der nächtlichen Ereignisse von vor einigen Tagen erholen.
Seit dieser Nacht hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Iván war wie vom Erdboden verschluckt. Am Esstisch wurde jedenfalls akribisch darauf Acht gegeben ihn, als Gesprächsthema zu vermeiden und mich beschlich mit jedem weiteren Tag das ungute Gefühl, dass auch Silvana und Tian nicht wussten, wo ihr Freund abgeblieben war. Mir brannten unendlich viele Fragen auf der Zunge. Denn seine Abwesenheit bot mir die Möglichkeit seine engsten Verbündeten über Iváns beruflichen Hintergrund auszufragen, aber jedes Mal beim Abendessen, wenn ich die Verletzungen und Blutergüsse in Tians Gesicht zu sehen bekam, schluckte ich sie runter.
Auch wenn Tian in meiner Gegenwart kaum sprach und in den seltensten Fällen, wo es vorkam, nie seine angeschwollenen Gesichtspartien, die allmählich zu heilen begonnen hatten, nicht zur Sprache brachte, wurde mir bei seinem Anblick jedes mal schmerzlich bewusst, dass dies meine Schuld war. Er hatte für mich Partei ergriffen und ganz gleich wie berechtigt diese auch gewesen war und immer noch ist, hatte es zum ersten Mal einen Keil zwischen die beiden Männer getrieben.
Andererseits musste ich mir jedoch ebenfalls eingestehen, dass Iváns fehlende Präsenz auch anderweitige spuren hinterließ. Ohne ihn fühlte sich dieses Haus wie eine Geisterstadt an. Ich hatte ausreichend Stunden für mich gehabt, in denen ich das was er zu mir gesagt und das was er mir beinahe angetan hatte verdaute, gleichzeitig aber auch um zu realisieren, dass wir den nächsten Schritt bezüglich Gonzalez nur mit ihm machen konnten.
Meine Blicke wanderten sehnsüchtig durch Gittern von meinem Zimmerfenster, die mir einen kleinen Eindruck von der Landschaft darboten. Während der Tag unnatürlich schnell an mir vorbeizog, schienen die Nächte, in denen ich zielstrebig von einer unruhigen Nacht in die nächste marschierte, sich umso länger zu gestalten.
Silvana hatte einige Lehrbücher vorbeigebracht, damit ich weiterhin für mein Studium lernen konnte, aber meine Zukunft war genauso verschwommen wie die Worte, die sich vor meinen Augen auflösten. Ich hatte meinen Freiraum, konnte im ganzen Haus umherwandern. Doch meine Bewegungsfreiheit täuschte nicht darüber hinweg, dass dies nur solange galt, bis ich mich auf diesem Gelände, innerhalb dieser großen Mauern aufhielt. In meinem für mich persönlich zugeschnittenen Käfig hatte ich die Wahl, aber ob das gänzlich als Definition für die Freiheit durchgehen konnte, war fraglich.
Außerdem hatte ich mehrmals mitbekommen, wie Silvana und Tian sich an den Küchentisch gesetzt und sich über die Unterlagen gebückt auf Russisch unterhalten hatten. Damit war zum einen klar, dass sie auch trotz Iváns Abwesenheit am Pläne schmieden waren, zum anderen führte mir die Fremdsprache aber deutlich vor Augen, dass sie mich nicht einweihen wollten.
Erneut entmutigt durch diesen Gedanken realisierte ich nun, dass ich die Passage, die ich bereits zum fünfte Mal im Lehrbuch las wieder nicht verstanden hatte. Ich seufzte auf. Unwillig gestand ich mir ein, dass es nichts bringen würde, gedankenverloren auf einzelne Buchstaben zu starren, wenn der Sinngehalt nicht zu mir durchdrang. Stattdessen schob ich es zur Seite, stand nun von meinem Bett auf und beschloss mich runter zu begeben, da Tian und Silvana gleich sowieso möglicherweise den Tisch für das Abendessen decken würden. Denn von Iváns Methode mich wie ein Hund auf dem Boden essen zu lassen, hielten sie ebenso wenig wie ich. Zu den Shorts, die ich trug, kombinierte ich ein langärmliges aber dünnes Oberteil, welches die Blutergüsse auf meinen Handgelenken bestens verdeckte. Schließlich wollte ich die angespannte Lage nicht weiter anheizen, indem ich ihnen die äußerlichen Wunden der Nacht auf ein goldenen Servierteller präsentierte.
Bereits vom Anfang der Treppen aus hörte ich das Geschirrgeklapper und die jeweils auf- und zuklappenden Schranktüren. Am Treppenabsatz angekommen wurden diese überbrückt von Tians Stimme.
«Willst du auch einen?» Irgendwie musste ich bei dieser Frage schmunzeln, weil mir in den letzten Tagen aufgefallen war, dass Tian eine kleine Kaffeesucht entwickelt hatte und gerade möglicherweise vor dem Herd stand, um sich und Silvana einen vorzubereiten. Belustigt den Kopf schüttelnd näherte ich mich der Küchentür und wollte gerade abbiegen, als nicht wie erwartet Silvana auf die Frage antwortete, sondern eine männliche Stimme erlangt. Abrupt stoppte ich.
Beim Klang seiner Stimme setzten nicht nur meine Bewegungen eine Bruchlandung hin, auch meine ganzen Organe - ganz vorne dabei - mein Herz geriet aus dem Taktgefühl. Natürlich wusste ich, dass er wiederkommen würde. Der noch einigermaßen rational denkende Teil in mir hatte sich dies auch erhofft, denn der durch seine Abwesenheit erzeugte Stillstand, war noch weniger zu ertragen gewesen, als die unschönen Erkenntnisse, die dich mit jedem Schritt nach vorne aufdrängen würde.
Ein ungleichmäßiges Keuschen, das leise meinen Lippen entfloh, zeugte von der Erkenntnis, dass mich die Situation trotz all der zuvor aufgerufenen Vorteile, dennoch von der ersten Sekunde an überforderte, sobald ich seine Stimme hörte.
Ich machte einen Schritt zurück und dann einen weiteren. Unauffällig, leise... und es war klar, dass ich mich erneut zurückzog. Mit flacher werdendem Atem drückte ich mich schließlich gegen die Wand und schloss die Augen, derweilen ich den Geschehnissen hinter dieser Wand lauschte. Er müsste den Vorschlag von Tian verneint haben, denn nun erfolgte eine Frage von Silvana:
«Hast du ihn besuchen können?»
Wen meinte sie ? Aber nicht allein die Frage war es, die mich aufhorchen ließ, sondern die Art und Weise wie sie danach fragte. Sich herantastend als befürchtete sie bei ihm ungewollt einen Nerv zu treffen. Die Antwort erfolgte sofort
«Ganz kurz», brachte er kurz angebunden hervor. Obwohl die Tonlage keine Zweifel daran ließ, dass er nicht darüber reden wollte, hackte Silvana weiter nach.
«Wie geht es ihm? Ist er wohl auf... Hat er, hat er dir irgendetwas verraten, was uns weiterbringen könnte?» Aus dem Tonfall, den sie angeschlagen hatte, war herauszuhören, dass sie sich insbesondere für den ersten teil ihrer Frage interessierte. Und als ich erneut den Faden dieser Konversation zu verlieren drohte, wurde mir mit einem Mal klar, wer in diesem Gespräch gemeint war.
Sein Vater.
Iván hatte seinen Vater im Gefängnis besucht. Neugierig darüber näheres über diesen Mann in Erfahrung zu bringen, weil Iván insbesondere in meiner Gegenwart mir keinerlei Gelegenheit gab darauf einzugehen, drehte ich mich Zur Seite in der Hoffnung die Stimmen in der Küche besser wahrnehmen zu können.
Der gewünschte Effekt blieb allerdings aus, denn auch nach einer weiteren Minute antwortete Iván immer noch nicht. Und je mehr diese Stille anhielt, desto öfter konfrontierte ich mich selbst mit der Frage, was ich hier zu suchen hatte.
Warum versteckte ich mich schon wieder ?, dachte ich verärgert und betrachtete meine an die Wand gepresste Körper. Wenn es Informationen gab, die sein Vater an ihn weitergeleitet hatte und die uns weiter verhelfen würden, dann hatte ich ein Recht das zu wissen. Außerdem hatten die drei sich für ein Kaffeekränzchen versammelt. Das Thema würde letztendlich auf Gonzalez zurückkommen und auch das betrafen Informationen, auf die ich einen Anspruch hatte. Mich mit dem Gedanken ernährend, dass es mir zustand neben ihnen zu stehen, ihnen zuzuhören und mich nicht mehr wie ein ängstliches Kätzchen verkriechen zu müssen, straffte ich die Schultern nach hinten, drehte mich der offenen Tür zu und betrat letztendlich die Küche.
Eiskalte dunkle Augen waren bereits bei meinem Eintreten auf mich gerichtet. Ich bemühte mich die Aufmerksamkeit von meinem sich sofort versteifenden Körper abzulenken, während ich zu verarbeiten versuchte, dass er seinem an mir haftenden Blick nach zu beurteilen vorher schon zur Tür gesehen hatte. Anscheinend hatte er auch jetzt die ganze Zeit über gewusst, dass ich sie belauscht hatte. Wie machte er das nur? Und die wohl wichtigere Frage war, ob er die Antworten hinsichtlich seines Vaters in dem Wissen, dass ich ihnen zuhörte, so kurz wiedergegeben hatte. Jedes Mal die Tür vor der Nase zugeschlagen zu bekommen, wenn ich mehr über sein Leben erfahren wollte, unterdessen er in meins wie ein Dieb eingedrungen war, beschwor eine weitere Welle der Panik in mir hervor. Ganz ruhig Amalia, ganz ruhig wiederholte ich die Mantra in der bloßen Wunschvorstellung mir nach Außen nichts anmerken zu lassen.
Dass es meinem selbstsicheren Auftreten dennoch schadete, war mir bewusst, aber ich hatte diesen Schritt nicht gewagt nur, um mich erneut von seinem Blick einschüchtern zu lassen und mich im nächsten Moment zurückzuziehen. Statt seinen eindringlichen Blick zu erwidern, ihn gar eines Blickes zu würdigen, lief ich also auf den Barhocker an der Küchentheke zu und zog somit schließlich auch die Aufmerksamkeit von Silvana und Tian auf mich, die mich zuvor nicht wahrgenommen hatten.
Ich richtete die Augen die ganze Zeit über starr auf einen Punkt der Tischplatte, bis ich mich hingesetzte. Anschließend hob ich den Kopf, setzte mich gerade auf, drückte leicht die Schultern nach hinten und suchte Silvanas Blick, um jedem in diesem Raum zu signalisieren, dass man mich einzubinden hatte. Sie wollten, dass ich mit ihnen kooperierte, dann hatten sie mich gefälligst auch nicht völlig im Dunkeln zappeln zu lassen.
Die große Blondine, die sich vor einem kleinen Tisch unmittelbar an einer nackten Wand positioniert hatte und einige Blätter in den Händen hielt, begegnete meinem entschlossenen Blick und kurzzeitig bekam ich das Gefühl, als hätten sich ihre Mundwinkel dezent angehoben. Tian, der vorhin noch am Herd gestanden hatte, bewegte sich nun auf der anderen Seite der Kochinsel nach vorne und schob mir dabei ebenfalls eine Tasse Kaffee hin. Während seine Schwester ihr Pokerface perfekt beherrschte, hatte Tian offensichtlich kein Interesse daran, das Grinsen hinter seiner an den Mund gehobenen Tasse zu verbergen. Mein gezieltes, aber anscheinend doch unbeholfen wirkendes Auftreten hatte die beiden deutlich amüsiert, wie es schien. Und müsste ich nicht befürchten jeden Moment von Iváns tödlichen Blicken erdolcht zu werden, so hätte ich angesichts der Absurdität dieser Situation selbst laut aufgelacht.
Der Anblick des Bechers füllte meine Brust augenblicklich mit Wärme. Denn obwohl ich kein Fan von Kaffee war, war diese seit einigen Tagen eine stumme Übereinkunft zwischen mir und Tian geworden und ich sehnte mich einfach wieder nach bisschen Routine... nach etwas Gewöhnlichen. Ich begnügte mich mit einem winzigen Lächeln, als ich den Becher entgegennahm, der mir aber angesichts der nächsten Worte, die im Raum erklangen, im selben Moment auf der Hand zu fallen drohte.
«Sie mag keinen Kaffee», hallte die harte Stimme an den Wänden wider und die gelockerte Atmosphäre, die sich zuvor angebahnt hatte, zerfiel im Sekundentakt in sich zusammen. Mein Lächeln erfror augenblicklich und ich sah instinktiv zu ihm rüber. Was ein Fehler war, wie sich herausstellte. Denn unsere Blicke trafen sich von erneutem. Das erste Mal seit Tagen, das erste Mal in denen er sie nicht von diesen Pillen betäubt waren und das erste Mal nach dieser Nacht. Ich sah es kommen bevor seine Augen überhaupt runterwanderten. Meine Hände zitterten, ganz heftig, sodass die Flüssigkeit darin beinahe überschwappte. Überrascht und zugleich selbst erschrocken über die heftige Reaktion, die mein Körper von sich gab, spürte ich wie sich seine Augen an meine Hände hafteten, was die dargelegte Selbstsicherheit in mir komplett wegfegte.
Schließlich hatte ich es Silvana zu verdanken, die von meiner kläglich bröckelnden Fassade ablenkte, indem sie das Wort ergriff. Ich atmete erleichtert aus und stellte die Tasse immer noch mit bebenden Händen ab. Nun war mir jeglicher Appetit vergangen, zeitgleich war ich Silvana für ihr hilfreiches Eingreifen sehr verbunden. Ich sammelte mich schnellstmöglich und band mich mitten in ihre Erläuterungen ein, als sie mit der kleinen Fernbedingung in ihrer Hand auf die Wand hinter sich zielte und das Bild eines Mannes projizierte. Da ich auf den CD- Aufnahmen, in dem Silvanas Vater gefoltert und erschossen wurde, Bekanntschaft mit dem Anzug mit dem Leopardenmuster dieses Mannes gemacht hatte, wusste ich auf Anhieb, wen ich da vor mir hatte. Pedro Gonzalez höchstpersönlich. Das Bild zeigte eine Momentaufnahme, auf dem der große stämmige Mann mit dem unordentlichen Bart gerade dabei war in einen großen schwarzen SUV einzusteigen.
Silvana räusperte sich, ehe sie eine gerade Haltung einnahm und mit der Präsentation begann:
«Uns ist denke ich allen bekannt, wer dieser Mann hier ist. Dieses Foto wurde vor wenigen Stunden aufgenommen und zeigt wie er zum Aeropuerto Internacional de la Ciudad de México gefahren wird. Meinen sicheren Quellen zufolge fliegt er gerade mit seinem Privatjet auf direktem Weg nach Bogotá und müsste...» Dabei wirft sie einen Blick auf ihre schicke Armbanduhr:
«In ca. 2 Stunden landen.»
Tian bückte sich nun mit dem Oberkörper und die beiden Hände auf der Platte abgestemmt, nach vorne.
«Er kommt hierher?», fragte er und ich war erstaunt, dass seine Schwester ihn anscheinend vorher nicht eingeweiht hatte. Zugleich fragte ich mich jedoch, woher sie all diese Information hatte und wer diese besagte Quelle darstellte, von der eben die Rede war.
Silvana nickte ihrem Bruder zu und führte die Präsentation mit einem weiteren Klick in der Hand fort. Nun wechselte das Bild und es erschien ein wesentlich jüngere Mann als Gonzalez schätzungsweise Mitte 35 auf der Bildfläche. Beim näheren Betrachten erkannte ich schließlich, dass das der Mann war, den Silvana im Pesadillas umgarnen sollte. Gonzalez rechte Hand: Perez.
«Perez hat an jenem Abend im Pesadillas noch mit ihm telefoniert. Wie wir bereits richtig vermutet haben, hatte seine Anwesenheit mit Gonzalez zu tun. Er hat vor seiner Ankunft so wie es aussieht einige Vorbereitungen treffen müssen. An die Informationen bezüglich seines Aufenthalts bin ich selbstverständlich auch gekommen.» Ein boshaftes Schmunzeln zierte ihre Lippen.
«Es ist immer wieder erstaunlich, wie leichtsinnig Männer werden können, sobald sie ein wenig Haut von einer Frau zu sehen bekommen.»
Tian verzog keine Miene, aber seine nächsten Worte bewiesen, dass er nicht an den Details der Verführungskünste seiner Schwester interessiert war.
«Komm zur Sache, Silvana.»
Nach diesem Satz änderte sich das Bild an der Wand und Silvana positionierte sich nun dicht davor.
«Gonzalez wird sich zwei Tage lang hier in Kolumbien aufhalten. Grund seines Aufenthaltes ist ein gewisser Investor.» Sie hielt kurz inne.
«Investor Quintero»
«Enrico Quintero?», fragte nun Iván mit zusammengezogenen Augenbrauen und auch Tian richtete sich mit dem Oberkörper auf, als hätte ihn der Name wachgerüttelt.
«Moment Mal ist das nicht der Drogenbaron, der zugleich Kinderhandel betreibt?»
Silvana klatschte sich mit einem begeisterten Bingoausruf in die Hand, als hätten die Männer vor ihr ein sehr schwieriges Kreuzworträtsel gelöst, ehe Tian nach einem kurzen Blickwechsel mit Iván hinterherwarf:
«Hattest du ihn nicht damals einbuchten lassen?»
Überrascht von Tians Worten sah ich nun ebenfalls zu Iván. Ein kurzer Blick auf sein attraktives Seitenprofil genügte und es war eindeutig, dass ihm diese Frage missfiel.
«So war es, aber wir wissen auch, dass der Großteil der Polizisten in Kolumbien korrupt sind», brachte er widerwillig hervor. Es wirkte beinahe so, als wäre dies eine Angelegenheit, mit der er sich schon länger befasste und die ihn immer wieder mürrisch stimmte.
Silvana nickte ihm mit einem ernsten Gesichtsausdruck zu.
«Er wurde wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen. Ich habe mich in das System gehackt und du erinnerst dich bestimmt auch an die Anklagepunkte Iván. Das waren schwerwiegende Delikte... dafür hätte er unter normalen Umständen sehr sehr lange, ohne jegliche Ausnahme, gesessen.»
«So wie es aussieht, hat da ein potenzieller Spitzel seine Finger im Spiel gehabt», gab Tian geflissentlich von sich und schien nicht zu merken, dass diese Worte Iván in eine noch düstere Stimmung versetzte. Aber auch hier bewies Silvana Feingefühl und lenkte schnell ein:
«Zurück zum eigentlichen Thema: Aufgrund dessen reist er ein und wird sich während seines Aufenthaltes, wie ich beim Belauschen des Telefonates zwischen Perez und ihm herausfinden konnte, im Casa Romero Agudelo einquartieren .»
Auf dem Bildschirm erschien ein schönes luxuriöses Gebäudekomplex mit filigranen Verzierungen, die einen altertümlichen Flair aufwiesen. Unten Rechts ragte die Adresse und der volle Name der Unterkunft auf.
«Und ab hier wird es interessant», verkündete Silvana und stapelte nun einige Blätter vor sich auf dem Tisch zusammen, welche sie im Anschluss nach vorne gebeugt Iván überreichte. Dieser begutachte jene kritisch, indessen auch Tian über seine Schulter hinweg auf die Zettel hinuntersah. Insbesondere jetzt erkannte man, dass die Stimmung zwischen den beiden Männern nicht so unverfänglich war wie vorher, aber sie beide dennoch suchten nach all den Strapazen einen Mittelweg einzugehen.
Da ich mich nicht zu Iván rüber bücken wollte und es auch nicht konnte, heftete ich meinen Blick nach vorne und wartete gebannt darauf, dass Silvana weitersprach. Diese gewährte den jungen Männern vor ihr einige Sekunden, in denen sie sich durch die Unterlagen durchkämpften, ehe sie unbeirrt fortsetzte.
«Wie ihr unschwer anhand der Materialien erkennen könnt, ist als Käufer und damit Eigentümer des Hotels ein Mann namens Fernando Montaya eingetragen. Da mich von vornherein ein ungutes Gefühl beschlichen ha und mein Bauchgefühl zu 80% Prozent immer recht behält, bin ich tiefer in die Materie eingetaucht und siehe da: Es gibt keinen Eigentümer Namens Fernando Montaya. Um genau zu sein, existiert diese Person nicht einmal. Dreimal dürft ihr also raten, was sich am Ende meiner Recherche herausgestellt hat»
Die Antwort darauf sprudelte ausnahmsweise aus mir heraus.
«Er ist der Eigentümer. Das Hotel gehört ihm.»
Sie bedachte mich mit einem anerkennenden Lächeln.
«Nicht schlecht, Amalia. Genau so ist es!»
Tian neben mir räusperte sich und zog die Stirn in Falten wie ich. Ihm musste dieselbe Frage wie mir auf der Zunge liegen, aber auch hier wagte ich mich vor.
«Und warum genau hält er seine Identität verborgen?»
«Ja, da blicke ich auch noch nicht ganz durch», stimmte Tian irritiert mit ein und massierte sich vor Anstrengung die Stirn.
Silvana lief nun auf und ab, während sie die Fernbedingung von der einen Hand in die andere und wieder zurück balancieren ließ.
«Die Frage habe ich mir natürlich auch gestellt. Es macht schlichtweg keinen Sinn, dass ein derart einflussreicher Mann sich hinter einem Decknamen versteckt, außer...»
«... er hat was zu verbergen», beendete Iván den Satz, der als einziger keine Miene verzogen oder sich zu den Erläuterungen geäußert hatte.
Silvana blieb stehen und sah sie wachsam in die Runde, während sie Iváns Worte wiederholte.
«Ja, außer er hat was zu verbergen.»
In diesem Moment wechselte hinter ihr das Bild und an der Wand erschien ein Gebäudeplan, das ich zunächst einmal nicht entziffern konnte, ehe ich die seitlich eingefangen Nummerierungen erkannte. Zimmernummerierungen.
«Lange Rede, kurzer Sinn: Ich bin in deren System hereingekommen. Es hat zwar länger gedauert als ich dachte, muss ich ehrlicherweise zugeben, aber ich bin an jede auch so kleinste Information und an jede Kamera in dem Hotel herangekommen. Einen Ort ausgenommen.»Ihre Hand landete auf dem untersten Stockwerk.
«Das Untergeschoss. Es existieren diesbezüglich weder Aufnahmen, noch gibt es Videoaufzeichnungen davon. Die Kameras wurden bewusst ausgelassen.»
«Und der Grund dafür ist ... ?»
Als hätte Silvana mit dieser Frage gerechnet, reichte sie erneut einige Zettel weiter, nun aber an Tian, sodass ich mich traute ebenfalls darauf zu blicken.
Unschwer zu erkennen waren Betonwände, die größtenteils mit einer dunklen Schicht überlagert waren. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich, dass an diesem Ort ein Feuer ausgebrochen sein musste. Silvana bestätigte meine Vermutung in der nächsten Sekunde, als sie erwiderte:
«Auf den Bildern sind unterschiedliche Lagerräume abgebildet, die in den verschiedensten Regionen Kolumbiens verteilt sind. Unglücklichen Umständen zufolge ist allerdings eine Zeit lang öfter Mal aus unerklärlichen Gründen ein Feuer ausgebrochen. Bemerkenswert ist nur, dass jedes dieser Orte sich in der Nähe von Gonzalez Lagerräumen befand. Das kann doch kein Zufall sein, oder ?»
«Also hatte es jemand auf ihn abgesehen», schlussfolgerte Tian und ich schob eine Frage hinterher, als ich die Bilder erneut begutachtete.
«Und was war in diesen Lagerräumen zu finden.?
Silvana streckte die Arme aus, um ihre nächsten Worte zu unterstreichen.
«Genug, dass es Leute zur Brandstiftung verleitete und auch automatisch zum Mord an den unschuldigen Bewohnern in dieser Umgebung, die ausnahmslos dem Feuer zum Opfer erlagen.»
Einen kurzen Moment gestattete sie uns diese Worte zu verdauen, bis sie weitersprach:
«Wenn ich also weiß, dass mein Hab und Gut, meine Geschäfte und alles, was damit zusammenhängt, auch nur der kleinsten Gefahr ausgesetzt ist, was würde ich dann tun?»
«Im Hintergrund agieren», schoss es wie von der Pistole aus Tians Mund und Silvana antwortete mit einem prägnanten Fingertippen wieder auf das Untergeschoss.
«Exakt. Das Rätsel ist also damit gelöst: Das hier ist sein Schwachpunkt. Denn da unten sind seine ganzen Machenschaften, seine großen dreckigen Spielchen verborgen, dessen bin ich mir sicher. Und auch wenn wir bis dato nicht wissen, in was unsere Familien hinein verwickelt wurden...», mit jedem weiteren Wort verschwand die anfängliche Euphorie, die sie angesichts ihrer Überlegenheit darlegte und ein trübseliger Ausdruck machte sich in ihren Zügen breit
«...über einer Sache bin ich mir im Klaren. Der Mord an meinem Vater ist keine kleine Sache gewesen.»
Mit diesen Worten drehte sie sich entschlossen zu uns um.
«Dort befinden sich die Informationen, nach denen wir suchen. Das ist mehr als eindeutig.»
Auch dieses Mal legte sich Stille ein. Zugleich siegte aber auch meine Neugierde über die mögliche Reaktion von Iván, also wanderte ich mit meinen Augen ein paar Zentimeter weiter. Er hatte sich nach hinten gelehnt. Die Hände in seiner dunklen Hosentasche vergraben, fixierte er Silvana mit einem wachsamen Blick. Nichts von den Informationen hatte ihn aus der Ruhe gebracht. Er wirkte genauso steinhart und ungerührt wie auch die ganze Zeit über. Er verzog keinerlei Miene. Stattdessen brachte er völlig monoton hervor:
«Was gedenkst du zu tun?»
«Ich komme da nicht so leicht rein, insbesondere nicht, wenn überall in der Nähe seine Männer herum lauern. Dass worauf es aber ankommt ist, dass da näher ran muss. Ich muss dort unten sein um die Tür und das ganze System dort unten knacken zu können. Und dies muss ungestört geschehen. Keinerlei Ablenkung, keine Gefahr erwischt zu werden... absolute Ruhe.»
Ich sah sie verständlich voll an, aber Iván legte die Hand auf seine Unterlippen und fuhr bedächtig mit den Fingerkuppen drüber. Obwohl er geahnt hatte, dass Silvana ein Plan verfolgte, stellten ihn diese nicht zufrieden. Ganz im Gegenteil, Iván wirkte bei Silvanas Worten erst recht angespannt und es schien, als spürte er, dass es da noch eine Kleinigkeit gab, die sie bewusst umging, um Iváns vernichtendem Urteil zu entkommen. Ich folgte seinem affektierten Blick und erkannte, dass sie tatsächlich den Blickkontakt mit Iván vermied. An diesem nagte sich nun endgültig die Skepsis fest und er verengte ganz langsam die Augen zu Schlitzen.
«Rede...», forderte er seine langjährige Freundin aus Kindertagen auf. Er hatte etwas gewittert.
Silvana schluckte auffällig, legte nun die Fernbedingung auf dem Blätterstapel ab und setzte sich an den Rand des Tisches; genau einige Meter vor Iván hin
«Im Pesadillas ist an diesem Abend noch etwas geschehen.» Sie warf über die Schulter von Tian einen kurzen Blick zu Tian. Dieser stellte sich sofort gerade auf. Silvana hatte mit ihm also bereits über das, was sie aussprechen wollte gesprochen. Es war Silvana anzusehen, dass ihre Schwierigkeiten damit hatte einen geeigneten Anknüpfungspunkt zu finden, doch bevor Iváns Ungeduld die Überhand gewinnen konnte, setzte sie der Stille ein für alle Mal ein Ende.
«Mir ist da was zu Ohren gekommen und meine Recherchen haben mir dies bestätigt. Wir können uns alle bereits denken, dass Gonzalez während seines Aufenthalts auch öfter Frauenbesuche empfängt, ob das nun mit oder gegen ihren Willen spielt hier keine Rolle .» Ein Klotz bildete sich in meiner Kehle, als ich den letzten Teil ihres Satzes begriff. Um Gottes Willen.
«Nicht das ist aber das Besondere, sondern die Frauen oder besser gesagt die Mädchen die er auserwählt.» Mädchen...
«Er scheint für seine sexuellen Vorlieben sehr junge, kindlich wirkenden Mädchen zu bevorzugen. Ich kann bis heute nicht sagen, ob er pädophile Neigungen hat, so weit reichen meine Nachforschungen nicht, allerdings...»
Nun sieht sie unsicher zu mir rüber.
«Scheinst du genau zu seinem Schema zu passen.»
Ich stutzte überrascht, dann fielen mir Florentina Worte wieder ein, die sie Ivan gegenüber geäußert hatte:
«Aber dieses Kind wird dem ganzen Druck nicht standhalten. Sie wird es nicht tun können.»
«Deshalb bin ich an dem Abend so plötzlich in Panik geraten und wollte, dass du weggehst. Perez hat dich gesehen, er hat Bemerkungen von sich gegeben, dass du seinem Boss gefallen könntest und dieser Blick, mit dem er dich angesehen hatte, hatte nichts Gutes zu bedeuten.»
Auch wenn mich das in das nächste kranke Fantasiespielchen befördert hatte, empfand ich in diesem Moment Dankbarkeit für Silvana. Natürlich konnte ich ihre Sorge verstehen. Ich mochte in diesem Land, aus dem meine Kultur und Wurzeln stammen, zwar nicht leben, aber der Menschenhandel, insbesondere die Zwangsprostitution der Frauen waren mir nicht unbekannt, die mitten am Tag auf offener Straße in Autos gezerrt und damit in ein verdammtes Leben voller Schmerz und Unterdrückung katapultiert wurden. Der Gedanke, dass ich dieser Gefahr näher ausgesetzt war, als ich erahnen konnte, ließ mich erschaudern.
Silvana schloss im nächsten Moment die Präsentation und schluckte sichtlich laut, ehe sie sich die Hände einander rieb.
«Also folgender Vorschlag...»
«Nein!», schnitt ihr Iván so barsch das Wort ab, dass ich erst jetzt da erkannte, wie er die Hände aus der Hosentasche gezogen und sie bei unserem Gespräch in die Sitzpolster vergraben hatte. Er schien drauf und dran zu sein jeden Moment aufzustehen und alleine schon Silvana aus dem Grund erwürgen wollen, weil sie überhaupt mit dem Gedanken gespielt hatte ihren Satz zu Ende zu bringen, den ich übrigens immer noch nicht kannte. Also wusste ich auch nicht, was ihn derart in Rage brachte. Das würde ich momentan auch nicht, denn Silvana und Iván setzten zu einer nonverbalen Diskussion an, indem sie einen Blickkampf vom allerfeinsten zu führen begannen.
«Aber Iván...»
«Nein», knurrte dieser sie jetzt etwas lauter an.
Tian hinter mir schnaubte verächtlich, sodass ich mich leicht zu ihm drehte und sah, dass er sich mit dem Oberkörper über die Theke gelehnt hatte und den Blickkampf der beiden mitverfolgte. Als er schließlich den fragenden Ausdruck auf meinem Gesicht erkannte, schüttelte er leise seufzend den Kopf und flüsterte zu mir runtergebeugt.
«Du checkst es nicht, oder?»
Was checkte ich nicht?
«Sie will, dass du dieses Mal den Lockvogel spielst, indem du Gonzalez...» er ließ den Satz unvollendet stehen, aber ich wusste auch so worauf er hinauswollte.
Indem du dich ihm als seine Hure zur Verfügung stellst. Indem ich ihn verführte und somit Silvana die nötige Zeit verschaffte sich unten umzusehen. Bevor ich mir überhaupt Gedanken darüber machen konnte, was ich von dieser Idee halten sollte, erhob sich auch Silvanas Stimme.
«Wie sollen wir sonst vorangehen? Soll ich ihm einer deiner Frauen zur Verfügung stellen, ist es das, was du willst? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie Gonzalez Aufmerksamkeit auf sich lenken, huh ?», fragte Silvana bissig und seufzte dann müde.
«Sie passt. Sie ist das, was er möchte und das geben wir ihm. Außerdem holen wir sie da raus, ehe da überhaupt was laufen kann», fügte sie hinzu und sah mich nun mit einem Gesichtsausdruck an, der besagte, dass ich mir über alles andere gar keine Gedanken machen müsste. Doch Iván erwies sich als erbarmungsloser Gegner, denn sein tödlicher Blick sprach Bände und je detaillierter Silvana ihre Idee schilderte, um ihn von diesem Vorhaben auf ihre Seite zu lenken, desto mehr tobte er innerlich. Ich sah mir das Szenario vor mir ausgiebig an.
Er tat es schon wieder, dachte ich mir und schloss nur für einen Moment vor Erschöpfung die Augen. Er nahm sich das Recht über meinen Kopf hinweg in meinem Namen Entscheidungen zu treffen. Und in diesem Falle war es sogar noch schlimmer, denn er traf diese Entscheidungen in meiner Gegenwart.
Auch ich wollte wissen, was es mit Gonzalez auf sich hatte. Auch mir war es wichtig die Unschuld meiner Familie auf Schwarz und weiß haben. War es dann nicht mein Recht diesbezüglich eigene Entscheidungen treffen zu können?
Ich hatte es satt, mich so hilflos und schwach wie das letzte Mal zu fühlen, als Iván mich vollkommen in seinem Besitz hatte. Mich so hilflos zu fühlen, so schwach...
«I-ich bin nicht wie sie... wie diese Frauen. Ich...»
«Nein. Und du kannst auch nicht wie sie sein.»
Es wurde an der Zeit Iván Vorstellungen und Fantasien von Grund auf zu erschüttern. Ich konnte wie Florentina sein und Iván würde nicht dagegen unternehmen können. Nun würde ich wieder die Kontrolle über mich selbst zurückerlangen. Also mischte ich mich ein und sagte, das einzig sinnvolle in dieser Situation:
«Ich mache es.»
Iváns Feuerblitze in den Augen waren nun unmittelbar auf mich gerichtet. Während Tian und Silvana dem zustimmten, ließ Iván seine coole Fassade fallen.
«Das wirst du nicht», gab er mit zusammengebissenen Zähnen kund.
«Doch werden ich.»
«Wirst.du.nicht.» Ein Knurren folgte.
Und da platzte mir nun endgültig der Kragen.
«Ich habe zu entscheiden, wessen Hure ich sein möchte und wessen nicht. Die Entscheidung treffe ich ganz alleine», brachte ich jedes Wort einzeln hervor und sah wie er vor Wut die Hände zur Faust ballte und drauf und dran war jedes einzelne Möbelstück durch den Raum zu schleudern. Doch Iván reagierte nicht und gerade als Silvana erleichtert nach Luft schnappen wollte, knallte er so heftig die Hand auf den Tisch, dass es einem Erdboden gleich kam.
«Silvana du wirst jemanden für diesen Job finden.» Daraufhin stand er auf und verließ ohne uns eines weiteren Blickes zu würdigen den Raum.
Das letzte Wort war damit gesagt.
Nächstes Update: 22:30 Uhr
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