◆26| C o c a i n e & C i g a r e t t e s◆

Der Mensch ist nicht das, was er glaubt zu sein, er ist das was er verbirgt.

/André Malraux/

Anmerkung:
Dieses Kapitel ist im Gegensatz zu den noch folgenden Kapiteln harmlos. Damit will ich nicht die Situation an sich verharmlosen, denn das was hier passiert, ist nicht in Ordnung, aber ich möchte euch darauf aufmerksam machen, dass es deutlich extremer werden wird. Vulgäre Szenen sowie Kraftausdrücke sind enthalten. Ich habe euch gewarnt. Lesen auf eigene Verantwortung.

„Spieglein, Spieglein an der Wand wer ist die schärfste Jurastudentin im ganzen Land? Natürlich ich", gab Sanjana mit einem selbstgefälligen Schulterzucken das - ihrer Ansicht nach - Offensichtlichste kund , ehe sie den roten Lippenstift an ihre geschwungene Oberlippe ansetzte und von einem Mundwinkel zum anderen entlangwanderte.

Mit zusammengepressten Lippen, die meiner Belustigung weitestgehend Einhalt boten , legte ich die aus dem Schmuckkästchen vor mir genommene Halskette um meinen Hals und begutachte mich im Spiegel.

Meiner besten Freundin schien meine Reaktion wie immer nicht entgangen zu sein, denn Stirn runzelnd und die Hände demonstrativ an ihre schmale Hüfte abstützend, wandte sie ihren Oberkörper geradewegs zu mir um.

„Oder findest du etwa nicht?" Ihre provokativen Augenbrauenbewegungen machten es mir unmöglich ihrer verletzten Miene Glaubwürdigkeit zu schenken. Stattdessen schüttelte ich tadelnd den Kopf und legte die Kette ab.

„Hey... warum lässt du sie nicht an? Die Kette steht dir gut", hörte ich sie hinter mir protestieren, während ich auf die Kommode vor dem großen Fenster zulief, um das Schmuckstück unbeschadet auf seinen rechtmäßigen Platz zu legen. Dabei huschte mein Blick, wie nicht anders zu erwarten hinaus in die Dunkelheit . Die rabenachwarze Fassade hatte sich über das Tageslicht gelegt und es war nur eine Frage der Zeit, ehe sich der Mond aus seinem geheimen Versteck trauen, die Menschheit zeitweilen mit seiner Schönheit betören und sie als Gefangene seines Anblicks in ihren Bann ziehen würde. Nachschwärmerin, hallte automatisch die sanfte Stimme meiner Mamá in meinen Ohren wider und ich konnte nicht dagegen ankämpfen, dass Sehnsucht und Freude gleichzeitig an die Türen meiner Herzkammern hämmerten. So ergeben ich diesem Gefühl der Verbundenheit zu meiner Mamá war, gewährte ich beiden Gefühlen den Eintritt und ließ den süßlichen Schmerz willkommen. Obwohl sie nicht mehr bei mir war, würde die Nacht uns immer miteinander verbinden.

Ich war derart in Gedanken versunken, dass ich nicht einmal mitbekam wie Sanjana mit mir sprach. Erst beim Anblick ihres fragenden Gesichtsausdrucks in der Reflexion der Fensterscheibe, horchte ich auf.

„W-Wie bitte?"

Sie sah erneut in den Spiegel und widmete sich dabei den herunterhängenden Diamantohrringen, die ich ihr letztes Jahr zu ihrem Geburtstag geschenkt hatte. Während sie an ihrem Ohr herumfummelte, sagte sie:

„Ich habe dich gefragt, ob du dir auch wirklich sicher bist dieses Kleid nicht anziehen zu wollen." Sie deutete mit einer schnellen Bewegung ihres Handgelenks auf ihren eigenen Körper, der in einem schwarzen Satinstoff gehüllt war und der ihr bis knapp über die Mitte ihrer Oberschenkel verlief. Vorne schlang sich der Stoff um ihren Oberkörper mitsamt ihrer dünnen Arme, wobei ihre Rückenansicht zum Ausgleich ein atemberaubendes Dekolleté offenlegte, das neben ihren Beinen einen zuaätzlichen Blick auf ihren dunklen Teint bot.

Ein Lächeln verfestigte sich auf meinen Lippen, als mir der Glanz in ihren Augen beim Anblick des Kleides nicht entging. Jetzt würde ich dieses Stück Stoff erst recht nicht zurückwollen, zumal es wie für ihren Körper geschaffen war. Außerdem hätte ich es sowieso nie aus meinem Kleiderschrank gezückt, zumal der komplette Rücken zur Schau gestellt wurde und ich für meinen Anteil ungern mein Tattoo in aller Öffentlichkeit präsentierte. Also verneinte ich ein weiteres Mal mit einer mehr als offensichtlichen Kopfbewegung.

„Nein, das Kleid steht dir besser. Ich bin mit meinem Auftreten zufrieden", pflichtete ich ihr bei und deutete auf mein marineblaues schlichtes Cocktailkleid, das auf der Ebene meines Bauchnabels in ein Flechtmuster überging und somit meine schmale Taille betonte.

„Wird Raúl eigentlich auch auf der Party sein?", fragte sie im nächsten Moment, als sie die Ohrringe befestigt hatte und die Schublade, vor der sie stand, mit einem festen Ruck öffnete.

„Um Gottes Willen nein! Du kennst Raúl, er würde sich mit jedem männlichen Kommilitonen anlegen, der sich im 10 Meter Radius von mir aufhält. Nicht, dass ich darauf aus bin, aber ich glaube ich muss dir nicht nochmal ins Gedächtnis rufen, wie aufgeprägt sein Beschützerinstinkt ist", fügte ich mit einem warnenden Blick in ihre Richtung hinzu, der signalisierte, dass ich damit gewiss nicht zu einem Scherz ansetzte. Außerdem spielen unsere Kommilitoninnen nicht in seiner bevorzugten Altersliga, dachte ich und schüttelte den Kopf. Auch wenn Sanjana und Raúl sich blendend verstanden, war ich nicht besonders episch darauf die sexuellen Vorlieben meines Bruders näher auszuführen. Also widmete ich mich erneut dem Schmuckkästchen von Sanjanas Mutter, sodass mich Dankbarkeit ihren Eltern gegenüber von neuem packte. Sanjanas Eltern hatten erlaubt uns für die Feier bei Ihnen zurecht zu machen, derweilen sie zu einem Abendessen bei Freunden aus Dehli eingeladen waren.

Ein melodisches Lachen erklang hinter mir.

„Auch wieder wahr. Fährt uns also Jeffrey heute Abend?", fragte sie, während ich durch das ungleichmäßige Rascheln hinter mir annahm, dass sei in der Kommode herumwühlte. Missmutig brummte ich auf.

„Ja... anstatt ihm einen Abend frei zu geben, hat Papa darauf bestanden, dass er uns fährt und uns sicher wieder bei dir ablässt."

Meine mangelnde Begeisterung herausfilternd, erwiderte sie:

„Nun ich hätte nichts gegen einen eigenen Chauffeur einzuwenden, der mich von A nach B befördert. Außerdem finde ich Jeffrey echt cool, auch wenn er die meiste Zeit über schweigsam ist."

„Das ist auch nicht das Problem, Sanju. Aber auch er hat ein Privatl-..."

Die letzten Worte entflohen lautlos meiner Kehle, denn da bereits hefteten sich meine Augen irritiert nach draußen. Ich erstarrte augenblicklich, blinzelte mehrmals pausenlos, aber auch als ich mich in der Umgebung umsah begrüßte mich nichts als die blanke Finsternis.

„Hast du... hast du das gesehen?"

Sanjana hob nicht einmal den Blick von der Kommode, als sie ein unmissverständliches Brummen von sich gab.

„Sanjana hast du das gesehen?", fragte ich ein erneutes Mal, diesmal zitterte meine Stimme hörbar und Panik zeichnete sich in ihr aus.

Eine Hand berührte mich leicht an der Schulter, als meine Augen apathisch die Umgebung durchsuchten. Ich zuckte zusammen. Sanjana hatte meine Unruhe, die von einem auf den nächsten Moment eingetreten war, bemerkt und nun stand sie ebenfalls neben mir am Fenster und folgte meinem Blick.

„Ich... Da war so ein Licht..." Ganz plötzlich. ganz kurz, es war wie ein Lichtgewitter aus der Schwärze hervorgetreten. Es war... wie ein Kameralicht dessen Auslöser betätigt wurde.

Sanjana stibitzte über meine Schulter hinweg und fügte schließlich munter hinzu:

„Also ich sehe nichts. Vielleicht war es Jeffrey, der kurz frische Luft schnappen und mit jemandem telefoniert wollte."

Als sie meiner weniger überzeugten Miene an der Fensterfront begegnete, stupste sie mich spielerisch an.

„Hey... nun komm schon, zieh nicht so ein langes Gesicht. Heute Abend wollen wir doch Spaß haben. Sei mir lieber etwas behilflich. Die Vintageclutch meiner Mutter ist nach wie vor wie vom Erdboden verschluckt."

Mit einem auffordernden Ziehen an meinem Handgelenk, verlagerte sie meinen Körper mitten in das Schlafzimmer ihrer Eltern. Ich warf einen letzten mulmigen Blick aus dem Fenster auf den Hof, dann ließ ich mich von ihrer guten Laune treiben und folgte ihr.

Es war bestimmt nur eine Einbildung. Ganz bestimmt...

Um diese unangenehme Kälte in meinen Gliedern zu verjagen, trat ich schließlich auf Sanjana zu, die sich vor die Mahagoni farbige Kommode positionierte  und eine Schublade nach der nächsten öffnete. Ich spürte, wie mir Röte den Hals hinaufkroch.

„Deine Mutter hat uns zwar gestattet uns hier zurecht zu machen, aber ich glaube nicht, dass sie wollen würde, dass du in ihren Sachen herumwühlst und dieses Chaos anrichtest."

Sanjana hörte mir nicht zu. Stattdessen verzog sie urplötzlich die Augen zu Schlitzen und dann sah auch ich es.

Sie begutachtete in einer der Schubladen eine mittelgroße Schatulle, die von anderen Gegenständen überdeckt in die hinterste Ecke befördert worden war. Wie als wollte man nicht, dass man sie findet. Bevor ich das verdächtigte Funkeln in ihren Augen richtig interpretieren konnte, zog sie bereits den kleinen Kasten heraus und versuchte sie zu öffnen.

„Was...Was machst du da?"

„Wonach sieht es denn aus? Ich will wissen, was sich darin verbirgt", sagte sie atemlos und zerrte an der Holzkiste, die ihr innerstes weiterhin vor der Außenwelt verborgen hielt. Erst in dem Moment als sie sich leicht zur Seite drehte, erkannte ich auch weshalb. Die Schatulle ließ sich nur mit einem entsprechenden Schlüssel öffnen.

Als hätte mir das indirekt eine Botschaft übermittelt, zog ich sie sanft zurück, derweilen sie sich in den Sachen herumwühlend auf die Suche nach dem Schlüssel machte.

„Hör auf Sanju. Die Kiste gehört deinen Eltern und anscheinend ist der Inhalt für keinen Fremden gedacht."

Sie beäugte den kleinen Gegenstand kritisch.

„Ich bitte dich, was sollten meine Eltern vor mir..."

„Vielleicht sind es Verhütungsmittel oder... oder irgendwelche... du weißt schon Spielzeuge." Ich bemerkte, dass ich so rot wie ein Stoppschild anlief. Ich hatte einfach das erstbeste was mir in den Sinn gekommen war von mir gegeben, um Sanjana von ihrem Vorhaben abzuhaben. Sie sollte ihren Eltern nicht hinterher schnüffeln. Das war nicht richtig... Doch davon wollte die frische Jurastudentin vor mir nichts hören, denn sie verzog lediglich angeekelt von dieser Vorstellung das Gesicht.

„Ugh Kopfkino. Wegen sowas einen solchen Aufwand zu betreiben? Nein, ich glaube nicht, dass es sich hierbei um Verhütungsmittel handelt."

Gerade wollte ich Einwände dagegen erheben, aber da zog sie sich bereits eine schwarze Haarnadel aus ihrer dunklen Mähne und lächelte triumphierend.

„Diese Lage können wir schnell ändern. Sieh zu und lerne vom Profi", schnurrte sie teuflisch grinsend, ehe sie die Haarnadel in das kleine Loch schob und mir an diesem Abend erstmals das Schloss knacken beibrachte. 

Rückblickend jedoch hatte ich an diesem Abend auch eine zweite Sache gelernt und zwar, dass verschlossene Behältnisse immer ein dunkles Geheimnis hüteten.

Ich blinzelte. Einmal, zweimal und ein dritte Mal  Die plötzlich auftauchenden Erinnerungen an jenem Abend von vor knapp 1 Jahren verblassten allmählich und ich kehrte nach nur wenigen Wimpernschlägen ins hier und jetzt zurück. Zurück an diesen Ort. In dieses unbekannte Zimmer. Mit ihm. Allein.

Ein leises Uhrticken ertönte. Ganz langsam, fein, wie die Aneinanderreihung von Noten die eine kühne Melodie erzeugten. Doch sie stellte alles andere als eine einfache, wohlfühlende Komposition dar. Sie war abstrakt und kompliziert... und es handelte sich dabei um keine Uhr im klassischen Sinne. Denn unter diesen vier Wänden gab es überhaupt keine Uhr. Es war eine tickende Zeitbombe in meinem Kopf, welches mir mit jedem daher streichen des Zeigers den Anbruch eines Unheils ankündigte. 

Dieses Gefühl hatte ich abgesehen von heute nur ein einziges Mal zu spüren bekommen und zwar als Sanjana mir zeigte wie man mit der Haarnadel die Schatulle öffnete. Damals hatte ich dieses Gefühl als würde sich eine Flutwelle auf direktem Wege auf mein Leben zubewegen nicht einordnen können. Jetzt hingegen, in diesem Augenblick spürte ich wie die Wellen in meinem tiefsten inneren tobten, wie sie größer und größer wurden und mich mit ins eiskalte Wasser rissen - der Oberfläche so nah und doch so fern.

Bilder verschwammen in dieser tiefen, durchtriebenen Flut aus Verzweiflung und ängstlicher Verwirrung. Erinnerungsfetzen gerieten in einen stürmischen Strudel, sodass die Orientierung über meine Eindrücke und Erinnerungen darin zu ertränken kamen. Übrig und unwillkommen in diesem Chaos war nur noch die Angst, an die ich mich verzweifelt festkrallte und aus der ich gleichermaßen eine Fluchtmöglichkeit herbeisehnte.

Alles drehte sich schneller und schneller in einem unnatürlichen, unhaltbaren Rhythmus und immer wieder verfolgte mich dabei dasselbe Echo an Fragen:

Konnte es sich bloß um ein Versehen handeln ? Oder gar um  einen Streich handeln, den mir meine Sinne vorspielten?

Je sanfter hingegen sein Atem an meinen Nacken stieß, je mehr mich seine überragend große Statur von hinten mit Wärme umhüllte, desto offensichtlicher war es, dass dieser Albtraum der Realität entsprach. Einer Realität zur dessen einziger Zeugin ich aufgerufen wurde.

Denn was sich hier auf diesen wenigen Quadratmetern abgespielt hatte, war dazu verdammt gewesen auch innerhalb dieser vier Wänden zu bleiben. Wie die Schatulle, die Sanjana damals geöffnet hatte, waren nur zwei Personen im Besitz dieses Schlüssels und damit auch Eigentümer dieses Geheimnisses gewesen - Florentina und er. Ich hatte mich an dieser verbotenen Frucht aus Neugierde bedient und jetzt überfielen die neuen Erkenntnisse meine ganzen Überzeugungen wie ein ausgehungerter Parasit.

Du bist schwach. Und so erbärmlich Alington Mädchen.

Ich überlasse dir die Wahl. Du kannst jetzt genau in diesem Moment sterben, wenn du möchtest. Komm schon, bettele mich an, flehe, dass ich es tun soll... und du bist frei.

Du wirst nicht am Tisch essen. Setz dich auf den Boden direkt gegenüber mir.

Du bist es mir nicht einmal wert, dass ich eine Zigarette für dich anzünde. So wertlos bist du und deine ganze Sippschaft in meinen Augen. Also tu es jetzt und iss diesen scheiß.

Vorher hatten sich all diese Sätze mit den dazugehörigen grausamen Taten zu einem Bild zusammengesetzt, aber nun zersprangen sie wie ein Spiegel vor meinem geistigen Auge in einzelne Scherben. All das was ich dachte zu wissen, war falsch. Eine Lüge. Nichtsdestotrotz änderte das nichts an der ausschlaggebenden Frage, was nun richtig und was falsch war.

Mein Kopf schien bei all den sich vordrängelnden Fragezeichen beinahe zu explodierten, so sehr nagte die Ungewissheit an mir. All das was er zuvor zu mir gesagt hatte, hatte meine Ansicht dass er mich abgrundtief verabscheute immer wieder aufs Neue betätigt, aber was sollte ich mit der jetzigen Situation anfangen? Sich einen derart intimen Akt mit der Person vorzustellen, die man mit am meisten auf dieser Welt hasste war... das konnte nicht sein. Und was wenn doch?, mischte sich ein unterdrückter boshafter Teil in mir in diesen inneren Konflikt ein. Welche Lügen sind dir noch entgangen?,  fragte sie mich unmittelbar, während Schweißperlen mein Rückenmark hinunter rieselten. Und als hätte die Frage meine zu zähmen bestrebte Angst erneut von einer Klippe gestoßen, kamen mir relativ unsicher und verschreckt die nächsten Worte über die Lippen, ehe ich mir auf die Zunge beißen konnte.

„Wirst du mir weh tun?"

Das ist eine rhetorische Frage, Amalia, verhöhnte mich im Nu meine eigene innere Stimme und ich verfluchte mich, dass meine Verzweiflung die Macht über mein rationales Denkvermögen gewann.

Die alte Dame Angeles am Eingang hatte Recht behalten. Wenn ich Florentina in die Arme fiel, würde das nur ein böses Ende zur Folge haben. Und das hatte es. Körperlich hatte ich keinerlei Schaden davongetragen, aber dafür hatte sie meiner  Seele einen umso heftigeren Stoß versetzt, sodass ich nicht sagen konnte, ob sie sich von diesem Abend je erholen können oder für immer zu einem Invaliden degradiert werden würde.

„Verrate mir eins: Woran liegt es, dass er dennoch jedes einzelne Mal deine Reinheit beansprucht?"

„Du weißt es nicht, nicht wahr? Du armes, armes Kindchen."

Ich erschauderte, als sich diese Worte unbefugt wieder der Zutritt zu meinen Gedanken verschafften und ich denn Sinngehalt ihres Gesagten nun in einem völlig anderen Licht erfasste.

Jedes Mal meine Reinheit beanspruchte...Meine...

„Atme...", erklang es auf meine Frage hin erstmals Minuten später hinter mir. Eine raue Stimme dicht an meinem Ohr stieß seinen heißen Atem an meine Ohrmuschel und bescherte mir damit eine wohltuende Gänsehaut. Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Es erfüllte mich mit maßlosem Schrecken, dass sich eine leichte Berührung derart besänftigend anfühlen konnte, obwohl ich gerade erneut mit eigenen Augen gesehen hatte, dass dieses Wort keine passende Beschreibung für ihn und seine Handlungen darstellte.

Als hätte er die erneut ansteigende Welle der Hilflosigkeit in mir gespürt, lehnte er sich von hinten noch näher an mich, ehe er mit zusammengepressten Zähnen wiederholte:

„Atme.verdammt..."

Atmen? Wäre ich in der Lage dazu gewesen, hätte ich mit Sicherheit in diesem Moment spöttisch aufgelacht. Dieselben Worte, dieselbe Aufforderung hatte er mir gegenüber auch wenige Wochen zuvor auf der Wohltätigkeitsveranstaltung ausgesprochen, als Mr. Howord von Tian erschossen und die Umgebung sich in ein Schlachtfeld kreischender und vor den Schüssen fliehender Menschen verwandelt hatte. Meine Angst um Delilah hatte den Weg beinahe zu einem Asthmaanfall freigeräumt, den ich das letzte Mal mit sechs Jahren gehabt hatte. Doch dann war er da gewesen. Er, dessen Stimme mir wie ein Sternenpfad einen Weg durch die Dunkelheit bahnte und meine steigende Furcht in einer liebevollen Umarmung zum Versiegen brachte. Er, der mir an jenem wie auch an diesem Abend die imaginäre Hand ausstreckte, welche mir Lebensenergie einhauchte; nur um mir zugleich jegliche Luftzufuhr zu entziehen und meine Seele in die dunkelste und kälteste Ecke meiner Gedanken zu verfrachten und sie dort zu foltern. All das war sein Verdienst gewesen und dessen war er sich im nüchternen wie auch im betäubten Zustand äußerst bewusst.

Ich zwang mich dazu das Zittern meines Körpers und meinen stockenden Atem einigermaßen wieder unter Kontrolle zu bringen. Um diese Auffälligkeiten gekonnt zu überspielen, hob ich langsam den Kopf an und richtete meinen Augen bemüht seinen Blick an meinem Hinterkopf zu ignorieren auf die Tür. Die Tür, die meine einzige Rettung hätte darstellen können und an dessen beiden Seiten seine Hände zu Fäusten abgestützt waren, wie als wollte er damit aufzeigen, dass er mir mit lediglich einer Handbewegung die Türen zu meiner Zukunft versperren konnte.

Und trotz seiner mehr als offensichtlichen Machtdemonstration konnte ich mir beim besten Willen nicht erklären warum ich ausgerechnet in diesem Moment seiner Aufforderungen nachkam. Warum ich genau jetzt hörbar ein und aus atmete, ein und aus... Dies wiederholte ich einige Mal, bis sich meine gedämpfte Angst mit einer Prise Wut vermischte; dessen fahler Beigeschmack eine gewaltige Ladung an Verbitterung  in mir hochkriechen ließ.

Was für ein verkatertes Spiel war das hier? Erst trieb er mich mit seiner krankhaften Fanatsie an den Rand des Wahnsinns und jetzt sollte ich mich beruhigen, als wäre all das was ich gesehen hatte nicht existent? Nicht gestört? Nicht etwas... worüber wir uns ernsthaft unterhalten müssten?

Erneut atmete ich sorgsam ein und aus und verabscheute es, dass er die Ruhe in meinem persönlichen Sturm darstellte. Dass er mich runterzog, nur damit er mich wieder hochziehen und mich damit umso mehr demütigen konnte. Ich sollte in der Hölle verrotten und zeitgleich verzweifelt Trost in seiner Boshaftigkeit suchen, weil es das war was mir blieb. Es war als würde er mir sagen wollen: Du hast mich, du hast nur mich alleine, dem du dich anvertrauen kannst, vor dem du die Flucht ergreifen und gleichzeitig die einzige Zuflucht finden wirst. Mistkerl.

Ich unterdrückte die sich plötzlich hoch kämpfenden Tränen, verfrachtete sie in mein tiefstes Inneres, bis ich wieder zu meiner Stimme fand. Sie war immer noch schwach, leise... doch er würde jedes einzelne Wort verstehen.

„Du hasst meine Familie...", flüsterte ich und spürte, wie er zustimmend zwischen meinen Haaren erwiderte:

„Ja."

„Und d-du hasst mich...", stellte ich auch das klar. Er antwortete erneut einsilbig:

„Ja..."

Ich schluckte schwer. Dann sah ich wieder auf seine großen Hände, die vor meinem Gesicht zu Fäusten geballt waren und alles in mir zog sich krampfhaft zusammen. Die Vorstellung, dass diese rauen, aggressiven Hände meinen Körper in Beschlag nehmen würden, meine unberührten unerfahrenen Körper ließ mich innerlich verbluten. Mein Körper versteifte sich zu einem Eiszapfen, als ich mit einem Mal realisierte, dass er meine anfängliche Frage, ob er mir weh tun würde unbeantwortet gelassen hatte. Er hatte geschwiegen und dieses Schweigen zwischen uns entlud sich wie glühend heiße Kohle auf mir, das schlimmere Qualen in mir hervorrief als im Tartarus zu verbrennen.

Er hasst mich. Er hasst mich. Er hasst mich, wiederholte ich die Mantra in meinem Kopf und jedes Mal aufs Neue stieß diese nicht zu beschönigende Tatsache wie eine Nagel, welche in meine Handinnenfläche angesetzt wurde und auf den ein Hammer fixiert worden war, in meine Haut ein. Schmerzhaft, brennend und bei vollem Bewusstsein.

Automatisch musste ich währenddessen jedoch auch an all die schönen Geschichten denken, die mir Mamá als kleines Kind über ihre erste Begegnung mit Papa erzählt hatte. Ich rief mir in Erinnerung was beide miteinander bis über den Tod hinaus verbunden hatte, nämlich die Liebe. Und dann sprudelten die nächsten Worte unwiderruflich und erneut unüberlegt aus mir heraus:

„Das funktioniert nicht, nicht ohne Zärtlichkeit und nicht ohne die schwächste Art der Zuneigung." Mit jeder Silbe und jeder damit freikommenden Wahrheit, setzte ich mir selbst einen Dolchstoß in die Rippen.

„Ich bin nicht zärtlich..." Nun spürte ich seinen dunklen Blick von oben herab ganz auf mir, als er mir zuraunte.

Niemals."

Als hätte er gespürt, dass ich bei seinen Worten wieder einen Abstand zwischen und herstellen wollte, zwang er mich nun noch enger zwischen sich und die Tür. Seine Hände waren wenige Millimeter von meinem Gesicht, sodass ich problemlos erstmals auf die Verzierungen der schwarzen Tinte auf seinen Händen hätte achten können, doch ich inspizierte seine Tattoos nicht, ich konnte es nicht. Denn da raubten mir bereits seine nächsten Worte das Sonnenlicht in meiner Seele und ich fühlte mich wie erblindet.

„Und dazu muss man erst recht keine Zuneigung empfinden..."

Mein Herzschlag stolperte bei seiner gefühlskalten Stimme. Ich war sprachlos über das was er damit andeutete, welch' grausamer Tat er damit den Freifahrtschein  gab. Er... er würde doch nicht etwa... Die steigende Panik entlockte einen Schwall an unsicheren, stotternden Lauten aus meiner Kehle:

„I-ich bin nicht wie sie... wie diese Frauen. Ich..." Will das nicht. Ich kann das nicht. Mein Körper hält deine Erfahrungen, deinem Drang nach unhaltbarer Ausbeutung nicht stand. Tu mir das nicht an! flehte ich, aber keins meiner Gedanken, meiner wahren Absichten hinter meiner Andeutung, dass ich nicht wie diese Frauen war oder sein konnte, verließ die Schwelle meiner Lippen. Ich schaffte es einfach nicht. Meine Lippen waren wie zugenäht und der Schmerz sickerte tränenartig aus mir heraus, während die bittersten Quallen meine Lippen wie Säure verätzten.

„Nein. Und du kannst es auch nicht." Sein unübersehbarer Spott, der normalerweise ununterbrochen auf mich einschlug, blieb heute aus. Auch jetzt klang seine Stimme viel zu kontrolliert. Und diese nach Außen hin getarnte Ausgeglichenheit seinerseits versetzte mich noch mehr in Aufruhr.

„Du hättest das heute nicht sehen dürfen. Deine Zeit wird noch kommen."

Ich riss die Augen auf als ich endlich den tiefen, scharfen und von ihm mehr als gewohnten Ton in seiner Stimme erfasste.

M-Meine Zeit... Moment, soll das etwa heißen, dass...

„D-diese Frauen sind kein Ersatz für mich?"

Wieder spürte ich seinen Atem dicht an meinen Nacken, als seine Nasenspitze zwischen meinen Haaren verborgen, sachte über meinen Hinterkopf strich und er ein leises, aber tiefes Knurren von sich gab der nichts Gutes zu bedeuten hatte.

„Sag du es mir..."

Das tat ich nicht. Ich öffnete nicht einmal den Mund, weil ich mir sicher war, dass meine einzige Reaktion in einem erstickten Hilfeschrei ausarten würde. Also blieb es still.

Die Luft umgeben von meiner Panik schwächte mich, während er hinter mir, so spürte ich, Kraft davon schöpfte.

„Dein Körper... ist schwach... Dein Herz ist schwach... und du bist..."

Schwach. beendete ich in Gedanken seinen Satz und erinnerte mich an dieselben Worte, die er mir wutentbrannt entgegen geschleudert hatte, als er kopfüber dran war mich in der Badewanne im Keller zu erwürgen. Bei der Erinnerung daran und mir selbst eingestehend, dass er mit seinem Worten in diesem Augenblick ins Schwarze traf, hätte sich fast ein jämmerliches Schluchzen verbal kenntlich gemacht, hätte ich nicht im letzten Augenblick ganz fest auf meine Unterlippe gebissen. Nicht.Weinen.Nicht.Weinen ermahnte ich mich, aber da bereits setzte er sich erneut in Bewegung.

Plötzlich ganz geräuschlos und langsam nahm er seine an der Tür angelehnten Hände weg und öffnete somit die beiden Barrieren von denen mein Körper umgeben war. Als wollte er mir damit ein wenig Freiraum gewähren, ehe er mich mit dem was als nächstes folgen, für das was ich als nächstes erfahren würde, konfrontierte. Während seine Arme aus meinem Sichtfeld verschwanden, ruhte sein Gesicht immer noch dicht hinter mir in meinen Haaren. Er vergrub sie darin, sog den Duft meiner Angst in sich, der sich mit seinen nächsten Worten auf das dreifache maximierte.

„Du bist noch unerfahren, Alington Mädchen."

Noch. Ein simpler Zusatz, der meine Welt ins Schwanken brachte. Unbedeutend, beiläufig erwähnt, um das Gewicht dessen zu kaschieren, welch einen Wandel und damit welch eine Bedeutung der Satz dadurch erlangte. Dieses noch lag in seiner Hand und er würde es zerquetschen sobald die Zeit angebrochen war. Genauso, wie er mich zerbrechen würde. Er hatte mich gewarnt, er hatte mir von Anfang an gesagt, dass er mich vernichten würde, doch in welchen Zustand, womit genau er das bezwecken wollte, erfasste ich erstmals in diesem Augenblick.

Nein.

Ich wandte mich innerlich, sträubte mich vor der Erkenntnis, die sich mich hinterlistig anschlich. Doch es war aussichtslos. Es gab keinen Hinterausgang, kein Entkommen vor dem was seine letzten Worte direkt wie auch indirekt verkündeten.

Meine Zeit würde kommen... Meine.Zeit.

Ich war noch nicht soweit. Mein Körper war nicht bereit.

Wie ein Analphabet begutachtete ich die Buchstabenreihe vor meinem geistigen Auge. Ich verstand es und doch verstand ich es nicht. Meine Welt schwankte, nein ich schwankte. Die Wände um mich herum wirkten plötzlich so überdimensional groß auf mich, so als würden sie mich gleich unter sich vergraben. Angetrieben von dieser sich anbahnenden klaustrophobischen Zwängen löste sich mein Körper endlich von der Starre, in der seit Minuten untätig verweilt hatte. 

Von seinen breiten Armen befreit, huschte ich an ihm vorbei, während ich meinen Körper derart anspannte und wie besessen versuchte zusammenzuzwängen, um bloß nicht mit ihm in Berührung zu kommen. Hinzu kam die Sorge, dass er einschreiten, mich unerwartet packen und gegen die Wand schleudern würde, aber zu meinem Erstauen ließ er zu, dass ich mich von der Tür und damit von ihm entfernte.

Bei seiner Untätigkeit konnte ich nicht anders als verwundert und etwas eingeschüchtert einen kurzen Seitenblick auf sein Profil zu werfen. Er starrte nach vorne, dorthin wo ich eben noch gestanden hatte und meine Gedärme krümmten sich, als ich erkannte, dass sein Körper auf genau diese Stelle einen Schatten warf. Ich war die ganze Zeit über seinem Schatten unterlegen gewesen, versteckt vor dem Rest der Welt, wie ein... Geheimnis. Hatte es ihm gefallen, dass ich seinen Schatten darstellte? Dass meine Existenz von seiner abhängig war?

All diesen diffusen Eindrücken nicht weiter standhalten könnend, riss ich mich von seinem erschreckend leeren Blick los und fing an in diesem kleinen Raum nach einem Ausgang zu suchen. Obwohl ich keine Zweifel daran hegte, dass die Tür der einzige Weg nach draußen war, waren die Tragweite seiner Worte und die Bilder, die sie damit in meinem Kopf gravierend Ausmaße annahmen, kaum zu ertragen. Alleine bei dem Gedanken eine Minute länger alleine mit ihm in diesem Raum zu verweilen, verlor ich beinahe die Fassung.

Also hechelte ich zunächst auf wackeligen Beinen auf das Fenster hinter dem Bett zu. Dem Bettgestell widmete ich keines Blickes, weil ich befürchtete den Erinnerungen von den vorherigen Geschehnissen damit ein weiteres Mal Leben einzuhauchen. Stattdessen zog ich mit einem Ruck die Gardine zur Seite, drückte mit zittrigen Händen und damit ein paar Fehlläufen die Fensterkurbel runter und hielt auf der Stelle inne. 

Beton. Hinter dem Fenster befand sich nichts weiter als eine Wand aus Beton.

Scheiße. Scheiße. Scheiße.

Ob außer mir noch jemand zuvor versucht hatte zu fliehen? Weiter angetrieben von diesem schrecklichen Verdacht, stolperte ich ungeschickt wenige Schritte nach hinten und hoffte inständig, dass mir meine Augen einen bösen Streich spielten. Doch Fehlanzeige, die Betonwand blieb weiterhin an Ort und Stelle, was logischerweise bedeutete, dass auch ich hier blieb, bei ihm.

Ich fluchte innerlich, indessen streifte mein gehetzter Blick eine Wandseite nach der nächsten. Von außen betrachtet hätte man mich möglicherweise als Geisteskranke abgestempelt und auch ich zweifelte einen winzigen Moment über an meinem gesunden Menschenverstand, als sich das Gefühl in mir die Wände um mich herum würden einzeln wie Dominosteine auf mich herabfallen, verstärkte.

Schließlich fanden meine Augen erneut den Schrank in das mich Florentina gegen meinen Willen reingeschubst hatte. Das letzte bisschen Hoffnung in mir zusammenkratzend, stürmte ich darauf zu, stieß die halb offenen Schranktüren sperrweit auf und begann energisch die Kleiderstangen zur Seite zu schieben.

„Einen Ausweg... es muss einen Ausweg geben...", faselte ich unruhig vor mich hin und mit jedem Stück Wand, das dahinter zur Geltung kam und meine Hoffnung minderte, desto verzweifelte murmelte ich völlig belanglose Wortfetzen vor mich hin.

Nein... nichts. Hier gibt es nichts, dachte ich als ich einen Schritt zurücktaumelte und meinen trüben Augen auf die kleine Kabine mit den wenigen Kleidungsstücken richtete.

Es gab kein Geheimgang, keine Geheimtür wie es in Büchern oder in Filmen der Fall war. Nichts, dass mich aus dieser gottverdammten Situation befreite. Ich drehte mich ein weiteres Mal um meine eigene Achse und das einzige Möbelstück, das mir neben dem Kleiderstand noch zur Verfügung stand, war die Kommode.

Erst als ich davor zum Stehen gekommen, tauchte Florentina wie ein Geist vor meinen inneren Augen auf. Wie sie die Schublade geöffnet und dann die Maske heraus gezückt hatte. Und dann der Beginn dieses krankhaften Spiels. 

Plötzlich wagte ich es nicht einmal mehr die Schubladen dieser Kommode zu berühren. Was erhoffte ich mir denn darin Brauchbares zu finden? Spielzeuge, um damit was anzustellen? Das ist doch der reinste Schwachsinn, Amalia.

Angestrengt stieß ich die Luft aus meiner Luge heraus und stützte mich mit beiden Händen an der Oberfläche des Holzmaterials ab, um meinen geraden Stand nicht zu verlieren.

Orientierungslos umherzuirren wird dich gewiss nicht weiterbringen, sprach ich mir zu und sog immer und immer wieder gleichmäßig Sauerstoff in mich ein. Dann schloss ich die Augen und konzentrierte mich lediglich auf meine Atemzüge; auch wenn eine verräterische Stimme in meinem Kopf auf mich einredete: Er ist immer noch da, direkt hinter dir.

Atme. Atme. Atme.

Wie viel Zeit daraufhin verstrichen war, ehe ich mich von meiner versteinerten Position löste, war mir selbst ein Rätsel. Doch die nächste Starre hieß mich unmittelbar danach Willkommen, als ich die Hände von der Kommode nahm, mich umdrehte und erkannte, dass seine dunklen Augen ohne zu blinzeln auf mich gerichtet waren. Intensiv, fest und fernab von jeglicher Regung, die mir einen kleinen Hinweis darüber geben könnte, wann er dem Biest in sich freien Lauf lassen würde.

Die Ruhe, die sein großer muskulöser Körper ausstrahlte, derweilen er nun mit dem Rücken an der Tür lehnte vor der ich wenige Minuten zuvor gestanden hatte, ließ augenblicklich das Blut in meinen Adern erfrieren.

Diese Stille, die zwischen uns herrschte, seine knappe Wortwahl, mit der er meine Fragen beantwortet hatte, versetzte mich in große Alarmbereitschaft. Es setzte mich zutiefst unter Druck, mehr als all seine lauten, angsteinflößenden Taten es je auf mir ausgeübt hatten. Er war ruhig... verdammt nochmal zu ruhig und derweilen lediglich seine markanten Gesichtszüge überschattet durch seinen Dreitagebart und seine angespannten Kinnpartien, sowie sein schwerer dumpfer Atem unterstrichen, dass es sich bei ihm um keine Statue handelte, ließen mich seine onyxfarbigen leer auf mich gerichteten Augen immer wieder an dieser offensichtlichen Tatsache zweifeln.

Seine Augen funkelten mich wie der endlose Sternenhimmel an und doch war der Glanz in ihnen komplett erloschen. Leblos und lieblos hatte sich die Dunkelheit von dem betörenden Licht dieses funkelnden Kristallmeeres bedient, bis es sich alles genommen hatte. Gierig, rücksichtslos und voller Habgier.

Ich hielt den Blickkontakt nicht stand, würde dem aufgrund der sich aufdrängenden Erinnerungen niemals wieder standhalten können und deshalb wanderte meinen Blick zur Seite, darauf bedacht ihm die Wahrheit, dass er Recht hatte, nicht eingestehen zu müssen.

Denn ja, ich war schwach...so schwach und erschöpft von allem, dass ich daran zweifelte diese Scharade noch länger aufrecht halten zu können.

Während mein vor Anstrengung laut an den Wänden wiederhallender Atem diesen Raum mit meiner Angst infizierte und ich in Gedanken zusätzlich fieberhaft meine Optionen abwog, registrierte ich in unmittelbarer Nähe urplötzlich eine Bewegung und ohne es zu wollen, wurde ich davon wie ein Magnet angezogen.

Ich sah wie seine Hand in seine Hosentasche wanderte, ehe eine Zigarettenschachtel in mein Sichtfeld kam. Wie festgenagelt von diesem Anblick beobachtete ich wie er eine Zigarette und ein Feuerzeug aus der Schachtel heraus holte und letztere mit einer geschmeidigen Bewegung wieder in seine Hosentasche verschwinden ließ. Dem schenkte ich jedoch keine weitere Beachtung mehr. Meine Augen klebten aus unerklärlichen Gründen an dieser Zigarette, welche er nun anzündete und sich zwischen seine vollen Lippen klemmte.

Er wirkt wie ein Fotomodell, schoss es mir durch den Kopf, derweilen ich außerstande war meinen Blick von ihm zu lösen. Der nackte steinhart wirkende Oberkörper, die durchwühlten Haare, seine emotionslosen Augen und seine Hände, die mechanisch seinen einfachen Bewegungen nachgingen... Alles an ihm in dieser Nacht war grausam schön, dachte ich und dieser ungefilterte Gedanke steigerte meine Furcht erneut um ein vielfaches.

Gerade hob er die Hände geschickt in die Höhe, während jede seiner Bewegung sich in seiner Armmuskulatur auszeichnete und führte die Flamme, die er mit dem Feuerzeug heraufbeschworen hatte, dichter an die Zigarette, bis... das Licht dieser Quelle abrupt erlosch, indem er mitten in seiner Bewegung innehielt. Dann flatterten seine Lider nach oben und die geheimnisvolle Nacht in seinen Augen spiegelte mein Ebenbild wider. Er starrte mich ungeniert an.

Scheiße. Mir erst jetzt im Klaren darüber werdend, was genau ich mir da angesehen hatte, rutschte ich hastig mit meinen Augen ein paar Zentimeter runter auf sein Kinn, der sich wie ich panisch feststellen musste, augenblicklich anspannte.

Einige Sekunden lang passierte nichts. Die Zigarette hing zwischen seinen Lippen, das Feuer blieb aus und dann schlugen seine nächsten Worte wie ein Donnerschlag über uns ein.

Würdest du für mich rauchen?" Kratzig und rau füllte seine Stimme den ganzen Raum. Erstaunt und absolut unerwartet von dieser Wendung riss ich beinahe die Augen auf, doch der Umstand, dass er mich durch seine halb geschlossenen Lider, den Hinterkopf an die Tür gepresst wobei die Spitze seines Kinns nach oben zeigte ruhig ansah, sorgte dafür, dass ich im letzten Moment die Notbremse zog und diesen Emotionen keinen Austritt in die Außenwelt gewährte.

Während ich rein gar nichts aus dem monotonen Ausdruck seiner Gesichtszüge herauslesen konnte, entlarvte ihn der kaum wahrzunehmende Unterton in seiner Stimme. Dieses zynische etwas, das seiner gelassenen Position eine perfekte Tarnung darbot, verdeutlichte mir die Gefahr, die dieser Frage anhaftete.

Mein Körper reagierte auf diese indirekte Warnung augenblicklich und versteifte sich. Der mörderische Blick von ihm, als er am anderen Ende des Bordells mit angesehen hatte, wie ich die Zigarette von dem unbekannten Mann an der Bar angenommen hatte, suchte meine Gedanken heim und terrorisierte mich im Schnelldurchlauf, sodass ich davon getriggert einen großen Fehler begann.

Maßlos überrumpelt von dieser Frage bemerkte ich erst viel zu spät, dass ich meinem Kopf automatisch wieder anhob, ehe ich im letzten Moment zögerte ihm ins Gesicht zu sehen und mich schließlich dieses Anblicks gänzlich verweigerte. Und dieser kleine, unbedeutend wirkende Moment des Zögerns sprach Bände, das entging Iván nicht. Seine Augen verzogen sich minimal zu Schlitzen; eine kleine Gefühlsregung, die einer Todeshymne gleichkam.

„Sieh mich an", verlangte er im nächsten Augenblick ganz leise, neutral, als hätten diese Worte kein Messer in meine Rücken gerammt. Ich zuckte zusammen und drängte mich dabei noch unbeholfener gegen die Kommode, während der Schmerz an meinem Rücken mir signalisierte, dass der Weg hier endete.

Zu diesem Zeitpunkt konnte ich mir mit absoluter Überzeugung zwei Sachen sicher sein:

Erstens Ich würde nicht weiterkommen und zweitens mein Schweigen würde nicht ungestraft bleiben.

Vor Augen geführt wurde mir dies schließlich, als ich langsame gleichmäßige Schritte vernahm, die sich direkt auf mich zubewegten. Und als würden mir diese einen tödlichen Ausgang ankündigen, löste ich allmählich meine Finger von der Kommode. Ich wollte ihm ausweichen, was genau ich da unternahm war mir selbst unbegreiflich, aber alles woran ich nur noch denken konnte war die Einhaltung des Abstands zwischen uns.

Gerade trat ich eilig einen Schritt zur Seite, da schlang sich auch schon eine große Hand um mein Handgelenk und ich wurde mit einem Mal umhergewirbelt. Als ich vor Schreck das nächste Mal nach Luft schnappte, lag ich bereits mit dem Rücken auf dem Laken. Jenem Laken, das nach Sex und Schweiß stank und über mir Iván, der sich zwischen meine Beine gedrängt und  die Hände auf beiden Seiten meines Kopfes abgestützt hatte.

Meine Augen weiteten sich vor Entsetzen, während ich den Blick gesenkt auf seinen und meinem Körper richtete. Er stützte sich zwar mit seinen Armen ab, sodass wir uns nicht berührten und doch... brauchte ich mich nur einmal zu räuspern und er sich runterzubücken und sein nackter Oberkörper läge mitsamt meinem auf diesem Bett.

Diesem Bett. Diesem.Bett, oh Gott. 

Bilder davon was hier passiert war, schossen mir durch den Kopf und wie zur Bestätigung meiner Gedanken erspähte ich aus dem Augenwinkel die Blutflecken auf dem Laken, die aus Florentinas Wunde stammten. Ich lag in dem Bett, in dem sie Sex hatten, in dem Bett, in dem er sich... diese kranken Sachen vorgestellt hatte.

Doch selbst meinen Ekel über diese Einzelheit hielt sich im Zaum, denn ich spürte seinen Blick viel zu intensiv auf mir. Und ehe ich die Gelegenheit bekam mich gegen ihm zu wehren, ihn von mir zu schupsen, schloss er auch schon den minimalen Spalt zwischen uns, indem er wie auch in der Küche vor geraumer Zeit erneut die eine Hand dicht neben meinem anhob und die Zigarette in seiner Hand direkt vor mein Gesicht hielt. 

In diesem Moment begriff ich, dass sie eine Grenze zwischen ihm und mich darstellte - eine unsichtbare Barriere, die unbedingt eingehalten werden musste und nie, niemals ineinander verwischen durfte. Nur, dass ich diese Grenze mit meinem unbändigeren Drang ihm eins Auszuwischen niedergerissen und zu meinem Nachteil auch weitaus mehr getan hatte. Ich hatte mich selbst einer Zigarette bedient und war im Gespräch mit diesem Mann in schallendes Gelächter ausgebrochen, womit ich ein trügerisches Bild der Vertrautheit erzeugt hatte. Dennoch hatte ich mir keinen einzigen Augenblick lang sorgen, um die womöglich daraus resultierenden Konsequenzen gemacht. Denn der entscheidende Unterschied hatte darin gelegen, dass er mir in der Gegenwart all dieser fremden Gestalten nicht weh tun konnte, nicht durfte. Aber jetzt...

"Würdest du es auch für mich tun?", wiederholte er seine Frage ein zweites Mal, während sein ruhiger Atem meinen Haaransatz streifte. Das Einzige, worauf ich währenddessen jedoch achten konnte war sein Oberkörper über mir der sich von Millimeter zu Millimeter runter bewegte, mich einzuquetschen drohte und mich gleichzeitig in Besitz nahm, wie bei Florentina. Plötzlich wurde mein Kinn mit einem festen Ruck nach oben gerissen und ehe ich realisierte, dass seine Hand mich feste im Griff hatte, da knallte mir seine steinharte Stimme wie ein harter Schlag ins Gesicht entgegen.

„Sieh mich gefälligst an, wenn ich dich was frage." Seine Stimme hatte zwar das Grad an maximaler Aggressivität, wie ich es sonst in seinen schlimmsten Momenten von ihm gewohnt war, noch nicht überschritten, aber ich spürte, dass meine innere Unruhe auf ein baldiges Aufeinandertreffen gefasst war.

Schau ihn doch an! Tu es, bevor es eskaliert!, aber ich konnte mich einfach nicht dazu überwinden die Augenlieder anzuheben und damit seinem klaren Blick unmittelbar ausgesetzt zu sein.

Wie konnte er das auch nach all dem von mir erwarten. Wie konnte er glauben, dass ich ihm nach all den Ereignissen in die Augen sehen könnte? Scham durchflutete mich, obwohl ich wusste, dass nicht ich dazu beigetragen hatte. Nicht ich war es, die ... die diese Sachen mit ihm gemacht hatte, die die sich im freiwillig, wie ein Sklave angeboten hatte. Ich war es gewiss nicht, aber ich sollte es sein und genau diese Erkenntnis stellte sich wie eine schützendes Schild vor mich. 

Ich würde und konnte nicht den Blick anheben. Iván der dies zu verinnerlichen schien, klammerte seine raue Hand fester um mein Kinn, sodass sich seine Fingernägel schmerzlich in meine Wangen gruben und meine Lippen sich bei diesem Druck ungewollt nach außen drängten. Der klagende Laut, der dabei unmittelbar auf meiner Zungenspitze umhertänzelte, wurde lediglich vom Aufeinanderpressen meiner Lippen im Schach gehalten. Woher genau ich den Willen dazu aufbringen konnte keine Schwäche zu zeigen, war mir je tiefer er seine Finger in mein Gesicht krallte, unbegreiflicher, aber in diesem Augenblick war ich mehr denn je bestrebt seinem Befehl nicht nachzugehen.

Stets darauf fokussiert die Lider gesenkt zu halten, bemerkte ich auch jetzt erst viel zu spät, dass er die Zigarette achtlos zur Seite geworfen und stattdessen seine Hand nach hinten befördert hatte. Ehe sich der Verdacht, dass er eine Waffe aus seinem hinteren Hosenbund hervor zücken könnte, in meinem Gehirn festsetzen konnte, prasselten bereits kleine weiche Gegenstände auf meinen Oberkörper, Arme und mein Gesicht nieder. Überrascht zuckte mein Körper von den flüchtigen Berührungen heftig zusammen und ich blinzelte mehrmals. Schließlich drehte ich meinem Kopf langsam zur Seite und erkannte die vielen unangezündeten Zigaretten, die allesamt um mich herum verstreut lagen.

Er hatte seine Zigarettenschachtel über mich ausgeschüttet. Iván hatte... doch ehe ich den Gedanken vervollständigen konnte, zerrte er meinen Kopf wieder zu sich herum. Ich hatte kurz noch die Gelegenheit aus dem Blickwinkel zu vernehmen, dass er auch dieses Mal nach einer dieser Zigarette gegriffen hatte und als sich diese meinen Lippen annäherte, beschlich mich eine ungute Vorahnung, dich mich schließlich aus meiner Starre erweckte.

In diesem Moment gab ich einen Protestlaut von mir und versuchte zeitgleich mein Kinn aus seinem Griff zu befreien, indem ich meinen Kopf zu drehen begann. Iváns boshaftes Lachen, das eine eindeutige Reaktion auf meine scheiternden Versuche darstellte, ging mir so durch Mark und Bein, dass meine Verteidigung für einen Sekundenbruchteil stockte und diese Verzögerung reichte aus, damit er mir die Zigarette zwischen die Lippen klemmte und sein wunderschönes Gesicht dicht vor mir hervorragte. Ich erstarrte wie zu Eis bei dieser unüberbrückbaren Nähe, wagte es nicht eine Bewegung zu vollführen aus Angst auch nur den minimalsten Körperkontakt zu ihm herzustellen, obwohl seine Oberschenkel, die sich beinahe an meine Hüften schmiegten die aktuelle Lage mehr als verkomplizierten. Doch während ich diesen Abstand zielstrebig einzuhalten versuchte, setzte er dem mit seinen nächsten Sätzen und Taten einen gewaltigen Strich durch die Rechnung.

„Warum hast du für ihn geraucht? Warum hast du das gemacht... so leichtsinnig... so dumm deine Gesundheit aufs Spiel gesetzt für diesen Mann?", fuhr er unbeirrt fort und strich mit dem Zeigefinger bedächtig über die Zigarette, rauf und runter bis er dicht vor meinen Lippen zum Halt kam und diese Tortur von Neuem vollführte. Ich war derart darauf bedacht, immer wieder die Luft anzuhalten, mich immer wieder zu versichern, dass seine Finger nie mit meinen Lippen in Berührung kamen, sodass ich einige Sekunden brauchte ehe ich seine Worte erfasste und in meinem Gedankenprozess innehielt.

Meine Gesundheit aufs Spiel setzen, was meinte er...

Vor Unglauben weiteten sich meine Augen. Das Nikotin, meine Atemwege, die wenigen Asthamaanfälle in meiner Kindheit. Wie konnte er, wie wusste er...

Alles in mir geriet in einen Stillstand. Er wusste es. Er wusste über diese Sache Bescheid, über etwas was Jahre zurück in meiner Vergangenheit lag. Er hatte mir gegenüber immer wieder in Augenblicken seiner außer Kontrolle geratenen Wutausbrüche zu Wort gebracht jedes Detail über mich und meine Familie zu wissen, aber wie tief und wie weit diese Informationen reichten, hatte ich mir nicht ausmalen können. Bis jetzt... Nichtsdestotrotz hatte ein kleiner, verdrängender Teil in mir etwas geahnt, hatte befürchtet, dass er nicht nur an der Oberfläche gekratzt hatte. Das Unausgesprochene jedoch galt noch als Ungewiss und diese Ungewissheit hatte einen halbwegs stabilen Grundbaustein für meinen Optimismus und meinen Kampfgeist, dass alles am Ende gut werden würde, dargestellt. Doch jedem einigermaßen intaktem Gebäude haftete von Grund auch eine Gefahr des Einsturzes an, wie dies nun bei mir der Fall war. Gewissheit darüber erlangt zu haben, dass er in die tiefsten Schichten unseres, nein meines Privatlebens eingedrungen worden war, überstrapazierte jede meiner Nervenzellen.

Ich registrierte, dass sein Stimmton nun weniger beherrscht wirkte. Als würde er mich dafür verachten - nicht, wie ich angenommen hatte, weil ich dem Mann Avancen gemacht hatte, sondern für die Missachtung meiner... Gesundheit? War es möglich, dass er sich um meine Gesundheit sorgte? Nein, nein das ist absolut unmöglich. Das kann beim besten Willen nicht sein. Dieses Verhalten wäre paradox und das ergäbe überhaupt keinen Sinn. Das ist verrückt, er hasst und verabscheut mich. Er kann niemals...

„Wolltest du ihn?"

Ich erstarrte, als er mit nur wenigen Worten mitten in das von ihm ausgelösten Gefühlschaos in mir, einen Tornado absetzte und damit zur Verwüstung meiner Seele beitrug. Was um alles in der Welt... Gerade als ich mir einzureden versuchte, dass ich mich verhört haben musste, schrie er urplötzlich laut auf, sodass ich unter ihm scharf nach Luft japste. Was passierte hier?

„WOLLTEST DU, DASS ER DICH FICKT?"

Oh Gott, nein, nein, nein. Auf der Suche nach einer Möglichkeit seinem über mir weiter an Anspannung gewinnenden Körper zu entfliehen und seine Hände von mir zu bekommen, die mein Kinn nun regelrecht zerquetschten, irrte mein Blick panisch umher, während mein Körper sich dem anzuschließen gedenkte. Diese Fragen... Sie wurden zu viel, zu erschreckend, zu gefährlich. Dieser ruinierte Abend würde in einer Katastrophe münden, wenn er die Kontrolle über sein Verhalten endgültig verlor.

„SCHAU MICH GEFÄLLIGST AN!"

Ein schmerzhaftes Knacken drang in meine Ohren, als er meinen Kopf aggressiv wieder in seine Richtung drehte und mir damit die Gelegenheit abnahm mich ein Stück zur Seite zu wenden. Sein Atem stieß unmittelbar an meine Lippen. Nein, nein, nein.

„Sieh.mich.an!" Ich kann nicht, ich kann das einfach nicht...

Der auf mir ausgeübte Zwang beschwor dunkle Wolken hervor, die mit einem Mal mein Sichtfeld bedeckten. Der graue Himmel entlud seine Trauer in meiner Seele, sodass sich inmitten meines intaktes Herzschlages ein schwarzes Loch einnistete.

„Willst du es?", zischte er nun zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen. Meine Stille schien ihn auf falsche Schlüsse kommen zu lassen. Ich spürte, wie er über mir vor Zorn erzitterte und wie ein Vulkan auszubrechen drohte. Als er meine Augen weiterhin auf ihn zu lenken bestrebte, versuchte ich es ein letztes Mal. Ich musste frei kommen, ich musste meine Seele vor dem Orkan, das sich rasend auf mich zubewegte, schützen. Um meinet, aber auch um seinetwillen.

Nein Amalia es klappt nicht, verdammt es klappt nicht

Mit jeder verstreichenden Sekunden in der er meine Handlungen blockierte wurde mir vor nochmal klar Augen geführt, dass ich es nicht schaffen würde. Aber seine Berührungen... Gott, die konnte ich in diesem Moment erst recht nicht ertragen. Meine Hände, die nur wenige Millimeter steif unter ihm lagen, sein Atem, der mit jeder seiner Fragen in meinen Mund ein drang... Ich ertrug das alles nicht, nicht wenn die Erinnerungen von vor einer halben Stunde derart präsent waren.

Nur mit äußerster Mühe gelang es mir schließlich, während unseres Gerangel meine Hand unter seinem Körper zu befreien, die er jedes Mal mit einer schnellen Bewegung abgewehrt oder unter seinem Körper gezwängt hatte. Und ehe ich mir über die Tragweite meiner Handlungen Gedanken machen konnte, schellte meine Hand hervor und ein lautes Klatschen ertönte, als es auf halber Höhe mit seiner Haut in Berührung kam. Sein Kopf schoss zur Seite, verharrte in dieser Position, während sich alles um mich herum verfinsterte und Dunkelheit mich zu übermannen drohte. Die Hilflosigkeit hatte mich wie eine Flutwelle mitgerissen und der Druck der Wellen stieß mich völlig unerwartet an die festen Gesteine meiner nun überzulaufenden Emotionen, sodass die nächsten Worte mit dem Aufprall aus mir herausbrachen:

„EHER LASSE ICH MICH VON IHM FICKEN ALS VON DIR."

Stille.

Die anfänglich aufsteigende Genugtuung verschwand augenblicklich wie das kurze Erscheinungsbild einer herabfallenden Sternschnuppe, als sich meine Worte wie Gift in seinen Muskeln entluden und seine zunehmende Anspannung ernährten. Stattdessen erreichte ich zu schnell meinen seelischen Tiefpunkt mit dem nächsten Fehltritt, der auf den vorherigen Fauxpas folgte.

Unsere Blicke trafen sich. Zum ersten Mal nach all diesen Geschehnissen. Erstmals seit dem Versteckspiel, den ich meinerseits angezettelt hatte und das Inferno, dass ich in seinen Augen ausfindig machte, betätigte mir meine größte Angst in diesem Moment.

Mit meinen Worten hatte ich ein Schuldbekenntnis abgelegt und ihm zusätzlich freiwillig den Hammer in die Hand gedrückt, damit er mein Ende mit seinem Urteil besiegelte. Er sagte nichts. Auch ich fiel in sein Ungesagtes ein, denn unsere Körper übernahmen zu diesem Zeitpunkt das Sprechen.

Nein. Nein. Nein schrie mein innerstes. Was hatte ich getan? Diese Frage erwies sich als überflüssig, denn der immerzu härter werdend Ausdruck in seinen markanten Gesichtszügen, die größer werdend Finsternis mit seiner sich weitenden Iris und der apathische Blick mit dem er mich bedachte, als überlege er sich ernsthaft wie er mir am schnellsten den Kopf abreißen konnte, ließen meine Todesangst überschwappen und ich erstickte... Hier, jetzt unter ihm.

Ich schnappte hörbar nach Luft, meine Gesichtszüge hatten den Bemühungen unantastbar und unberührt zu wirken den Laufpass erteilt. Mir war klar, dass er den nun flehentlichen, entschuldigenden Ausdruck in meinem Gesicht einwandfrei ablesen konnte.

„Iván...I-ich ich m-meinte das n-ni-..."

Ein tiefes feindseliges Knurren ertönte und dann...

Klatsch.

Mit einem festen Griff hatte er mich an den Hüften gepackt, sodass ich im nächsten Moment auf dem Bauch lag. Ich erkannte nur noch, dass mein Gesicht viel zu nahe am Bettpfosten war, ehe er seine Hand in meinem Haaren zur Faust ballte und meinen Kopf nach unten drückte.

Plötzlich tauchten Bilder von Florentina in meinem Kopf auf, wie sie fast in derselben Position hier gelegen hatte, wie sie ihre Hüfte abwärts in die Höhe streckte... auf den Knien, auf diesem Bett und er von hinten...

Ich wollte Schreien, da drückte er aber bereits mein Gesicht tiefer in das Laken unter ihm und die Töne erstarben in meinem Hals. Mein Herz sprang mir beinahe auf der Brust, als ich auch jetzt registrierte, wie er sich über mich beugte und sich zwischen mich positionierte. Dies jagte mir einen heiden Schrecken ein, denn die Realität schmiegte sich nun wie eine pure Versuchung an seiner Fantasie an, sodass ich befürchtete, dass er in seinem Zustand nicht in der Lage dazu sein würde, diese beiden Welten voneinander zu trennen. Sein in Trance umhüllter Blick und seine unbändige Wut auf mich optimierten die Verschleierung um sein Bewusstsein, während die Farben seiner krankhaften Fantasie sich unwiderruflich mit der Realität vermischten.

Ich erzitterte und der heulende Klagelaut in meiner Kehle verstummte zu einem entsetzen Keuchen, als sich Iváns nackter Oberkörper auf meinem Rücken niederließ. Unsanft zog er meinen Hinterkopf nach hinten, sodass sich meine Brust fester an das Bettlaken presste und er sich dichter an mein Gesicht herunterbeugen konnte. Sein Atem streichelte mein Ohr.

„Das.hättest.du.nicht.sagen.dürfen..." 

Das unmenschliche Knurren hinter mir ließ mich ihn beinahe anbetteln. Ich drückte die Lippen fest aufeinander und schloss die Augen, um das Ausmaß meines Fehlers und die damit einhergehenden Konsequenzen nicht mehr mitansehen zu müssen, aber ich spürte es. Sein angestrengter und ungleichmäßiger Atem an meiner Wange setzte mich darüber in Kenntnis, dass seine Geduld an der Endstation angekommen war. 

Einen letzten mickrigen Versuch startete ich, um ihn von seinem ultimativen Ausbruch aufhalten.

„I-Iván ich...", doch er schnitt mir mit einem aggressiven Grollen sofort das Wort ab.

„HALT'S MAUL. HALT'S MAUL !", tobte er und während er mit der einen Hand an meinen Haaren zerrte, rammte er seine andere zur Faust geballten Hand gegen das Bettpfosten. Ein erneutes ohrenbetäubendes Knacken ertönte. Das Holzgerüst zersplitterte aufgrund des harten Aufpralls, wie auch mein Herz es in dem Moment tat. Dieser Schlag... war eigentlich an mich gerichtet, so viel stand fest.

Er atmete Sekunden lang tief ein und aus, tief ein und aus, indessen ich wie gelähmt auf das große Loch starrte, dass seine Hand in dem Gerüst hinterlassen hatten. Als schließlich das nächste Mal seine Stimme ertönte, klang er erschöpft, ausgelaugt... und enttäuscht? Mit Nachdruck konzentrierte ich mich auf seine Stimme, weshalb ich erst Sekunden darauf wahrnahm, wie er den Reißverschluss meines Kleides von hinten langsam hinunter schob.

„Du willst also hart gefickt werden... Ok...Ok, das kriegen wir hin."

Was? Bevor ich überhaupt zur Gegenwehr ausholen konnte, führte er seine Hand mit der er zuvor den Reißverschluss meines Kleides geöffnet hatte, nach vorne in meinen Ausschnitt und riss das Stück Stoff runter bis zu meinen Hüften, ehe mein nun entblößter Oberkörper wieder mit dem Bettlacken in Berührung kam. Ich zuckte zusammen, als ich eine klebrige Masse unter mir spürte. Dann stieg in mir Übelkeit auf, als ich begriff, dass die nasse Substanz an meinen nackten Bauch Blut war, Florentinas Blut. Absolut außer mir und am ganzen Leibe bebend, versuchte ich mich aufzurichten, versuchte mir trotz dieser Position, die Hände um den Oberkörper zu schlingen.

Du hast deinen BH an, du hast deinen BH an, redete ich auf mich ein, um dem lauten Hämmern meines Herzens entgegenzuwirken, doch mein Körper reagierte nicht wie gewünscht auf mein Worte. Eine kalte, fröstelnde Gänsehaut packte mich. Nervös nestelte ich an den Ärmeln meines Kleides, die jetzt ebenfalls an meinem Hüften herunterbaumelten und bemühte mich meine Arme wieder in die jeweiligen Ärmel des Kleides zu zwängen. Da packten aber schon Iváns große eisernen Hände nach mir und als er erneut sein Gewicht auf mein Körper verlagerte und meine Hände in Gewahrsam nahm, wusste ich nun mit Gewissheit, dass er ab jetzt vor nichts mehr zurückschrecken würde.

Ein metallisches Klick ertönte, gefolgt von einem ähnlichen Laut an meinen Handgelenken. Völlig abrupt zerrte Iván meine Arme in die Höhe und ein blitzartiger Stich durchzog meine Schulterblätter, sodass ein gequälter laut meinem Mund verließ. Als ich das nächste Mal meinen Kopf anhob, erkannte ich schließlich die Ursache dessen. Er... er hatte auch mir Handschellen angelegt und nun befestigte er diese mittig an den Gittern, die an dem Bettpfosten hervorragten.

„Nein... nein mach das nicht !", schrie ich panisch auf, als er das schloss der Handschellen an der Metallstange verriegelte. Meine Hände waren zu einem X übereinander gelagert. Jede minimale Regung, jedes wilde und hoffnungsvolle Rütteln an den Handschellen, führte dazu, dass sie sich unbarmherzig in meine Haut bohrten und Qualen hervorriefen, die sich bis zu meinen Zehenspitzen entlangzogen.

Und obwohl ich die ersten Schnitte an meinen Handgelenken bereits zu spüren bekam und wusste, dass ich mir keinen Gefallen damit tat, konnte ich nicht anderes, als weiter herum zu zappeln, mit den Füßen zu strampeln, meinen Oberkörper hin und herzuwiegen, in der geringsten Hoffnung mich irgendwie aus diesem Elend entreißen zu können. Doch als sich Iván wieder zwischen meinen Schenkeln positionierte und seine Hände unterhalb meiner Hüfte schob, brach mein Widerstand zusammen und ich stoppte.

Er hat deine Haut nicht berührt, sagte ich zu mir, als ich in einem kurzem Moment der Panik die Luft angehalten hatte. Er hatte mich genau da an der Hüfte gepackt, wo meine Kleidung noch meine Haut bedeckte. Trotzdem hatte er den gewünschten Effekt herbeigeführt. Ich hatte aufgehört mich gegen ihn zu wehren. Außer meinen zitternden Schultern, bewegte ich mich gar nicht mehr.

„Erste und letzte Warnung. Bewege dich und ich schlitz' dir die Kehle auf", erklang es kaltherzig hinter mir und ich zweifelte keine Sekunde lang die Ernsthaftigkeit seiner Drohung an. Stattdessen drückte ich daraufhin freiwillig meinen Kopf auf den Kissen und versuchte damit meinen Kummer im Zaum zu halten und die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Mein Kopf zur Seite geneigt, erspähte ich erneut das Fenster mit den Gitterstäben und der Betonwand. Beinahe hätte ich aufgelacht, als mich die Gitter an einen Käfig erinnerten. Ein goldener Käfig, in dem ich steckte und Iván, der inmitten dessen kurz davor stand mir die Flügel zu brechen, damit es kein Entkommen mehr für mich gab, damit ich verwundet und gebrochen keine Möglichkeit mehr hatte in Richtung Freiheit zu fliegen. Und was war dann? Ich würde meinen Vater, meine Geschwister, Jon, Sanjana und all die anderen nie wiedersehen können.

Dem furchterregende Gedanken für immer von meiner Familie und meinen Freunden getrennt zu sein nicht länger stand halten könnend, wollte ich mich diesen Anblick der Gittern, die mir meine Gefangenschaft deutlich vor Augen führten abwenden, also drückte ich ganz fest die Augen zusammen und suchte Trost in meiner eigenen Innenwelt.

Ein Rascheln erklang.

Hör nicht hin.

Wie ein kleines Tütchen, das nun aufgerissen wurde.

Amalia, blende das aus, blende das alles aus.

Krzzzzzz.

Blende.es.verdammt.nochmal.aus.

Doch ich konnte es nicht, denn plötzlich kribbelte mein Rücken und ich ein spitzer Schrei drohte mir über die Lippen zu entfliehen.

Ich spürte, wie sich gleichmäßige waagerechte Striche über meinen nackten Rücken zogen. Es kitzelte mich und läge einer seiner Hände weiterhin nicht bestimmend auf meiner Hüfte so hätte ich schon längst unruhig meinen Rücken zu einem Bogen geformt, meinen Kopf gar zur Seite gedreht, um dieses etwas auf meinem Rücken  zu identifizieren. Doch ich verharrte weiterhin in diesem unwissenden komatösen Zustand.

Eine Stimme in meinem Kopf riet mir, dass es nichts brachte die Augen geschlossen zu halten, dass ich auch jetzt eine Einzelheit übersah. Eingenommen von dem großen Fragezeichen in meinem benebelten Gedanken, erfasste ich erst darauf das Rascheln der Bettlacken unter mir. Abrupt schwankte die Matratze, als sich zwei Gewichte in meiner Brusthöhe niederließen. Ich erahnte, dass er seine Hände an beiden Seiten von mir in die Bettwäsche rein drückte, ehe sein Gesicht sich meinem Rücken langsam anschmiegte.

Nein... nein...

Obwohl ich mich mit der Tatsache abfand, dass ich es für mich kein Entkommen gab, kämpfte mein Körper unhaltbar weiter gegen die Kletten aus Metall an, die sich nun tiefer in meine Haut gruben. Ein irrsinniger kleiner Funke der Hoffnung in mir ritt mich dazu, aber ein Ausweg war nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil. Meiner Proteste zum Trotz schlang sich muskulöser Arm fester um meine Taille, was zur Folge hatte, dass ich unmittelbar darauf seine Lende an meinen Hintern zu spüren bekam.

Oh scheiße.

Ich sackte mit dem Oberkörper erneut in mich zusammen und wimmerte erschöpft auf.

Du wirst es nicht verhindern können, Amalia... du...

Und dann spürte ich es. Seinen Atem, seinen Körper dicht an meinem Rücken, an meinem Tattoo. Oh nein.

„Wurdest du...", flüsterte er und jeder Atemzug prallte meinem Rückenmark entgegen.

„... schon einmal geküsst?", beendete er seine Satz. Verblüfft von dieser Frage, wollte ich instinktiv die Augenbrauen zusammenziehen, da aber spürte ich einen heftigen Windzug gefolgt von einem lauten Zhhhhh und ich riss vor Schock die Augen auf.

Es klang ganz danach, als... Als hätte er sich etwas durch die Nase gezogen.

Die waagerechten Striche. Linien.

„W-was machst du da?", fragte ich, indessen mein Verdacht mich innerlich hinrichtete.

Ich spürte, wie er über mir seinen Kopf etwas weiter hinunter verlagerte. Seine Nase wanderte ganz sachte meinen Rücken hinab.

„Hat dich schon einmal jemand berührt?", hauchte er beinahe erstickt und wie in Trance. Im nächsten Augenblick streifte seine Nase den hinteren Verschluss meines BHs, ehe er sie mit einer  öffnete. Der waagerechte Streifen kippte in dem Moment erneut auf meine Haut, auf mein Tattoo und dann hörte ich erneut dieses schreckliche Geräusch.

Die zweite Line.

Meine Augen fingen an zu brennen und meine Stimme zitterte vor unterdrückter Wut. Dieser Mistkerl... dieser verdammte Mistkerl.

„Was wenn ich mich diesem Körper bevollmächtige? An ihr... auf ihr eine Straftat verübe?", sagte er und ich erkannte die Zweideutigkeit seiner Worte in dem Augenblick, als er auch die dritte Linie komplett in sich einsog.

Hör auf... oh Gott bitte lass ihn aufhören, er wird endgültig die Fassung verlieren.

„Dachtest du wirklich du könntest es mit mir aufnehmen? Diesem Mann etwas geben, was mir gebührt. Nur ein Zug, nur ein Blick..." Jetzt klang er außer sich vor Zorn und dies war der Moment indem ich es bereute. Ich bereute es diesen Mann nach einer Zigarette gefragt zu haben, bereute es, was ich durch Verhalten verursacht hatte...

Denn genau das war es, was er mir hiermit illustrieren wollte. Er zog an diesem Stoff vor meinen Augen, auf meinem Körper und zeigte mir, dass er derjenige war, der dieses Machtspiel dominierte. Ich konnte nichts unternehmen. 

Er verhöhnte mich, zugleich jedoch klagte er mich an. Ich war die Schuldige, diejenige die, die es so weit getrieben hatte und ihn in diesen Bad Trip versetzte.

Schuldig... ich bin schuldig.

„Gib ihn mir. Gib mir alles... was du ihm geben wolltest, was du mir stehlen solltest. Das ist euer Spezialgebiet nicht wahr, Alington", spuckte er aus und dieses Mal bohrte er seine Nase tief in meinen Rücken als er die letzte Linie zog. Ich spürte seine viel zu dunkle, negative Aura, die sich nun in der Luft breit machte, hörte erneut den Hass aus seiner Stimme heraus als er meinen Nachnamen aussprach.

Diebe... Ihr seid Diebe, echote es in meinem Kopf. Ich befand mich augenblicklich in einem Déjaè-vu Moment, als ich das Moreno Bild aus den eigenen Wänden meiner Familie entwenden musste.

Er beharrte darauf, jedes Mal aufs Neue brachte er die Ereignisse zu jenem Ausgangspunkt, als würde er nicht mir, sondern sich selbst diese Tatsache vor Augen führen wollen, um... was? Sich stärker auf sein Ziel fokussieren zu können, über seinen Zorn ein Benzinkanister zu schütten und mich in die lodernden Flammen, die er erzeugt hatte hineinwerfen zu können? Was wollte er damit bezwecken?

Ich war es. Er wollte vom tiefsten Herzen, dass ich litt und ganz gleich, was ich ihm jetzt auch gab es würde nie ein Ende finden. Denn sein Hass war seine größte Stärke und je weiter er dies antrieb desto mächtiger, unbesiegbarer wurde er.

Diese auftretende Erkenntnis sollte mich erschüttern, sollte eigentlich dafür sorgen, dass sich Adrenalin in meinen Körper pumpte, dass ich ihn anschrie, ihn beleidigte. All das tat ich jedoch nicht. Stattdessen zog ich die Stille vor. Ich antwortete ihm nicht.

Iván, der mir immer einen Schritt voraus war, brauchte nicht einmal eine halbe Minute, um zu erraten, dass keine Silbe über meine Lippen kommen würde und obwohl ich mit einem erneuten Wutausbruch, erneut mit einem niederträchtigen Kommentar rechnete, erwiderte auch er nichts daraufhin.

Dann spürte ich wie die Einbuchtungen der Matratze unter mir nachließ, wie sein Körper sich aufrichtete und somit einen Abstand zu meinem herstellte. Eine Kälte durchfuhr mich dabei so unerwartet, dass ich kurz davor stand ein verzweifeltes Seufzen von mir zu geben. Die Schockstarre, der ich aufgrund dieser unerklärlichen Empfindungen meinerseits ausgegeben war, hielt nicht auf Dauer, denn als ein metallisches Geräusch bis zu meinen Sinnen durchdrang, stutzte ich.

Ich wusste nicht, ob es an den Schritten lag, die er hinlegte und mir damit aufzeigte, dass er sich vom Bett entfernt hatte, aber beim daraufhin erklingenden Geräusch drehte sich mir derart der Magen um, dass ich nicht anders konnte als meinen Willen untätig zu bleiben über Bord zu werfen, mich in seine Richtung zu wenden und mich der Quelle hinzugeben, die die Ursache für mein nervöses Herzrasen darstellte.

Und dann erblickte ich es. Das unvermeidbare... das Schreckliche.

Ich erblickte ihn, wie er sich wieder zur Tür begeben hatte. Oberkörperfrei, die Hose weiterhin seit Florentinas verschwinden vorne geöffnet, sodass man die Umrisse seiner ausgeprägten V- Linie sah und zudem die freie Aussicht auf seine volltättowierten Hände, die aber nun Schicht für Schicht von einen Streifen Leder überdeckt wurden.

Von einem Leder, das zuvor bei Florentina eine Blutschicht hinterlassen und ihr Schmerzen zugefügt hatte und dessen Beweis nun auch seine Finger hinabsickerte, als er das Teile fester und fester routiniert über seine Hände schlang.

Ein Gürtel.

Iván hatte seinen Gürtel aufgehoben. Ich blinzelte mehrmals, wiederholte diese Bewegung ein weiteres und noch ein weiteres Mal, während ich seiner gleichmäßigen Bewegung folgte.

Dann hob ich freiwillig den Kopf an und suchte zum ersten Mal seit ich dieses Zimmer betreten hatte den Blickkontakt zu Iván. Doch er vermied es, sah mich nicht an. Ich war mir sicher, dass er spürte wie verzweifelt ich ihn indirekt darum flehte in meine Richtung zu sehen, aber sein durchtriebener Blick war auf das blutige Ledergürtel gerichtet, derart konzentrieert, dass mir mit einem Mal bewusst wurde, dass er sich regelrecht dazu zwang mich nicht ansehen zu müssen.

Und das ließ mich erahnen, was als nächstes passieren würde.

„W-Was hast du damit vor ?", fragte ich und nun zitterte meine Stimme. Voller Angst, voller Ehrfurcht starrte ich auf das Ding in seiner Hand, welches er immer noch wie etwas heiliges Zepter fest umklammert hielt.

Er machte einen weiteren Schritt nach vorne auf das Bett zu.

„W-as wird das?"

Und noch einen. Die Vorahnung, dass er immer näher und näher auf mich zukommen würde, durchfuhr meinen ganzen Körper wie ein harter Stromschlag.

Gerade wollte ich aufschreien, erneut an meinen Handschellen zerren, versuchen mich aufzurichten, aber als Iváns dunklen Augen unmittelbar auf meine trafen, war es als gewähre er mir einen Blick in den Terror, der sich in seiner Seele abspielte. Keine Zuneigung, keine Gefühlsregung, da war nichts. Nichts außer Leere, eine verblasste Geisterhülle, dessen Fluch mich bis in alle Ewigkeit verhexte.
Er sah auf wie ein Todesengel.

Seine Augen hafteten nur einen kurzen Augenblick auf mir, dann wanderten Sie langsam zur Seite entlang meines halbnackten Körpers... weiter runter zu meiner Hüfte bis hin zu meinen Beinen. Ich presste die Beine instinktiv zusammen, versuchte von der Seite meine Arme runterzudrücken, damit er trotz meines BHs die frei vorliegenden Umrisse meiner Brust sowie meine Taille nicht zu sehen bekam, aber die Handschellen hielten mich von diesem Vorhaben ab.

Genau in diesem Augenblick fühlte ich mich wie eine Puppe, wie ein Spielzeug, dass er begutachtete und das er benutzen und dann wegwerfen würde...

Seine Lider richteten sich auf und während er nun leblos die gegenüberliegende Wand anstarrte, ging mir der monotone Ton in seiner Stimme durch Mark und Bein.

„Stell dich auf die Knie."

„W-Was...", entfuhr es mir beinahe lautlos.

Ich... wenn ich das tat dann... dann würde ich meinen Hintern anheben müssen, dann würde ich exakt die Position einnehmen, die Florentina eingenommen hatte.

„Auf die Knie und die Beine auseinander spreizen."

Mein Kleid, es würde nach vorne rutschen noch mehr Haut darlegen, sodass er unproblematisch meine Strumpfhose ausziehen und mich von meiner Unterhose entledigen könnte und dann, dann könnte er von hinten....

Nein... nein um Gottes willen, nein.

Panik durchflutete meinen Körper, Angst brach wie eine Tsunami über meinen Körper ein und Ebbe und Flut prasselten in Form von Schweißperlen über meine Stirn und meinen Oberkörper ab. Das was er verlangte... es wäre meine offizielle Hinrichtung.

Was als nächstes erfolgte sah ich nicht kommen. Nicht im Entferntesten. Iváns noch ruhig wirkenden Züge entglitten ihm plötzlich während er sanft über das Leder, das er um seine Fingerknöchel gebunden hatte, strich. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, die Augen weiteten sich, der Ausdruck in seinem Gesicht wirkte gerissen und dann traten die verschiedenen Adern aus seinen Armen hervor als er die Hand fest um den Gürtel schlang...

...und ausholte.

Ich schrie laut und ängstlich auf. Der Gürtel schlug an das Bettpfosten, knallte dorthin wo ich mit den Handschellen angekettet war. Sie verfehlten nur um ein haaresbreit meine Hände, die ich nun zitternd in das Holzgerüst reingekratzt hatte, sodass meine zerbrochenen Fingernägel zu bluten begannen. Hörbar nach Luft schnappend, starrte ich schweiß gebadet und mit Tränen in den Augen auf die minimale Entfernung.

Er... er hätte mich fast erwischt. Er hätte mich fast ausgepeitscht.

„Tu.es", knurrte er und trat noch einen Schritt nach vorne, derweilen er den Gürtel wie eine Peitsche hinter sich herzog. In seiner Stimme schwang eine eindeutige Warnung mit, die besagte: Entweder du befolgst meinen Befehl oder ich reiße dir das nächste Mal wirklich die Haut auf.

Geplättet und als wäre mir alle Energie aus dem Körper ausgesaugt worden, drehte ich langsam den Kopf zur Seite, um ihm meine Reaktion darauf nicht zu zeigen. Ich wollte nicht, dass er sah wie ich mit den Tränen zu kämpfen hatte, wie ich mir so fest auf die Lippen biss, dass ich das Aufplatzen meiner Lippen zu spüren bekam. Ich wollte nicht die Genugtuung und den Triumpf in seinen Augen sehen, als ich mich seinem schließlich Willen beugte und das einzig Falsche aber Nötige in dieser Situation tat. Während mein in BH steckender Oberkörper sich weiter in das blutige Lacken drückte, richtete ich meine Hüfte auf. Ein Stückchen... und noch ein Stückchen, bis mein Unterleib keinen Stoff mehr unter sich spürte und mein Hintern eine bogenförmige Haltung einnahm. Dann stellte ich mich auf die Knie.

Sie hatte meine Haare, hatte meine Statur gehabt und deshalb...

„...habe ich Sie von hinten gefickt ?" 

Als mir Iváns Worte einfielen, fing es an. Ich konnte es nicht unterdrücken, aber meine Schultern erbebten. Meine Knie fühlten sich wie Wackelpudding an... ich zerbrach wie ein Streichholz vor seinen Augen und er genoss es.

Dessen war ich mir mehr als bewusst als seine nächsten Worte wie Messerstiche auf mich einstachen:

„Wenn du auf Rücksicht hoffst, dann liegst du eindeutig im falschen Bett."

Seine Worten galten ganz offenkündig meinem schwachen Körper, der ihm in meiner Zittertirade mehr denn je aufzeigte, dass ich nicht für seine Spielchen, nicht für ihn gemacht war. Und das hatte er von Anfang an gewusst. Er hatte gewusst, dass ich dem keine Sekunde standhalten würde, hatte gewusst, dass ich zerfallen würde und das war auch der Grund für all diese Frauen gewesen. Sie sollten ihn zurechtbiegen, sollten seine Wut in angemessene Bahnen lenken, sodass er, wenn er sich mit vorknöpfte kaltblütiger an die Sache rangehen konnte. Doch nun... nun hatte ich die Karten neu gemischt und mit meinem Verhalten alles zunichte gemacht. Denn nun wollte er seine Fantasie auf der Stelle zur Wirklichkeit werden lassen.

„Und jetzt... nimmst du die Worte zurück."

Ich hielt in meinem stockenden Atem einen Augenblick lang inne, als ich die beinahe flehende Note in seiner aggressiven Tonlage heraushörte. Ganz vorsichtig, stockend aus Angst er würde meine Bewegungen falsch interpretieren und mich erneut mit dem Gürtel angreifen, wandte ich meinen Kopf zur anderen Seite, genau in seine Richtung und brachte es erneut über mich ihm in die Augen zu sehen. Meine halbe Gesichtshälfte kraftlos auf die warme Matratze gedrückt, blickte ich zu ihm empor und da traf mich der nächste Schock.

Der dumpfe Glanz, der sich in seinen Augen ausgeweitet hatte, der verbitterte Schwung um seine harten Gesichtszüge erweckten bei mir den Eindruck, als würde er um Hilfe betteln. Es war als wollte er der Hölle, die ihm willkommen die Türen zur Unterwelt öffnete den Rücken zukehren, wenn man Gnade mit ihm walten ließ. Nein, nicht irgendjemand, sondern wenn ich, Amalia mit ihm Gnade walten ließ, indem ich ihm das gab was er wollte.

Indem ich ihm sagte, dass ich mich an keinen anderen Mann band als ihm.

„Nimm die Worte zurück. Nimm sie einfach zurück", brachte er beinahe aufgebracht vor Eifersucht von sich und fixierte mich dabei mit seinem Blick. Es war als würde er sagen wollen: Tu es für dich, lass mich dich nicht anrühren, lass mich dir kein Haar krümmen. Du musst dich nur zu mir bekennen, dann lasse ich es sein. Dann hören wir auf. Für's erste.

Und genau da lag der Knackpunkt. Iván würde es verschieben, aber verschieben war nicht gleich aufgehoben und indem ich ihm recht gab, indem ich bloß eine Silbe der Zustimmung über die Lippen brachte, würde ich mich ihm für immer beugen. Ich würde mich selbst zu einem Objekt degradieren, mit dem er jederzeit seinem Belieben nach umgehen konnte.

Das... bin nicht ich. Das kann ich nicht.

Und genau deshalb tat ich das, was sich in dieser Situation am schädlichsten für mich auswirkte. Zwischen meinen an den Bettpfosten befestigten Armen hindurch sah ich ihn an, ich sah ihn nur an und erklärte ihm damit stillschweigen, dass er die gewünschte Antwort niemals bekommen würde. Iván schien das klar zu werden, denn der flehentliche Ausdruck in seinem Gesicht verflüchtigte sich und Kälte durchflutete seine strahlend pechschwarzen Augen. Der Gürtel schlang sich fester um seine Hände und ich sah, dass die Adern nun regelrecht hervorstachen, so sehr spannte er sie an... so nah war er dem ultimativen Kontrollverlust. In dem Moment erkannte ich auch, dass sich die Engel um ihn herum in Luft auflösten, wie Feiglinge die Flucht ergriffen und mich in die Klauen dieses Todesengels trieben.

Es ist aus, Amalia.

Er wird es tun.

Er wird dir Schmerzen hinzufügen. 

Er wird dich brandmarken. 

Er wird dich dieser einen Erfahrung berauben.

Wird es sehr weh tun?, fragte ich mich und wusste selbst wie absurd das klang. Natürlich wird es das, denn wie er schon selbst sagte: Er wird für niemanden, insbesondere für eine Alington keine Rücksicht nehmen.

Mich dieser Erkenntnis hingebend, fiel die Last von mir und der Damm meiner Selbstkontrolle brach in sich zusammen. Ich ließ dem stetigen Brennen in meinen Augen endlich seinen freien Lauf, vor ihm... obwohl ich mich die ganze Zeit dagegen gesträubt hatte. Meine Tränen flossen ganz langsam, ganz sanft, als würden sie einen Trostpreis für den bevorstehenden Kummer darstellen und mein Leid abdämpfen, mich währenddessen betäuben auch wenn das dennoch nicht genug sein würde.

Ich sah Iván tief in die Augen und weinte, weinte bitterlich und dann entschlüpfte ein leise Wimmern meine Lippen, als wäre ich ein kleines Kätzchen, das in eine Mülltonne hineingeworfen worden war und sich vor der Dunkelheit fürchtete. Ich krümmte mich zusammen, innerlich, machte mich mickrig und ich ließ all den Schmerz in mir raus, legte die Maske ab... offenbarte mich Iván.

Er würde mich brechen. Ja, das würde er gewiss tun, aber wenigstens hatte er er nicht geschafft meinen Willen zu beugen. Er hatte diese Worte nicht aus meinem Munde bekommen, versuchte ich mich zu beruhigen, aber Fehlanzeige. Mein  Körper, der weiterhin in dieser lächerlichen und äußerst erniedrigenden Pose halb lag, halb stand, zitterte unnachgiebig.

Die Tränen, die sich in meine langen Wimpern verfangen hatten, erklärten nun den Krieg und fielen in der Schlacht. Sie tropften runter, meine Wangenknochen entlang, einer nach dem anderen... Ich hatte sie in dem Tode entsandt.

Meine Seele brach, mein Herz weinte bitterlich und als wäre Iván urplötzlich aus einem jahrelangen Fluch erwacht, blinzelte er. Einmal, zweimal, ehe seine Augen bedächtig meiner Tränenspur folgten.

Ein Ausdruck, den ich nie an ihm gesehen hatte und der mich mehr denn je überrumpelte brach über ihn ein, so heftig, so plötzlich, dass selbst er davon überrumpelt zu sein schien. Als würde er durch den Schleier seiner Trunkenheit und seines Rausches blicken, sah er mich an... verfolgte die Tränen weiterhin einen nach dem anderen. Schließlich riss er die Augen auf und taumelte wie von einem Geist heimgesucht mit einem harten Poltern zurück... ein Schritt und dann einen weiteren, ehe der Gürtel in seiner Hand zu Boden fiel.

Das Spiel endete.

Nicht fassen könnend, was das zu bedeuten hatte, blickte ich ihn immer noch weinend und schniefend an, doch als könnte er meinen Anblick keine Minute länger ertragen, drehte er sich um, stieß die Tür auf und schlug sie so hart zu, dass der laute Knall wie ein Kirchengong an den Wänden wiederhalte.

Er war weg und ich... ich brach in diesem Chaos endgültig zusammen. Laut, kreischend und völlig verloren gab ich mich dem Meer aus Tränen hin.

Schließlich dauerte es nicht lange, da hörte ich unmittelbar vor der Tür erneut Schritte. Ich richtete weder den Kopf auf, noch sah ich zur Tür, als diese aufgerissen wurde. Wenn er seine Meinung geändert hatte und gekommen war, um das zu beenden was er angefangen hatte, dann war es so. Ich lag lediglich da und rührte mich nicht. Auch dann nicht, als eine mir allzu bekannte weibliche Stimme zu mir durchdrang.

Dios mío Amalia", krächzte Silvana entsetzt und war mit diesen Worten sofort bei mir. In dem Moment, wo sie mir unter die Arme greifen wollte, war es als würde all der Frust auf mir heraustreten, denn ich warf mich trotz der Fesseln zur Seite und zischte hysterisch:

„Nicht anfassen. Fass mich nicht an!"

Silvana, die völlig überrascht von meinem Ausbruch schien wanderte mit ihren Augen von meinen zerzausten Haaren bis zu meinem verheulten Gesicht und dann meinen nackten Oberkörper entlang, denn mein offener BH war nun über meine Schultern gerutscht und hing über meine Ellenbogen. Als sie schließlich bei dem Blutflecken an meinem Bauch angelangte, löste sich ihre Zurückhaltung in Luft auf und sie keuchte entsetzt:

„Scheiße nochmal, bist du verletzt?"

Erneut machte sie Anstalten sich mir anzunähern, sich zu vergewissern, ob ich Blut verloren hatte, aber auch da kreischte und schlug ich wie wild um mich

„Nein!" Ich war selbst erstaunt darüber, dass mir meine Stimme in diesem Moment nicht versagte und tatsächlich sogar stark wirkte, obwohl ich gerade alles andere als das war. Meine Nerven waren blank, mein Geist inmitten des Wahnsinns ausgesetzt.

Silvanas Mundwinkel zogen sich erst bekümmert zusammen, dann flackerte Wut in ihren Augen auf, als sie verbissen murmelte:

„Iván", und mehr musste und konnte sie nicht sagen, denn in dem Moment stürmte bereits Tian nach Luft schnappend in den Raum. Es war ihm anzusehen, dass er an Silvana gewandt etwas sagen wollte, doch da fiel sein Blick auf mich und er blieb auf der Stelle stehen.

Ich hätte die Arme in dem Moment, in dem er anfing mich zu taxieren und sein Blick über meinen nackten Oberkörper wanderte, um mich schlingen müssen. Doch ich wusste nicht, ob es an meiner Kraftlosigkeit lag oder an dem schrecklichen Szenario mit Iván in die meine Gedanken immer wieder abdrifteten, sodass ich mich nicht bedeckte. Aber vielleicht, dachte ich mir als sich Tians schönes Gesicht zu einer entsetzen Maske wie die seiner Schwester verwandelte, lag es auch schlicht weg einfach daran, dass keinerlei Begierde in seinem Blick lag. Es war nicht der erregte Blick eines Mannes, der eine halbnackte Frau vor sich sah, nein ganz im Gegenteil je mehr Haut Tian zu sehen bekam, desto sprachloser war er gestimmt.

Er öffnete den Mund, blinzelte mehrmals und schluckte, um nach Fassung zu ringen, ehe er erneut ansetze, doch da zischte ihn Silvana bereits von der Seite an.

„Wie konntest du sie nur mit ihm alleine lassen. Du.Vollidiot. Du bist so ein verfluchter Vollidiot."

Tian antwortete nicht, verdutzt und eindeutig überrumpelt sah er mir in die Augen. Ein entschuldigender Ausdruck haftete an seinen Zügen, der mich indirekt darum bat ihm die Last von den Schultern zu nehmen, ihm zu sagen, dass es nicht das war wonach es aussah.

Wäre ich in der Lage zu gewesen meine Mundwinkel anzuheben, so hätte ich ein vor Spott triefendes Lächeln aufgesetzt.

Ja, es war nicht so wie es aussah. Es war noch viel schlimmer. Er hätte mich trotz seiner Warnung Iván nicht in diesem Zustand unter die Augen zu treten, niemals alleine lassen dürfen. Letztlich hatte er genau das getan. Obwohl ich bezweifelte, dass er Schuldgefühle hatte, überzeugte ich ihn nicht vom Gegenteil. Sollte sein Gewissen in der Sorge um die Ungewissheit ihn mit schlaflosen Nächten plagen.

Silvana war letztlich diejenige, die den stummen Blickkampf zwischen mir und ihrem Bruder beendete. Nach Beherrschung ringend, stieß sie hervor:

„Such ihn. Ich kümmere mich um Sie."

Diese Worte galten Tian, stellte ich fest nachdem er wenige Sekunden darauf den Raum verließ. Und als ich verstand, wen er ausfindig machen sollte, schreckte ich wie in Alarmbereitschaft auf und drückte mich mit den Füßen an das andere Ende des Bettes, weiter weg von Silvana.

Ihren besorgten Blick kein einziges Mal von mir nehmend, hob sie besänftigend die Hände in die Höhe:

„Hey, hey, hey ist schon in Ordnung, alles ist in Ordnung. Ich bring dich weg ok? Wir fahren nach Hause."

Nach Hause? hätte ich am liebsten laut aufgeschrien. Dieses Gefängnis ist nicht mein Zuhause. Dieses Haus in dem mich Iván wie ein wildes Tier gejagt, mich wie Dreck behandelt und mir die Knochenreste zugeworfen hatte, war kein Wohlfühlort, es war meine persönliche Gefängniszelle. Aus meiner ansteigenden Frustration heraus, stand ich der Versuchung nahe, die Hände zu einem Stoß gegen Silvana einzusetzen, bis die Handschellen mich erneut an die Unmöglichkeit dieses Vorhabens erinnerten.

Silvana erkannte mich einem prüfenden Blick, dass ihre falsche Wortwahl eine gewaltige Lawine der Unruhe über mich zum Einsturz gebracht hatte. Um dem Schaden so gering wie möglich zu halten, tastete sie sich nun mit einem vorsichtigeren Tonfall heran

„Bitte lass mich dir diese Handschellen abnehmen, ja? Deine Handgelenke sind schon von blauen Flecken und Blut übersäht. Erlaube mir das zu tun, bevor sie dir noch mehr weh tun und dann werden wir von hier verschwinden."

Den letzten Worten ihres Satzes war es zu verdanken, dass mein Wille den Widerstand aufgab. Stattdessen wurde der Wunsch dieses Zimmer zu verlassen, von diesem Bett, diesem Geruch und diesen Erinnerungen zu entkommen übermächtig, trotz dass ich bezweifelte, dass ich letzterem je den Rücken kehren könnte. Die Bilder in meinem Kopf hafteten wie ein Tattoo auf meiner Haut, nur dass sich jenes in meinem Gedächtnis verewigt hatte.

Klick.

„So das hätten wir", sprach Silvana in einem liebevollen Ton aus und ich konnte nicht umhin als mich wie ein Kleinkind behandelt zu fühlen, das für ihr artiges Benehmen mit Lob überschüttet wurde. Das Geräusch der sich plötzlich lösenden Handschellen, führte mir jedoch allzu deutlich vor Augen, dass es sich dabei alles andere um ein kinderfreundliches Szenario handelte. Mit einem dumpfen Klang fielen sie auf das Bett und die Adern in meinen dünnen Handgelenken kamen wieder zu Atem. Der Schmerz, der mich bei der stockenden und langsam wieder an Anlauf nehmenden Blutzirkulation einholte, war  kaum zu ertragen, aber der Gedanke eine Sekunde länger als nötig mit dieser Matratze in Kontakt zu verweilen, war schier erdrückend. Instinktiv presste ich meine Hände nun auf meine nackte Brust, auf die mein unbeholfenes Stolpern aus dem Bett folgte. Ein schwindelerregendes Aufkommen auf meinen zittrigen Beinen beförderte mich unsanft mit meinem Körper gegen die Kommode und ein Keuschen entfuhr mir, als meine Finger sich Hilfe suchend an der oberen Holzfläche verfingen.

Unregelmäßige Atemstöße gaben sich wie eine wirre Komposition zu bekennen, sodass ich mit den nächsten heraussprudelnden Worten meinerseits selbst nicht mit gerechnet hatte:

„W-wenn er auch da sein wird, komme ich nicht. I-ich kann mit ihm nicht in einem Auto sitzen." Kann mich seiner Nähe, seinem Duft, seinem unüberbrückbaren Hass nicht noch einmal gegenüberstellen, nicht nach all den Geschehnissen.

Silvana überforderte mein verschrecktes Wesen sichtlich, weshalb sie nichts anderes unternehmen konnte, als sich in ihrem Tun zu wiederholen und beschwichtigend die Hände auf Brusthöhe an zu heben.

„Ok... ok fein. Ich werde ihn nicht ins Auto lassen, du hast mein Wort. Aber jetzt müssen wir wirklich dringend weg von hier. Du darfst dich keine Sekunde länger an diesem Ort aufhalten." Ihre letzten Worte hätten mich beunruhigt aufhorchen lassen, wäre ich nicht zu sehr damit beschäftigt auf die kleine Handwaffe zu starren, welche sie just auf ihrem Stiefel hervor zückte.

Natürlich.

Weder der BH noch die zu kurze Hotpants hätten die Waffe vor den Augen Fremder verstecken können, ohne uns zu entlarven. Als würde Sie den erneut aufsteigenden Widerstand in mir spüren, während meine Augen sich auf das gefährliche Werkzeug festnagelten, versicherte sie mit einer inbrünstigen Eindringlichkeit in der Stimme:

„Es wird alles gut, Komm, wir müssen los", ehe sie die Waffe wie ein FBI Agent in Filmen gezielt an ihre Brust drückte und sich mit wachsamen Schritten und Blicken auf die Tür zubewegte. Ihre Körperhaltung schrie regelrecht danach: Stell dich mir in den Weg und ich schieße, ohne mit der Wimper zu zucken. Vielleicht war das der Grund, warum ich trotz meines Dranges diesen Raum zu verlassen nur zögerlich vorankam. Mit einer ernsten Miene ausgestattet, sah sie über ihre Schulter noch einmal in meine Richtung dann verschwand sie im Flur. Mich durch ein unsichtbares Seil mit ihr verbunden fühlend, spürte ich wie dies meinen Körper einen Ruck gab und ich einen großen Schritt und noch einen auf die Tür zu machte, bis... meine Augen die Ballmaske dicht vor mir auf dem Boden ausfindig machte. Florentinas Maske.

Kurz zögerte ich, dann ohne zu wissen was mich dazu verleitete, griff ich nach dem roten Band der Maske, klappte es zusammen und stopfte den zarten Stoff seitlich in meinen BH, den ich mir jetzt wieder ordentlich überstreifte. Auch machte ich mich auf dem Weg Richtung Flur daran das Kleid über meinen Oberkörper zu ziehen, da hatte ich aber schon im nächsten Moment Silvanas Lederjacke vor meiner Nase, die sie mir vor Tür auf mich wartend entgegenstreckte.

„Zieh das an", befahl sie mir und auch, wenn sie nicht zu mir hinsah, sondern die Umgebung im Blick behielt, war auch ihr nicht entgangen, dass das Kleid durch Iván Ausbruch an der vorderen Seite ausgeleiert und an einigen Seiten sogar teilweise zerrissen war. Meinen Ekel hinsichtlich des Blutes, das noch immer an mir haftete und das ich mit jeder Faser meines Seins an meinem Bauchnabel hinunterglitt, herunterschluckend, griff ich danach und zog mir diese über.

Denn gerade lautete mein Motto abzuschalten. Und genau das tat ich. Ich blendete die Stimmen aus, die aus den Nebentüren erklangen, das laute Gestöhne, das laute Poltern, alles. Allein darauf bedacht den Schritten von Silvana meine treuen Dienste zu erweisen, folgten meine Augen ihren Füßen und mein Körper schloss sich dieser Runde an.

Am Ende konnte ich nicht sagen, welche Wege, welche geheimen Gänge wir passierten waren, doch als wir schließlich durch eine Tür liefen und daraufhin kalte Luft auf mich einschlug, wusste  ich dass wir diesen Ort hinter uns gelassen hatte. Beruhigt atmete ich hingegen erst dann aus, als wir das Auto erreichten und Silvana mich hinten auf den Rücksitz beförderte, ehe sie sich auf den Beifahrersitz schräg gegenüber von mir hinsetze.

Sie drehte sich gerade in ihrem Sitz zu mir um, da öffnete sich die Fahrertür erneut und eine Männergestalt setzte sich vorne auf den Fahrersitz. Ich erschrak bei der Vorstellung es könnte sich dabei um ihn handeln derart, dass ich einen verängstigten Schrei herausstieß. Meine Hand befand sich schon an der Autotür und ich war drauf und dran mich aus dem Auto zu werfen, da aber unterbrach Tians Stimme mich von meinem irrsinnigen Vorhaben.

„Ich bin's."

Seine Augen fanden meine im Rückspiegel und ich konnte nicht sagen, woran es lag aber plötzlich war ich mir sicher, dass er im Bilde über Iváns krankhafte Obsession war.

Wie zur Bestätigung dessen fragte Silvana vorsichtig:

„Was ist mit ihm ?"

Tians Blick ruhte weiterhin auf mir. Und da wusste ich, wo Iván war... er war bei den anderen Frauen, bei Frauen, die mich... Moment Mal, das bedeutete, dass auch Tian mit angesehen hatte, was Iván trieb. Oh verdammt...

„Hey... ich rede mit dir !", sagte Silvana, doch Tian ignorierte ihre Frage gewissentlich indem er den Motor den Wagens anschaltete und losfuhr.

Die Dunkelheit war über uns angebrochen und stille machte sich breit. Silvana hatte von jeglichen Fragen abgesehen, auch wenn man ihr ansah, dass sie allmählich verstand, dass sie etwas übersah.

Schließlich hielt sie es nicht länger aus und drehte sich im Sitz nochmal zu mir, während ich aus dem Fenster sah.

Sprich mich nicht an, sprich mich nicht an.

„Hat... hat er dir weh getan ?", fragte sie  zurückhaltend, als würde ihr Leben von dieser Antwort abhängen und das machte mich urplötzlich so wütend, dass ich nicht bei mir halten konnte und meinen Kopf herumriss.

„Ob er mir weh getan hat ? Mir weh getan hat ?" Ich schnaubte verächtlich.

Tian, der meine Lage kannte, sagte ganz vorsichtig zu Silvana.

„Lass es gut sein", doch das tat sie nicht.

„Ich will dir nur...

„Helfen ? Weißt du eigentlich was das ist Silvana ? Kennst du dieses Wort und seine Bedeutung überhaupt ?" Mir war klar, dass ich äußerst gemein zu ihr war, aber beim besten Willen ich hatte es satt. Ich hatte es so satt, dass sie mich angeködert hatte und ich es ihr zu verdanken hatte, dass ich in dieses Land verschleppt worden war. Einem Land mit dem ich eigentlich meine Wurzeln und damit schöne Erinnerungen verbinden sollte... doch das würde niemals passieren, ich würde nie vergessen können, was ich in dieser Stadt alles erlebt hatte und das, ob sie es nun glauben wollte oder nicht, war auf Silvanas Mist gewachsen.

Nun verzog auch sie das Gesicht und zog die Stirn in Falten. Sie war wütend und zugleich auch verletzt von meinen Worten, aber das hielt mich nicht davon ab einen Halt hinzulegen. Nach diesem heutigen Horror konnte ich das einfach nicht:

„Wie kannst du nur, wie könnt ihr das zulassen ? Hast du je für die Gerechtigkeit gekämpft nur ein einziges Mal, Silvana ?"

Silvanas Augen blinzelten bei meiner letzten Frage auf und der mörderische Blick in ihren Augen sprach nun offenkundig aus, dass sie mich in dem Moment am liebsten an den Haaren gepackt hätte.

Oh, da hatte ich anscheinend einen wunden Punkt getroffen.

Doch ihre Gewalttätigkeit blieb aus. Stattdessen gab sie verbittert und mit rauer Stimme von sich:

„Ich, wir haben immer für die Gerechtigkeit gekämpft. Wir sind uns alle ähnlicher als du dir einzugestehen vermagst, Alington Mädchen", spuckte nun auch sie meinen Nachnamen mit solch einem Hass hervor, ehe sie sich umdrehte.

Ich hatte keine Kraft sie bezüglich ihrer Aussage auszuquetschen, sah keinen Sinn darin. Denn als sie sich nach vorne wandte, die Arme vor der Brust verschränkte und ebenfalls mit verbissener Miene aus dem Fenster starrte, wusste ich, dass das Gespräch für heute beendet war.

Als wir schließlich mitten in der Nacht das Haus betraten, sah ich nicht einmal zu den beiden zurück, sondern stürmte die Treppen hoch in mein Zimmer und entledigte mich aus dieser Kleidung, ehe ich mich in die Dusche begab. Wie lange das Wasser lief, wie lange ich das nicht mehr vorhandene Blut auf meinen Körper wegschrubte wusste ich nicht mehr, doch als ich das Wasser abstellte und die Nacht mich umfing, setze ich mich das weiße Schlafkleid über meinen Körper streifend auf die Fließen des Badezimmers und verharrte über Stunden in dieser Position, während die Wortfetzen in meinem Kopf immer lauter und lauter zu werden schienen.

Ich befand mich irgendwann in einem so großen Gedankenstrudel, dass die Ausgangssituation weder zu beschönigen noch zu leugnen war: Ich würde nicht entkommen. Ich war zu sehr in diese Sache hinein verwickelt, als dass sie mich gehen lassen würden.

Doch irgendetwas muss es geben, dachte ich verbissen. Irgendetwas, dass du gegen ihn verwenden kannst. 

Aber was?

Unwillkürlich musste ich an Sanjana denken. Wäre meine beste Freundin in diesem Moment bei mir, würde sie wieder tadelnd die Augen verdrehen und mich als Spätzünder beschimpfen und dann...

Meine Gedanken legten einen Stop ein. Sanjana...

Oh mein Gott, natürlich !

Ohne darauf acht zu geben, dass ich beinahe über mein Nachtkleid gestolpert wäre, stürmte ich auf das Waschbecken zu und öffnete den kleinen Schrank der sich darunter befand. Als ich nach einem Schnelldurchlauf triumphierend die Haarnadel in der Hand hielt, stürmte ich aus dem Zimmer, ehe ich mich im langen Flur sowohl links als auch rechts umsah und dann auf die Nebentür trat.

Dies war nämlich die einzige Tür, die an meinem ersten Tag verschlossen gewesen war und es weiterhin ist, flüsterte ich als ich am Türknauf rüttelte, aber sie sich immer noch nicht öffnen ließ.

Verschlossene Behältnisse hüten immer ein Geheimnis.

Also gut.

"Augen zu und durch Amalia", sprach ich mir Mut zu und dann ging ich Sanjanas damalige Anweisungen Schritt für Schritt durch. 

Gerade als ich dachte, dass mir ein Fehler unterlaufen war, ertönte schließlich das erlösende Klick Geräusch. Die Tür schwang auf und ich trat in die Dunkelheit hinein.

In diesem Augenblick war es kaum zu überhören. Die wehklagenden Laute meiner Gedanken attackierten meine Psyche. Sie glichen einem Sturm, der sich allmählich aufbrauste und mich wie an einer Schnur gebunden langsam in einen Tornadowirbel mit sich zu ziehen intentionierte. 

Tu es nicht, verschwinde von hier. Sofort. 

Konnte ich dieser Warnung glauben? Oder verhöhnten sie mich, weil sie meinen Untergang genauso verheißungsvoll erwarteten wie er. Beim bloßen Gedanken an ihm bröckelte mein standhafter Wille meinen Plan durchzuführen gewaltig. Instinktiv trat ich wieder einen Schritt zurück und sah mich in diesem dunklen Zimmer um. Die Stille, die Leblosigkeit, die dieser Ort ausstrahlte, hatte etwas Unheilvolles an sich und auch wenn ich mir sicher war, dass das vielleicht der Einzige weg war um an Hinweis zu erlangen, so war ich mir just nicht mehr sicher, ob ich das wollte.

Doch dann als hätte mein Überlebensinstinkt meine Schwäche bemerkt, folterte es mich mit den Bildern in meinem Kopf... mit den Ereignissen, die geschehen waren als er und ich alleine gewesen waren. Ich zuckte zusammen, presste Augen und Lippen so fest aufeinander um die Bilder aus meinem Gedächtnis zu streichen. Seinen heißen Atem, seinen unter der Schweißschicht deutlich hervortretenden Duft... seine Berührungen. Ein Donnerschlag erfasste mich auch wie in der Sekunde als er den Gürtel vor mir am Bett stehend hatte aus seiner Hand fallen lassen und mein Körper bebte von meinen Schultern abwärts bis zu den Zehen.

Du musst das tun, wiederholte ich die Mantra in dem Bemühen meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen. Als mir dies schließlich gelang öffnete ich die Augen und meine Hände, die sich unbewusst zu Fäusten geballt hatten, erschlafften. Er ist nicht hier... er wird die ganze Nacht unterwegs sein, dachte ich mir weiterhin, ehe ich viel zu spät bemerkte, dass dieser Gedanke eher kontraproduktiv war. Er war immer noch bei ihnen... diesen Frauen.

Wie weit würde er gehen? Würde er das, was er mit mir in diesem Zimmer angefangen hatte dort ausführen? Ich spürte, wie ich drohte umzukippen, hätte ich mich nicht im letzten Moment an einer Wand abgestützt in dessen Nähe ich zum Glück stand. Auch jetzt nach einigen verstrichenen Sekunden in denen ich mich wieder gefangen hatte, suchten meine Augen nach einem Lichtschalter. 

Dieses Zimmer konnte doch nicht aus dem Grund abgeschlossen sein, weil es hier kein Licht gab. Genau in dem Augenblick als mich die Fragen, um diesen Ort einzuholen und sich auf mich zu stürzen drohten sah ich es. Beim Überqueren der Türschwelle hatte ich eine frontalte Sichtweise gehabt, sodass ich den daran anschließenden Nebenraum nicht gesehen hatte, aus dem so wie es schien eine kleine Lichtquelle hervor ging. Darauf bedacht keine auffälligen Schritte zu betätigen und nichts an Ort und Stelle zu bewegen, was meinen Einbruch später entlarven könnte, tapste ich sehr mühsam nach vorne und wich jedem einzelnen Möbelstück sofern meine Sicht es in der Dunkelheit es zuließ aus. 

Vor dem Türrahmen des Nebenraumes blendete mich ein kleiner Lichtstrahl und Hoffnung keimte in mir auf, als ich eine kleine nackte Glühbirne über einen Wandtafel gegenüber von mir herunterbaumeln sah. Dies zog mich derart, wie die Motte das Licht an, dass ich nicht weiter darauf achtend eiligen Schrittes barfuß nach vorne eilte. Mein Nachtkleid schwang hinter mir her und ein kalter Windzug bescherte mir eine Gänsehaut, doch diese waren nur nebensächliche Faktoren als ich schließlich vor dem so wie ich nun erkannte Arbeitsplatz angekommen war. Die Wände waren, wie ich anhand der spärlichen Beleuchtung erkennen konnte kahl und wirkten trostlos. Vor mir war an die Wand eine große Pinnwand eingebracht sowie ein davor geschobener Schreibtisch auf dem sich völlig zerstreut verschiedenste Materialien befanden.

Es sah aus als hätte sich eine Bombe inmitten derer eingenistet und wäre irgendwann vor nicht allzu langer Zeit hochgegangen; es war derart chaotisch, dass meine Augen nicht genau wussten welches Detail sie sich als erstes widmen sollten, bis die Headline eines alten schon beinahe verblichenen Zeitungsartikels meine Aufmerksamkeit erregte. Ladrón ragte es in Großbuchstaben auf der Seite hervor. Die Buchstaben sowie der Artikel, den ich noch nicht gelesen hatte, rückten in den Hintergrund als ich einen Mann in Handschellen auf dem Foto erkannte, der vor einem Podest stand. Das Bild war sehr unscharf, aber es täuschte nicht darüber hinweg, dass es sich dabei um einen Gerichtssaal handeln musste. In dem Moment als ich die Augen zusammenkniff, riss ich sie auch gleich wieder auf, denn mein Blick war auf eine weitere Gestalt in diesem Bild gefallen. Papá.

Und dann sah ich auch was ich da in den Händen hielt und ich ließ erschrocken das Blatt fallen.

Die Gerichtsverhandlung seines Vaters... 

Mein Atem legte eine steile Kurve hinab und ich presste meine Hand auf meine Brust; als könnte ich dadurch hinbekommen, dass mein Herzschlag wieder ein gleichmäßiges Tempo hinlegen würde, aber das tat es nicht. Stattdessen blitzten einzelne Wörter aus den verschiedenen Blättern vor meinen Augen hervor: Betrug, Schuldig, Verurteilung, lebenslange Haft... Ich schloss die Augen, als mir wieder einfiel, was ich ihm vor nicht allzu langer Zeit noch an den Kopf geworfen hatte: „Ich bestehle meine Familie nicht. Dieses Gemälde gehört meinem Vater. Ich bin keine Diebin." Ich bin keine Diebin... doch er hatte mich zu einer gemacht. Meine Hand wanderte automatisch zu meinem Hals als ich spürte, dass es mir allmählich an Sauerstoff mangelte. Ich hatte dieses Gemälde stehlen müssen, weil er mich in die Position seines Vaters stellen wollte... er wollte mich genau da haben, wo sein Vater auch gestanden hatte, aber warum ?

So sehr ich mich auch anstrengte ich kam auch jetzt nicht auf den ausschlaggebenden Knackpunkt. Plötzlich wurden die Gedanken, die Zweifel, die hinterlistigen Stimmen in meinem Kopf zu viel. Wie blind tastete ich mich durch die Blätter in der Hoffnung doch noch etwas zu finden, was die dauerhaften Zweifel in meinem Kopf vertreiben konnte. Ich war nicht auf seiner Seite... nein, das war ich nicht. 

Aber du fängst an die vorliegenden Tatsachen zu hinterfragen, Amalia sprach eine innere Stimme auf mich ein. Verdammt diese Stimmen mussten aufhören ! Das Blut rauschte mir in den Ohren und nur mit knapper Not hielt ich mich noch am Türgerüst fest, als ich die untere Schublade des Schreibtisches öffnete. Es muss doch etwas geben, dass... Ich hielt inne, als ich das innere dieser quadratförmigen Fläche vor Augen hatte. Lider auf, zu, auf, zu... Doch die Gegenstände verschwanden nicht. Dann, ganz vorsichtig streckte ich die Hand danach aus und erfasste die Umschläge und Pässe... verschiedenste Pässe. 

Ich überflog sie ganz schnell und stellte fest, dass alle ihm gehörten... aber was... was um... Danach wanderte mein Blick zu dem Gegenstand, dass so groß wie meine Handinnenfläche war und als sich das kalte, schwere Gerüst an meine Haut schmiegte, schnappte ich laut nach Luft. Ich tat alles um nicht aufzuschreien als ich die Handfeuerwaffe anhob und sie von allen Seiten aus begutachtete. 

Waffen zerstören Leben Amalia... Leg sie hin, verdammt leg das scheiß Ding weg. Doch ich konnte nicht. Irgendetwas an dieser Waffe sorgte dafür, dass ich den Blick nicht davon abwenden konnte, denn ganz tief in mir spürte ich, dass es keine normale Waffe war.

Wie selbstständig fuhren meine Finger über die kalte Fläche, bis sie an einer kleinen Stelle ankamen, an der sich eine kleine Gravur befand. PNC Ich runzelte die Stirn. PNC? Gerade wollte ich die Schublade schließen, um die untere zu öffnen, als ein kleines Rascheln wieder meine Aufmerksamkeit erregte. Ich bückte mich runter und erkannte, dass ein Gegenstand nach hinten gerückt war. Ich schob die Hand zwischen die Spalte und zog es nach vorne, sodass es dabei dem Licht der Glühbirne begegnete und dies war der Moment, als ich es erkannte und die Waffe in meiner Hand mit einem klirrenden harten Laut auf die Tischplatte fiel.

Das kleine Ding in meiner Hand schimmerte golden grün auf, doch die Schrift darauf war unverkennbar leserlich. Repulica de Comlombia... Meine vor Panik immer größer werdenden Augen wanderten eine Zeile runter, ehe ich auch den unteren Schriftzug las. 

Dann wurde mir erst wirklich bewusst, was ich da in der Hand hielt. Es war eine Marke. 

Er... Er... 

Erkenntis durchzuckte mich wie ein Blitzschlag und dann entfloh ein kaum merkliches Flüstern meine Lippen. 

„Er ist Polizist." 

„Nein, ich war Polizist", ertönte es dicht hinter mir.

Eh... Ja hi ?
Ich weiß nich ob noch jemand da ist. Ich weiß auch nicht, ob noch jemand genauso austicken wird wie ich, aber ich bin glücklich darüber, dass ich endlich wieder ein Kapitel posten konnte. Das Kapitel beinhaltet über 16.000 Wörter und ich hoffe inständig, dass es euch gefallen hat, auch wenn ich wirklich nicht weiß ob ich noch Leser habe 😅

Außerdem möchte ich euch bitten Fragen wie: 'Schreibst du an der Geschichte nicht mehr weiter?' zu unterlassen. Ich schreibe DEFINITV an dieser Geschichte weiter, aber ich neige mich den ganz großen Prüfungen meines Studiums zu, also kann es wirklich etwas länger dauern bis ein neues Kapitel kommt. Ja, ich verstehe euch natürlich ebenfalls und Wartezeiten sind wirklich unangenehm, aber mein Studium und mein Privatleben gehen vor und ihr könnt euch sicher sein, dass ich mich bemühe schneller zu schreiben; nur hatte mich in diesem Falle zu meinem Zeitmangel auch noch eine Schreibblockade heimgesucht gehabt.

Ich hoffe euch geht es soweit so gut.

Und jetzt, lasst uns bitte über Iván reden. Ich warte schon sooo lange darauf dieses Geheimnis mit euch teilen zu können 😂

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