◆10| N a k e d◆

Aber ihr Männer, ihr schüttet mit eurer Kraft und Begierde auch die Liebe zugleich in den Umarmungen aus!

|Johann Wolfgang von Goethe|


2  M o n a t e  s p ä t e r:

Kälte, Wachsamkeit, belebende Stärke. Ein lauter Widerstand kämpfte gegen mich an, als ich mich mit Kraft auf meine wellenartigen Beinbewegungen konzentrierte und gegen das kalte Wasser ankämpfte, das meine Haut durchschnitt je weiter ich mein Tempo erhöhte. Nach einigen starken Beinzügen, die ich zusammengepresst und im gleichmäßigen Einklang praktiziert hatte, hob ich unter dem Wasser meine Arme an und vollführte kreisende Bewegungen, die im 180 Winkel von unter Wasser an die Oberfläche und von dort erneut in die tiefen Wellen verschwanden.

Um nach Luft zu schnappen, hob ich meinen Kopf während dieser Bewegungen einige Mal an die Wasseroberfläche, sodass ich zügig eine weitere Bahn Delphinschwimmen hinter mich brachte, als ich aufgrund meiner lang ausgestreckten Armbewegungen mit den Fingerspitzen die harte Platte des Sprungbrettes zu ertasten bekam und anhielt. Ich stützte mich mit den Händen am Becken ab und atmete tief aus, derweilen ich mir die nassen Haarspitzen, die mir just im Gesicht klebten, nach hinten schob und mir die Sicht freiräumte.

Ich liebte dieses Gefühl der Freiheit, welches mir das Schwimmen schon von Kindesalter an bot und war mehr als froh darüber, dass wir in der untersten Etage unseres Hauses eine Schwimmhalle errichtet lassen hatten. Trotz dessen wurde sie nicht wirklich von meiner Familie ausgekostet, sodass ich mich hier in Ruhe des Öfteren zurückziehen und bei einigen unspecktakulären Schwimmübungen meine Gedanken freien Lauf lassen konnte.

Das Schwimmen war mein Gebiet gewesen, denn immer schon hatte ich mich dem Wasser sehr verbunden gefühlt. Als kleines Kind hatte mich Mamá, insbesondere auf Papás Wunsch hin, in einem Verein angemeldet, um diese Gabe dann zusätzlich zu fördern.

Ich liebte das kitzlige Gefühl, wenn ich meine Armbewegungen vollzog und die Wasserstrahlen, welche die Zwischenräume meiner Finger passierten. Ich liebte das schöne tanzende Gefühl der Wellen um meinem Körper herum, liebte die Schwerelosigkeit, die unter Wasser Besitz von mir nahm und ich liebte die Stille, sobald ich abgetaucht war. Nichts, rein gar nichts unterbrach diese Stille, durch die ich mich langsam entspannte.

Was ich aber keineswegs liebte, waren die Wettbewerbe, an denen ich schließlich Jahre lang teilnehmen musste, als nach einigen intensiven Leistungsüberprüfungen meine Zeiten gemessen und diese sich als überdurchschnittlich gut herausgestellt hatten. Medaille um Medaille brachte ich mit nach Hause, um die gewünschte Aufmerksamkeit von Papá zu bekommen, aber das Fokussieren auf die potenziellen Konkurrenten und der davon ausgehende Druck in dem Alter hatten meine ganze Freude fürs Schwimmen schleunigst in Beschlag genommen. Ich wusste bis heute nicht, ob es dem Schicksal zu verdanken war, dass mir mit sechs dann durch meine damals noch etwas kritischer verlaufenden und häufiger auftretenden Asthmaanfällen, Turniere und Wettbewerbe, die mich zu sehr belasten könnten, vom Arzt untersagt wurden. Papá war natürlich über diese neuen Informationen weniger erfreut gewesen. Ich hingegen hätte nicht erleichterter sein können. Schließlich war das Schwimmen in erster Linie nur ein Hobby, was mir Spaß bereitet hatte. So blieb es seitdem auch weiterhin.

Beinahe friedlich fühlte es sich an, als sich mein Körper nun sanft den Wellen hingab und wie immer musste ich bei der Erkenntnis lächeln, dass ich keine Wettbewerbe brauchte um erfolgreich und gut genug zu sein. Das Wasser und ich waren eins. Wir waren schon lange dazu bestimmt miteinander zu harmonieren.

Gleichmäßige Atemzüge vollführend, blickte ich auf, als ich die Metalltür, die zum Treppengeländer und den Aufzügen führte, aufquitschen hörte und Jeffrey begegnete, der wie eh und je in seinem schicken Anzug und der Fahrermütze ausgestattet auf mich zuschritt. Dabei machte er einen weiten Bogen um die Liegestühle, um nichts von der Nässe abzubekommen und sich somit seine Arbeitskleidung nicht zu ruinieren. Wie immer ganz der vornehme Mann. Das war von ihm nicht anders zu erwarten.

«Guten Morgen Miss Alington, wie Sie mich zuvor darum gebeten haben, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass wir 6.30 Uhr haben. Ich wollte Ihnen rechtzeitig Bescheid geben, damit Sie noch genügend Zeit haben sich umzuziehen, bevor wir uns auf den Weg machen müssen.»

Ich blickte mit klitschnassen Harren, die von meinen Haarspitzen über mein Gesicht tropften zu Jeffrey hoch und lächelte ihm freundlich zu, ehe ich die kleine Treppe abseits des Beckens nahm und aus dem Pool ausstieg. Mit geneigtem Kopf kam dieser, einen vornehmen Abstand zu mir haltend, auf mich zu und hielt mir mein Handtuch entgegen, welche ich auf die Chaiselongue gelegt hatte, um mich später damit abtrocknen zu können.

Ich bedankte mich bei Jeffrey und wickelte dann anschließend das Handtuch schnell um meinen marineblauen Badeanzug. Anschließend strich ich meine Haare zur Seite und durchwühlte sie dezent mit den Fingerspitzen damit sie nicht verknoteten. Als ich hingegen bemerkte, dass Jeffrey immer noch mit geballten Fäusten vor mir stand und zu Boden starrte, runzelte ich die Stirn und hielt inne.

«Gibt es sonst noch etwas, Jeffrey ?»

Peinlich berührt hob er den Blick, ehe er diesen beschämt von mir abwandte. Er wirkte nervös, fast schon schien es ihm unangenehm zu sein seine nächsten Worte laut auszusprechen.

«Ich weiß nicht wie ich anfangen soll Miss Alington. Es ist folgendes mhh... Ihr Vater hat Mr. Raúl letzte Woche ausdrücklich zu verstehen gegeben, dass er nicht wieder zu spät in der Kanzlei zu erscheinen hat und... angesichts der Tatsacche, dass er gestern Abend nicht nach Hause kam, an einem Wochenende da...», Man konnte Jeffrey ansehen, wie furchtbar unwohl ihm die ganze Situation war und wie ernsich wirklich darum bemühte angemessene Worte für Raúls Fehlverhalten zu finden, ohne ihn in irgendeiner Weise zu beleidigen. Doch er brauchte gar nicht mehr weiter zu sprechen, denn ich wusste auf Anhieb worauf er hinauswollte.

Es war schließlich kein streng gehütetes Geheimnis, dass Raúl an den Wochenenden immer wieder den Löwen aus dem Käfig rausließ und da heute der Montag angebrochen war, wie Jeffrey ebenso festgestellt hatte, war es also ebenso wenig verwerflich, dass er solcherlei Gedanken hegte. Zumal er mit seinen Vermutungen auch ganz bestimmt nicht falsch lag. Raúl hatte sich gestern Nacht nicht irgendwo auf dem Weg nach Hause verirrt, ganz im Gegenteil, wieder einmal war es womöglich auf einer der unzähligen Partys, die er schmiss. Verärgert atmete ich tief aus, da ich insgeheim eine leise Vorahnung hatte, wo ich ihn finden würde.

Dankbar fasste ich Jeffrey am Arm und schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln.

«Ich danke dir, Jeffrey. Es war auf jeden Fall richtig damit zu mir zu kommen. Bitte gib Blanca Bescheid, dass sie gleich einen Anzug von Raúl, passend dazu eine ordentliche Krawatte und seine Schuhe in den Wagen deponieren soll. Du kannst ebenfalls schon Mal den Motor starten. In knapp einer halben Stunde können wir los.»

Mit diesem Satz steuerte ich nun doch nicht die Treppen, sondern schnurstracks den Aufzug an. Während ich beim Vorbeilaufen mein Handy von der Chaiselongue nahm und diese anschließend an mein Ohr hielt, nachdem ich eine Nummer wählte, bewegte ich meine Schultern in kreisenden Bewegungen hin und zurück, damit die Anspannung nicht erneut Besitz über meinen Körper nahm.

Mit dem Abheben auf der anderen Seite der Leitung, fragte ich schließlich geradewegs monoton:

«Hi, hier ist Amalia Alington. Wo fand gestern die Party statt ?» Mit diesen Worten setzte ich meine ersten Schritte in den Aufzug und wusste jetzt schon, dass ein anstrengender Tag auf mich wartete.

***

Mit weniger entspannter Haltung in den Tag startend, stieg ich aus dem Auto aus, nahm den Anzug und die Lackschuhe in der Tüte zur Hand, wobei ich meine Handtasche schulterte und blickte auf das große Anwesen vor mir. Ich war heute extra früh aufgestanden, um eine Runde schwimmen zu gehen und meine Sinne frei zu schalten, da ich in weniger als zwei Stunden an der Uni sein und meine Klausur fürs Familienrecht ablegen musste, welche ich bewusst dieses Semester vorgezogen hatte. Anstatt, dass ich also ganz bequem in der Uni ankam und mit Sanjana noch in Ruhe frühstücken konnte, hatte ich Jeffrey bitten müssen einen Umweg einzulegen, sodass wir just vor dem Haus der Howards zum Halt kamen und ich mich darauf wappnete meinem liebsten Bruder einen kleinen Besuch abzustatten.

Bereits beim Überqueren des prachvollen Gartens mit dem antiken Springbrunnen, der sich gegenüber der Haustür erstreckte, erblickte ich zugleich mit Bestürzung, dass  einige rote Becher auf dem Rasen verstreut vorlagen. Außerdem nahm ich unter ihnen ebenfalls die ersten Gestalten wahr, die auf dem ordentlich gemähten Rasen lagen und vor sich hin schlummerten. Als dann kurz vor der Haustür hingegen ein fast nackter Kerl vor mir lag, dessen Prachtstück nur von einer überdimensionalen Piñata bedeckt wurde, riss ich erschrocken die Augen auf und schnappte empört nach Luft.

Was war das gestern nur für eine Party gewesen ?

Beinahe gab ich mich der Versuchung hin mich einfach umzudrehen und wegzulaufen bevor ich die Höhle des eigentlichen Geschehens betrat. Noch war es nämlich nicht zu spät !

Vorsichtig trat ich aber dennoch einige Schritte nach vorne, wollte ich dabei zumindest sicher gehen, dass der blonde junge Mann vor mir nicht an seinem eigenen Erbrochenen oder dergleichen erstickt war. Als ich daraufhin schließlich den alkoholischen Geruch beim nach vorne bücken und seinen gleichmäßigen Atem ausmachen konnte, stand die Diagnose fest:

Sturzbetrunken, aber immer noch halbwegs am Leben.

Die Nase vor diesem ekeligen Gestank rupfend, stieg ich, bedacht dabei nicht in irgendwelche seiner Körperteile zu treten, die gleichmäßigen Stufen des Treppengeländers der Haword Villa hoch und klopfte leise an die Tür. Wie zu erwarten machte die Haushältern Susi diese auf und lächelte mich an.

«Guten Morgen, Miss Alington.» Ein unsicheres Lächeln ihrerseits erfolgte, denn sie war es gewesen, die ich vor einer Stunde circa angerufen hatte, als ich die Vermutung hatte, wo genau Raúl diese Party schmiss. Mein Instinkt hatte mich wie immer nicht in Stich gelassen, dachte ich mir, als Susi mir den Aufenthalt der Jungs bestätigte.

«Hallo Susi. Entschuldige, dass ich um diese Uhrzeit schon störe», gab ich leicht zerknirscht von mir, woraufhin sie nur mit einer wettmachenden Handbewegung erwiderte:

«Die Party der Jungs hat erst fast vor einer Stunde geendet. Also können sie sich im Klaren darüber sein, dass wir alle schon längst auf den Beinen sind. Wer sonst sollte all diese Unordnung rechtzeitig beseitigen ?»

Obwohl Susi einen Witz gerissen hatte, um meinem schlechtes Gewissen Einheit zu bieten, hatte sie kaum bemerkt, dass sich bei ihren Worten zusätzlich ein Schatten über mein Gesicht gelegt hatte. Das war nämlich genau das, was ich nicht hören wollte und was ich insgeheim die ganze Autofahrt bis hierhin befürchtet hatte. Raúl hatte es Mal wieder übertrieben. Na wunderbar !

Ohne auf ihre Bemerkung einzugehen, umfasste ich meine roséfarbene Handtasche, griff in meine zur Seite gelockten Haare rein, nur um meine Anspannung zu überspielen und fragte höflich:

«Wo finde ich die Jungs ?»

«Die dritte Tür links im Arbeitszimmer Miss», bedeutete sie mir mit der Hand und trat einige Schritte zurück, damit ich endlich hereintreten konnte.

Der Eingangsbereich war recht klassisch eingerichtet. In einem eleganten und stilvollen Mindton dekoriert, wirkte es recht betörend und sehr einschüchternd, als man die schmale Eingangshalle passierte auf dessen beiden Seiten jeweils drei Türen angewinkelt waren, die zu verschiedenen Zimmern oder Räumen führten.

Als ich mit vorsichtigen Schritten einen Fuß nach dem anderen setzte, konnte ich zunächst einmal nichts Außergewöhnliches und auch keine Anzeichen der gestrigen Party ausmachen.

Kunstvolle Skulpturen und tonnenweise schwere antike Holzgegenstände zierten die royalhaft gehaltenen Wandtapete, die durch den riesigen Kronleuchter über mir unterstrichen wurde.
Ich kam kurz zum Halt, als ich einige Bilderrahmen auf der Glasvitrine thronen sah, die genau in der Mitte des Raumes stand. Mr. Howard Augen stachen mir unmittelbar entgegen, als er auf dem Familienfoto mit Jon und Mrs. Howard abgebildet war. Es war eines, welches auf einer Spendengala geschossen wurde, dachte ich mir, danach urteilend wie er sich aufgebrezelt hatte. Diesem Anblick nicht weiter standhalten könnend, drehte ich den Kopf zur Seite und wandte mich von den erschreckenden Bildern ab, die beim Anblick seiner Augen wieder in meinen Gedanken herumlungerten.

Es zerbrach mir immer noch das Herz mir eingestehen zu müssen, dass diese glückliche Familie auf dem Bild nach dem Tod von Mr. Howard nicht mehr existierte. Dieser Anblick glich einer Folter gleich.

Eine Gänsehaut umgarnte mich wie die klebrige Haut einer leise zischenden Schlange. In dieser großen Villa war kein Leben mehr vorhanden. Nur die Bediensteten waren anwesend und Jon.

Mrs. Howard, die seit dem Tod ihres Ehegatten den Hauptteil der Firmen übernehmen musste, stürzte sich ausschließlich auf die Arbeit und versuchte dadurch ihren Kummer zu verdrängen. Jon, der sozusagen dabei ein zweites Mal verlassen wurde, auch seitens seiner Mutter, die sich komplett zurückgezogen hatte, blieb letztlich nur noch in der Obhut von Raúl. Ob das einem Segen glich, schien ich strikt zu bezweifeln, doch da sie damals in der berühmtesten Footballmannschaft unsere Schule die großen Stars waren, hatte sich im Laufe der Jahre eine Freundschaft zwischen den beiden angebahnt, die noch bis heute anhielt. Auch hatte natürlich die familiäre Bindung und die gemeinsamen Freundeskreise zu einer Zusammenkunft der beiden geführt.

Raúl, der also nichts besseres zu tun hatte, weil er selbst mit der ganzen Situation nicht klar kam, indem er seit zwei Monaten neben der Uni auch noch in Papás Kanzlei arbeiten müsste, hatte sich den raffinierten Plan zurecht gelegt seine eigene kleine Partyhütte in der prächtigen Residenz der Howards zu errichten. Ganz still und wachsam, bis die Lichter am Wochenende angingen und er mit Jons Erlaubnis eine Party nach der anderen veranstaltete, um seinen Kumpel 'auf andere Gedanken zu bringen', wie er immer wieder überzeugt vor sich hin lallte, wenn er Mal wieder zu viel getrunken hatte.

Raúl war ein guter Schauspieler. Hinter seinem teuren Parfum und den Zitronenbonbons, die er einen nach dem anderen einnahm, um seinen bewipsten Zustand und die Alkoholfahne in Papás Gegenwart oder in der Kanzlei überspielen können, steckte eine gut durchdachte Taktik dahinter. Was er aber auf der einen Seite gut zu kaschieren wusste, zerstörte er auf der anderen Seite hingegen damit, dass er Papás Zorn durch sein permanentes zu spät kommen magisch auf sich zog. Papás Geduldsfaden neigte sich unmittelbar dem Ende zu. Denn wenn Raúl heute erneut eine späte Ankunft darlegte, dann war's das für ihn.

Seine Kleidung hatte Blanca für mich behutsam in eine Tüte gepackt, sodass ich diese schulterte und meinen Weg zielstrebig fortsetzte, ehe ich bereits vom weiten ein lautes Gelächter an den Wänden widerhallen hörte. Meine Schritte betätigte ich langsamer, als ich aus dem Augenwinkel erkannte, dass die zuvovon Susir angedeutete Tür offen stand.

Aufseufzend überbrückte ich diese Distanz, ehe ich am Türrahmen stand und einen Blick in das innere des Raumes warf. Als ich das  dunkle Holz vor mir sah, aus denen der Tisch fein geschützt würde und die Schränke an den Wänden, die bis zur Decke reichten in denen Enzyklopädien und Memoiren reihenweise aufgestapelt waren, hielt ich mich nur schwer zurück um nicht bewundernswert und zugleich auch irritiert einen faszinerten Ausspruch von mir zu geben. Es stellte sich heraus, dass es das Arbeitszimmer von Mr. Howard war in dem er und Papá sich die meiste Zeit über verschanzt hatten, wenn wir bei den Howards zum Essen eingeladen waren.

Meine Bewunderung über das ordentlich eingerichtete und extravagante Arbeitszimmer, wandelte sich jedoch im nächsten Moment in pure Verärgerung um, als ich nach genauerem hinsehen die Unordnung ausfindig machen konnte, die jeden Winkel des Arbeitszimmers eingenommen hatte. Einige Blätter lagen wahllos auf dem Boden, die von einem dicken Ordner auf dem Tisch runter gefallen waren. Lauter kleine Schachbrettfiguren waren ebenfalls auf dem Boden zerstreut. Und als ich dieser Spur mit meinen Augen folgte, bekam ich einen halbnackten Körper auf dem Teppich darunter liegen sehen, der zu meinem Glück, abseits seines Bauchnabels mit einem Gardinenstoff bedeckt war. Am liebsten hätte ich laut aufgeschrien, als ich diese Haare erkannte und diese Hände, die eine Wodkaflasche fest in den Händen umschlungen hielten.

Und in diesem Moment konnte ich nicht anders, als ebenfalls an mir runter zu blicken und mir diesen Kontrast zwischen uns beiden ein für alle Mal einzugestehen.

Raúl und ich waren zwei Welten, zwei komplett unterschiedliche Menschen, dachte ich mir und erinnerte mich an die vielen Male zurück, wo man Raúl und mich bereits als kleines Kind miteinander verglichen hatte. Raúl hatte es nie gefallen, wenn er mit Elias, aber insbesondere mit mir, einem Mädchen, verglichen wurde. Heute aber, Jahre später verstand ich erst, was viele unserer älteren Verwandten und Freunde gemeint hatten. Während ich einem geordneten Plan nachging, gleich meine Prüfung hinter mich bringen würde um mich danach meinem Alltag zu widmen, schaute Raúl Löcher in die Luft und badete in einem völligen Chaos. Mein ordentlicher Hosenanzug und die schlichte Bluse, die ich heute ausnahmsweise trug und die mich etwas strenger wirken ließ, bildete ein ganz entgegen gesetztes Bild zu Raúls Nacktheit dar.

Ich wollte gerade enttäuscht den Blick von ihm wenden, da zog eine andere Person meine Aufmerksamkeit auf sich und ich horchte auf.

Jon lehnte an einer Kommode direkt vor Raúl, der immer noch auf dem Boden schlummerte. Im Gegensatz zu ihm war Jon hingegen ausnahmsweise angezogen. Die Haare waren zwar verwuschelt und auch sein Hemd war aufgeknöpft, doch nichts weiter als die tiefen dunklen Augenringe wiesen darauf hin, dass auch er eine harte Nacht hinter sich hatte. Lässig lehnte er sich gegen die Kommode, hielt einen kleinen Ball in der Hand fest und warf ihn immer wieder leicht nach oben anschließend er ihn auffing. Ich konnte, so sehr ich es auch wollte meinen Blick nicht von ihm wenden. Der unbeschwerte Junge von vor zwei mehr als zwei Monaten war verschwunden und an Stelle von ihm erblickte ich einen jungen Mann, den ich kaum wieder erkannte.

Jons Attraktivität kam indes zwar deutlich mehr zutage, denn den strikte Geschäftsmann, den er seit jeher darlegte, schien vielen jungen Mädchen den Kopf zu veerdrehen. Wenn man jedoch genauer hinsah, viel tiefer, da wusste man, dass der sorglose Junge geplagt war von quälendem Seelenschmerz. Seine Augen strahlten nicht mehr dieselbe Wärme aus wie zuvor, sein ehrliches und aus dem Herzen kommendes Lächeln hatte ich seit jeher nicht mehr gesehen. Ich schluckte hart und lehnte mich mit einer plötzlichen Schwere in der Brust weiter an den Türrahmen, bis ich unten vom Teppich ein Brummen hörte. Raúl, der immer noch fast nackt auf dem Boden lag, hatte sich die Hand aufs Gesicht gepresst und verzog das Gesicht, ehe er langsam wach werdend aufmurrte.

«Boah... war das 'ne krasse Nacht, bro»

Jon, der über ihm stand, schmunzelte, über den sich bemerkbar machenden Karter von Raúl aus der letzten Nacht auf und warf kleinen Ball erneut in die Höhe, ehe er den Blick auf Raúl richtete:

«Das glaube ich dir aufs Wort. Man hat euch trotz der zahlreichen Gespräche und den lauten Bässen gehört. War das echt nötig es auf diesem Teppich zu treiben Raúl ?", murmelte er, was dazu führte, dass sich Raúls Brust vor Erheiterung hoch und runter bewegte.

«Cindy ist praktisch über mich hergefallen. Wäre es dir lieber gewesen, wenn ich sie auf dem Pult deines Vaters gevögelt hätte? Und außerdem: wenn dir jemand so gut einen geblasen hätte, wärst du auch nicht still geblieben. Ich wusste gar nicht, dass Cindys kleiner Mund solche Sachen drauf hat», sagte Raúl und gab noch Mal einen genüsslichen Laut von sich, wie als würde er gerade wieder an diesen Moment zurückdenken.

Doch was mich noch mehr bestürzte war, dass Jon nicht wie erwartet darauf reagierte. Sein erheitertes Lachen hallte an den Wänden wieder und ging mir durch Mark und Bein, als ich bei diesem Anblick realisierte, dass auch Jon nicht ganz bei Verstand war. Auch er hatte getrunken, viel zu viel, als dass es ihm guttat. Fest klammerte ich meine Finger in das Holz ein, um bei diesem grässlichen Anblick, nicht die Fassung zu verlieren.

Raúl stimmte augenblick dem Lachen von Jon ein, ehe er  den Nacken mit geschlossenen Augen nach hinten warf und lauthals losprustete.

«Sie hat meinen stocksteifen Schw....»

Sein Lachen verstummte, seine Worte blieben unvollendet, als seine glasklaren blauen zum Vorschein kamen und seine Augen sich auf meine Schuhe verfestigten, ehe er auf dem Rücken liegend mit seinen Augen langsam meine Beine hinauf wanderte. Die Lässigkeit fiel derweilen sein Blick immer weiter nach oben wanderte. Ich wippte von einem Bein auf den anderen und verschränkte, die absolute Abneigung demonstrierend, meine Arme vor der Brust.

Raúls Augen weiteten sich und laut fluchend blickte er blitzschnell runter auf seinen entblösten Körper. Als er mit Erleichterung feststellte, dass sein Freund da unten, bedeckt war, ließ er sich tief Luft holend nach hinten fallen, anschließend er sich mit den Armen aufstemmte und in meine Richtung blickte. Auch Jon war seinem Blick gefolgt und als er mich sah, machte sich Entsetzen in seinen Zügen breit. Er stellte sich augenblicklich aufrecht, ein völliger Kontrast zu der unbekümmerten schlampigen Haltung von gerade eben.

Meine Blicke wanderten zwischen den beiden hin und her, außerstande für dieses Verhalten überhaupt passende Worte in meinem Mund zurechtzulegen, geschweige denn sie überhaupt zu äußern.

Raúls Lippen öffneten sich einen Spalt, um etwas zu sagen.

«Amalia ich...»

Doch während er dies tat, hatte ich mich gerade hingestellt und die Hand angehoben, um ihm zum Schweigen zu bringen. Zwar wusste ich tief im inneren, dass es nicht meine Geste war, die ihn aufhorchen ließ, sondern mein kalter Blick, aber ich blieb dennoch standhaft. Ihn nicht noch einmal eines Blickes würdigend, schmiss ich die Tüte mit der Kleidung achtlos auf den Boden, mitten auf sein Gesicht. Im letzten Moment ergriff er diese mit seinem freien Armen und betrachtete diese überrascht und zugleich skeptisch, ehe er mich wieder anblickte.

«Was ist das ?»

Ich ignorierte seine Frage und hob demonstrativ meine Armbanduhr an, um ein Blick darauf zu werfen.

«Wir haben 7:25 Uhr. Um 8 öffnet die Kanzlei und die Ratsmitglieder werden eintreffen», plapperte ich Selbstgespräche führend vor mich hin, wie als würde ich laut nachdenken, doch der Groschen war gefallen. Mit einem lautes 'Plop', fiel Raúl die halbvolle Flasche aus der Hand, sodass in nur wenigen Sekunden das stark riechende alkoholische Getränk meine Sinne einnahm. Ich schaffte es nur schwer meine Haltung aufrechtzuhalten und nicht das Gesicht zu verziehen.

«Oh fuck. Oh fuck. Oh fuck", fluchte Raúl und stand so abrupt auf, dass ich erschrocken zurückwisch, weil ich befürchtete, dass er dabei vergaß, die Gardine unterhalb seines männlichen Geschlechtes weiterhin festzuhalten. Zu meiner Verwunderung vergaß er es aber ausnahmsweise nicht...

«Fuck !», schrie er nervös auf und fuhr sich durch die zerzausten Haare.

«Wie bescheuert bin ich. Vater wird mich umbringen.»

Eilig griff er nach den Kleidungsstücken auf dem Boden, die ich ihm gegeben hatte. Mit festen Schritten kam er anschließend auf mich zu und ich wusste, dass er mir wie immer um seine Dankbarkeit auszudrücken einen Schmatzer auf die Wange drücken wollte. Bevor er dies hingegen tun konnte, hob ich verneinend die Hände hoch. Er blieb abrupt stehen, völlig überrumpelt von meiner Geste und von dieser Kälte, die ich ausstrahlte.

Ich blickte ihm tief in die Augen. Immerzu hatte ich ihn beschützt, immerzu hingenommen wie er sich verhielt. Heute war er einen Schritt zu weit gegangen, deutlich zu weit und das würde ich nicht einfach so durchgehen lassen. Es war sein Büro gewesen... sein Teppich. Das war einfach nur unverschämt und äußerst respektlos. Wie als hätte er meine Enttäuschung  gespürt, nahm der Zorn Besitz von ihm und beleidigt von der Abfuhr, die ich ihm erteilt hatte, wandte er sich von mir ab. Das wütende Stampfen hinter mir den langen Flur entlang, konnte ich auch noch hören, als er um die Ecke abgebogen war.

Ich schloss die Augen, erschöpft und traurig zugleich, dass ich ihm mit dieser Geste insgeheim sehr weh getan hatte. Nichtsdestotrotz versuchte ich mich zusammenzureißen, denn fertig war ich lange noch nicht, dachte ich mir, als ich ein Augenpaar weiterhin wachsam auf mich spürte.

Langsam stellte ich meine Handtasche vor der Tür ab und trat mit selbstsicheren Schritten in das Büro ein. Mit wachsamen Blick schaute ich mich überall um, ebenfalls darauf Acht gebend nicht in die Pfütze zu treten, die der Wodka erzeugt hatte. Vor der Flasche zum Stehen kommend bückte ich mich runter und hob diese an, damit nicht weiter der Alkohol auf den Boden tropfte und diese verunreinigte. Als ich mich wieder aufstellte, begutachtete ich nicht einmal mehr die Flasche in meiner Hand, sondern lief weiter, den Blick fest auf dem Teppich hin und her wandern lassend, bis ich neben Jon zum Stehen kam. Von hinten hatte er sich, eine stocksteife Körperhaltung annehmend, nur minimal mit den Händen an die Kommode gelehnt. Ich stand hingegen mit meiner Vorderseite wenige Meter davor, legte die Wodkaflasche behutsam auf die Glasplatte und blickte auf die Wand, trotz, dass ich seinen Blick dicht neben mir wahrnehmen konnte.

«Du solltest schnellstmöglich den Teppich wechseln. Wenn Raúl es gestern wirklich hat krachen lassen, dann wirst du dir nicht mal annähernd vorstellen können, was alles er hier auf diesem Teppich getrieben hat», gab ich sachlich und recht monoton kund.

Ich hörte ein Seufzen neben mir, ehe seine raue Stimme fast schon flüsternd zu mir sprach:

«Kannst du mich bitte beim Sprechen in die Augen schauen Amalia... bitte.»

Obwohl sich alles in mir dagegen sträubte, obwohl ich tief im inneren auch unglaublich sauer auf Jon war, ließ sein schwaches, fast schon flehentliches 'Bitte' mein Kopf zur Seite drehen, sodass ich ihm in die Augen sah. In diese wunderschönen feinen Augen, die mir bei diesem minimalen Abstand zwischen uns fast den Atem verschlug, wäre ich nicht so sehr auf meinen Ärger fokussiert.

Er betrachtete mich, stillschweigend und intensiv, wie als würde ihn mein Anblick aus den Albträumen wieder zurückholen, ihn besänftigen. Mir hingegen brachte das rein gar nichts, außer mir immer mehr bewusst zu werden, wie enttäuscht ich von beiden war. Raúl war für seine exklusiven, übertriebenen Partys bekannt. Nach seinem großen Drogenfiasko vor einigen Jahren hatte er zwar wenigstens damit aufgehört, aber die Partys blieben trotz dessen seine wöchentliche Dosis. Er konnte nie genug davon bekommen, wusste aber auch nicht wann er sich rechtzeitig zu Stoppen hatte. Er war wie ein Junky, verlor bei den Partys völlig die Besinnung, trank, feierte und schlief an diesen Abenden mindestens mit einem Mädchen. Schon oft hatte sich Papá morgens am Esstisch darüber aufgeregt, als er in den Klatschblättern einem nach den anderen das Gesicht seines zugedröhnten Sohnes zu sehen bekommen hatte. Deshalb und auch aus einem viel wichtigeren Grund, der nicht mehr angesprochen werden durfte, hatte er auch nicht mehr gewollt, dass Raúl auf der Havard studierte, sondern wie ich an der Oxford, auch wenn meine Gründe für das Studium hier anderweitig waren. Doch wer dachte, dass Raúl sich dadurch zügeln ließe, der war schlicht weg einfach nur ein Dummkopf.

Raúl würde niemals seine Grenzen kennen. Doch Jon ? Jon war ein lieber, ein anständiger, ein guter Junge. Dass er sich so von Raúl mitreißen ließ, war einfach nur unvorstellbar und zugleich auch absolut enttäuschend.

«Bitte schau mich nicht so an», flehte er mit zusammengesunkenen Augen und atmete schwer aus, ehe er sich durch die Haare strich, die ihm auf die rechte Gesichtshälfte fielen.

«Ich... ich... es tut mir leid... das hätte nicht so kommen dürfen...», sagte er und blickte nun an sich runter, wie als würde er sich für dieses Auftreten schämen.

Ich reagierte nicht, blickte ihn nur weiterhin ausdruckslos an, was ihn noch verzweifelter stimmte:

«Ich weiß nicht, wie ich mit all dem umgehen soll. Mit diesem Druck, mit diesen Erwartungen...»

Überrascht und auch etwas überrumpelt von seiner plötzlichen Offenbarung betrachtete ich ihn perplex. Jon hatte nie darüber gesprochen, über diesen Vorfall, über seine Gefühle, kein einziges Mal nach der Beerdigung. Vorsichtig trat ich einen schritt auf ihn zu und legte sachte meine Hand auf seinen Oberarm.

«Jon...», versuchte ich ihn zu beruhigen als ich bemerkte, dass er sich leicht verkrampfte, weil es ihm nicht einfach fiel darüber zu sprechen. Natürlich wusste ich, dass er im Moment viel durchmachte, ich wusste es, weil es auch bei uns nicht anders herging. Papá war wie besessen zu erfahren, wer dies getan hatte und setzte sich auch tatkräftig bei seinen Kontakten bei der Polizei durch, damit auch dieser Vorfall Priorität erlangte. Die Presse warf hin und wieder Spekulationen ein, doch die Öffentlichkeit hatte uns zumindest nicht mehr wie zur Anfangszeit besessen im Visir, nicht so wie die Polizei. Auch wenn die Polizei dies ganz vorne anstellte, waren keine genauen Erfolge auszumachen, lediglich nur Sackgassen. Nachdem auch ich vor zwei Monaten völlig aufgeregt nochmal ins Polizeirevier gegangen bin, um die neue Erkenntnis mit ihnen zu teilen, die ich gemacht hatte und die ihnen vielleicht gute Anhaltspunkte liefern könnten, blieb auch da das gewünschte Ziel aus. Sie hatten das Gebäude, genau die Etage durchsucht von dort ich dieses Flackern gesehen hatte aber alles war unveändert. Keine Fingerabdrücke, keine Veränderungen... Es war ein normales Arbeiterbüro und wurde als solches auch am Ende abgetan, obwohl ich mir ganz sicher war, dass das nicht sein konnte. Ich war überzeugt davon, dass ich mir das nicht eingebildet hatte...

Mitfühlend fixierte ich meine ganze Aufmerksamkeit wieder auf Jon, der niedergeschlagen den Kopf hin und her bewegte.

«Den Jon gibt es nicht mehr Amalia. Ab heute gibt es nur noch den Jonathan, der in die Fußstapfen seines ermordeten Vaters treten musste...» Seine Stimme klang verbittert, seine Miene war so hart wie ein Fels.

Traurig blickte er sofort zu Boden, doch ich fasste ihn schnell an der Wange um sein Gesicht wieder sachte zu mir zu drehen. Leichte Bartstoppel kitzelten dabei meine Innenhandfläche.

«Vielleicht denkst du, dass es ihn nicht mehr gibt. Doch ich glaube fest daran, dass der Jon immer noch in dir herumschlummert. Er hält vielleicht nur einen langen Winterschlaf."

Eine kleine Regung nahm ich war, minimal aber aussagekräftig. Ein kleines Lächeln bildete sich auf meinem Gesicht und mein Herz machte einen Satz.

«Außerdem hat der alte Jon noch ein paar Rechnungen offen, die einfach nicht so stehen lassen darf. Wie zum Beispiel mich zum Essen auszuführen. Soweit ich weiß ist dieser Punkt noch nicht abgehakt."

Wie als hätte Jon der Blitz getroffen, schoss sein Blick ungläubig in meine Richtung.

«Du... du würdest wirklich mein Angebot annehmen ?» Als ich das schwache Lächeln und das winzige Funkeln in seine Augen ausfindig machen konnte, musste ich vor Freude kichern. Trotzdem versuchte ich so gelassen wie möglich zu reagieren.

«Von dem jetzigen Jonathan Howard würde ich es nicht annehmen. Aber von dem alten Jon... da würde meine Antwort ein ganz klares Ja lauten», legte ich eine deutliche Ansage hin, stützte mich mit leichtem Druck von der Kommode ab und lief den Raum entlang zurück zur Tür. Auch als ich mich leicht runter bückte, um meine Tasche vom Boden aufzuheben, konnte ich den lebendigen Blick von Jon hinter mir spüren und ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Züge.

Ich hatte ihn wieder zurückgeholt. Der alte Jon hatte wieder Fuß gefasst.

***

Das Gefühl der Freiheit nach jeder hinter sich gelassenen Klausur war ein unbeschreiblich Ereignis. Das Lächeln, was sich unmittelbar auf dem Gesicht jedes übermüdeten Studenten legte, gleichermaßen unbezahlbar.

Wie auch meins in den Moment, als ich meine Klausurbögen in der Hand hielt und darauf wartete endlich an der Reihe zu sein um sie dann in die Obhut der studentischen Hilfskräfte übergeben zu können. Nachdem ich dies getan hatte, lief ich die kleinen Treppen zu meinem Sitzplatz im Hörsaal hoch und packte meine Stifte als auch mein Gesetzestext in die Tasche, ehe ich mein Handy wieder anschaltete.
Sofort sprang mir auch schon eine SMS von Sanjana entgegen, die sich aufgrund der Pflege ihres Vaters dazu entschlossen hatte, dieses Semester einige Prüfungen zu verschieben und nicht mitzuschreiben. Wie auch diese im familienrechtlichen Bereich.

Hey, liebes. Ich drücke dir die Daumen ! Ich weiß ganz genau, dass du wie immer eine super Note raushauen wirst. Ich bin in Gedanken bei dir. Schreib mir, wie es war !

Xx Sanjana

Ein Lächeln schlich sich abrupt auf meine Lippen und während ich meine Tasche schulterte und die Tür des massiven Hörsaals öffnete, tippte ich mit der anderen Hand eine Antwort ein.

Hey ! Die Klausur war machbar, du wirst bei der Nachschreibeklausur bestimmt keine allzu großen Probleme haben. Danke der Nachfrage ! <3

xx Amalia

Nur Sekunden darauf, nachdem ich die Nachricht eingetippt hatte und mein Handy wieder in meine Tasche verstauen wollte, erschreckte mich das Vibrieren meines Handys. Ein Blick auf mein Handy ließ mein Grinsen breiter werden und mit einem  einem spöttischen Grinsen nahm ich den Anruf an.

«Warum wundert es mich nicht, dass du wie immer so schnell bist», murmelte ich in den Hörer rein und machte mich auf dem Weg zum Ausgang des Hörsaalzentrums.

«Mhh lass mich Mal überlegen... weil ich einfach zu gut bin ? Ich würde sogar Speedy Gonzalez Konkurrenz machen», lachte sie am anderen Ende der Leitung auf und ich stimmte ihr leise dazu, während ich mich durch andere Studenten hindurchschlängelte und einfach nur darauf aus war, endlich etwas frische Luft zu schnappen.

«Wie war deine Klausur ?», fragte sie vorsichtshalber nochmal nach, um ja auch sicher zu gehen, dass ich ihr die Wahrheit gesagt hatte und es ihr nicht verheimlichte, falls ich mich nach einer Klausur schrecklich fühlte.

«Es war wirklich in Ordnung, Sanju. Wie geht es deinem Vater ?»

Sie quiekte erfreut auf.

«Gut... sehr gut sogar. Er möchte heute wieder endlich das Abendessen kochen, kannst du das glauben ?», kreischte Sanjana und ich konnte mir praktisch vorstellen, wie das süße Lächeln in ihrem Gesicht aufgetaucht war. Sanjanas Vater war früher einmal ein sehr bekannter Koch in Mumbai, ehe er wegen seiner großen Liebe Sanjana Mutter nach England ausgewandert war. Trotz dessen hatte er diese Leidenschaft fortgeführt, sei es beruflich, als auch kochte er für sein Leben gern ebenso zuhause. Wenn er also nun wieder die Motivation zum Kochen hatte, musste es ihrem Vater wirklich besser gehen.

«Vater will uns heute Abend Dal zubereiten, das du so gerne magst und deshalb ruf ich dich auch an. Er lädt dich heute zum Essen ein.»

Ich freute mich über die Einladung, stutzte, aber einen Moment angesichts der Lage, in der wir in letzter Zeit steckten. Papá und Elias waren in dieser Hinsicht unglaublich überfürsorglich geworden und obwohl es sich die Situation seit den letzten zwei Wochen etwas aufgelockert hatte, konnte ich nicht anders als einen Moment länger darüber nachzudenken. Andererseits, hatte ich Sanjanas Vater seit längerem unter anderem wegen seines Schlaganfalls kaum besuchen können und das nagte sehr an meinem Gewissen.

Mit einem Lächeln bewaffnet, welche Sanjana natürlich nicht aus dem Telefon heraus sehen konnte, antwortete ich:

«Liebend gern würde ich kommen Sanjana. Soll ich etwas...», doch ich hielt mitten in meinem Satz inne und verlangsamte meine Schritte, als ich nur wenige Meter vor mir die blonde Mähne von Mrs. Ionescu Mitarbeiterin zu sehen bekam, die stapelweise einige Akten in der Hand hielt und auf der anderen Seite, die Tür vor ihr zu öffnen bestrebte. Wie hieß sie gleich nochmal. Sil... Sil... Silvana ! Genau. Irgendwie vergaß ich immer wieder ihren Namen.

«Amalia ? hallo, hallo bist du noch dran ?», durchbrach plötzlich Sanjanas Stimme meinen Gedankengang und erst da nahm ich wieder wahr, dass ich sie völlig ignoriert hatte. Ich stammelte vor mich hin:

«Eh... Sanjana ich rufe dich später wieder an ok ? Ich werde kommen nur damit das klar ist. Danke schön, bis später ¡Hasta leugo!», rief ich ihr vor Hektik noch auf meiner Muttersprache die Verabschiedung zu und warf im nächsten Moment mein Handy in meine Handtasche, um schnell zu ihr zu eilen und ihr zu helfen, bevor ihr die bereits schweren Materialien aus der Hand fielen und ein Blätterhaufen sich über den Boden erstreckte.

Ich kam vor ihr zum Stehen und griff ohne sie zu begrüßen nach einigen Akten, ehe ich hinzufügte:

«Warten Sie ich helfe Ihnen.»

Verwundert blieb sie einen Augenblick wie angewurzelt stehen und ihre so ausdrucksstarken Augen bohrten sich fassungslos in meine ein. Doch als ich mit dem Kinn auf ihre Schlüssel in der Hand hindeutete und solange die schweren Ordner für sie in der Hand hielt, löste sie sich von ihrer Starre und öffnete schnell die Tür, damit ich den Raum betreten konnte, was ich direkt auch tat.

«Auf dem Pult dort vorne können sie die Ordner ablagern», sagte sie und machte die Tür zu. Während ich die Ordner auf die genau befohlene Stelle abstellte, sammelte sie eilig herumliegende Blätter vom Boden auf. Ich trat einige Schritte vom Pult zurück und blickte mich neugierig um. Der Raum war nicht allzu groß. Außer einem großen Pult, der überfüllt war mit Ordnern, zog eine Wand voller Einträge mein Blick auf sich, unter dem eine Reihe von Flachbildschirmen abgebildet waren und Rechner, die alle gleichzeitig liefen und eine Zahlenreihe nach der anderen ablieferten. Fasziniert davon, weil ich niemanden außer Raúl kannte, der sich mit diesem Hightech beschäftigte, blieb mein Blick an gewissen mathematischen Formeln an der Wand hängen, ehe ich die blonde Haarpracht aus meinem Augenwinkel wieder aufflackern sah und zu ihr blickte.

Heute trug sie die Haare, ausnahmsweise offen und ihre schönen Wellen glitten über ihre Schultern herunter, die durch das vornehme sehr weit geschnittene Hemd, in die enge Jeans gesteckt wurde, die sich um ihre Kurven schmiegten. Auffällig waren außer den vielen Ringen, die sie auf ihre Fingern trug nur noch ihre leicht kirschroten Lippen, die zu dem Muster ihres Hemdes passten. Sie war wirklich hübsch stellte ich fest, wandte aber den Blick ab, damit sie nicht bemerkte, dass ich sie beobachtete.

«Hier arbeite ich für Professor Ionescu», nahm sie dieses Mal Anlauf und ich nickte ihr zu.

Wie als wäre es ihr unangenehm fügte sie hinzu:

«Es ist hier sehr unordentlich ich weiß, aber Professor Ionescu ist sehr anspruchsvoll und da ist es eben nicht so leicht hinterher zu kommen. Und mich einfach so in mein Büro zu verschanzen ist mir leider auch nicht gestattet.»
Als ich sah, dass ihre Mundwinkel sich sachte anhoben, verstand ich, dass sie versuchte die Stimmung aufzulockern und spätestens da versetzte ich mir auch einen immaginären Tritt, um auf sie zuzugehen.

«Ich finde es gemütlich hier, das ist also ihr persönliches Reich ?», fragte ich und ließ meinen Blick erneut über die Rechner fahren, bis mein Blick auf dem Pult vor mir zum Halt kam, wo ich inmitten dieser Unordnung, beim zweiten Mal betrachtet, ein Bild ausfindig machen konnte.

Auf dem Bild war Silvana abgebildet, womöglich einige Jahre zuvor. Damals gingen ihr ihre Haare noch bis zu den Schultern. Lächelnd hatte sie die Arme um einen jungen genauso hübschen Jungen geschlungen, der in ihrem Alter war und eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr vorwies.

Als ich bemerkte, dass sie meinen Blick gefolgt war, fühlte ich mich ertappt, vergrub meine Hände in die hinteren Hosentaschen meiner Jeans und räusperte mich. Ich wollte keineswegs aufdringlich wirken und mich ungewollt in ihre Privatsphäre mischen, schließlich hatte ich es auch nie gemocht, wenn wir bereits bei den kleinsten Angelegenheiten im Rampenlicht der Öffentlichkeit standen. Da war ich die Erste, die sie diesbezüglich verstehen könnte. Ich entschloss mich das Thema zu ändern, doch da kam sie mir zuvor.

«Danke wegen den Ordnern. Ich meine wegen der Hilfe.»

Ich lächelte sie nur an und gerade als ich dachte, dass dies so viel bedeutete wie: Du-kannst-jetzt-mein-Reich-verlassen, frage sie mich vorsichtig:

«Wie geht es Ihrer Familie ? Haben Sie... kommen Sie nun besser mit der Situation zurecht.» Sie wirkte leicht unbeholfen bei der Formulierung ihrer Sätze, wie als befürchtete sie mit ihrer Frage einen wunden Punkt bei mir zu treffen.

Ich war erstaunt darüber, dass sie sich noch an unser letztes Gespräch von vor zwei Monaten erinnerte. Für viele Menschen war diese Geschichte nun passé, sodass sie sich bereits wieder dem aktuelleren Tratsch widmeten. Niemand hatte, außer Sanjana natürlich, mich je danach gefragt, wie es uns mit der Situation nun ergehen würde. Ich war überrascht und zugleich unglaublich gerührt von dieser feinfühligen Geste, dass ich nicht wusste, wohin mit meinem Blick. Statdessen entschied ich mich, den Blick auf die Stifte mit den Intitalien S.C.P. zu richten, die ich auch letztes Mal aus ihren Kugelschreibern gesehen hatte. Und auch heute fragte ich mich, ob es ihren Namen darstellen sollte.

«Es geht uns gut danke. Wir versuchen uns daran zu gewöhnen. Die einen kommen besser klar als die anderen...», gab ich beinahe flüsternd die letzten paar Silben von mir, als hätte ich Angst, dass diese Wände zu undicht waren und man uns, hören können würde. Dennoch wollte ich aus mir selbst unbekannten Gründen, das Mädchen von mir nicht anlügen. Ich kannte sie nicht, hatte nicht vor ihr meine kompletten Gefühle darzulegen, aber so zu tun als wäre alles perfekt schien mir auch keineswegs richtig.

Sie nickte nur als Antwort und hatte die Stirn nachdenklich kraus gelegt. Bevor ich wahrnehmen konnte, was ich tat, hörte ich auch schon meine eigene Stimme wieder:

«Du bist also Informatikspezialisten und anscheinend auch sehr begabt, was deine mathematischen Künste betrifft», sagte ich und deutete auf die bedeckte Wand, die ich zuvor begutachtet hatte.

Ihre Augen erstrahlten und selbst ein Lächeln zierte ihre Mundwinkel, als sie begann erfreut darüber zu erzählen.

«Jeder Mensch hat ein verborgenes Talent und ich beschäftige mich gerne damit. Ich liebe es komplexe Systeme auszubauen und etwas völlig neues daraus zu schaffen. Und bei mathematischen Modellen ist es nicht anders, ohne Beweise nimmt dir niemand dein Ergebnis ab.»

Während sie so voller Passion über das alles hier sprach, hatte ich bemerkt, wie mein Lachen sachte fiel und ein kleiner Druck sich auf meiner Brust bemerkbar machte, als sie mich unmittelbar an Raúl erinnerte. Ich hatte ihn heute Morgen wie Luft behandelt und im Nachhinein bereute ich es, so hart mit ihm umgegangen zu sein. Vielleicht war genau das ja Raúls Methode um das alles zu verarbeiten... Partys bis zum Umfallen und jederzeit und überall jemanden flach zu legen nur um den Kummer zu überbrücken.

Ich seufzte auf und der bittere Nachgeschmack meiner Enttäuschung klebte mir auf der Zunge. Er meinte es nicht böse, er wollte nur Jon auf andere Gedanken bringen. Könnte man ihm dies verwerfen ? In letzte Zeit kam er sich sowieso nutzlos vor. Erst die Sache mit dem Absturz von Elias Rechner, dessen Quellen er immer noch nicht ausmachen konnte, die uns aber womöglich auch zu dem Einbrecher führen würde oder einen sinnvollen Puzzleteile in den Chaos bilden würde, dann Papás stetige Ermahnungen und dann....
Ich stoppte, als ich in meinem inneren Monolog auf eine Kleinigkeit stieß.

Mein Blick schoss direkt zu der Person mir gegenüber, die den Stimmungsumschwung bemerkt haben schien.

«Haben Sie gleich Feierabend?», fragte ich unverwandt, was sie perplex zusammenzucken ließ.

«Ja... ja für heute habe ich nichts mehr zu tun. Ich bin durch.»

Eine kurze Stille kehrte ein, ehe sie sich diese Frage nicht mehr verkneifen konnte:

«Warum ?»

Uneingeschüchtert blickte ich sie an, derweilen ich mein Handy rausfischte und Jeffrey schrieb, dass er gleich mit dem Auto vor dem Tor warten sollte.

«Ich brauche Ihre Hilfe.»

***

Ich wusste nicht, was mich dazu geritten hatte, doch als ich mit Silvana neben mir das große Gebäudekomplex betrat und abrupt spürte, wie eine ganz andere Aura mich umgab, da richtete ich meine Schultern gerade, streckte stolz meine Brust raus und schulterte ordentlich meine Tasche, anschließend ich mit selbstsicheren Schritten das Foyer betrat.

Silvana, die stillschweigend neben mir her ging, hatte diesen Umschwung bemerkt, denn mit einem analysierenden Seitenblick bedachte sie mich als wir hereintrafen.

Nachdem wir das ganze auf uns hatten einwirken lassen und ich bereits aus dem Augenwinkel, die Blicke einiger ambitionierter Mitarbeiter auf mir spüren konnte, bedeutete ich Silvana mit einem netten Augenkontakt mir zu folgen, ehe wir uns an die Rezeption begaben.

Eine junge blonde Frau stand sofort von ihrem Sitz auf und strich sich ihren strengen Anzug glatt, indem sie an ihrem kurzen Jäckchen zog anschließend sie sich ein höfliches Lächeln aufsetzte. Schon früh genug, obwohl wir noch nicht hier arbeiteten, mussten Raúl und ich und die Namen aller Mitarbeiter und ihrer Tätigkeiten merken, aber erstaunlicherweise stellte ich fest, dass ich diese junge Frau nicht kannte. Sie musste neu eingestellt worden sein. Andererseits schien sie mich zu kennen, denn aufgeregt wippte sie von einem Fuß auf den anderen, ehe sie mit glühenden Wangen zu sprechen begann.

«Guten Tag Miss Alington. Wie kann ich ihnen behilflich sein ? Wenn Sie nach Mr. Alington fragen, dann muss ich sie leider enttäuschen. Dieser ist gerade in einer sehr wichtigen Besprechung und wird sie womöglich nicht empfangen können.»

«Ich möchte nicht meinen Vater besuchen, sondern meinen Bruder Raùl Alington. Ist er noch im Büro ?»

Sie errötete und brach kurzzeitig den Blickkontakt mit mir ab, was mich die Augen zu Schlitzen verengen ließ.
Ich wusste, was das zu bedeuten hatte und am liebsten hätte ich hier jetzt laut auf geflucht und Raúl erwürgt, aber da zu würde ich noch Zeit haben. Alles zu seiner Zeit.

Sie tippte kurz in ihren Rechner ein und antwortete:

«Ja er müsste noch in seinem Büro sein. Ebene 7.»

Ich hörte ihr nur noch mit halben Ohr zu, weil ich ganz genau wusste, welchen Arbeitsraum er sich als seine persönliche Höhle ausgesucht hatte. Und zwar einer der schönsten mit einem unglaublichen Blick auf die Stadt hinunter. Ich murmelte ein leises 'Danke' und trat mit Silvana zu den Aufzügen. Als wir wenige Sekunden darauf den leeren Aufzug betraten und ich die Zahl mit der Aufschrift 7 betätigte, spürte ich ihren Blick unauffällig dennoch von der Seite auf mir. Ohne sie anzuklicken murmelte ich geradeaus schauend:

«Du musst das nicht tun, wenn du nicht willst.»

Dann drehte ich mich doch zu ihr und sie runzelte die Stirn.

«Nein. Wenn ich helfen kann dann tue ich das gerne. Es ist nur...»

Sie suchte nach den richtigen Worten und ich verstand nicht, was sie meinte:

«Sie waren gerade wie ein anderer Mensch...»

Ich blickte sie nicht an, sondern starrte die Ziffer oben an, die nun die anzeigte, ehe ein Pling erklang und die Türen mit einem Mal aufgingen. Ich trat einen Schritt nach vorne, bis ich mich kurz nochmal zu ihr umdrehte und ihren Augen begegnete.

«Dachten Sie eine Alington zu sein ist ein Kinderspiel ?»

Ich sah wie sie ihre Augenbrauen verwundert anhob, brach aber in dem Moment den Blickkontakt ab. Ich wollte nicht, dass sie die Verbitterung in meinem Blick ausmachen konnte, obwohl ich mich sarkastisch ausgedrückt hatte. Insgeheim ärgerte ich mich, dass ich heute meine Fassade nicht ganz gut aufrecht erhalten konnte, doch Raúls wütender Blick verfolgte mich seit jeher wie ein Fluch und lastete schwer auf mir. Ich hoffte inständig, dass ich ihm ein Friedensangebot darlegen konnte, wenn es nun Silvana schaffte den Hacker ausfindig zu machen, der sich in unser System eingeschleust hatte.

Ich war zwar nicht in Detail gegangen, denn da wusste ich würde Raúl schon eine geschickte Idee finden können, aber sie erahnte, dass sie sich auf etwas einließ, was nicht ganz legal war. Und ich war froh darüber, dass sie nicht schreiend die Flucht gesucht hatte.

Vor Raúls Tür ankommend, schenkte ich ihr noch ein kurzes Lächeln und drückte die Türklinke auf.

Was ich hingegen als Nächstes sah ließ mich an Ort und Stelle erfrieren und ich trat keinen weiteren Schritt nach vorne. Die Leichtigkeit, mit der ich die Tür aufgemacht hatte war von mir gelegt worden, als ich nur noch eins zu sehen bekam.

Haut. Nackte Haut.

Zu viel nackte Haut und unregelmäßiges wimmerndes Keuchen.

Meine Augen weiteten sich vor Unglauben als meine Augen direkt auf den Schreibtisch im Raum gerichtet wurde, auf dem auf den ersten Blick nichts weiter ungewöhnliches auszumachen war, als einige lose Zettel, einen Rechner an der Seite und gewisse Gesetzesbücher.

Nein, das eigentliche Spektakel spielte sich hinter dem Schreibtisch ab, in dem großen Sessel, in dem, so wie ich durch die dunkle Haarfarbe annahm Raúl saß, den man aber nicht erkennen konnte, da über ihm ein weiblicher Körper mit gespreizten Beinen saß. Ich bekam nichts weiter, als ihren pinken Slip zu sehen, da ihr enger Rock nach oben geschoben war, die just durch Raúls Hand verursacht wurde, dessen eine Hand auf ihrem Rücken lag und den anderen in eine ihrer Pobacken bohrte.

Als dann auch die Zungenakrobatik meines Bruders vor meinen Augen vorgeführt, der sich hungrig an ihren Lippen verzerrte, während sie die Knöpfe seines Hemdes aufknöpfte, da hatte ich erst recht das Gefühl mich übergeben zu müssen.

In dem Moment bemerkte ich, wie auch Silvana einen Moment geschockt über diesen Zustand die Augen aufriss, ehe sie eine unbeteiligte Miene aufsetzte und ihren Blick nach hinten richtete.

Das hatte mir ja auch noch gefehlt! Nun bekam selbst eine Fremde sowas zu sehen. Meine Wut über Raúl, die schon seit heute morgen in mir brodelte, erreichte mit dieser Zeit sein ultimatives Limit, weshalb ich die Hand fester um die Türklinke drückte.

«Raúl !», erklang ein Fauchen aus meiner Kehle, dessen härte mich selbst überraschte, doch seinen gewünschten Affekt hatte es, denn Augenblick sprang das Mädchen über ihn mit einem Schrei auf und sie lief scharlachrot bei unserem Anblick an, als sie erkannte, wenn sie vor sich hatte. Ungeschickt  zog sie sich den Rock runter, derweilen ich sie nun näher durch ihre Vorderseite im Augschein nahm. Die braunen Haare die zuvor zu einer ordentliche Hochsteckfrisur gesteckt waren, lagen ihr halb im Gesicht und als ich ihr Gesichtskonturen weiter runter wanderte, die Bissspuren auf ihrem Hals entdeckte und mir zudem ihr offenes Hemd ins Auge stach, welcher ihren Busen offenbarte, der Gott sei Dank noch in ihren BH verborgen lag, wanderte ich wieder zu ihrem Gesicht und bemerke, dass ich diese Frau kannte.

Leonora. Sie war Papás persönliche Assistentin und musste war Ende 20.

Das stimmte mich noch wütender. Wenn Papá dies erfuhr, war Raúl ein toter Mann. Er war toter als Tod!

«Miss... miss Alington»,stotterte sie vor sich hin, während sie mit zittrigen Händen ihr Hemd zuzuknöpfen versuchte.

Raúl, der lässig in seinem Sessel nach hinten gelehnt saß und dem die Haare leicht nach vorne fielen, scherrte sich nicht darum sein Hemd ebenfalls zuzuknöpfen. Nein, seine Augen blinzelten vergnügt auf, bis sein Blick neben mir auf der Person haftete und er seinen Blick lüstern über sie rauf und runter wandern ließ.

Diesen Blick kannte ich ! Und dieser Blick machte mich umso zorniger.

Ich richtete den Blick auf Leonora.

«Raus! Sofort !»

Das ließ sie sich nicht ein zweites Mal sagen. Den Kopf leicht zusammengezogen, sprintete sie fast schon zwischen mir und Silvana aus der Tür raus. Ich amtete tief aus, schlug aber anschließend mit einem lauten Knall die Tür zu.

«Schwesterherz, was für eine Ehre !»

Raúl breitete die Arme aus, sein spöttischer Grinsen hätte ich ihm am liebsten mit einer Ohrfeige weggewischt.

«Wie kannst du nur ! Sie ist Papás Assistentin», knurrte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Wenn einige Schritte weiter weg sich nicht Silavana befinden würde, hätte ich ganz bestimmt meine Stimme um einige Oktaven mehr angehoben.

Er zuckte lediglich mit den Schultern, was mich an seinen Schreibtisch anlehnen ließ und ich mir mir den Fingern meine Schläfe massierte.
Das war ja klar ! Er hatte das mit Absicht getan, nur um mir wegen heute Morgen eins auszuwischen.

«Außerdem ist sie einige Jahre älter als du Raúl, hast du keinen Anstand...»

Ich fragte mich immer wieder, wie es sein konnte, dass selbst noch 10 Jahre ältere Frauen von seinen Charme geblendet wurden und letztlich unter ihm landeten. Das würde mir immer ein Rätsel bleiben.

«Du weißt, dass ich auf Frauen stehe, die wissen was sie wollen. Und ältere Frauen wissen meine Qualitäten besser zu schätzen», antwortete er, während er seinen Finger über seine halboffene Lippen führte und Silvana dabei mit jedem Zentimeter aufmerksam beobachtete.

Wie ich zu meinem Unglück auch noch feststellen musste, hatte Silvana dies mitbekommen, denn sie erwiderte seinen Blick fest und blickte geradeaus. Das war eine dumme Idee von mir sie hierher zu bringen.

Raúl bückte sich in seinem Stuhl nach vorne und stützte sich mit den Armen an seinem Schreibtisch ab, sodass man einen besseren Blick auf seinen muskulösen Oberkörper bekam. Das bestätigte meine Vermutung, dass er sie damit reizen wollte. Er wollte, dass Silvana in die Falle tappte. Ich hoffte nur, dass sie schlau genug und auch bissiger war, nicht darauf hereinzufallen.

«Übrigens sind Sie auch älter als ich ? Meine liebe Schwester hat zu meinem Leidewesen vergessen mir eine so hübsche Dame vorzustellen.»

Ich verdrehte die Augen. Na gut, das war's. Er hatte ihr damit eine WhiteCard zu seinen Gemächern übergeben. Ich wollte mich schon umdrehen, weil ich mir bildlich vorstellen konnte, dass Silvanas Wangen rot anliefen und ein viel zu schrilles Kichern ihre Lippen verlassen würde, doch dann machte mir ihre ernste Stimme einen Schnitt durch die Rechnung.

«Auf jeden Fall weiß ich ganz genau, dass ich viel zu alt für jemanden bin, der verzweifelt nach einer Ersatzmummy sucht.»

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