◆1| P h a n t o m◆

Man kann nicht tagsüber Demokrat und nachts Verbrecher sein.

|spanisches Sprichwort|


«Ich bin da, ich bin da, ich bin da !», schrie ich über dem nassen Rasen hinweg, derweilen ich versuchte mit recht ungeschickten Schritten darauf Acht zu geben, nicht auf die in jeweils unterschiedlichen Abständen zustande gekommenen Pfützen zu treten, welche die gestrigen Regenströme mit sich gebracht hatten. Zwar war ich schon längst zu spät dran, doch dass dies für mich ein zusätzliches Hindernis darlegte trug erheblich zu meiner Hektik bei, sodass alle paar Sekunden mein verärgertes Ausatmen die Stille in dieser verlassenen Gegend durchbrach.

Ein weiteres Mal tief nach Luft schnappend, blickte ich, während ich lief, auf meine fast zehn Zentimeter hohen Botties nieder und mein Ärger stieg darüber an, dass ich keine flachen Schuhe mitgenommen hatte. Womöglich hätte ich dann viel zügiger voranschreiten können, was sich mit diesen Schuhen als schier unmöglich erwies. Bei meiner Tollpatschigkeit, die ich seit meiner Kindheit vorwies, konnte ich mit reinem Gewissen behaupten, dass es in einer Katastrophe münden würde, wenn ich jetzt, aufgrund meiner Eile, in einer der Pfützen treten und mein Outfit im Anschluss ruinieren würde. Bei dem Gedanken daran, wie Blanca darauf reagieren würde, wenn sie mich so sehe, konnte ich mir schon bildlich ihren tadelnden Gesichtsausdruck ausmalen. Unwillkürlich musste ich lächeln, anschließend ich meinen dunklen Trenchcoat gerade glättete und meinen Weg unbeirrt fortsetzte, bis ich nach einigen Schritten erkannte, dass ich fast mein Ziel erreicht hatte.

Trotz, dass meine große Handtasche und der Strauß Lilien in meiner Hand mir einen kurzen Augenblick lang die Sicht versperrten, ließ ich es mir nicht entgehen, wie ein Kleinkind aufzuquiecken, als ich mein Ziel direkt vor mir sah und auf diese zugehend letztlich zum stoppen kam. Mein Blick schoss sofort zu meiner Armbanduhr, was mich wiederum dazu verleitete, schützend die Hände hochzuheben und die Augen zusammenzukneifen.

«Ok, mamá, ok ok ok. Ich bin zwei Minuten zu spät dran. Bitte verfluche mich nicht. Ich weiß, wie sehr du auf Pünklichkeit bestehst, aber du weißt sicherlich doch am besten, wie der Verkehr in London ist, wenn das Neujahr begonnen hat», plapperte ich nervös los, anschließend ich mich auf die weiße Platte vor mir hinsetzte und zum Weitersprechen ausholte, indem ich mir die vom Winde nach vorne gewehten dunklen langen Wellen über die Schulter warf. Genervt seuftzte ich auf, als ich an die Busfahrt und an die tobende Menschenmeute heute morgen zurück denken musste, die hier und da über nichts anderes gesprochen hatte, als über ihre guten Vorsätze für das neu begonnene Jahr.

«Ich werde diesen euphorischen Wirbel in Bezug auf das Neujahr nie verstehen können. Alle hoffen fast schon krankhaft besessen auf ein besseres und ereignisreicheres Jahr, obwohl sich theoretisch gesehen rein gar nichts außer eine kleine mickrige und völlig unbedeutende Ziffer verändert. Papá war, wie du dir schon denken kannst, wie immer an Silversterabend, mit Elias und Clara im Schlepptau bei den Howards eingeladen. Sie sind jedoch im Gegensatz zu Papá nicht lange geblieben, weil der kleine Ferkel Carlos einen neuen Zahn bekommt und deshalb den ganzen Abend über unruhig war. Raúl hat sich natürlich mit seinen Freunden dem Nachtleben gewidmet und ich bin, nachdem ich Delilah früh ins Bett gebracht habe, da sie erkältet ist, mit Sanjana in diesen schicken Club gegangen. Ja, ich weiß. Ich und Clubs, unvorstellbar ! Aber Sanjana bestand so sehr darauf, dass ich ihrer Bitte einfach nachgehen musste. Deshalb bin ich also letztlich mit ihr und einigen ihrer Freundinnen ins Neujahr eingestiegen. Und wie du siehst...», ich klatschte demonstrativ in die Hände und schnappte laut nach Luft um meinen Satz fortzusetzen, doch da verharrte mein Blick augenblicklich auf meinen Fingern und ich hielt einen kurzen Moment inne. Seit meiner Kindheit hatte sich an ihnen kaum was verändert. Sanjana machte sich immerzu lustig darüber, dass ich zu kleine Hände hätte, doch mir kamen immer wieder andere Gedanken in den Sinn, sobald ich ein Blick auf sie warf.

«Du hast immer gesagt, ich hätte kleine zarte Hände. Ich wäre dazu bestimmt Gutes mit ihnen zu vollbringen und nicht zu zerstören. Doch manchmal Mamá, da habe ich große Angst vor dem was kommen wird und da wünsche ich mir, du wärst bei mir.»

Ich hob ehrfürchtig den Blick und richtete ihn auf den Grabstein, auf dem ihr Name eingraviert war.

Layana Alington

Meine Augen füllten sich, wie jedes Mal, wenn ich sie besuchte, mit Tränen und meine Unterlippe fing unkontrolliert zu zittern an, als ich die Lilien, ihre Lieblingsblumen, auf ihren Grabstein legte und anschließend mit den Fingerspitzen über die Erde fuhr. Sekunden darauf richtete ich langsam den Blick auf den Wolken überwucherten Himmel, versuchte Trost in diesen klaren Farben zu finden, mein Inneres zu öffnen, aber auch hier stieß ich auf eine Unreinheit, auf einen Farbklecks, der mein Inneres nur noch mehr bekleckerte. Ich lachte dümmlich auf, als mir wieder ein irrsinniger Gedanke kam, den ich mir immer wieder zurief, sobald die Sehnsucht nach ihr mich zu ersticken drohte.

«Weißt du, es gibt verschiedene Definitionen des Glücksbegriffes, da sich viele Philosophen zu seiner Zeit oft damit auseinandergesetzt haben. Sei es Aristoteles, Platon, Epikur... doch ich glaube... nein, ich möchte so sehr an die stoische Auffassung glauben, Mamá. Nach der nämlich, kann das Glück nur existieren, wenn es keinen Schmerz gibt und das bedeutet wiederum, dass der Schmerz eliminiert werden muss. Nach diesem Grundkonzept geht die stoische Auffassung ebenfalls davon aus, dass der Tod nicht zu fürchten sei. Der Tod wird nämlich prinzipiell von uns Menschen als furchtbar, als ein schreckliches Ereignis angenommen, aber wenn es nicht zu leiden gibt, wenn man keinen Schmerz empfindet, dann kann die Ansicht des Menschen nicht stimmen, oder Mamá ? Der Mensch muss sich irren.»

Hoffnungsvoll blickte ich auf den Grabstein nieder, trotz, dass ich wusste, dass sie mich nicht hören, mir nicht antworten und sagen konnte, dass es ihr da gut ging wo sie sich gerade befand. Doch so sehr spürte ich den Schmerz immer wieder in meiner Brust, als sie von uns gegangen war, als sie nach Delilahs Geburt zu müde, zu schwach war und ich unwissend, was mit ihr war, sie einfach darum gebeten hatte die Augen zu schließen und sich etwas auszuruhen. Sie hatte auf mich gehört, hatte die Augen geschlossen und war nie wieder aufgewacht. Wie oft hatte ich mich im Anschluss darauf selbst beschuldigt ? Wie oft hatte mir mein Verstand diese Szene Revue passieren lassen, mit der Frage, was geschehen wäre, wenn ich ihr nicht gesagt hätte sie solle die Augen schließen. Wäre sie noch bei mir geblieben ? Hätte sie es geschafft ?

Erst Jahre später, mit der dazugewonnenen Reife begriff ich so einiges... dass ich ihre Blutungen hätte nicht stoppen können, dass ich sie nicht hätte am Leben halten können, dass ich nicht verantwortlich war für ihren Tod und dafür, dass sie von uns gegangen war. Doch trotz, dass ich mir dies immer wieder verinnerlichte, jedes Jahr auf's Neue, wenn ich an diesem einen Tag, ohne die ganze Familie ihren Grab besuchte, konnte ich die aufkommenden Tränen nicht zurück halten. Und nun, obwohl es heute ausnahmsweise, im Gegensatz zu den letzten Tagen nicht regnete, fielen erneut kleine Tropfen auf mein Gesicht herab. Dieses Mal aber stammen sie von mir. Hastig wischte ich mir diese mit dem Handrücken weg.

«Ich höre ja schon auf. Als kleines Kind schon hast du mir immer gesagt, ich solle meine Tränen vor der Außenwelt verbergen, da die Gesellschaft diese Schwäche an mir ausnutzen und mich damit angreifen könnte. Ist ja gut, ich höre jetzt auf, bevor du dich noch in deinem eigenen Grab umdrehst», schniefte ich und konnte mir gleichzeitig ein Lachen nicht verkneifen. Tief atmete ich aus, ehe ich über den einzigen Menschen nachdachte, der mich immer wieder vom springen in den Abgrund abhielt.

«Delilah ist zehn geworden, Mamá. Sie ist ein bildhübscher kleiner Engel und verzaubert mit ihrer Ausstrahlung jeden in ihrer Umgebung. Selbst die Bediensteten sind hin und weg von ihr und tun alles um es ihr recht zu machen. Sie wächst von Tag zu Tag, wird reifer, neugieriger. Spanisch sprechen kann sie mittlerweile auch schon sehr gut, obwohl sie manchmal den Gebrauch der Verben estar und ser verwechselt, aber das ist normal für ihr Alter, nicht ? Papá meinte, du hättest immer darauf bestanden, dass wir unsere Muttersprache lernen und wir haben alles in unserer Macht stehende getan um diese Tradition beizubehalten.»

Unwillkürlich tauchten einzelne Erinnerungen vor meinem geistigen Auge auf, als Delilah noch ein Kleinkind gewesen war. Immer wieder hatte sie Satzfetzen aus dem englischen als auch spanischen miteinander kombiniert, sodass die Kinder in ihrem Alter sie kaum verstanden hatten. Dies hatte die Kleine mehr als irritiert, da ihr niemand antwortete und sie immer wieder aufs neue einen Startversuch hinlegen musste. Blanca und ich hatten uns eine Zeit lang ernsthafte Sorgen darüber gemacht, ob es nicht ein Fehler gewesen war einem Kleinkind, welches die eine Sprache noch nicht beherrschte, eine weitere aufzutischen und dass sich Raúl immer wieder darüber lustig gemacht hatte, hatte meine Unsicherheit diesbezüglich bestärkt.

Doch im Laufe ihres Alters wurde es sesshafter. Es war ein wunderschönes Gefühl einem Kind beim Aufwachsen zuzusehen, schon fast beneidend, da Kinder das Glück besaßen sorgenfrei sein zu ķönnen. Sie wussten nicht, was für eine Welt sich hinter den kleinen Fenstern ihrer Puppenhäuser verbarg, sie konnten nicht hinter die Fassade der Menschen blicken, die sie nett anlächelten und sie gespielt herzlich umarmten. Sie konnten nicht erahnen, dass ihr Lächeln ein verhöhntes Gelächter war, ihre Umarmungen, ein Todesgebet, anschließend sie hinter ihnen das scharfe Messer zücken würden. Sie waren noch so jung, so klein, so unerfahren. Mein Lächeln erstarb im Nu und die blanke Angst gewann erneut die Macht über mich, als ich meine dunkelsten Gedanken aussprach.

«Ja, Mamá... Sie wird leider zu schnell erwachsen und manchmal, da bereitet mir das sehr große Sorgen. Was wenn ich sie nicht vor dieser grausamen Welt schützen kann ? Was wenn ich als ihre Schwester, als ihr Vorbild versage ?»

Tränen bannten sich an die Oberfläche an und ich schluckte hart, damit diese nicht komplett mein Gesicht einzunehmen drohten. Anschließend schlich sich ein kleines Lächeln auf mein Gesicht, als ich an die Worte meiner Mutter dachte, die sie mir jedes Mal bei einem gute Nacht Kuss zugeflüstert hatte.

«Wir haben denselben Namen, Mamá. Layana, die Nachtschwärmerin... Du hast mir immer gesagt ich würde selbst irgendwann darauf kommen, warum ich als Zweitnamen deinen Namen bekommen habe und nun glaube ich, dass ich langsam verstehe was du mir damit sagen wolltest.»

Ich atmete tief aus, blickte auf dem Wolken bedeckten Himmel, welcher einen erneuten Regenfall hervorsagte und dachte über mein Leben, über all die Jahre nach. Ich dachte an die Beziehung zu meiner Familie, zu meinem Vater, meinen beiden Brüdern und meinem kleinen Engel Delilah. Ich dachte an die wenigen Freundschaften, die ich geknüpft hatte, an die Beziehung zu meiner besten Freundin, Sanjana, an meinen Umgang mit fremden Menschen, einem neuen Ort, einer neuen Angewohntheit und an meine Wortwahl, die ich dabei bewusst immer wieder varrierte, je nachdem wer vor mir stand. Ich ließ mir nie in die Karten schauen, wandte nie eine Taktik zwei Mal an Menschen an. Ich war immerzu misstrauisch, kalt, immer auf der Hut, obwohl ich nicht wusste wovon das kam. Doch im Laufe der Jahre freundete ich mich damit an, dass ich lieber sehr wenige Menschen um mich herum hatte, als die vielen mit denen Vater Tag ein Tag aus in der Kanzlei zu tun hatte.

«Die Nacht ist mir am liebsten, denn sie offenbart die Dunkelheit, die im jedem von uns lauert. Sie versteckt, verkriecht sich nicht, hat keine Angst entlarvt zu werden. Denn wenn die Nacht anbricht, lässt der Mensch seine Menschlichkeit fallen. Er zeigt, offenbart seine wahre Natur. Deshalb bin ich eine kleine Nachtschwärmerin, nicht wahr Mamá ? Denn da habe ich das Gefühl, dass unbeschmückte Gesicht eines Menschen dargelegt zu bekommen, ohne jegliche Täuschung, jegliche Lügen. Ich kann mich völlig frei und ungebunden dem Monster stellen, welches sich die Realität nennt.»

Völlig erstarrt blickte ich auf den Grabstein nieder auf der in schnörkeliger Schrift Layana Alington geschrieben stand und ein Schauder durchzuckte mich, nachdem ich meine Sätze ausgesprochen hatte. Sich einer Wahrheit bewusst zu sein, war eine Sache, eine andere diese dann auszusprechen und sich zu verinnerlichen, dass es wirklich der blanken Realität entsprach. All die Jahre hatte ich verzweifelt versucht mein inneres Gleichgewicht herzustellen, doch immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich diese Aufgabe verfehlte und der Isolation völlig verhemmt die Arme ausstreckte, in der Hoffnung mir damit einen Schutz zu garantieren. Denn immer wieder bemerkte ich, wie eingeengt ich mich in dieser Gesellschaft fühlte, wie alleine, wie unpassend.

Ich verzog das Gesicht, als mir die gestrige Nacht wieder einfiel. Ganz zu schweigen von dem Besuch im Club, wo ich mich unter all den unbekannten einander scharrenden Menschen unwohl gefühlt hatte, hatte mich immer wieder auch unbewusst das Gefühl beschlichen, als würden mich Menschen beobachten. Zuordnen konnte ich dieses Gefühl dennoch nicht. Alkohol hatte ich kaum zu mir genommen, die irgendwelche Sinnesstörungen in mir hervorrufen könnten, doch den ganzen Abend verließ mich das ungute Gefühl nicht, als wäre mehrere ungeladene Augenpaare auf mich gerichtet. Abgesehen davon, hatten mich zusätzlich auch noch Albträume von einem in schwarz gekleideten Mann in meinem Zimmer mich bis zum Morgengrauen begleitet. Es war für mich eine schwere Nacht gewesen, eine Folge davon, dass ich mich dieser Gesellschaft einfach nicht anpassen konnte.

Ich strich in Gedanken versunken sachte über die Erde und kippte den Strauß Lilien leicht zur Seite, als ich plötzlich Schritte hinter mir wahrnahm und zusammenfuhr. Erschrocken drehte ich mich mit dem Oberkörper zu dem Störenfried um, nur um wenige Augenblicke darauf meinen Chauffeur durch die verschiedenen Gräber auf mich eilig zugeschritten kommen zu sehen. Ich runzelte die Stirn und fragte mich was er hier zu suchen hatte. Dieser Tag gehörte ganz alleine mir, dass wusste jeder, auch die Angestellten in unserer Cottage. Er hatte hier absolut nichts zu suchen.

«Miss Alington, Miss Alington !»Der Chauffeur keuchte auf, als er einige Schritte vor mir zum stehen kam.

«Wir müssen nach Hause fahren. Es ist eine Anordnung ihres Vaters.»

Die Grube zwischen meinen Augenbrauen wurde nach diesen Worten noch tiefer. Papá wusste ganz genau, dass ich mit den Tag für Mutter parat gelegt hatte, es war eine Jahre lange Tradition und er wusste ebenfalls wie sehr ich darauf beharrte diesem auch gerecht zu werden. Wie also konnte er nun von mir erwarten, dass ich nach Hause fuhr ?

«Warum ?», gab ich viel bissiger von mir, als beabsichtigt. Ich wollte meinen Ärger nicht an ihm rauslassen, wenn doch Vater die Quelle meiner brodelnden Wut war.

«Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben, Ma'am. Mir wurde nur die Anweisung erteilt Sie auf der Stelle nach Hause zu fahren.»

Ich wusste nicht, ob es an dem Unterton seiner Stimme lag oder an dem nervösen Blick mit dem er mich bedachte, aber trotz, dass ich dagegen protestieren wollte, tat ich es aus mir unbekannten Gründen nicht, sondern blieb still.

Innerlich kochend drehte ich mich wieder zum Grabstein meiner Mutter um. Ich zwang mir ein leichtes Lächeln ab, fuhr über die Gravierung des Steines mit den Fingerspitzen und flüsterte leise, sodass der etwas abseits stehende Chauffeur meine Worte nicht mitbekam:

«Ich werde das nachholen und so schnell wie möglich wiederkommen. Te quiero mucho, Mamá.»

Mit diesen Worten und einem dumpfen Schmerz in meiner Brust stand ich, die Tränen zurückhaltend, von meinem Platz auf und folgte schweren Schrittes dem Chauffeur, der mir den Weg zum Auto bedeutete und ich mich immer weiter weg vom Grabstein, von meiner Mutter, führte.

Angestrengt nach Luft schnappend öffnete ich die Hintertür des Wagens und ließ mich dann auf den Ledersitz fallen, ehe ich die Tür schloss und daraufhin auch schon das Geräusch des Zündschlüssels und das Starten des Motors wahrnehmen konnte. Ich blickte auf mein Handy nieder und überlegte einen Moment, ob ich mir die Kopfhörer anstecken und Musik hören sollte, um mir die schlechte Laune zu vertreiben. Doch ich wusste nur zu gut, dass dies nichts bringen würde. Also ließ ich mein Handy auf meinen Schoß fallen und blickte aus dem Fenster, um die vorbeirauschende Stadt von London zu beobachten.

In meinen Gedanken schwelgend und dabei in eine völlig andere Welt versunken, bemerkte ich gar nicht, wie wir nach einer Weile die großen Gittertore, die die Außenwelt vor unseren Gemächern schützen sollte, passierten und anschließend den botanischen Garten überquerten, ehe der Wagen zum Halt kam. Ich stieg schnell aus und bedankte mich höflich beim Chauffeur, ehe ich die Treppen zur Cottage hochstieg.

Angekommen, klopfte ich an die Tür und nur Sekunden darauf machte mir Eva, Blancas Tochter die Tür auf. Sie hatte wie ich, ihre ganzes Leben mit ihrer Mutter hier verbracht, als ihr Vater durch die späten Folgen des spanischen Bürgerkrieges vor ihrer Geburt verstorben war und Blanca bei uns als Haushilfe zu arbeiten anfing. Doch dann rief ich mir schnell in Gedanken, dass Blanca mehr für uns war als nur eine Angestellte.
Viel mehr...

Meine schlechte Laune mit einem Lächeln wettmachend, grüßte ich Eva und trat ins Haus ein. Als Eva die Tür hinter mir schloss und wir uns im lang erstreckten Flur gegenüber standen, da wollte ich gerade den Mund aufmachen, um mich zu erkundigen wo ich Vater finden würde, doch in dem Moment wurde ich von einem herzhaften kindlichen Gekreische unterbrochen, was Eva und mich gleichzeitg dazu verleitete nach vorne in die engegengesetzte Richtung zu blicken, die geradewegs zum Salon führte.

Erst sah ich die braunen Locken, die zu beiden Seiten zu Zöpfen gebunden waren, anschließend die kleinen Grübchen an ihren kleinen Hamsterbacken hervorragten. Ich blickte ihr in die strahlenden bernsteinfarbenen Augen und sah wie sie auf mich zugerannt kam.

Im Nu verflog mein Ärger darüber, dass ich gestört wurde und eher nach Hause kommen musste. Bei ihrem Anblick konnte ich nicht anders, als genau wie sie zu Lächeln und meine Arme auszubreiten. Sofort klammerte sie sich an meinen Hals, als sie mich erreichte und ich fasste sie von hinten an den Oberschenkel und hob sie hoch.

«Hermana, da bist ja endlich !», sagte sie freudig und wickelte ihre winzigen Arme noch fester um meinen Körper, wie als wollte sie mir zeigen, wie sehr sie mich vermisst hatte.

«Ja, ich musste heute morgen noch was erledigen, cariño

Ich reckte meinen Kopf etwas nach hinten, sodass ich ihr ins Gesicht blicken konnte.

«Müsstest du nicht noch im Bett sein ? Du bist krank und brauchst Bettruhe», sagte ich und blickte sie tadelnd an, woraufhin sie sich ertappt, auf die Zunge biss und die Augen auf meine Brust richtete. Sie brummte auf.

«Mir war langweilig. Niemand wollte mit mir spielen. Auch Blanca nicht. Jeder geht zu Papá, aber niemand erlaubt mir, dass ich mitgehen darf.»

Ich runzelte die Stirn, als mir durch Delilahs Worte einfiel, weshalb ich überhaupt eher nach Hause gekommen war. Ich warf einen Blick zu Eva, die sich absichtlich aus dieser Konversationen enthalten hatte und mich, meinen Blick erwidernd, besorgt anblickte. Was war nur passiert ?

Gerade wollte ich einen erneuten Anlauf starten, als ich von der Wendeltreppe, mittig im Flur, Fußschritte wahrnahm und daraufhin Raúls schwarze Haare zu sehen bekam, der langsam und bestrebt seine Krawatte zuzubinden die Treppen runterkam. Womöglich würde er denselben Weg wie ich ansteuern, also nickte ich kurz Eva zu und lief, Delilah in meinen Armen haltend, auf die Wendeltreppe zu.

Als Raúl mich auf den letzten Stufen entdeckte, schlich sich auf seine müden aber dennoch attraktiven Gesichtszüge ein verschmilztes Grinsen und vor uns angekommen, gab er zunächst Delilah und anschließend mir einen Wangenkuss. Ich verzog das Gesicht, als ich den Alkoholgeruch in nur wenigen Sekunden einsog.

«Frohes neues Jahr, meine señoritas

Delilah kicherte, ich hingegen ging nicht auf seine Bemerkung ein, sondern fragte währenddessen recht sachlich:

«Musst du auch zu Vater ?»

Raúl nickte und fuhr sich über die unordentlich liegenden Haare.

«Die Bediensteten sagten er sei im Büro. Weißt du, worum es geht ?»

Ich verneinte mit einer Kopfbewegung und wie als wäre dies eine stumme Vereinbarung die wir untereinander getroffen hatten, liefen wir beide gleichzeitig nebeneinander den Flur entlang, um zum Salon und von dort aus zum Büro unseres Vater zu gelangen.

Als Eva, die neben uns herging, die Nebentür ansteuerte, um von dort aus die Küche zu erreichen, da es für Hausangestellte verboten war durch den Salon zu gehen, sah ich wie Raúls trüber Blick auf seine immer noch nicht ordentlich gemachte Krawatte an Lebendigkeit gewann und er Eva oder wohl eher ihrem Hintern hinterher starrte.

«Vergiss es», sprach ich in einem schnellen Spanisch aus, damit Delilah nichts davon mitbekam.

«Sie ist eine Angestellte erstens und viel wichtiger noch, sie ist Blancas Tochter. Also ist sie Tabu für dich.»

Raúl grinste gefährlich auf, wie als wäre er gerade bei etwas Verbotenem erwischt worden.

«Sie ist älter und damit zu einer jungen hübschen Frau geworden.»

«Was man von dir leider nicht behaupten kann», griff ich streng auf seine erste Aussage ein und blickte weiterhin geradeaus.

«Ich habe mitbekommen, wie zwei jungen Damen heute morgen vom Hinterausgang das Haus verlassen haben. War anscheinend eine wilde Nacht», gab ich gepresst von mir und versuchte dabei kaum meine Abneigung zu verbergen. Raúl war schon immer der Unruhestifter unter uns vier Kindern gewesen. Trotz, dass er eineinhalb Jahre älter als ich war, mussten mein älterer Bruder Elias und ich ihm sehr oft aus der Patsche helfen damit Vater ja nicht Wind davon bekam. Insbesondere nichts von seinen Frauengeschichten.

Raúl lachte laut auf und antwortete nun wieder auf Englisch, sodass Delilah interessiert den Kopf anhob.

«Was ist Schwesterchen ? Waren wir gestern Nacht etwa zu laut und haben dadurch deinen Schönheitsschlaf unterbrochen ?»

Raúl wusste ganz genau, dass die nächsten Worte, die meinen Mund verlassen würden lauter Beleidigungen und Tadelungen über sein Fehlverhalten sein würden. Da aber Delilah in unserer Nähe war und er das Gespräch wieder im Englischen fortführte, war er sich ebenfalls schier darüber im klaren, dass ich das in ihrer Gegenwart nicht tun würde. Deshalb warf ich im nur noch einen warnenden Blick zu und setzte meinen Weg fort.

Wie ich bemerkte, waren wir sowieso fast an der Bürotür von Papá angekommen, denn plötzlich drangen immer lauter werdende Stimmen zu uns durch. Doch da sahen wir ebenfalls, dass sich vor dem Büro von ihm ein Wachmann positioniert hatte. Verwundert und skeptisch zugleich über solch eine erwogene Maßnahme, warfen Raúl und ich uns gegenseitig einen fragenden Blick zu.

As wir an der Tür ankamen und den Raum betreten wollten, versperrte hingegen genau dieser Wachmann uns den Weg und fixierte bedrohlich seine Blick auf Delilah, die durch seinen Blick eingeschüchtert, ihre Gesicht in meine Haare vergrub. Instinktiv wurde mir mulmig zumute und ich trat, von der großen Statur des Mannes überrumpelt, einen Schritt zurück.

«Sie bleibt hier.»Seine Stimme klang befehlend, klar und endgültig. Verwundert über seine offenkundige Unhöflichkeit, drückte ich Delilah noch näher an mich und strich ihr über den Rücken. Sie hatte Angst. Das spürte ich sofort, als sich ihre kleinen Finger in meine Jacke vergruben und sie leise winselte. Bevor ich ihm wütend, dass er meine kleine Schwester verängstigt hatte, einpaar Takte zu sagen konnte, sah ich vom Augenwinkel aus, wie Raúl sich vor uns aufbaute und den Kopf nach vorne gestreckt mit einer Kopfbewegung zur verängstigten Delilah hindeutete.

«Was fällt dir ein so mit ihr zu sprechen ? Weißt du überhaupt mit wem du es hier zu tun hast ?», richtete sich Raúl angriffslustig an den Wachmann. Denn eine Sache die Raúl noch mehr hasste, als dass man sich in seinen Lebensstil einmischte war es, wenn jemand uns etwas anhaben wollte. So sehr Raúl auch das genau Gegenteil von mir war und so sehr ich auch seine Eskapaden missachtete, konnte ich dennoch nicht anders, als ihn für diese winzigen Momente, wo er bei Besinnung war, zu bewundern.

«Aber Sir, Mr. Alington ...», fing der Wachmann vorsichtig an, doch mit einem leisen Knurren wurde er von Raúl unterbrochen.

«Was mein Vater sagt, ist mir egal. Ich bin Raúl Alington und wenn ich sage, dass sie diesen Raum betreten darf, dann darf sie das auch.»

Der Wachmann bedachte Raúl mit einem monotonen Blick, doch als er weiterhin seinem sturren und selbstsicheren Blick ausgesetzt war, wurde auch ihm klar, dass Raúl kein Schritt zurück machen würde, bis er das bekam was er wollte.

Und obwohl Raúl diese Sturköpfigkeit öfters in Schwierigkeiten gebracht hatte, erwies diese das ein oder andere Mal dennoch seine Vorzüge, genau wie jetzt auch. Denn der Wachmann trat zur Seite und wir konnten nun ungehindert den Raum betreten.

Nachdem ich die ersten Schritte gemacht hatte, waren es nicht die zwei weiteren Wachmänner, die sich an die linke Wandseite positioniert hatten auf die ich achtete, es war nicht Vater der die Stirn in Falten gelegt, sich an seinem Schreibtisch wütend mit dem Körper zu den Wachmännern gedreht hatte und diese anschrie und es war auch nicht mein älterer Bruder Elias, der neben Vater am Schreibtisch stand. Nein, es war die gegenüberliegende Wand, das Familienporträt, das meinen Blick gefangen hielt und weshalb ich scharf die Luft einsog. Ich stoppte in meiner Bewegung.

Raúl, der zunächst mein Stutzen kaum bemerkt hatte, hatte weitere Schritte gemacht, ehe er mich von der Seite bemerkend, ebenfalls zum stehen gekommen war und mich verwirrt angeblickt hatte. Als dieser meinen starren Blick sah, folgte er diesem und riss daraufhin ebenfalls völlig eingenommen die Augen auf. Keiner von uns gab einen Ton von sich. Nur Delilah spielte summend mit meinen Haaren und hatte das Szenario somit nicht komplett vor Augen.

«Nur eine Aufgabe hattet ihr. Nur eine einzige und das ist dieses Haus und meine Familie zu schützen. Wofür habe ich euch eingestellt, wenn ihr selbst das nicht auf die Reihe bekommt !»

Ein lauter Knall erklang. Papá hatte die Stimme erhoben und mit ihr die Hand, die wütend auf seinem Schreibtisch aufkam. Ich zuckte zusammen, Delilah gab einen erschrockenen Laut von sich und drehte sich nun ebenfalls nach vorne.

«Vater, beruhige dich. Schließlich ist nichts gestohlen worden», sah ich Elias auf Papá einreden und da erst bemerkte ich die geöffneten Schubladen und den offenen Tresor, neben dem Schreibtisch. Ich hielt den Atem an.

«¡ Jolines ! Und was ist dann das hier ? Willst du mir erklären, was das ist !»

Papá hatte die Hand ausgestreckt und zeigte nun an die Wand auf dem Raúls und mein Blick haftete, seit wir den Raum heute das erste Mal betreten hatten.

Auf das große Familienporträt der Alingtons.

Jedes Jahr war das Familienporträt eine Tradiotion gewesen um diese, für die Presse parat zu legen und zu zeigen, was für eine starke stabile Familie wir waren. Dieses Bild hingegen war das letzte mit Mamá, nur wenige Monate vor Delilahs Geburt geschossen worden.

Mein Vater und meine Mutter saßen beide auf einem Sessel, welches dem viktorianischen Stil entsprach. Vater wirkte in seinem maßgeschneiderten Anzug, dem wissenden Lächeln und der kubanischen Zigarre in seiner Hand, machtvoll wie immer. Mutter hingegen hatte neben ihm sitzend die Hände beschützerisch auf ihren gewölbten Bauch gelegt und lächelte glücklich in die Kamera. Ihre schönen karamellfarbigen Haare waren fließend zur Seite geschoben worden.
Elias, hatte seine Hand auf Mutters Schulter gelegt gehabt, Raúl hingegen, der zu dieser Zeit noch recht klein war für sein Alter, stand, die Brust ausgestreckt, neben Vater und ich hatte neben den dunklen Anzügen der Männer ein weißes Kleid an und saß in einer mir vorgegebenen eleganten Pose auf dem Boden. Es war das perfekte Familienporträt. Das perfekte Familienporträt der Familie Alington.

Doch ein Blick da drauf machte diese Aussage von mir nun zunichte. Jeder in Raum war verstummt und blickte geradewegs auf das Bild empor. Denn das Porträt hing nicht mehr makellos an der Wand. Es war als wären spitze aggressive Messerstiche durch diese gezogen worden, die über das ganze Bild verliefen und unsere Gesichter für immer verunstalteten. Jedoch war dies nicht das Einzige, was mich an der Sache so sehr erschreckte, sondern das Wort, was mit der Messerspitze auf diese eingraviert worden war.

«Hermana, qué significa 'ladrones ?» Alle Köpfe schossen in meine Richtung. Ich schluckte hart und blickte zu der Stimme nieder, die sich an mich gewandt hatte und nun wissen wollte, was dieses Wort auf unserem Familienbild zu bedeuten hatte.

Mit leicht geöffneten Lippen wusste ich nichts daraufhin zu erwiedern. Wie sollte ich einem kleinen Kind erklären, dass das Wort ladrones übersetzt Diebe hieß ? Würde sie sich dann nicht erst recht fragen, warum genau das auf diesem Bild stand, genau wie ich es jetzt gerade tat ? Lauter weitere Fragen würden aufkommen, auf die ich als ihre Schwester keine Antwort hatte und keine haben würde.

Hilfe suchend begegnete ich Papás strengem Blick, was mir zu verstehen gab, dass es ein Fehler war Delilah mit ins Büro genommen zu haben.

«Delilah geh in dein Zimmer.»

«Pero Papá... », fing Delilah in meinen Armen an zu quengeln, doch Papá bedeutete ihr mit der Hand still zu sein. Da wir sehr genau wussten, dass man Papá in einem stressigen Zustand nicht noch mehr zusetzen sollte, ließ ich Delilah auf ihre Füße fallen und bückte mich zu ihr runter. Sie hatte schmollend das Gesicht verzogen.

«Mi corazón, du hast Papá gehört. Geh in dein Zimmer und spiel mit deinen Puppen, ja ? Ich verspreche dir, dass ich gleich nachkommen und mit dir spielen werden. Tu mir diesen gefallen, bitte.»

Delilah hatte zu Boden geblickt und die Arme vor der Brust verschränkt, während sie die Augenbrauen zusammenzog. Ich konnte nicht anders als kurz aufzulächeln, da selbst ihr wütender Zustand sie wie ein Engel aussehen ließ.

Ich verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust und unternahm einen erneuten Versuch.

«Ich habe sogar bitte gesagt. Ich dachte wir hätten eine Vereinbarung getroffen. Wer bitte sagt, dem darf der Wunsch nicht ausgeschlagen werden. Willst du dein Versprechen brechen ?", fragte ich gespielt beleidigt und beobachtete dabei vom Augenwinkel aus, wie Delilahs Fassade bröckelte.

«Mhh na gut. Aber du kommst gleich, no

«Natürlich», sagte ich lächelnd und gab ihr einen Wangenkuss, woraufhin sie uns munter zuwinkend den Raum verließ. Als die Tür ins Schloss fiel erstarb mein Lächeln sofort und ich drehte mich ernst dreinblickend nach vorne, um meine Gedanken auszusprechen bis Raùl mir in die Quere kam.

«Was ist passiert ?», richtete er das Wort nach vorne und blickte erwartungsvoll von Papá zu Elias und wieder zurück.

«Kann uns jemand Mal aufklären», mischte ich mich zur Verstärkung ein, als keiner uns antwortete.

Elias war der Erste, der diese unangenehme Stille durchbrach, indem er laut aufseufzte und den Kragen seines Hemdes mit der Hand zu lockern bestrebte.

«Gestern Nacht ist hier jemand eingebrochen.»

«Was ?», kam es gleichzeitig aus Raúls und meinem Munde. Wäre die Situation nicht zu verkorkst hätten wir womöglich darüber gelacht, da wir uns immer schon eher wie Zwillingen verhielten, als wie Geschwister. Doch gerade war keinem von uns zu Lachen zumute.

«Was meinst du mit eingebrochen ? Als Delilah alleine mit den Bediensteten war ?», fragte ich ehrfürchtig und musste daran denken, wie wir alle den Silvesterabend gefeiert, uns amüsiert hatten, obwohl Delilah womöglich in Gefahr schwebte.

«Nein. In der Nacht, als wir alle schon Zuhause waren», mischte sich Papá ein und blickte Stirnrunzelnd auf seine Unterlagen nieder, die auf seinem Schreibtisch zerstreut vorlagen.

«Und wurde etwas gestohlen ?», fragte Raúl, erntete aber als Antwort ein Kopf schütteln von Elias.

«Nein. Genau das ist ja auch das Komische daran. Wenn es schon jemand geschafft hat, durch als die Wachmänner und Alarmanlagen durchzukommen, die wir hier überall installiert haben, dann muss er ja auf der Suche nach etwas gewesen sein. Aber Nein, aus dem Tresor wurde nichts gestohlen und auch alle Akten über unsere Mandanten haben wir noch.»

«Ernsthaft ?», fragte Raúl ungläubig.

«Ja... Nur das ist Beweis dafür, dass hier jemand eingebrochen ist. Hätten wir dies nicht mitbekommen, wäre uns womöglich erst gar nicht aufgefallen, dass hier jemand war.»

«Also ist er wie ein Phantom rein und herausspaziert und keiner hat was mitbekommen oder gesehen ?», fragte ich nun ebenfalls ungläubig. Papá hatte immer sehr viel Wert auf unseren Familienschutz gelegt und ebenfalls auch auf unserem Familienbesitz. Da er sich durch seine ansehnliche Familienkanzlei viele Feinde gemacht hatte, bestand er von vornherein darauf, dass das Haus überwacht und beschützt werden sollte und genau deshalb hatte er die besten Sicherheitssysteme installieren lassen. Dass jemand all das niedergetrampelt hatte, ließ meinen Mageninhalt hochkommen.

«Doch...», mischte sich Elias nun wieder ein und hielt einen roten Hefter in die Höhe, welches er auf dem Schreibtisch liegend in die Hand genommen hatte.

«Nach sämtlichen Untersuchungen hier im Haus sind wir nochmal die Überwachungsvideos durchgegangen. Wir haben ein verschwommenes Bild finden können, doch beim heranzoomen konnte man dennoch das Gesicht des Einbrechers nicht identifizieren.»

Raúl und ich streckten gleichzeitg die Hand danach aus. Als Raúl mir jedoch zuvorkam, blickte ich über seine Schulter hinweg und erstarrte, als ich einen großen in schwarz verkleideten Mann auf dem Bild sah. Mehr als, dass er gut gebaut war, konnte man wie Elias schon gesagt hatte nicht erkennen, doch mir erbleichte das Gesicht, als mir plötzlich eine andere Erkenntnis durchsickerte.

Als Papá anfing erneut entzürnt auf die Wachmänner einzureden und Raúl, Elias ausfragte, versuchte ich Illusion und Realität miteinander zu verbinden, sie in Einklang zu bringen. Doch die Bilder schwirrten so durcheinander in meinen Kopf herum, dass ich weiterhin auf das Bild blickend dastand. Meine Atmung verlief immer flacher, meine Sicht wurde immer verschwommener und die Stimmen um mich herum immer lauter, trotz, dass ich sie kaum wahrnehmen konnte. Als ich meine Stimme erneut wiederfand, war nichts als ein Flüstern auszumachen.

«Der Einbrecher war in meinem Zimmer. Gestern Nacht war er in meinem Zimmer. Ich... Ich habe ihn gesehen», gab ich immer noch das Bild anstarrend von mir, bis ich im nächsten Augenblick die Tragweite meiner Worte spürte.

Stille legte sich im Raum. Eine Stille, die nichts Gutes zu bedeuten hatte und als ich den Blick anhob und alle Augenpaare auf mich gerichtet sah, da konnte ich nicht anderes, als wieder auf das Bild dieses Einbrechers zu blicken und mich zu fragen, was dieser Typ von meiner Familie wollte. Wer von uns war ein Dieb, er oder... wir ?

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