(9) downfall of a good heart

The only downfall of having a good heart is that you're constantly looking for angels inside of demons.
And they wonder why the good knows so much pain...
- r.h. Sin

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- Lanohiah, jetzt -

In unserer Existenzgeschichte der Engel gibt es eine Legende, die besagt, wie der erste Engel geboren wurde. Natürlich gibt es verschiedene Sagen, Mythen, die Evolutionstheorie, die Erschaffungsgeschichte von Gott und Legenden. Die Legende, die mir immer erzählt wurde, war die Folgende:

Es war einmal ein Geschöpf, welches niemanden hatte auf dieser Welt. Dieses menschenähnliche, weibliche Geschöpf irrte umher und wusste nicht, woher es stammte oder was zu tun war mit seiner Existenz.

Irgendwann hatte es so viel Leid und Kummer und Grausamkeit gesehen, dass es in den Wald flüchtete und Schutz vor der Welt suchte. Mit ihrer letzten Kraft sank sie auf den Boden hinab und weinte bitterlich, Stunden, vielleicht sogar Tage.

Irgendwann sah sie hinauf, aber sie entdeckte keinen blauen Himmel, sondern Rauch. Eine Rauchgestalt, welche sie die ganze Zeit über beobachtet hatte. Es sah grauenvoll und furchteinflößend aus, mit schmalem Gesicht, riesigen Hörnern, blitzenden Augen und einem aus dunklem Rauch bestehenden Körper.

Das Mädchen, welches bereits so viel Grausamkeit gesehen hatte, zuckte voller Furcht zurück. Die Rauchgestalt kam näher, genoss ihr Leid und ihre Angst.

Nun sah das Mädchen weiter auf, im Glaube es sei ihr letzter Augenblick. Ihr Blick traf auf die Augen des Wesens. Sie erkannte etwas, was sie wohl nie vermutet hätte. Ihre ganze Angst verschwand. Ruhe durchströmte sie. Sie hatte keinerlei Furcht mehr.

Die Rauchgestalt stockte, sah zurück und erkannte die Veränderung in ihren Augen. Es kam näher, fuhr die rauchige Hand aus. Die zarte Hand des Mädchens streckte nach oben. Als sich beide berührten, war etwas Neues geboren. Geboren aus Angst, die sich durch bloßes, bedingungsloses Vertrauen in Mut und Vorurteilslosigkeit verwandelte.

Aus dem Mädchen ward ein beflügeltes Geschöpf. Es war die Sekunde, in welcher der erste Engel geboren wurde.

*

Den Grund, weshalb mir die Legende genau jetzt einfiel, konnte ich nicht bestimmen. Wir stießen vom Boden hinab und unsere Flügel trugen uns in die Lüfte.

"Caracasa, ist er zu retten?", fragte Melahiel, als wir über den Bäumen schwebten. Der Troll ging weiter auf uns zu, kam uns immer näher. Dem Engel mit dem zarten Gesicht neben mir stömten Tränen über die Wangen. Starr blickte sie geradeaus, ohne ihren Blick auch nur eine Millisekunde vom Waldtroll abzuwenden.

"Die Verbindung mit der Natur, sie ist...", ihre schwache, dünne Stimme brach endgültig ab. Niemand von uns sprach ein Wort. Der Troll befand sich fast genau unter uns. Die Vögel flogen dicht an uns vorbei. Caracasa sah nach unten. Ihre Tränen versiegten.

"Nein."

*

Während der Dämmerung saß ich in der Ecke von Hiras Zimmer, lauschte der Klaviermusik und sah sie an, wie sie im Bett lag, ein dunkelrotes Buch las, zwischendurch aufsah und gedankenverloren geradeaus starrte. Doch eigentlich sah ich es nicht richtig.

Ich sah das Gesicht und den Körper eines Waldtrolls, ich hörte Kampfgeräusche, bitterliches Geschrei, das Krächzen von Vögeln und die furchtbare Stille, die dann nur noch durch das Rauschen des Windes in den Bäumen unterbrochen wurde.

Verwirrt vergrub ich den Kopf in meinen Händen. Ich verstand mich nicht. Wie oft hatte ich schon magische Wesen, die gegen die Gesetze verstießen, umgebracht oder ans Gericht ausgeliefert, dessen Urteil auch meist das Todesurteil war? Es hatte mir nie das Geringste ausgemacht. Immerhin ist es meine Pflicht und meine Bestimmung, mich um die Ordnung dieser Welt zu kümmern. Was war heute anders gewesen?

Ich sah auf und blickte Hira an. Tief in mir spürte ich ihre Ruhe, schloss die Augen und konzentrierte mich darauf. Als ich die Augen wieder öffnete, verstand ich, warum mir die Legende zuvor eingefallen war.

Weil wir heute ganz anders gehandelt hatten, als es der erste Engel getan hätte.

***

- Hiraeth, jetzt -

Schweiß klebte an meinem ganzen Körper, wäre mir ohne meine Augenbrauen in die Augen getropft, während ich ausholte und zuschlug. Das dickte Material über meiner Haut traf auf festen Widerstand.

Konzentriert beobachtete ich, wie der Boxsack kaum zurückschwang, wartete weniger als eine Sekunde ab, schlug wieder zu, blendete alles um mich herum aus.

Ein paar Schläge später entdeckte ich den Leiter dieses Boxclubs, der mich und die anderen beobachtete und erinnerte mich daran, dass ich los musste. Tief durchatmend streifte ich mir die Handschuhe von den Händen.

"Das waren kontrollierte Schläge heute, sehr gut, Hira", lobte der Trainer mich, welcher mich einige Tage zuvor aus dem Ring zum Boxsack geschickt hatte, weil ich zu unkontrolliert und unkonzentriert gewesen war.

Ich setzte mich wenige Minuten abseits hin und ruhte mich aus, während ich die Bandagen von meinen Händen abwickelte. Dann sammelte ich meine Sachen zusammen und zog mir meine Jacke über.

Hier war zwar alles relativ sauber, aber der Gedanke an öffentliche Duschen ließ mich trotzdem schütteln, außerdem brauchte ich nur zehn Minuten zu Fuß, bis ich wieder beim Appartement war.

Draußen kühlte der frische Herbstwind mein noch immer rotes und warmes Gesicht. Ich zog mir die Kaputze über die Haare und in mein Gesicht, als ich mich auf den Weg machte.

Nach einigen Minuten atmete ich erleichtert aus. Jedes Mal musste ich befürchten, dass meine Pflegeeltern mich sahen, wie ich aus dem Boxclub kam. Sie hatten es mir nicht direkt verboten -eigentlich nur, weil ich ihnen von Anfang an nichts davon erzählt hatte- aber ich wusste, was sie davon halten würden.

Es war ein heruntergekommener Fleck und der Trainer nahm oft auch ärmliche Jugendliche mit Aggressionsproblemen auf, um sie "vom falschen Weg abzubringen". Sobald meine perfekten Pflegeeltern davon erfahren würden, wäre ihr perfektes Image wohl lebensbedrohlich gefährdet.

Seufzend öffnete ich die gläserne Eingangstür und betrat den Aufzug, mit dem ich einige Stockwerke nach oben fuhr. Dann schloss ich die Wohnungstür auf und wunderte mich nicht, dass niemand da war. Wie fast immer, eigentlich.

Ich wusste, dass ich nur Dekoration in dieser Familie war. Obwohl mir das nie direkt gesagt wurde, war es mir klar. Ich war ja schließlich nicht blöd. Obwohl Suzanna es schon lange versuchte, bekamen sie einfach kein Kind. Also hatten sie und ihr Mann Thomas eines adoptiert. Ein älteres, das sie auch alleine lassen konnten, während sie auf Geschäftsreise fuhren. Hauptsache, sie galten als die Retter, die eine zuvor als gewalttätig geltende Jugendliche bei sich zu Hause aufnahmen.

Achtlos warf ich meine Klamotten zu Boden und betrat die Dusche, genoss das heiße Wasser und die durch den Dampf verblasste Sicht. Ich schloss die Augen, lauschte dem rauschenden Wasser, wie es auf den Duschenboden tropfte.

Ich wurde einmal herzlich aufgenommen, bei einem Ehepaar, das mich wohl wirklich wollte. Es waren wunderbare Menschen. Ihr Sohn nur leider nicht.

Tief ausatmend öffnete ich die Augen und starrte auf die reinen, blitzblanken, weißen Fliesen. Feuer, vor meinem inneren Auge. Ein dunkler, entsetzter Schrei und schockierter Gesichtsausdruck, vor meinem inneren Auge.

Mein Mundwinkel zog sich nach oben, zu einem Grinsen, das ich nicht zurückhalten konnte.

*

-Hiraeth, vor sechhundertundzwanzig Tagen-

Barfuß stand ich im grünen Gras, das mich zwischen den Zehen kitzelte. Dann öffnete ich die hölzerne Tür und trat ein. Mit stockendem Atem stand ich im abgedunkelten Schuppen. Ich sah mich um.

Ein altes Sofa, ein paar Sessel, ein Tisch. Alte Bilder und Dekorationen an den Holzwänden. Aber all das zog meine Aufmerksamkeit nicht auf sich. Mit nackten Füßen schritt ich durch den Raum, meine Finger strichen langsam über den Rand des Sofas. Mich durchzuckte eine Erinnerung.

Das dreckige Grinsen von Mick. Seine lallende Stimme. Seine grapschenden Finger. Das Gesicht seiner beiden johlenden Freunde. Mein verzweifelter Versuch, mich loszureißen. Finger an meinem Körper. Meine Hände, die er gewaltsam an seine Körperteile legte. Mein schwerer Atem, als ich mich losmachen konnte und aus dem Schuppen flüchtete.

Tief durchatmend ging ich durch den kleinen Raum und öffnete die Kiste am anderen Ende. Ich nahm zwei der Wodkaflaschen heraus. Öffnete die eine. Nahm einen Schluck. Verzog das Gesicht. Verschüttete den Rest auf dem Sofa. Nächste Flasche. Einige Schlücke. Den Rest auf dem Holzboden, den Sesseln.

Zog Streichhölzer hervor, entzündete eines, starrte das kleine Feuer auf dem kleinen Stück Holz an. Warf es auf das Sofa.

Drehte mich um, trat aus der Scheune, schnappte mir sein geliebtes, sauteures Rennrad.

Ich betrat den Schuppen wieder und starrte wie gebannt in das sich ausbreitende Feuer. Stand dort, während sich alles vor mir erhitzte. Warf das Rad in die Flammen.

Alle Erinnerungen an seine ständigen gehässigen Kommentare, seine Hänseleien mit seinen Freunden, die Grapschereien, die Nacht in diesem Schuppen, meine ständige Angst, meine Albträume, all diese Erinnerungen sog das Feuer in sich auf, verbrannte sie. Nahm sie von mir.

Ich stand dort, blickte in die Flammen. Und grinste.

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