(50) the world on fire

No one expects an angel to set the world on fire
- Unknown
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- Lanohiah, drei Wochen später -

Wenn du nicht mehr der beste Schutzengel deiner Akademie bist, wenn du die Gesetze gebrochen hast und dich in einer entfernten Unterkunft befindest um deine Sozialstunden abzuleisten, dann erkennst du, wer wirklich deine Freunde sind.

Es stellte sich heraus, dass ich nur einen einzigen Freund hatte.

Völlig erledigt warf ich mich ins Bett, aber anzunehmen, dass ich müde wäre, das war falsch. Mit weiten Augen starrte ich an die dunkle Zimmerdecke.

Keiner meiner anderen Freunde war her gekommen und hatte sich persönlich nach mir erkundigt. Nicht Kaliel, die ich eigentlich als gute Freundin betrachtet hatte, nicht Habuhiah, mit der ich öfter als mit jeder anderen geschlafen hatte, nicht Caracasa, die mir damals ihren Verdacht geäußert hatte, nicht die Engel, mit denen ich auf unzähligen Missionen war oder privat meine Zeit verbracht habe.

Niemand von ihnen.

Nachdenklich verschränkte ich meine Hände hinter meinem Kopf und bekam ein paar weiche Federn zwischen meine Finger. Ich grinste bei dem Gedanken, wie Vira sie mir damals in ihrem Zimmer ausgerissen und sie danach ungläubig angestarrt hatte.

Blitzschnell richtete ich mich auf, meinen Kopf schüttelnd. Ständig suchten mich Erinnerungen heim, die mir letztendlich einfach nur wehtaten. Also verdrängte ich sie so gut es ging.

Plötzliche Aggression machte sich in mir breit, sodass ich aufstand und den Drang verspürte, meine Fähigkeiten irgendwie anzuwenden und meine ganze Wut rauszulassen. Aber aus der Sozialunterkunft konnte man nicht einfach so ohne vorherige Anmeldung raus. Und mein Zimmer hier in Brand zu stecken wirkte sich wohl auch nicht gerade strafmildernd aus.

Ganz plötzlich hämmerte es an meiner Zimmertür. "Lano!"

Was machte Kev denn hier, unangemeldet am späten Nachmittag?

"Ja?", antwortete ich verwundert, woraufhin mein bester Freund die Tür aufriss und in den Raum hineinstolperte. Beinahe blieben seine Flügel an den Seiten des Türeingangs hängen. Einerseits weil es hier überall verdammt eng war, andererseits weil er vor Aufregung vergaß, sie auf dem Rücken zu falten.

Erst wollte ich einen dummen Spruch bringen, doch dann betrachtete ich sein Gesicht.

"Kev, was ist los?"

"Das Gerichtsgebäude", stieß er atemlos hervor.

"Es wird angegriffen."

*

Obwohl ich keine Erlaubnis hatte die Unterkunft ungebeten zu verlassen, rannten Kev und ich nach draußen und stießen uns flügelschlagend vom Boden ab.

"Was genau ist passiert?", wollte ich wissen, während wir immer höher und schneller flogen.

"In der Akademie ging die Meldung ein, dass eine Gruppe von bestimmt tausend Verrätern mit was weiß ich wie vielen magischen Wesen verschiedene Gerichtsgebäude angreifen. Dutzend Schutzengelteams wurden geschickt, ich auch, aber ich hab mich davon geschlichen um dir Bescheid zu sagen", berichtete Kev mir, während er mir ein Schwert entgegenstreckte.

"Danke, Kev", sagte ich. Ich wusste, welche möglichen Konsequenzen er damit auf sich nahm, falls man ihn erwischen würde.

"Was macht es für einen Sinn?", wunderte er sich. "Wieso jetzt angreifen? Das verhärtet die Fronten doch nur noch mehr. Was soll es bringen?"

"Rache", antwortete ich, den lodernden Blick Viras vor meinem inneren Auge, als sie in den Gerichtssaal gestürmt kam. "Andererseits fühlen sie sich unterdrückt und machtlos. Krieg ist wohl die letzte verbleibende Möglichkeit für sie, da wieder raus zu kommen."

Fraglich war nur, weshalb sie gerade jetzt den Angriff durchführten. So kurz nachdem Vira ihnen beigetreten war. Wieso nicht schon früher? Was hatte das alles nur zu bedeuten?

"Und wieso zum Teufel haben sie den Großteil der magischen Wesen auf ihrer Seite?", fragte mein bester Freund.

"Weil wir Engel über sie herrschen und sie unterdrücken, Kev. Bei jedem Vergehen ihrerseits haben wir sie bestraft, aus dem Weg geschafft, abgeschlachtet. Nicht um die Menschen zu schützen. Um unsere Macht zu schützen."

Kev riss die Augen weit auf und starrte mich an. "Was?"

"Ich habe es auch nicht wahrhaben wollen. Aber Vira hat mich zum nachdenken gebracht." Ich hielt mir eine Hand an die schmerzenden Unterseiten meines Rückens. Schon lange war ich nicht mehr so schnell und ausdauernd geflogen. "Das System ist nicht mehr, wie es mal war. Das Prinzip kann noch so gut sein, wenn die falschen Engel an der Macht sind, dann ist es hoffnungslos."

"Und was machen wir jetzt?"

"Ich muss mit Vira reden, unbedingt."

"Ja, das dachte ich mir schon", offenbarte Kev seufzend.

Im Rekordtempo flogen wir weiter, wobei ich mich bemühte, mich nicht ans Ende meiner Kräfte zu bringen. Die würde ich noch zur Genüge für dem Kampf benötigen, dabei hatte ich sowieso das Gefühl, dass es mit jeder Sekunde immer mehr zu spät sein könnte.

Als wir dann endlich bei einer halben Ewigkeit in der Nähe des Gerichtssaales waren, konnte man zuerst die Schreie hören, dann den Rauch riechen und dann letztendlich das Schlachtfeld sehen.

Das komplette Gebäude stand in Flammen.

Die Welt stand in Flammen.

Egal wo ich hinsah, die Bäume und Wälder und Gebäudekomplexe brannten, Engel brannten, magische Wesen brannten.

Ein heftiges, schweres Gefühl drohte mein Herz zu umschließen, aber ich schob es sofort beiseite. Noch war etwas zu retten. Noch waren Lebewesen zu retten.

Die Schreie drangen mir zu Ohren und erschütterten Leib und Seele. Wo war Vira? Wieso ließ sie das zu?

"Pass auf!", schrie Kev neben mir und zog mich gerade rechtzeitig zur Seite. Ein Feuerball schoss haarscharf an mir vorbei und die unerbarmende Hitze riss mich aus meiner Erstarrung.

Verdutzt sah ich aus der Richtung des Angriffs und erblickte meinen Angreifer. Ein männlicher, zornig aussehender Engel schoss Feuerbälle auf die kämpfenden und flüchtenden Engel. Er schoss auf lebende Wesen, auf seine Artgenossen.

Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich so etwas gesehen. Ich konnte, wollte das einfach nicht glauben. Wie konnte das sein? Wie konnte jemand so etwas tun?

Im Sturzflug stürmte ich zu ihm herunter und warf mich auf ihn. Mit wenigen, geübten Handgriffen hatte ich ihn umklammert und hielt seine Hände von mir. Er starrte mich an, mit überraschten, entsetzten Augen. Ich wusste, dass ich in der Lage war, ihn binnen weniger Sekunden zu töten.

Aber ich konnte es nicht.

Mir wurde schlecht, meine Gedanken überschlugen sich, meine Welt war von einem auf den anderen Moment wie auf den Kopf gestellt.

Ich beließ es dabei, den Angreifer mit gezieltem Schlag in die Bewusstlosigkeit und dann Richtung Boden zu schicken.

Hektisch sah ich mich um. Wo war Kev? Er war doch gerade eben noch hinter mir gewesen. Panik durchfuhr mich und ich flog durch die nähere Umgebung, die sengende Hitze mich zum Schwitzen und Schwanken bringend. 

In Blitzgeschwindigkeit flog ich weiter, da kollidierte ich mit etwas und spürte, wie mein rechter Flügel Feuer fing. Die Hitze war kaum auszuhalten und ich wirbelte wild in der Luft herum, bis mein Verstand wieder einsetzte. Ich flog aus dem Kampffeld und stürzte zu Boden, rollte mich auf der Erde herum, bis die Flammen erstickt waren.

Schwer atmend lag ich auf dem Boden und starrte in die Baumkronen und den Himmel. Ich roch verbannte Federn und Fleisch, aber das Adrenalin schien mich zu durchströmen, sodass ich keinen großen Schmerz spürte. Ich hob meine Hand zu der rechten Seite meines Halses und spürte ein schmerzhaftes Stechen, sodass ich sie sofort wegnahm. Verbannte Haut.

Ich rappelte mich auf und betrachtete meinen rechten Flügel. Die Federn waren angesengt, aber die Flammen waren nicht ins Innere vorgedrungen.

Dann spürte ich Krallen, die sich in meine hinteren Oberschenkel gruben und reagierte, indem ich nach hinten griff und das Wesen von mir wegzerrte. 

Prompt landete es einen Schnitt auf meiner Wange. Ich schmeckte eisenhaltiges Blut in meinem Mund. Die rotäugige, ohne Fell bedeckte Kreatur schlug nochmal mit seinen Krallen nach mir, da nahm ich meine Hände an seinen Hals, drehte, hörte ein Knacken.

Wie in Trance sah ich zu, wie es aus meinem Griff zu Boden glitt und regungslos dort liegen blieb. Ich hörte meinen rasenden Herzschlag, spürte mein Blut durch meine Adern pumpen. So etwas hatte ich schon tausend Mal getan, ohne den leisesten Anflug eines schlechten Gewissens. Warum? Hatte ich mich damit getröstet, dass es zum Schutz des Systems gewesen war?

Ich drehte mich um und spuckte das Blut aus meinem Mund. Verdammt, wo zur Hölle war Kev?

Ohne eine andere Wahl hob ich mich wieder vom Boden ab. "Kev, wo bist du?!", schie ich durch die Schreie und Kampfgeräusche, wobei mir erschreckenderweise auffiel, dass diese weniger zu werden schienen. 

Aus dem Augenwinkel entdeckte ich, wie in einiger Entfernung etwas im Sturzflug aus dem Kampffeld Richtung Waldrand stürzte. Es wirbelte durch die Luft und schlug dann auf dem Boden auf. Bei genauerem Blick erkannte ich, dass es zwei Engel waren.

Vira und Kev.

Die Hände zu brennenden Fäusten geballt und von vollkommener Wut getrieben flog ich los, so schnell wie mein verletzter Flügel mich tragen konnte. 

Wie konnte sie das nur tun? Wie konnte sie meinen besten Freund angreifen, der sie damals sogar beschützt hatte?

Vira hatte sich aufgerappelt und starrte den zu Boden liegenden Kev an. Warum bewegte er sich nicht? Blutspritzer bedeckten Viras gesamtes Gesicht. Kevs Blut? 

Schreiend riss ich sie zu Boden, spürte, wie ihr zarter Körper hart auf der Erde aufschlug und hörte sie schmerzerfüllt aufstöhnen. Sogleich überkamen mich Sorgen und Schuldgefühle und ich hätte mich dafür verfluchen können. 

Alle Gefühle beiseite schiebend packte ich ihre Handgelenke, presste sie auf den Boden und starrte ihr ins Gesicht. Dicke Tropfen Blut aus meiner Wunde trafen auf ihre Haut, doch sie zuckte nicht einmal.

Amüsiert funkelnde, braun-grüne Augen fixierten die meinen. 

"So sieht man sich wieder, Lano."

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