(49) a ladder to the sky
She couldn't feel her wings
but knew they were there
so she build a ladder that led to the sky and when she touched the clouds
she remembered how to fly
- Atticus
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- Virago, jetzt -
Die Flügel des Engels vor mir waren gewaltig. Sie waren das erste, was mir ins Auge stach. Unglaublich weiß und durchzogen von einer anderen Farbe. Nicht grau, sondern elegantes Silber an jeder einzelnen Spitze jeder Feder.
Sie sah mich an und ich erkannte meine Augen in ihren wieder. Dasselbe Braun mit einem Hauch von Grün. Nur, dass der Ausdruck in ihnen mich erschrak. Früher waren diese Augen sanft gewesen. Jetzt machten sie mir Angst.
Für eine Millisekunde sahen wir uns an. Dann löste sich die Spannung in ihrem Gesicht, ihre Lippen öffneten sich einen kleinen Spalt breit und ich konnte sehen, dass sie begriffen hatte. Sie stand auf, fixierte mich und schritt rasch näher, während ich mich an Ort und Stelle mit dem Boden verschmolzen fühlte.
"Vira", stieß sie hervor und zog mich in eine feste Umarmung. Tränen traten in meine Sicht, als ich ihren Geruch einatmete. Ich schloss die Augen und spürte, wie sich irgendetwas in mir vervollständigte. Ich hatte sie so vermisst.
"Ich bin so froh dich zu sehen", stieß sie hervor, fasste mich an den Schultern und sah mir ins Gesicht. "Es tut mir so leid, Vira, es tut mir so leid." Mit völlig schmerzverzehrtem Gesicht blickte sie mich an.
Da war es zu viel für mich. All der Schmerz der letzten Jahre brach aus mir hervor und ich vergrub mein Gesicht in ihrer Schulter, bitterlich weinend. Meine Füße versagten. Zusammen sanken wir auf den Boden, eine Mutter und eine Tochter, vereint nach zu vielen getrennten Jahren.
*
Ich wachte auf. Vor drei Tagen wäre es mit meinen menschlichen Augen in dem Raum zu dunkel für mich gewesen. Aber das war es nicht mehr. Einige Minuten lang lag ich noch wach in meinem Bett. An meinem Rücken spürte ich, dass sich meine Flügel unter mir befinden mussten. Es war seltsam. Wie ein eingeschlafenes Körperteil, taub und nicht wieder spürbar.
Unbehaglich schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf meine Flügel. Langsam hob ich sie an, streckte sie zu den Seiten aus, senkte sie wieder, hob sie wieder an. Obwohl ich mir wirklich Mühe gab fühlten sich die Bewegungen noch immer schwerfällig an.
Schließlich rappelte ich mich auf. Ich fühlte mich schrecklich. Meine Augenlider fühlten sich schwer, dick und geschwollen an. Meine Kehle war staubtrocken.
Es dauerte etwas, bis ich passende Sachen im Kleiderschrank fand. Dann betrat ich das Badezimmer meiner Familie. Familie.
Ich ging zum Spiegel und erschrak bei meinem Anblick. Meine Haare waren zerzaust wie noch nie. Meine Flügel hingen noch immer leblos an mir herunter. Meine Augen hatten einen ungesunden, rötlichen Ton. Mein Spiegelbild machte mich unsicher.
So lange ich konnte vergrub ich mein Gesicht in zwei Händen voll kaltem Wasser. Wenn Lano mich jetzt sehen könnte. Er wäre schockiert, dass ich morgens tatsächlich noch schlimmer aussehen konnte wie am einen Morgen in der kleinen Waldhütte.
Es war verrückt, dass ich noch immer an ihn dachte. Etwas für ihn empfand. Ich meine, was wusste ich schon über ihn? Was wusste er schon über mich?
Ich brauchte etwas, um mich dazu zu überwinden, die Flügel verschwinden zu lassen, damit ich in Ruhe duschen konnte. Aber sobald ich das heiße Wasser spürte spülten sich meine Sorgen weg und ich fokussierte mich darauf, weshalb ich hier war und welches Ziel ich hatte.
Nachdem ich fertig war suchte ich meine Mutter. Sie mich anscheinend auch. Wir liefen uns über den Weg, als ich aus unserem Wohnbereich trat. "Dein Vater wird in Kürze eintreffen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh er sein wird, dich zu sehen."
Ich verstand ihre Worte vollkommen und doch war es unglaublich schwer, sie wirklich in mir aufzunehmen und zu verarbeiten. Alles fühlte sich einfach nur so schrecklich unwirklich an.
Schweigend folgte ich ihr zum Speisesaal des unterirdischen Gebäudes. In den letzten Tagen hatte ich erfahren, dass es weit mehr als hundert Engel hier unten gab. Außerdem gab es noch ein paar weitere Gruppierungen etwas entfernt von unserem Standort.
Von weiteren Plänen gegen das System hatte mir meine Mutter nichts erzählen wollen. Sobald ich mich wieder besser fühlen und mich an die neue Situation gewöhnen würde, könnte ich zu den Treffen mitkommen, bei denen das weitere Vorgehen ständig diskutiert und besprochen wurde.
"Vira?" Eine Stimme und ein Tippen auf meiner Schulter erweckte meine Aufmerksamkeit. Tahariel lächelte mich an, seine dunklen Flügel leicht auf und abwippend. "Lass uns zusammen essen."
Ohne Widerworte ließ ich mich mitziehen, obwohl ich es eigentlich wie die Pest verabscheute, wenn man mich einfach irgendwo hinschob. Oder zu meinem Schutze hinter sich zog. Vielleicht war dieser Stolz und die Scham wenn ich mich selbst nicht verteidigen konnte angeboren. Vielleicht waren solche Eigenschaften bei Engeln nicht unüblich.
Ich dachte an Mick, wie er uns damals mit seinen Freunden in der Gasse abgefangen hatte. Wie Liam versuchte, mich hinter sich zu ziehen. Wie Lano wahrscheinlich dort war, die Lampe zersprengen ließ. Unwillkührlich sah ich auf meine Hand hinunter, entzündete kleine violette Flammen. Der brennende Schuppen. Ich hatte Feuer schon immer gemocht.
Die Gedanken verscheuchend setzte ich mich zu Tahariel und aß etwas, auch wenn ich nicht viel runterbekam. Ich merkte selbst, dass ich still und nachdenklich war, auch in den darauffolgenden Stunden. Aber es dauerte wohl auch einfach etwas, bis man sich daran gewöhnt hatte, wenn seine ganze Welt einmal komplett durchgerüttelt wurde.
Tahariel und ich befanden uns in meinem Zimmer, als es klopfte.
Mein Herzschlag überschlug sich. Die Tür öffnete sich und dann stand da mein Vater, mein wirklicher Vater. Die Gesichtszüge waren wie immer ernst. Er wirkte älter, kalt. Und dann zeigte er sein kleines Lächeln, welches ich von früher kannte und mich durchströmten warme Gefühle, Erinnerungen an eine glückliche Kindheit.
Ich ging auf ihn zu und er nahm mich in den Arm, drückte mich an seinen riesigen Körper. Sicherheit. Zuhause. Ich war nicht allein. Ich hatte meine Familie, mehr als ich mir in den letzten Jahren hätte erträumen können.
"Ich habe gehört, dass deine Flügel nicht so richtig wollen", sagte er dann, als wir uns voneinander lösten. Überrascht sah ich ihn an. Damit hatte ich jetzt noch jahrelanger Trennung erstmal nicht gerechnet.
Seine braunen Augen strahlten, als er mich in die Lüfte hob und kurzerhand mit mir aus dem Zimmer flog. Mir entfuhr ein kleiner, erschrockener Schrei als ich meine Hände um seinen Nacken legte und mich festklammerte. Was sollte das jetzt?
"Was machst du?", rief ich mit schwacher und schreckerfüllter Stimme. "Du wirst sehen", grinste er dann, er sah mich an, seine Augen wirkten wieder warm. Mit schneller Geschwindigkeit flog er zum Hauptgang, flog immer höher und höher und höher, Richtung Eingangsluke. Wollte er raus mit mir?
Doch dann stoppte er. Mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb, als ich einen Blick nach unten warf. Die Hölle, die Flammen, genau unter mir.
"Unsere Flügel lassen uns nicht im Stich."
"Was?"
"Und falls doch, dann fange ich dich."
Oh mein Gott. "Nein!"
Ich fiel.
Ich stürzte vom Dach, in die Nacht hinein, auf die Stadt voller Menschen unter uns zu. Mein Rücken war bloß ein Rücken. Lano war bei mir. Ich wusste, dass er mich fangen würde.
Trotz des schnellen Falls riss ich meinen Kopf hoch und sah nach oben zu meinem Vater.
Er würde mich nicht auffangen können. Er war nicht Lano.
Die unbarmherzige Luft brannte in meinen Augen. Meine Flügel fühlten sich leblos an. Ich wusste nicht, wer ich war. Doch in diesem Moment wusste ich, dass ich nur mich hatte. Ich hatte so viel durchgemacht, all die Jahre gekämpft.
Egal wer ich war, egal wer ich bin, egal wer ich je sein werde. Ganz gleich, auf welcher Seite ich stehen werde und auf welcher Seite nicht. Egal, wen ich um mich habe und wen nicht.
Meine Flügel sind da. Ich habe sie. Ich habe mich, ich glaube an mich.
Meine Flügel breiteten sich aus und steuerten dem Fall entgegen. Ich schloss die Augen, denn ich vertraute mir. Mein Körper und meine Instinkte übernahmen die Kontrolle.
Dann schlug ich mit den Flügeln, kräftig und kontrolliert, einmal, zweimal, dreimal.
Und dann flog ich. Ich flog, weil ich an mich glaubte.
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Hallo Zusammen :)
Vielleicht habt ihr schon auf meinem Profil gelesen das ich momentan nicht regelmäßig aktualisieren kann. Ich hätte zwar noch minimale Zeit zum schreiben, aber ich fühle mich durch viele verschiedene Sachen irgendwie gestresst und ich will auf keinen Fall das die Qualität der Geschichte darunter leidet, deshalb werde ich schreiben wenn ich mich gut fühle und Lust dazu habe.
Riesengroßen Dank fürs Lesen und hoffentlich trotzdem Dranbleiben, das bedeutet mir wirklich unglaublich viel. <3
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