(48) nothing in this universe

And in that moment I swore
that nothing in this universe
could be so heavy as the absence
of the person you love
 - Beau Taplin
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-Lanohiah, jetzt-

Ich blickte in Viras entschlossenes Gesicht und war für ein paar Sekunden sprachlos. Das war doch Wahnsinn.

"Du verstehst das nicht", begann ich mit ruhiger, fester Stimme. "Du bist dreizehn Jahre lang mit den Vorstellungen deiner Eltern aufgewachsen. Dann warst du fünf Jahre lang nicht hier. Die Dinge haben sich geändert. Unser System ist noch viel wichtiger geworden. Es ist selbstsüchtig es für ein paar Privilegien aufgeben zu wollen."

"Privilegien? Meinungs- und Entscheidungsfreiheit sollten  Selbstverständlichkeiten sein", konterte Vira.

"Natürlich. Wie das Gericht gehandelt hat ist unverzeihbar und auf keinen Fall zu rechtfertigen. Aber die Menschen brauchen unseren Schutz."

Daraufhin lachte Vira. "Die Menschen sind die schlimmste Spezies von allen. Anscheinend wird euch auch nach dem dreizehnten Lebensjahr nicht die Wahrheit über sie erzählt. Sie morden, streben nach Macht, verurteilen, verraten, zerstören ihren eigenen Planeten. Menschen sind die selbstsüchtigsten Wesen die mir je begegnet sind."

Ein wenig entsetzt sah ich sie an. Wo kam das denn jetzt auf einmal alles her? "Es ist falsch zu sagen, dass alle Menschen so wären. Das ist falsch. Du hast doch jahrelang unter ihnen gelebt."

"Genau das ist ja die Ursache meiner Meinung", warf sie ein.

"Du wurdest als angeblicher Mensch selbst von diesen Wesen angegriffen. Gerade du müsstest wissen, wie schutzlos Menschen ihnen gegenüber sind. Familien. Kinder."

Ein Knoten bildete sich in meinem Hals. Kinder. Theo. Voller schrecklicher Bilder vor meinem inneren Auge schluckte ich hart. Mein Entschluss stand fest.

"Ich kann und werde mich nicht gegen etwas wenden, was richtig ist. Woran ich mein ganzes Leben lang geglaubt habe. Und wenn du deinen selbstsüchtigen Wünschen nachgehst, dann werden wir auf verschiedenen Seiten stehen."

Viras braun-grüne Augen wurden ausdruckslos, die Gesichtszüge verhärteten sich. Die leblosen, gräulichen Flügel hingen leblos an ihr herab. Sie wirkte kalt wie ein Stein, emotions- und gefühlslos. Ich sehnte mich nach der Zeit, zu der ich ihre Gefühle noch spüren konnte. Denn ich wusste wie gut sie sie nach außen hin verbergen konnte.

"Verstehe", antwortete sie knapp.

Ohne nachzudenken trat ich näher und hob meine Hand. Ich sehnte mich danach, ihr sanft die harten Züge aus dem Gesicht zu streichen. Meine Handfläche legte sich an ihre Wange, so passend, als wäre sie dafür gemacht worden.

Für einen Moment schloss Vira ihre Augen und ich erinnerte mich an den Moment, wo sie einfach vom Gebäude runtergesprungen war. Es war verrückt. Sie würde sich nun abermals ins Verderben stürzen und ich konnte nichts tun. Ich würde sie nicht wieder auffangen können.

In der nächsten Sekunde spürte ich ihre Lippen auf den meinen. Instinktiv schloss ich die Augen und zog sie näher zu mir heran. Mich überkam die gewohnte Wärme, als ich sie an der Taille fasste und die andere Hand in ihrem Haar vergrub, doch dann löste sie sich bereits wieder von mir.

Als wir uns anblickten konnte ich das Gefühl nicht loswerden, dass es ein Abschiedskuss gewesen war.

"Danke für alles", sagte sie aufrichtig. Und dann verschwand sie.

Einige Sekunden lang stand ich wie gelähmt im Raum, ein Gefühl der Leere und größter Unzufriedenheit breitete sich in mir aus. Das wars? So würden sich unsere Wege trennen?

Nein, nein, nein. Sie war gerade erst wieder gekehrt, nachdem ich glaubte, sie bereits verloren zu haben. Ich hatte die Hoffnung erhalten, sie lieben zu dürfen. Und nun wurde mir diese Hoffnung wieder genommen. Ich durfte, konnte es nicht. Weil sie sich meinen Feinden anschloss. Weil sie selbst zum Feind wurde. Das fühlte sich mehr als nur falsch an.

Ich verlor sie, schon wieder.

Mein Kopf schoss herum, meine Flügel trugen meinen verdutzten Körper hinaus aus dem Gebäude. Damit meine Augen sehen konnten, wie zwei Engel davonflogen und sich immer weiter entfernten.

Ein Engel mit schwarzen Flügeln und ein anderer mit leblosen, gräulichen Flügeln, in seinen Armen liegend.

***

-Virago, jetzt-

Irgendwann verlor ich die Einschätzung darüber, wie lange wir schon flogen. Ich war erschöpft und es kostete mich Kraft, wachzubleiben. Es war kaum zu glauben, was heute eigentlich alles schon passiert war.

Tahariel roch ungewohnt, aber irgendwie seltsamerweise auch ein wenig vetraut. Ein bisschen nach Tannenzapfen. Ich lag sicher in seinen Armen. Aber ich fühlte mich nicht sicher. Es waren nicht Lanos Arme.

Sogleich verdrängte ich jegliche Gedanken an meinen früheren Schutzengel. Ich konnte noch nicht darüber nachdenken, dass sich unsere Wege nun wahrscheinlich für eine sehr lange Zeit trennten. Wenn sie überhaupt wieder zusammenführen würden. 

Ich räusperte den Knoten in meinem Hals hinfort. "Wie lange dauert es noch?"

"Nicht mehr lange", erwiderte Tahariel, welcher mit zunehmender Zeit begann, sich immer wieder umzusehen. Als er meinen beobachtenden Blick bemerkte schmunzelte er. "Es darf uns niemand folgen. Keiner darf von dem Versteck erfahren."

Und somit flogen wir noch ein gutes Stück, bis Tahariel schließlich langsamer wurde.  Wir landeten auf einer großen Wiesenfläche, welche an einem Wald grenzte. Ich starrte zwischen die Bäume. Sie werden doch nicht etwa dort drin hausen?

Ich folgte dem schwarzflügrigen Engel ein Stück und betrachtete den Wald vor uns, bis er plötzlich stehen blieb. Mein Blick schoss nun zu Tarahiel, welcher sich zu mir umgedreht hatte und mich nun erst ansah. 

"Damit niemand jemals erahnen könnte wo wir uns verstecken, haben wir unseren Platz dort gesucht, wo uns niemand jemals vermuten würde. Wo man Engel niemals vermuten würde."

Ich wartete auf mehr, aber es kam nichts. Er kniete sich auf den Boden, fuhr mit der Hand über das Gras und murmelte etwas.

Vor meinen Augen zogen sich bräunliche Schlitze durch den grünen Boden, in einer viereckigen Form. Dann wurde das Gras zu grauem Metall. Vor uns war eine eineinhalb Meter große Luke in den Boden eingebracht worden.

Tarahiel sah mich an, bevor er nach der Luke griff und sie für uns öffnete.

"Wir haben uns in der Hölle versteckt."

*

Die Hölle stellte sich als ein unterirdisches Geröll heraus. Wir flogen durch eine riesige Art von Tunnel, die senkrecht weiter nach unten führte.

Ich sah zu wenig um seine Größe einzuschätzen. Aber je weiter wir hinein flogen, umso größere Ausmaße nahm es an. Es war wie ein riesiges Loch unterirdisch im Boden. Überall führten weitere Gänge und Tunnel in verschiedene Richtungen. Es erinnerte mich alles an einen Ameisenbau. Bis auf die Tatsache, dass man hier nur fliegen konnte.

Tahariel trug mich weiter hinab. Wir flogen etwa hundert oder mehr Meter hinab. Mir stockte der Atem bei den vielen Gängen, die von diesem Art Eingangstunnel abzweigten. Und noch mehr stockte mir der Atem bei den Engeln, die auf ihrem Weg anhielten und uns anstarrten. Alleine hier in diesem Haupttunnel waren das sicher um die fünfzig Engel.

Wir flogen tiefer. Je weiter wir flogen, desto mehr Fackeln hingen an den Seiten des Tunnels. Ich sah hinunter und verstand, warum sie diesen Ort die Hölle nannten. Die übermäßige Zahl von flammenden Fackeln unter mir ließ den Tunnel wie einen Gang aus Feuer wirken. Unwillkührlich fragte ich mich, wer der Satan dieses Ortes war.

Dann kamen wir am Ende an und wir konnten wieder laufen. Mir blieb nicht viel Zeit um mich umzusehen, weil ich mit Tahariels schnellen Schritten mithalten musste. 

Wir gingen durch eine rötliche Eingangstür und betraten einen Raum, erleuchtet von mehr Fackeln, wie ich sie jemals gesehen hatte. 

Am Ende des Raumes stand ein Stuhl, so groß und pompös wie ein Thron. Darauf saß ein Engel.

Und dann begriff ich, dass der Satan dieser Hölle meine Mutter war. 

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