(45) we are all angels
'we are all angels' said the little girl and the man laughed
'not all' he said
'maybe not' said the girl
'but isn't it happier to think so?'
- Atticus
______________
- Lanohiah, jetzt -
Noch immer ein bisschen benommen vom Geschehen sah ich in die Runde. Kev hinter mir sitzend, Hira und der andere Engel neben mir stehend.
Hira. Ich würde sie ab jetzt wohl Vira nennen müssen. "Was bedeutet es? Virago?", fragte ich dann, das Schweigen unterbrechend.
"So etwas wie eine starke, mutige Frau mit heldenhaften Fähigkeiten", antwortete sie mir.
"Genau so hab ich dich auch von Anfang an eingeschätzt", mischte sich Kev da ein, wie immer mit der Intention, die Stimmung etwas aufzulockern.
"Du hattest von Anfang an Angst vor mir."
"Ich hatte keine Angst vor dir. Nunja, jetzt vielleicht ein bisschen", grinste er in die Runde. Ich bemerkte, wie sich der Engel mit den schwarzen Flügeln neben Vira etwas anspannte. Wer zum Teufel war das?
Dann kamen auch schon Rochel und Ahadiel zurück. "Was, kommt ihr jetzt alle mit?", wunderte er sich.
"Ja", sagte ich schnell. Ich vertraute diesen ganzen Leuten nicht. Jemand musste Vira beschützen und das war ich. Kev stöhnte ein bisschen genervt hinter mir.
"Also gut", meinte Rochel und ging dicht neben Ahadiel her, ihn aus dem Raum begleitend.
"Ich trage dich, Vira", sagte ich und ging wie selbstverständlich auf meinen Schützling zu. Auch wenn sie dieser offiziell nicht mehr war, so würde ich sie immer beschützen, bis an mein Lebensende.
"Nein", stellte sich mir der schwarzhaarige Engel in den Weg. "Ich mache das."
"Sorry, aber wer bist du?", entfuhr es mir. Lano, das war jetzt nicht der richtige Moment für Eifersucht.
"Ihr bester Freund. Und du bist?", fragte er, obwohl er doch wissen musste, wer ich war.
"Ihr Schutzengel", entgegnete ich wütend.
"Ich kann sie auch tragen. Ich bin des Schutzengels bester Freund", mischte sich Kev amüsiert von hinten ein.
"Sie braucht keinen Schutzengel. Vira ist kein Mensch mehr", bemerkte der Engel.
"Sie war nie ein Mensch", konterte ich zornig.
"Das reicht", meldete sich Vira da genervt. "Tahariel, ich fliege bei Lano mit. Ich muss sowieso noch etwas mit ihm besprechen."
Tahariel nickte knapp, obwohl er noch einen finsteren Ausdruck im Gesicht hatte. Ich konnte das aufkommende Gefühl von Gewinn und Genugtuung nicht so wirklich unterdrücken. Wollte ich wahrscheinlich auch garnicht.
Sowie wir das also geklärt hatten verließen wir den Saal und liefen hinter Rochel und dem Richter her. Draußen angekommen nahm ich Vira ganz gewohnt in meine Arme auf und stieß mich mit ihr vom Boden ab.
Sie zischte ein bisschen vor Schmerz, als ich ihren Rücken berührte. Also nahm ich eine meiner Hände etwas weiter in ihren Nacken. Wir flogen etwas abseits der anderen, damit wir ungestört reden konnten. Dabei fand ich keine Worte, um das Gespräch anzufangen.
Vira nahm mir das ab. "Was ist passiert, Lano?"
"Es gibt nicht viel, was du nicht weißt. Sie haben das Urteil beschlossen, dass ich deine Erinnerung löschen muss. Also habe ich dich nach Hause gebracht und den Zauber angewandt. Es tut mir so leid, Hi- Vira, aber ich hatte keine andere Wahl. Wer weiß, was sie mit uns gemacht hätten, wenn ich mich geweigert hätte."
Vira sah mich an. Es war schwer zu erahnen, wie sie sich fühlte, wenn ich es nicht in mir spüren konnte. Aber ihr Gesicht zeigte mir, dass sie mir glaubte. Aber auch, dass sie... verletzt war. Und dazu hatte sie auch jedes Recht.
Ich hatte sie verlassen und wieder an diesen Ort gebracht. Ich hatte ihr glückliche Erinnerungen genommen, von denen sie sowieso so wenige gehabt hatte. Das alles hatte auch mir wehgetan, sehr sogar.
Sie sah mich an und mich durchfuhr der Gedanke, dass ich sie küssen konnte. Ich konnte sie schon immer küssen, weil sie eigentlich immer ein Engel gewesen war. Aber im nächsten Moment dachte ich, dass es keine Bedeutung hatte. Ich sollte küssen dürfen, wen ich will. Kein System sollte mir sowas vorschreiben dürfen.
"Danke für alles", sagte sie dann und schenkte mir eines ihrer seltenen Lächeln. In diesem Moment war ich so froh, dass ich sie doch nicht verloren hatte. Ich schmunzelte vor mich her, als wir den anderen hinterher flogen.
"Lano", machte Vira auf sich aufmerksam, ein bisschen leiser. "Meine Eltern sind frei. Sie sind geflohen", vertraute sie mir an. "Tahariel kann mir vielleicht verraten, wo sie sind."
Ich schluckte, nicht sicher, wie ich es ausdrücken sollte. "Bist du dir sicher? Vira, ich weiß, dass es deine Familie ist. Aber willst du dich wirklich auf diese Seite stellen?"
"Diese Seite? Du meinst, die böse Seite?", spottete sie.
"Die Seite, die auf der Flucht ist und von allen Engeln gejagt wird. Du hast bald deine Flügel. Meiner Meinung nach hast du ein ruhiges, glückliches Leben verdient", erwiderte ich.
"Das hatte ich nie und werde es nie haben", widersprach Vira, zur Seite blickend. "Bei uns war das anders. Meine Eltern bedeuten mir etwas, Lano. Ich muss sie finden." Sie sah so entschlossen aus, dass ich keine weiteren Argumente mehr nannte.
Ich wusste, dass sie momentan einen Hass auf die Gerichtsengel und auf unser System hegte. Das ihre Meinung sich von den meisten Engeln unterschied. Ich hatte Angst, sie wieder zu verlieren. Das sie sich auf die gegenüber liegende Seite stellte. Die Seite des Feindes.
Schweigend flogen wir weiter, bis wir irgendwann in einer Art kleinerem Dorf ankamen. Wir steuerten auf ein großes, rechteckiges, weißes Gebäude zu. Es sah aus wie ein Krankenhaus oder so.
Ahadiel landete und wir taten es ihm gleich. "Gehen wir hinein."
Ich spürte, wie sich jeder Muskel meines Körpers anspannte. Konnte das eine Falle von Ahadiel sein? Aber wir waren Vira, zwei Schutzengel, ein überflüssiger Engel und ein hoher Gerichtsengel. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass er gegen uns etwas ausrichten wollte oder konnte.
Also folgten wir ihm ins Gebäude hinein. Die Gänge waren allesamt weiß und sahen steril aus. Vira lief dicht neben mir, was mich ein bisschen beruhigte. Ein paar Abzweigungen später blieb Ahadiel an einer Tür stehen.
"Deine Flügel befinden sich hier, Virago. Allerdings weiß ich nicht, ob es überhaupt funktionieren wird, sie dir wieder.. anzusetzen."
"Warum? Sowas ist schon öfter passiert. Bei Unfällen zum Beispiel", widersprach ich.
"Das stimmt. Aber die... Entfernung ist schon mehr als fünf Jahre her. Ich habe keine Ahnung, wie sich da die Chancen verändern."
"Wir werden es herausfinden", beschloss Vira und bedeutete dem Richter, die Tür zu öffnen.
Alle schwiegen, alle waren bis aufs äußerte angespannt, als sich die Tür öffnete. Wir befanden uns in einer Art Kühlhaus. Alles war weiß, blitzsauber. In die Truhen links und rechts konnte man nicht hineinsehen. Gottseidank.
"Ist das unheimlich", kommentierte Kev wispernd.
Wir folgten Ahadiel, bis er nach vielen Schritten endlich stehen blieb. "Hier sind deine Flügel aufbewahrt. Ich muss einen Arzt finden, der die Operation vornehmen kann." Damit wollte er gehen, doch Tahariel hielt ihn grob am Arm fest. "Moment mal", sagte er.
"Ich gehe mit, ist schon gut", beruhigte Rochel ihn. Vira widmete dem Geschehen keine Aufmerksamkeit. Ihr Blick galt einzig und alleine der Kühltruhe, in der ihre Flügel sich befinden mussten. Bei diesem sehnsuchtsvollen Blick zuckten und flatterten meine eigenen Flügel nervös.
Einige Minuten lang warteten wir allesamt angespannt auf die Rückkehr der beiden Engel in Begleitung eines Arztes. Vira tippelte nervös mit dem Fuß auf dem Boden herum. "Mach dir keine Sorgen, Vira", meinte Tahariel beruhigend und ging einen Schritt auf sie zu. Idiot. Mach dir keine Sorgen? Ich würde vor Sorgen platzen.
Schließlich erschienen Rochel, Ahadiel und ein weiterer Engel im Arztkittel. Der Arzt begrüßte uns freundlich, aber niemand antwortete so richtig. Auch Vira starrte ihn nur an, bis er schließich vor ihr stand und ihr die Hand reichte.
"Ich bin Sarakiel, Engel der Heilung. Du musst Virago sein, richtig?"
Vira schüttelte nickend seine Hand.
"Dann wollen wir mal sehen", sagte Sarakiel und ging auf die Kühltruhe zu. "Deine Flügel sind gewachsen, auch ohne deinen Körper. Aber sie sind sehr, sehr schwach. Selbst wenn es uns gelingen sollte, sie dir wieder anzusetzen, kann ich nicht versprechen, dass du wieder fliegen kannst."
Ich bildete mir ein, Viras Herschlag neben mir zu hören. Sie sah den Arzt an und zum ersten Mal seit langem erkannte ich Sorge in ihrem Gesicht. "Verstanden."
Und dann öffnete Sarakiel die Kühltruhe.
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