(44) when they least expect it
The people who consider you weak have not yet noticed
the wolf hiding behind your eyes, nor the flames inside your soul.
Let them think you are weak and do what wolves and fire do best.
Surprise them
when they least expect it.
-Nikita Gill
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- Lanohiah, jetzt -
Mein Gehirn fiel aus. Ich war zu keinem einzigen logischen Gedanken fähig, als Hira die Tür eintrat und im Raumeingang stand.
Irgendwie passierte dann alles in Zeitlupe. Aber vielleicht war auch alles in der Realität gerade eine Zeitlupe.
Niemand sagte etwas, wahrscheinlich traute sich sogar niemand zu atmen.
Ein Mensch stand im Eingang des Gerichtssaals.
Was war mit Hira geschehen? Ich hatte doch ihre Erinnerungen gelöscht? Wie war sie hierher gekommen und wieso? Warum war sie alleine?
Mein Kopf fuhr zurück zu Richter Ahadiel, der erst verwundert guckte. Dann entglitten ihm sämtliche Gesichtszüge. Ich hatte einen Engel noch nie so fassungslos gesehen. Seine Körperhaltung wurde komplett angespannt. Er starrte nur noch Hira an.
Dann sah ich zurück und als Hira einen Schritt vortat erkannte ich, dass sie nicht alleine war. Hinter ihr standen Rochel und der Engel, der sie vor ein paar Tage hatte entführen wollen. Was zur Hölle war hier los?
Hira trat noch ein paar wenige Schritte vor, dann blieb sie an Ort und Stelle stehen. Ihr Blick war fest an den Richter geheftet. "Was? Hat es dir jetzt die Sprache verschlagen?", fragte sie.
Ja, das hatte es wohl. Uns allen hatte es das.
Ahadiel schüttelte kaum merklich seinen Kopf, als könne er nicht glauben, wer da vor sich stand. "Was... Was tust du hier?"
"Oh, was ich hier tue...", säuselte Hira. Sie schritt ganz langsam den Gang hinab, fuhr mit den Fingerspitzen über das Holz der Sitzreihen. Wo ihre Finger sich wieder lösten, hinterließ sie schwarze, rauchige Brandzeichen auf dem Material. Mein Herzschlag, meine Atmung, existierten die überhaupt noch? Ich konnte nichts anderes tun, als sie anzustarren.
Rochel und der Engel mit den schwarzen Flügeln traten auch ein wenig hervor, wie um Hira den Rücken zu decken. Meine Verwirrung stieg ins Unermessliche.
Ich stand auf, als Hira immer näher zu mir gelaufen kam. Für einen kurzen Moment sah sie mir in die Augen. Dann schoss ihr Blick wieder davon, so wie ein Raubtier seine Beute nicht aus den Augen lassen wollte.
Während ich ihr Platz machte und zur Seite trat, ging sie stur geradeaus weiter. Sie stieß den Stuhl auf dem ich gerade gesessen hatte und den Tisch davor einfach zur Seite, mit einer Kraft, die ich an ihr noch nie gesehen hatte und blieb dann stehen.
"Ich hätte gerne einen Gerichtstermin. Einen offiziellen, wenn das geht", erklärte sie weiter, in einem gruseligen Tonfall. Ich bekam Gänsehaut.
Ahadiel räusperte sich, offensichtlich nicht die richtigen Worte findend. Dann atmete er tief durch. "Ich bitte alle Anwesenden nun, diesen Raum hier zu verlassen."
"Aber, aber. Wieso das denn? Ich habe um einen offiziellen Termin gebeten. Nicht um einen in deinem hübschen Hinterzimmer", lachte Hira nun.
Ich sah mich um. Die Geschworenen saßen noch immer stocksteif auf ihren Stühlen und sahen dem Geschehen gebannt zu.
Ahadiel erwiderte nichts. Sein Blick schoss zu Rochel. Rochel aber sagte kein einziges Wort. Sie stand dort, stolz und stark, wie zum Schutze Hiras.
"Du scheinst ein bisschen verwirrt zu sein, Ahadiel", merkte Hira an, nun langsam hin und herlaufend. Sie betrachtete ihre Hände, aus denen nun violetter Rauch aufstieg. "Ich werde dir freundlicherweise etwas auf die Sprünge helfen."
Ahadiel schluckte sichtlich erschrocken. "Nicht nötig."
"Ach nein? Dann können wir das alles ja gottseidank ein bisschen schneller über die Bühne bringen", erwiderte sie, einen Mundwinkel etwas nach oben verziehend.
"Ich bin hier um mir zu holen, was mir gehört." Hiras Stimme jagte mir einen Schauder über den Rücken. Noch nie hat mir ein Gesichtsausdruck solche Angst gemacht. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment ohne zu Zögern alles hier in Schutt und Asche legen. Sah aus, als würde sie ihren Gegenüber vor ihrem inneren Auge brennend auf dem Boden liegen sehen.
"Hiraeth, das geht nicht so einfach-"
"Mein Name ist Virago!", schrie Hira ihn an. Virago?
Richter Ahadiel sah zunehmend nervös aus. Schließlich stand er auf und stieg vom erhöhten Podest hinab. "Ich bitte alle anwesenden Geschworenen und Wächter sofort, diesen Saal zu verlassen." Seine Stimme ließ keinen Widerspruch zu. Die Wächer begannen die Engel auf den Sitzbänken hinaus zu geleiten.
Ich sah zu Kev, der Hira noch immer äußerst verwirrt anstarrte. Normalerweise hätte ich mich über diesen dümmlichen Gesichtsausdruck lustig gemacht. Jetzt nicht, denn genau so fühlte ich mich auch gerade.
Dann schlugen die Türen zu. Jetzt waren nur noch Kev, Rochel, der schwarzhaarige Engel, Hira, Ahadiel und ich in diesem Raum.
"Rochel, du wirst mir einiges erklären müssen", bemerkte Ahadiel.
"Ich muss garnichts. Du bist nicht mehr in der Position, dass ich dir Antworten geben müsste", konterte Rochel kühl. Das stimmte. Rochel arbeitete nun in einer hohen Position im obersten Gericht.
Die Augen zu Schlitzen verzogen, betrachtete er erst Rochel, dann Hira und dann ganz plötzlich mich. "Lanohiah, Sie haben im Namen eines Gerichturteils versucht, die Erinnerungen dieser Person zu löschen?"
"Ja", bestätigte ich stirnrunzelnd. War es möglich, dass-?
"Damit hast du meine gesamten Erinnerungen wieder hergestellt, Lano", wandte sich Hira jetzt mir zu. "Du hast mir von den verräterischen Engeln vor fünf Jahren erzählt. Meine Eltern gehörten dazu. Deswegen haben sie mich zum Menschen gemacht. Mich dort leben lassen", erklärte sie knapp.
Als mein Gehirn endlich alle Hinweise und Tatsachen miteinander verknüpfte schoss mein Blick zu Ahadiel und sofort staute sich Wut in mir auf. "Du forderst deine Flügel zurück", bemerkte ich, meine Augen aber nicht vom Richter abwendend. In Gedanken stellte ich mir vor, wie meine Faust vorschießen und ihm den Kiefer brechen würde.
Plötzlich stand Kev hinter mir und hielt beruhigend meinen Arm. Er sah mich warnend an. Anscheinend war ich mit meiner Wut gerade wie ein offenes Buch.
"Ganz genau", sagte Hira, ein paar Schritte auf Ahadiel vortretend, bis sie ganz dicht vor ihm stand. "Und deswegen wirst du mir sofort verraten, wo sie sind!"
"Leiser, bitte. Ich habe die Engel nicht umsonst rausgeschickt. Es wäre besser, wenn das hier unter uns blieben würde", zischte Ahadiel mit bedeckter Stimme.
"Dann bleibt es wohl auch besser unter uns wenn ich meine wiedergewonnenen Fähigkeiten an dir teste", zischte Hira zurück, packte den Richter an der Krawatte, zog sie zu sich, sodass es Ahadiel die Luft abschnürte. Dann ging der Stoff der Krawatte in Flammen auf.
Erschrocken sprang der Richter zurück und entledigte sich des brennendes Stoffes. "Virago, bitte beruhige dich. Wir haben dir damals ein neues Leben ermöglicht. Wir haben dich zu deinem Glück in die Menschenwelt geschickt."
"Ihr habt mich in die Hölle geschickt!", schrie Hira ihn an. "Und wenn du mir nicht sofort meine Flügel zeigst kann ich für nichts mehr garantieren!"
"Ahadiel, tu es", stimmte Rochel ihr bei. "Oder ich gehe mit der Geschichte an die Öffentlichkeit."
"Das würdest du nicht wagen."
"Ich würde im Moment so einiges wagen."
Für einige Sekunden starrte der Richter in die Runde, sichtlich angestrengt nachdenkend.
Schließlich atmete er tief aus und sah geschlagen in die Runde. "Lasst mich ein paar Leuten Bescheid geben, dann fliegen wir los."
"Ich begleite ihn", bot Rochel sich an, damit er keine Dummheiten machen konnte. Dann verließen die beiden den Raum.
Ich bemerkte, wie Kev sich mit lautem, dumpfem Ton hinter mir auf eine der Sitzbänke fallen ließ. "Also, das kam jetzt unerwartet."
Allerdings, Kev, allerdings.
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