(41) magic inside us

It's important to remember that
we all have magic inside us.
- J. K. Rowling
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- Virago, vor fünf Stunden -

Ich erwachte nackt und zitternd auf den Fliesen des Badezimmerbodens.

Für eine Weile lag ich einfach dort und ließ meine einst genommenen Erinnerungen wieder in meinem Kopf abspielen.

Ich erinnerte mich wieder an alles. Meine Kindheit. Meine Mutter und meinen Vater, an alles aus der magischen Welt. Ich erinnerte mich wieder daran, wer ich war. Seit fünf Jahren hatte ich endlich wieder das Gefühl, mich selbst zu kennen.

Wir hatten ein Haustier gehabt. Einen winzigen Drachen, der sich verletzt hatte und von seiner Mutter zurückgelassen wurde. Ich habe ihn heimlich weiter gefüttert, als wir ihn wieder freilassen mussten. Ich habe mit ihm das Feuer machen gelernt. Er aus seinem Maul, ich mit meinen Händen.

Ich hatte ein Menschenmädchen kennen gelernt. Natürlich hatte ich mir ihr nicht gezeigt. Aber ich war da, wenn sie im Wald gespielt hat. Habe darauf geachtet, dass sie dort sicher war. Schon da hatte ich gewusst, dass ich einmal Schutzengel werden wollte.

Meine Mutter lächelte in meinen Erinnerungen. Sie war ein starker Engel, selbstbewusst, herzlich. Sie liebte mich, das sagte sie mir immer und immer wieder. Mein Vater war immer sehr ernst, aber seine liebevollen Gesten mir gegenüber zeigten mir, dass auch er mich liebte. Die beiden steckten wohl noch immer im Gefängnis.

Tahariel, mein bester Kindheitsfreund. Als ich sein Gesicht, seine dunklen Augen vor mir sah , da erkannte ich, dass es der Engel war, der mich vor ein paar Tagen entführen wollte. Damals waren seine Flügel noch grau gewesen. Er hatte also fliehen können, vor einigen Jahren. Seine Eltern wurden vielleicht nicht verdächtigt oder gefasst. Tahariel hatte mich vielleicht zu retten versucht, um mir alles zu erzählen, was ich vergessen hatte.

Aber warum hatten ein paar der magischen Wesen mich zu finden versucht? Oder waren sie garnicht auf der Suche nach mir gewesen, sondern nach Rochel?

Rochel. Rochel hatte mir damals zu helfen versucht. Sie musste mich erkannt haben, als Lano und ich zu ihr kamen. Deshalb hatte sie uns Unterschlupf gewährt, was sie bei einem normalen Menschen vielleicht nicht getan hätte.

Gott, das war alles zu viel für meinen Kopf. Ich blieb noch etwas liegen, obwohl mir eiskalt war. Versuchte, die plötzlich auftretenden Erinnerungen in eine zeitliche Reihenfolge zu ordnen.

Dann rappelte ich mich auf, ein wenig gefasster.

Ich sah in den kaputten Spiegel. Mein Gesicht spiegelte sich unzählige Male in den einzelnen, gebrochenen Stücken wider. Und trotzdem sah ich mich so klar, wie ich mich noch nie gesehen hatte. 

Dann schloss ich die Augen, fokussierte mich. Öffnete die Augen wieder. Alle einzelnen Scherben schwebten hervor, brachen aus dem einst vollständigen Glas hervor. Sie schwebten vor mir her, tanzten in der Luft, wie wunderschöne, aber tödliche Geschöpfe. Dann ließ ich sie fallen, ging im Raum hin und her. Mein Körper war noch immer nass.

Ich hielt meine Hände vor mich. Lila Rauch kamen aus den Poren meiner Haut, aus meiner ganzen Handfläche und meinen Fingerspitzen. Buntes Feuer entzündete sich. Es war nicht heiß, es verbrannte mich nicht. Es prickelte warm, so wie ich es von früher kannte.

Mein Herz schlug schneller. Ich nahm alles viel mehr wahr, als zuvor. Ich fühlte mich viel, viel stärker und aufmerksamer. Mit einer beinahe nicht zu fassenden Genauigkeit spürte ich alles um mich herum. Wie das Wasser noch aus dem Duschhahn tropfte. Wie sich Gänsehaut auf meiner Haut bildete. Wie die Scherben knackten, als ich barfuß darüber lief. 

Die Scherben waren noch blutig. Meine Hände waren noch blutig. Die Unterseite meiner Füße bluteten. Und die Verantwortlichen würden auch bluten.

Als ich in mein Zimmer ging, riss ich mit Gedankenkraft meinen Kleiderschrank auf, so stark, dass die Türen fast abbrachen. Ich kleidete mich ein, mit erschreckend ruhigem Körper. In mir drin, sah es allerdings ganz anders aus. Ich wütete. Ich wütete, weil man mir alles genommen hatte, alles.

Ich sah aus dem Fenster und dachte an Lano. Lano musste einen Gedächtniszauber an mir angewandt haben, natürlich. Ich lachte auf, hysterisch und laut.

Sie hatten nicht gewusst, wer ich war. Sie hatten sich nicht einmal darum gekümmert herauszufinden, wer sein Schützling war. Sie hatten Lano den Zauber anwenden lassen.

Und damit den Gedächtniszauber von vor fünf Jahren rückgängig gemacht.

Sie hatten einen riesigen Fehler begangen. 

Ich war ein gefallener Engel.

Und ich würde mir zurückholen, was mir zustand. Meine Flügel.

*

Ich saß in der Bahn, schloss meine Augen und nahm alle Eindrücke in mich auf, die ich plötzlich wieder verstärkt wahrnehmen konnte.

Mein Gehör war besser. Mein Geruchssinn. Meine Sicht. Ich konnte alles so gut hören. Ich fühlte mich so stark.

Es piepte, die Türen gingen auf und ich stieg aus. Ich nahm den nächsten Bus und fuhr zur Endstation. Dann lief ich.

Alles, was ich hatte, war ein Bild in meinem Kopf. Es war das Bild, das mir Rochel gesendet hatte, als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte. Damals, auf dem Weg zum Raum, in dem ich mich verloren hatte. Nein, in dem man mich meiner Existenz beraubt hatte.

Ich spürte Feuer und Funken in meinen Augen, als ich den Weg rannte, mit einer Ausdauer, die nur ein Engel haben konnte. Durch meine Erinnerungen waren auch meine Fähigkeiten wiedergekehrt. Sie waren stärker, als je zuvor. Stärker als vor fünf Jahren. Als hätte ich mich jahrelang ausruhen und schonen können, um sie jetzt vollkommen genesen und ausgereift anwenden zu können.

Meine Gedanken schossen zu Rochel. War sie wirklich an dem Platz, den ich in meinem Kopf hatte? Oder war sie wirklich von den Wesen entführt worden? Sie hätte das alles doch niemals voraussehen können. Selbst wenn sie die Göttin, die alles sieht war. Woher hätte sie wissen sollen, dass Lano versehentlich meine Erinnerungen wieder herstellen würde? Es sei denn... Sie hatte mich Lano als Schützling zugeteilt. 

Aber das erklärte noch immer nicht, wie sie wissen konnte, dass es überhaupt dazu kommen würde, dass wir flüchten müssten, bei ihr Unterschlupf suchen müssten, bei ihr entdeckt wurden? Ich wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen, also dachte ich an etwas anderes

Ich dachte an Lano. Es war ein zweischneidiges Gefühl, das ich ihm gegenüber empfand. Lano hatte mich von Anfang an beschützt. Ohne ihn würde ich heute nicht leben. Ich hatte Gefühle für ihn. Aber Lano hatte mich auch meinem alten Leben überlassen. Er hatte mich dorthin zurückgebracht, wo für mich die Hölle war. 

Er hätte ja nicht damit rechnen können, was nun passiert war. Also hätte er meine Erinnerungen an die magische Welt gelöscht. Meine Erinnerungen an ihn. Ich wusste, dass er wohl keine Wahl gehabt hatte. Aber irgendwie auch nicht. Hat man nicht immer eine Wahl?

Aber das tat jetzt nichts zur Sache. 

Ich war entschlossen, wie nie zuvor. Denn ich hatte einen Plan. Aber eines nach dem anderen. Der erste Schritt meines Plans waren meine Flügel. Und am Ende meines Plans war, all die Verantwortlichen für mein Leid leiden zu sehen. 

Irgendwann kam ich an.

Es war ein Haus, versteckt in einem kleinen Waldstück auf einem Berg. Irgendwie sah es wie von Menschen gemacht aus. Einfach und simpel. Ich ging darauf zu, atmete tief ein und aus. Dann klopfte ich.

Es verging etwa eine Minute, bis ich wieder klopfte, diesmal kräftiger. Dann dauerte es ein paar Sekunden, bis ich eine Stimme hinter der Tür hörte. Es war Rochel.

"Wer ist da?"

"Hier ist Virago."

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Hallöchen und danke fürs Lesen bis hierhin :)
Das momentan die Handlung so schnell und verwirrend ist ist eher beabsichtigt, in weiteren Kapiteln werden sich hoffentlich auch restliche Fragen aufklären.
Falls dann immernoch Unklarheiten bestehen oder jemandem das alles viel zu kompliziert oder unverständlich war würde ich mich über eine Nachricht sehr freuen, da ich mein Buch ja weiterhin immer verbessern möchte. Als Autor ist es nicht immer leicht einzuschätzen, ob alles für wirklich jeden Leser so verständlich war.
Danke nochmal und viel Spaß beim Weiterlesen!

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