(22) thought to be insane
And those who were seen dancing
were thought to be insane by those
who could not hear the music.
- Friedrich Nietzsche
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- Hiraeth, jetzt -
"Sieht so aus, als funktioniert die Glühbirne hier nicht", stellte Lano fest, als er mich ins obere Schlafzimmer führte und vergeblich den Lichtschalter betätigte. "Warte kurz."
Ich stand im Flur und blickte in das dunkle Zimmer hinein. Vor Müdigkeit fielen mir fast die Augen zu. Ich wollte nur noch ins Bett und schlafen und für wenige Stunden zumindest vergessen, was alles passiert war.
Lano kam die Treppen wieder hoch. Der Flur in dem wir standen war beinahe nicht groß genug für seine Flügel, obwohl er sie hinter seinem Rücken zusammengefaltet hatte.
In seinen Händen hatte er Teelichter, die er mit Feuer aus seinen Händen entzündete. Dann schwebten sie allesamt über seinen Händen her, verteilten sich im Raum und erleuchteten ihn mit angenehmem, warmem Kerzenlicht.
Als Lano weg und es noch hell gewesen war, hatte ich das Bett bereits frisch bezogen und mein Gepäck in der Ecke des Raumes abgelegt.
"Kommst du klar?", erkundigte sich Lano mit einem Seitenblick zu mir.
"Ja, klar", antwortete ich ehrlich, woraufhin Lano nickte. "Dann gute Nacht, Hira." "Gute Nacht, Lano."
*
Ich wachte auf und blinzelte. Es war vollkommen dunkel im Raum. Meine Augen gewöhnten sich nur langsam an die Lichtverhältnisse, bis ich zumindest die Umrisse der Gegenstände im Raum erkennen konnte.
Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass es 04:12 war. Mein trockener Hals kratzte. Ich schlüpfte barfuß aus dem Bett, um mir etwas zu trinken zu besorgen. Langsam und leise schlich ich die Treppen herunter, obwohl das eigentlich nicht nötig war. Lano war sowieso wach.
Er saß am Küchentisch und blickte mich an, als ich in sein Sichtfeld trat. Nur der Kamin spendete dem Raum Licht. Mit seinen gewaltigen Flügeln und seinem schwach erleuchtetem Gesicht und dem Feuer neben ihm sah er irgendwie eher wie ein Dämon als wie ein Engel aus.
Mir schauderte es. Keiner von uns sagte ein Wort. Ich ging in die Küche und nahm mir ein Glas und eine Flasche Wasser, während ich tief ein und ausatmete. Der Boden war kalt und ich bekam eine Gänsehaut. Das war alles einfach viel zu komisch hier.
"Schlafen Engel nicht?", fragte ich halb neugierig, halb scherzend, als ich das Wohnzimmer wieder betrat.
"Doch. Ich konnte nur nicht", erklärte Lano lächelnd. Erst jetzt erkannte ich, dass er einige Aufzeichungen oder Notizen und Bücher vor sich liegen hatte.
Kurzerhand setzte ich mich zu ihm an den Tisch, zog meine Knie an mich heran und umklammerte sie mit meinen Armen. "Tut mir leid, dass ich dir Federn rausgerissen hab", meinte ich mit schuldbewusstem Gesichtsausdruck.
"Ist schon okay", lachte Lano leise und belustigt. Er klappte das Buch vor sich zu, bevor ich etwas darin erkennen konnte.
"Sind noch andere Schützlinge in Gefahr?", wollte ich dann wissen. Mir schwebten so viele Fragen im Kopf herum, dass Lano sie wohl bis zum Morgengrauen nicht beantworten würde können.
"Das versucht mein bester Freund in der Akademie gerade herauszufinden. Es ist jedenfalls sicher, dass auch einfache Menschen von den Wesen bedroht werden", antwortete der Engel mit nachdenklichem Gesichtsausdruck.
Da Lano mir die Frage beantwortet hatte und anscheinend sowieso nicht schlafen konnte ging ich davon aus, eine kleine Fragerunde starten zu können. "Sind alle magischen Wesen für die Menschen unsichtbar?"
"Solange sie den Zauber dafür um sich tragen, ja. Er sorgt nicht nur dafür, dass sie unsichtbar sind. Sie sind sozusagen wie in einer Parallelwelt. Sie können weder gesehen, noch gehört, noch gerochen oder angefasst werden."
"Aber die Wesen können die Menschen sehen?"
"Ja, können sie. Eure Gebiete sind allerdings eher streng von den unseren getrennt. Die meisten magischen Wesen leben weit entfernt von euch und halten die Grenzen ein. Zumindest war es bis jetzt so."
"Gibt es Einhörner?"
Lano blickte mich strinrunzelnd an. "Ja. Wahrscheinlich gibt es jedes Wesen aus euren Märchen und Legenden. Die Menschen, die sie erzählten, wurden vielleicht einfach als Träumer oder Verrückte deklariert."
Wow. Diese Neuigkeit musste ich erstmal sacken lassen. Oh Gott, was gab es denn alles für Wesen? Trolle, Zwerge und Drachen? Gab es auch Hexen und Werwölfe und Vampire? Geister? Irgendwie konnte ich mir das alles nicht vorstellen und ehrlich gesagt auch kaum glauben. Aber der lebende Beweis für die Existenz solcher Wesen saß immerhin gerade vor mir.
"Gibt es einen Gott?", fragte ich dann. Wenn es Gott wirklich geben sollte, müssten Engel ihn dann nicht kennen? Ähm, stand da nicht in der Bibel irgendwas mit Gott und Engeln? Ich bemerkte, dass ich überhaupt keine Ahnung über Engel hatte.
"Hab zumindest noch keinen gesehen. Aber das heißt ja nicht, dass sich diese Möglichkeit ausschließen lässt", antwortete Lano ernst.
"Was hast du alles für Fähigkeiten?", interessierte es mich dann.
Lano blickte mich mit etwas mehr geöffneten Augen an, als wäre das eine Frage mit einer viel zu umfangreichen Antwort. Dann schien er kurz zu überlegen. "Wir Engel haben eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Wir wachen sozusagen über die Grenzen der Welt zwischen den Menschen und den magischen Wesen. Deshalb sind wir wohl etwas wie eine Zwischenform von beiden. Wir ähneln Menschen mit unseren Bedürfnissen und Gefühlen und wohl auch ein wenig den Verhaltensweisen. Aber wir wurden auch mit starken, magischen Kräften gesegnet, um unsere Bestimmung erfüllen zu können."
Aufmerksam lauschte ich seinen Erzählungen. Das knisternde Feuer, seine raue Stimme, die gesamte Atmosphäre bereitete mir eine Gänsehaut, während sich in diesem Moment die Sicht meines gesamten Weltbildes veränderte.
"Wir haben alle generelle Fähigkeiten. Engel können sehr gut sehen, auch relativ gut in der Dunkelheit. Außerdem könnte man sagen, dass Engel etwa doppelt so stark wie durchschnittliche Menschen sind. Dann haben wir noch weitere Fähigkeiten, um zu kämpfen oder uns zu wehren. Nicht jeder Engel hat dieselben. Das liegt wahrscheinlich an den Genen. Ich kann gut mit den Elementen Feuer und mittelmäßig mit Wasser. Meine Gedankenkraft ist ebenso ziemlich stark, weshalb ich Telekinese betreiben kann. Außerdem haben meine Hände die Fähigkeit, Strom und Licht zu erzeugen. In meiner Akademie als Ausbildung zum Schutzengel haben sie uns aber eigentlich in allen möglichen Bereichen getestet und ausgebildet."
Ich blickte ihn an und erkannte, wie sich seine Gesichtszüge bei jedem Satz kaum merklich veränderten, beobachtete ihn dabei wie er sich mit der Hand durch die Haare fuhr. Beinahe, aber auch nur beinahe hätte ich ihn gefragt, ob alle Engel so gut aussahen wie er.
"Seit wann bist du denn mein Schutzengel?"
"Seit ein paar Wochen erst."
"Und in denen hast du mich.. beobachtet?", fragte ich, das Wort stalken vermeidend. Mir war es unangenehm zu wissen, wie viel er von den Geschehnissen in den letzten Wochen erfahren hatte.
"So würde ich es nicht beschreiben", antwortete Lano halb grinsend, halb mit verzogenem Gesicht, als wäre diese Annahme irgendwie beleidigend oder totaler Schwachsinn. "Ich war auf jeden Fall dann da, wenn ich gespürt habe, dass etwas nicht in Ordnung ist."
Mit einem Mal fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Die zersprungene Straßenlaterne in der Gasse, als Mick uns bedroht hatte. Wie er plötzlich wie von Sinnen losgerannt war.
Wie mich eine Wärme und Erschöpfung überfiel, als ich weinend in meinem Zimmer auf dem Boden gesessen hatte. Wie mich ein kleiner Schauder an meinem Arm überkam, als ich vor einigen Tagen im Wald auf den alten, hölzernen Bahngleisen gestanden hatte. Wie ich in meinem Zimmer meinen Arm hoch gestreckt hatte, weil er gekribbelt hatte, als wäre er eingeschlafen, oder als krabbelten kleine Ameisen an ihm hoch, bis hin zu den Fingerspitzen.
"Das warst du", entfuhr es mir wispernd.
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