(2) do what you want to do
Do what you have to do
until you can do what you want to do.
- Oprah Winfrey
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- Lanohiah, jetzt -
Ich konnte leider einfach nicht anders. Mir platzte das Gelächter hervor, als mein bester Freund Kevakiah von seiner Prüfung zurückkehrte. Und dafür hätte ich beinahe eiskalt einen Schlag ins Gesicht bekommen, wenn ich nicht rechtzeitig ausgewichen wäre.
Verärgert blickte Kev mich an, während ich seinen linken Flügel musterte. Die sonst so reinen, weißen Federn waren an den Spitzen ziemlich abgebrannt. Die Federn weiter vorne hatten eine dunklere Farbe durch die Verbrennungen des Feuers bekommen. Es sah aus, als hätte man ihm die Hälfte seiner linken Augenbraue abgebrannt. Einfach lächerlich.
"Du hast dich treffen lassen", merkte ich an, noch immer ein Grinsen unterdrückend.
"Nein. Hab mich selber in Flammen gesteckt. Nur so aus Spaß", erwiderte er, während seine Stimme vor bitterem Sarkasmus nur so triefte.
"Hast du denn bestanden?", fragte ich nun nach.
"Klar doch. Achtzig Punkte, und du?", fragte er, während er ins Badezimmer ging.
"Neunundneunzig", antwortete ich.
"Ne, also das glaub ich dir jetzt nicht. Nur neunundneunzig? Warum, lag dein Haar heute nicht richtig?", spielte er schockiert und versteckte die Eifersucht gar nicht erst.
"Mir wurde ein Punkt fürs Grinsen abgezogen", erklärte ich ihm.
Kev erschien in der Tür des Badezimmers und blickte mich an. "Dafür hätte ich dir ehrlich gesagt nicht nur einen abgezogen", warf er mir an den Kopf. Solche Kommentare waren üblich für ihn, doch heute schien er ziemlich genervt zu sein. Ich konnte es ihm nicht verübeln und erwiderte einfach mal nichts.
Er blickte hinunter zu seinem Flügel und strich über die verbrannten Federn. "Scheiß drauf. Sieht ja irgendwie rebellisch aus."
*
Ich schlug die Augen auf und fühlte mich augenblicklich hellwach. Eilig stich ich mir die Haare aus dem Gesicht und schlug die weiße Decke zur Seite. Dann verließ ich das Bett, nur um zu bemerken, dass ich viel zu früh aufgewacht war. Jetzt konnte ich aber sowieso nicht mehr schlafen.
Ich nahm eine lange Dusche, machte mich fertig und langweilte mich zu Tode, bis mein Zimmergenosse auch endlich fertig war und wir frühstücken gehen konnten.
All die Zeit begleitete mich ein Gedanke: Heute würde sich alles verändern. Heute war der Tag, auf den die vierjährige Ausbildung hinauslief. Der Tag, auf den ich schon als fünfzehnjähriger gewartet hatte. Eigentlich war diese Aufregung und der Enthusiasmus gar nicht meine Art, aber ich konnte es einfach nicht mehr abwarten.
Wir machten uns mit den anderen Absolventen auf den Weg zum östlichen Sektor der Akademie, bei dem normalerweise der theoretische Unterricht stattfand.
Nachdem sich alle in dem großen Raum eingesammelt hatten, der sonst immer für Vorlesungen diente, betrat ein Lehrer den Raum. Wie ich bereits vermutet hatte, war es Harahel. Sein Name bedeutete nicht umsonst "Gott, der alle Dinge kennt". Er war wie eine wandelnde Bibliothek und schien auf alles eine Antwort zu wissen.
"Ersteinmal: Herzlichen Glückwunsch an Sie alle, dass Sie die Ausbildung zum Schutzengel bestanden haben", lauteten seine ersten Worte, als er sich in die Mitte des Blickfeldes stellte. Seine leicht gelb-goldenen Flügel hatte er hinter dem Rücken zusammengelegt.
"Wie Sie wissen, steht der Schutzengel an dritter Stelle in der Engelhierarchie nach Athanasius. Über ihm steht nur noch der Lehrer und die Regierung. Das bedeutet aber nicht, dass ihr die Fürsprecher, Diener, helfenden Engel, und die beistehenden Engel ohne Respekt behandeln könnt. Ein Schutzengel hat nicht nur eine Pflicht seinem Schützling, sondern auch seinem Volk gegenüber."
Diese Art von Rede hatte hier schon jeder zur Genüge gehört, weshalb auch nicht alle so aufmerksam waren, wie sie es sein sollten. Kev neben mir tauschte Blicke mit einem weiblichen, blonden Engel aus, der am anderen Ende des Raumes saß. "Diese Pflichten werde ich erfüllen, keine Sorge", murmelte Kev grinsend, woraufhin ich augenverdrehend wieder nach vorne blickte.
"Heute bekommt jeder von Ihnen einen Schützling zugeteilt. Dies ist eine große Ehre für jeden Engel. Es ist unsere Bestimmung und Daseinsberechtigung. Jeder Mensch wird persönlich von Rochel ausgewählt. Genauso wie euer Name von ihr erwählt wurde."
Niemand von uns konnte sich an Rochel, die Göttin die alles sieht, erinnern. Das einzige Mal, als wir sie gesehen haben, war am Tag unserer Geburt. Alle Engeleltern flogen an diesem Tag zu ihr, um ihrem Kind einen Namen geben zu lassen. Auch wusste niemand von uns, wo sie sich aufhielt, weil sich ihr Aufenthaltsort ständig änderte. Nur, dass sie den Weg hier her kam, um uns heute einen Schützling zuzuteilen.
"Zuletzt muss ich noch eine Sache ansprechen", fuhr Harahel fort. "Wie Sie wissen, ist unser System eines, das der Erhaltung dieser Welt dienen soll. Die obersten Engel leiten unsere Welt, unsere Gesetze und anschließend auch uns. Die Lehrer lehren die nachkommenden Generationen. Die Schutzengel schützen die Menschen auf der Welt, die von Rochel ausgewählt werden. Jeder von ihnen benötigt diesen Schutz. Es sind Menschen, die nicht umsonst erwählt wurden. Sie alle werden diesen Grund herausfinden. Jeder von Ihnen wird seinen Schützling beschützen, vor jeder Gefahr die ihm droht."
Er machte eine Pause und plötzlich richten doch alle Anwesenden ihre Aufmerksamkeit auf ihn. "Jedem von Ihnen ist der Vorfall vor fünf Jahren bewusst. Einige Verräter, Engel die von ihrem rechtmäßigen Weg abkamen, verfolgten das selbstsüchtige Ziel, diese Bestimmung zu verwerfen. Sie stellten sich gegen unser System, unsere Bestimmung, den eigenen Sinn ihres Daseins. Seit hunderttausenden von Jahren haben wir Engel die Aufgabe, unser Leben zum Erhalt anderer Leben zu widmen. Es ist nicht nur eine Tugend. Es ist unser Innerstes. Vergessen Sie dies niemals."
Als Harahel seine Rede beendete, war es still in unseren Reihen. Jeder wusste von dem Vorfall vor fünf Jahren, allerdings wurde beinahe niemals darüber gesprochen. Somit war dies einer der seltenen Momente, in denen wir jemanden darüber sprechen hörten. Niemand von uns wusste Genaueres über diesen Vorfall. Aber niemand schien auch mehr darüber wissen zu wollen.
Mir war bewusst, dass es nicht das pure Gute und Böse in dieser Welt gab. Nicht nur das, Gut und Böse liegt immer in der Ansicht des Betrachters. Aber dieser Vorfall, dass sich Engel ihren eigenen selbstsüchtigen Zielen zuwandten, fand bei mir nur eine Einordnung zu einer dunklen Seite unserer gesamten Vergangenheit.
Der Lehrer vor uns riss mich aus meinen Gedanken. "Also dann. Um zu einem heiligen Schutzengel zu werden, fehlt der allerletzte Schritt. Ich werde einzelnd die Namen aufrufen, die von Rochel empfangen werden."
*
Ich öffnete die Tür und trat ein. Der Raum war relativ klein und abgedunkelt. Hinter einem kleinen, runden Holztisch saß ein weiblicher Engel.
Das Erste, was mir an ihr auffie,l waren ihre absolut reinen, strahlend weißen Flügel, die in dem schwach beleuchteten Raum hell zu leuchten schienen. Ihre Haare waren beinahe so weiß wie ihre Flügel. Ich sah in ihre hellblauen, beinahe türkisfarbenen Augen, als ich mich auf den freien Stuhl gegenüber von ihr setzte.
"Lanohiah", begrüßte sie mich mit rauer Stimme. Ich wollte gerade etwas sagen, da hob sie die Hand und bedeutete mir, zu schweigen. Mit komischem Gefühl in der Brust bewegte ich meine Flügel und faltete sie hinter meinem Rücken.
Rochel sah mich eindringlich an. Sie war diejenige, die mir meinen Namen gegeben hatte. Lanohiah, bewunderungswürdiger Gott. Zu gerne hätte ich gefragt, was sie zu diesem Namen bewegt hatte. Zu gerne wüsste ich, ob mehr dahintersteckte als die offensichtliche Anbetung so vieler weiblicher Engel dieser Akademie. Ob es mehr war als die vielen bewundernden Gesichter, die mir hier jeden Tag begegneten.
Meine Gedanken wurden unterbrochen, als Rochel ihre Hände vor der Brust faltete und sie anschließend so nebeneinanderhielt, dass sie etwa zwanzig Zentimeter Abstand voneinander hatten.
Dann verstand ich, weshalb der Raum so abgedunkelt war. In der Luft zwischen ihren Händen erschien ein leuchtend blauer, strahlender Kreis. Er schwebte dort, während sich feine, hauchzarte Fäden in besonderer Formation von ihm aussteckten. Ich hatte so etwas noch nie gesehen.
Mein Blick fiel hinter den Zauber zwischen ihren Händen und ich sah in ihre Augen mit exakt derselben blauen Farbe. "Lanohiah, der bewunderungswürdige Gott."
Rochels Stimme war so langsam, langgezogen und rau, dass mich ein Schauder überkam.
"Ich sehe es", fuhr sie fort und sah etwas in dem Zauber zwischen ihren Händen, was ich nicht sehen konnte.
"Das Schicksal hat entschieden."
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