(12) fragile
She was not fragile like a flower.
She was fragile like a bomb.
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-Hiraeth jetzt-
Ich blickte ihm ins Gesicht, schwer atmend, die wenigen Sekunden zum Ausruhen nutzend.
Mein Gegenüber grinste mich dreckig an. "Du kämpfst wie ein Mädchen."
"Danke."
*
Ich zog die Handschuhe von den Fingern und beobachtete, wie mein Kampfpartner mit blutiger Lippe den Ring verließ. Erschöpft beschloss ich, für heute Schluss zu machen. Also verabschiedete ich mich von meinem Trainer, packte meine Sachen und verließ die Boxhalle.
Wie immer zog ich mir auf dem Weg die Kaputze ins Gesicht. Ich genoss die frische Luft auf meiner Haut, die kalt auf meine verschwitzte Haut traf und prickelnde Gänsehaut hinterließ.
Grübelnd ging ich die Straße entlang, trat hier und da zur Seite, um andere Menschen an mir vorbei zu lassen. Bisher war ich an unterschiedlichen Universitäten mit verschiedenen Studiengängen angenommen worden. In der Schule hatte ich mir den Arsch aufgerissen für eine gute Zukunft.
Aber jetzt standen mir so viele Wege offen, dass mich die Möglichkeiten lähmten und auf der Kreuzung mit allen verschiedenen Richtungen stehen ließ. Ich hatte das Gefühl, dass wenn ich einen Weg einschlagen würde, dann alle anderen geschlossen wären.
Seufzend schloss ich die Tür auf, ließ den wieder mal defekten Aufzug links liegen und ging die Treppen hoch. Als ich die Wohnungstür aufmachte erschrak ich, weil ich Stimmen hörte.
Leise zog ich Jacke und Schuhe aus. Suzanna und Thomas waren da?
Meine Pflegeeltern waren wirklich sehr selten zu Hause. Und wenn, dann kamen sie an Wochenenden oder abends.
Ich stand im Flur und wollte gerade ins Wohnzimmer treten um sie zu begrüßen, da hörte ich Suzannas Stimme, welche mich stocksteif stehen ließ.
"Und wie sollen wir das dem Heim erklären?"
"Wie wohl? Dass wir sie nicht mehr versorgen können, so einfach", antwortete ihr die dunkle, männliche Stimme von Thomas.
"Was denken dann die Nachbarn von uns? Oder unsere Freunde, unsere Kollegen, unsere Familie? Sie werden denken wir schieben sie ab."
"Dann erzählen wir einfach, Hira wäre durchgedreht. Hätte wieder irgendwas angezündet. Schau mich nicht so an!", rief Thomas plötzlich aus. "Du weißt, weshalb sie wieder im Heim war. Ist plötzlich durchgedreht. Hat den Holzschuppen ihres Bruders angezündet. Warum nicht auch ihren Kleiderschrank oder unsere Küche?"
Ich wäre beinahe zurück gestolpert. Mein Atem stockte, mich durchfuhr tiefer Schock und Entsetzen und ich konnte, ich wollte einfach nicht glauben, was ich soeben gehört hatte.
"Sie würde eine Gefahr für unser Kind darstellen, Suzanne", setzte er nochmal drauf.
Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. War Suzanna etwa schwanger? Wollen sie mich deswegen loswerden?
Ärger machte sich in mir breit. Nicht nur, dass sie mich einfach wieder ins Heim schieben wollten. Den beiden waren ihr Job und ihr Ansehen am wichtigsten. Sie konnten sich nicht mal um ein neunzehnjähriges Mädchen kümmern.
Wie zur Hölle sollten die beiden dann einen Säugling großziehen?
"Okay", stimmte Suzanna zu. "Ich rufe nächste Woche beim Heim an."
Lautlos schlich ich mich fort, auf Zehenspitzen in mein Zimmer. Ich schloss die Tür, lehnte mich gegen sie und rutschte kraftlos an ihr ab.
Ich hatte gewusst, dass ich nicht ewig hier sein würde. Immerhin war ich in fünf Jahren schon in drei Pflegefamilien gewesen. Somit hatte ich mich daran gewöhnt, nie ein richtiges Zuhause zu haben. War jedes Mal an einem anderen Ort. Jedes Mal neue, beschissene Menschen.
Aber hier hatte es mir wenigstens wirklich irgendwie gefallen. Hier hatte ich meinen Schulabschluss gemacht. Hier hatte ich mich an den Unis beworben. Hier hatte ich keine Probleme und meine Ruhe. Und vorallem hatte ich hier Caro, Liam und Miles.
Ich hob meine Hände, raufte die Haare und überlegte fieberhaft, was ich jetzt tun sollte. Erst vor etwas mehr als einem Jahr war ich aus meinem kurzen Aufenthalt in der Psychatrie entlassen worden.
Wenn Suzanna und Thomas wirklich erzählen sollten, dass ich schon wieder Brandstifung begangen hatte, dann war ich am Arsch.
Ich kannte die beiden. Mit der Zeit hatte ich erfahren gelernt, dass ihr Ruf über allem stand. Die beiden würden niemals zugeben, sich nicht mehr um mich kümmern zu können oder wollen. Niemals.
Sie würden es wirklich tun. Sie würden diese Lügen erzählen, um letztendlich doch noch gut darzustehen. Mir war mehr als bewusst, dass ich nichts dagegen tun würde können.
Ich spürte, wie etwas Nasses an meinen Wangen herunterrann. Wütend strich ich die Tränen weg. Jetzt weinte ich schon vor Verzweiflung. Meine Hand zitterte, und irgendwann konnte auch meine zweite Hand nicht alle Tränen von meiner Haut wischen.
Ich würde wieder in die Psychatrie kommen. Dieses Mal nicht nur für ein paar Tage, sondern wahrscheinlich für eine lange Behandlungszeit. Dann würde ich wieder ins Heim kommen, weil ich mir keine eigene Unterkunft leisten konnte. Und ins Heim wollte ich auf gar keinen Fall mehr.
Schwer schluckend versuchte ich, meinen Atem zu beruhigen, aber ich war viel zu wütend und erschrocken und verzweifelt.
Und dann spürte ich Wärme an meinem rechten Arm. Wärme, die sich in meinem ganzen Körper ausbreitete. Alle vorherigen Gefühle wurden durch tiefe Erschöpfung ersetzt.
Was war das? Halluzinierte ich plötzlich? War ich so durcheinander?
Ich wehrte mich nicht. Die Wärme und die Erschöpfung überkam mich. Meine Augen fielen zu und ich sank in einen warmen, ruhigen Schlaf.
*
Langsam schlug ich die Augen wieder auf. Es war bereits dunkel, als ich an die Tür gelehnt auf dem Fußboden sitzend aufwachte und mich zuerst einmal orientieren musste. Ich war einfach so auf dem Boden eingeschlafen?
Verwirrt rappelte ich mich auf, blickte mich im dunklen Raum um, erinnerte mich an die zuvor plötzlich aufgetretene Wärme und das Gefühl von Geborgenheit. Es musste irgendwas mit meinen Hormonen zutun gehabt haben. Oder einem Schutzmechanismus meines Gehirns, weil ich so verzweifelt gewesen war.
Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass wir schon fast Mitternacht hatten. Ich tippte auf meine Kontakte und starrte auf die wenigen Namen in der Liste. Irgendwie hatte ich wirklich das Bedürfnis, mit jemandem zu reden. Obwohl ich sonst wirklich selten über mich selber sprach. Aber ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte.
Ich bin für dich da, Hira.
Liams Worte schossen mir blitzartig in den Kopf. Unsicher tippte ich auf seinen Namen, um ihn anzurufen.
Es klingelte. 5 Sekunden, 10 Sekunden, 20 Sekunden. Als ich schon auflegen wollte, wurde abgehoben.
"Hey, Liam", begrüßte ich ihn. Meine Stimme verbarg meine Unsicherheit perfekt. Wie immer eigentlich.
"Wer ist da?", meldete sich eine hohe, weibliche, unfreundlich klingende Stimme. Verwirrt runzelte ich die Stirn.
"Das könnte ich genauso fragen", erwiderte ich. Das war doch Liams Nummer, oder?
"Ich bin Liams Freundin. Deshalb würde ich gerne wissen, weshalb du mitten in der Nacht bei ihm anrufst."
Seit wann hatte Liam eine Freundin? Warum ging sie an sein Handy?
"Das geht leider nur ihn etwas an", stellte ich klar. Was erlaubte sie sich eigentlich?
"Das ist zu schade, denn Liam und ich sind gerade beschäftigt", säuselte sie. Dann hörte ich nur noch ein Piepen. Sie hatte aufgelegt.
Wütend und verwirrt und enttäuscht ließ ich das Handy sinken. Was zur Hölle.
Ich legte mich in mein Bett, mein Handy spielte die übliche Musik von Constantino Carrara, Ludovico Einaudi und Yann Tiersen, während ich an die Decke starrte.
Dann würde ich eben alleine die ganze restliche Nacht über meine verbleibenden Möglichkeiten nachdenken.
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