(11) she stole them back

He had stolen her todays
but not her tomorrors
those were hers
and one by one
she stole them back
- Atticus

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-Hiraeth, jetzt-

Wir standen in der dunklen, kalten, von Scherben übersähten Gasse, als Mick plötzlich schrie und um sich schlug. Einer der beiden Jungs um ihn herum machte ein schmerzerfülltes Geräusch. "Ey, was soll das?", beschwerte er sich wütend.

"Was zur Hölle war das? Wer war da?", rief Mick mit Panik in der Stimme. Verwundert blickte ich nach vorne, wo die drei dunklen Silhouetten sich bewegten, eine davon ziemlich hektisch.

"Wir gehen jetzt", sagte Liam und griff mich an meinem Arm, woraufhin ich mich wütend wieder loszumachen versuchte, aber er zog mich einfach mit und aus der Gasse hinaus. Wir gingen auf die belebte, beleuchtete Straße.

Voller Zorn riss ich mich aus seinem Griff. "Sag mal, was soll das! Ich lasse mich erstens nicht hinter dich schieben wenn ich gerade mit jemandem rede und zweitens lasse ich mich nicht von dir irgendwo hin ziehen!", schrie ich Liam an, der ebenfalls einen wütenden Gesichtsausdruck hatte.

"Ich weiß, Hira. Aber du bist so stolz und stur, du wärst auf ihn losgegangen wenn ich es nicht getan hätte." Seine dunklen Augen durchbohrten eindringlich die meinen.

Schwer atmend blickte ich ihn an, schweigend. Ich hasste es, wenn man sich aufführte, als würde man mich beschützen müssen.

Liam wandte den Blick ab und sah zur Gasse hin, die mittlerweile menschenleer war. "Wahrscheinlich hab ich ihn gerade mehr beschützt als dich", erwiderte er und verzog sein Gesicht zu einer Grimasse.

Dann setzte er sich in Bewegung und ich trottete neben ihm her. Im Innern war ich ziemlich froh, dass er da gewesen war. Micks Anblick hatte mir Angst gemacht und ehrlich gesagt wollte ich nicht wissen, was ohne Liam passiert wäre.

Oder diese komische, zersprungene Straßenlaterne. Zersprangen diese Dinger einfach so? Hatte ich bisher noch nie gesehen.

Erst jetzt fragte ich mich auch, weshalb Mick plötzlich so panisch geworden war. Hatte ihn eine Scherbe geschnitten? War er endgültig verrückt geworden?

Ich knallte gegen irgendwas und brauchte einen Moment um den Gegenstand als eine Mülltonne zu identifizieren. Während Liam mich verwirrt ansah, ging ich fluchend weiter.

Wir kamen in unserem Park an und setzten uns auf die Steinmauer, blickten in den dunklen Fluss vor uns. Eine kurze Zeit lang sagten wir nichts, lauschten einfach den Geräuschen um uns herum, während ich in meinen Gedanken steckte.

Was hatte Mick hier gemacht? War diese Begegnung nur Zufall gewesen?

"Weißt du", räusperte sich Liam mit bedeckter, leiser Stimme. "Mein bester Freund hat einen Bruder. Vor einigen Jahren stellte sich heraus, dass dieser von seiner älteren Babysitterin komisch behandelt wurde. Angefasst wurde", erzählte er, den Blick in die Ferne gerichtet.

"Er war in der Situation, dass er überhaupt nicht wusste, was er zu ihm sagen sollte. Ich meine, gibt es überhaupt Worte für sowas? Naja, was ich damit sagen will ist, dass ich mich gerade in derselben Situation befinde."

"Er muss überhaupt nichts sagen. Er muss für ihn da sein", erwiderte ich mit demselben, flüsternden Ton.

Liams Kopf drehte sich und obwohl er mich nun anblickte, wand ich meinen Blick nicht vom Wasser ab.

"Ich bin für dich da, Hira."

Ich hätte beinahe gelächelt bei seinen Worten. Beinahe. Aber um nicht zu zeigen, wie viel sie mir bedeuteten, zog sich ein bösartiges Grinsen über mein Gesicht.

"Wenn du jemanden brauchst, der ihre liebsten Dinge abfackelt, dann bin ich dabei."

***

-Lanohiah, jetzt-

Eine Weile noch hatte ich mich zu ihnen auf die Steinmauer gesetzt, in der Hoffnung, dass Hira über ihre Vergangenheit reden würde. Tat sie aber nicht, wie sonst auch nicht.

Irgendwann kamen dann auch ihre beiden anderen Freunde, denen Liam und Hira nichts von dem Vorfall erzählten.

Seufzend trat ich ein paar Schritte zurück. Ich sollte wieder zur Akademie zurückkehren. Falls noch einmal etwas passieren sollte, so würde ich es ja spüren und wiederkommen können.

Ich wandte mich ab, stockte aber plötzlich. Und schoss nach vorne, in die Dunkelheit des Parks. Unbeirrt stieß ich von der Erde ab, flog kurz über dem Boden in Lichtgeschwindigkeit vorwärts, dem flüchtenden Wesen hinterher.

Erst an einer Straßenlaterne bekam ich es wieder zu sehen, für einen kleinen Moment. Eine geisterhafte, beinahe durchsichtige, vom Licht der Lampe erleuchtete Gestalt, hielt sich mit den bleiben Händen am kalten Metall fest und sah in die Ferne.

Ein unangenehmer Schauder durchfuhr meinen ganzen Körper, Kälte wanderte tief unter meine Haut bis in die Knochen.

Die Gestalt war noch einige Meter entfernt von mir. Ich wollte weiter darauf zugehen, doch die Kälte wurde stärker und schmerzhafter, zog in meinen Eingeweiden, lähmte mich, sodass ich keinen Schritt mehr vorwärts gehen konnte. Was bedeutete das?

Der Schmerz und die Kälte raubten meine Aufmerksamkeit und innerhalb der nächsten zwei Sekunden war das Wesen verschwunden. Ich hatte keine Ahnung, wo es hingeflogen war.

Misstrauisch blickte ich mich um, doch es war nichts mehr zu erkennen. Was hatte dieses Wesen hier gemacht? Hatte es Hira und ihre Freunde beobachtet? Oder war es nur Zufall gewesen?

Fröstelnd und mit Gänsehaut am ganzen Körper teleportierte ich mich zur Akademie zurück, den ganzen Abend über den Vorfall grübelnd.

*

"Jetzt hör mir doch mal zu. Da war eine Geistergestalt bei Hira, das ist doch wohl nicht normal!", erhob ich meine Stimme und lief Kev hinterher, als sich dieser von mir abwandte und irgendwas im Kleiderschrank suchte.

"Lano. So was passiert mal. Wahrscheinlich war es ein Zufall", meinte er nun schon zum dritten Mal und zog irgendein Kleidungsstück aus dem obersten Fach hervor.

"Nein. Geistergestalten sind ungemein selten. Selbst in magischen Gebieten. Und du weißt, dass sie immer einen Zweck erfüllen! Was, wenn er mit Hira zutun hat?" Ich konnte nichts dagegen tun, dass meine Stimme lauter, ein wenig wütender und etwas verzweifelter wurde.

Kev seufzte genervt, während er seine Flügel verschwinden ließ, sich einen schwarzen Pulli überzog und seine Flügel langsam wieder erschienen, sodass sie durch die Schlitze im dunklen Stoff an seinem Rücken hervortraten.

"So langsam habe ich das Gefühl, du steigerst dich in was rein. Hira hier, Hira dort, die ganzen letzten Wochen", behauptete er wild gestikulierend. "Ich weiß, das du es mit diesem Fall schwer hast und alle anderen viel weiter sind. Aber das heißt nicht, dass du in so eine kleine Situation zu viel rein interpretieren solltest."

Ich starrte ihn an und wusste nicht, was ich erwidern sollte. Das war doch Schwachsinn. Oder?

"Außerdem", fuhr er fort, "bist du viel zu oft bei ihr, meiner Meinung nach. Vielleicht solltest du dein berufliches Leben mehr vom privaten trennen. Entspann dich einfach. Irgendwann wirst du es doch sowieso herausfinden."

Mit diesen Worten ging er ins Badezimmer und schloss die Tür hinter sich, welche ich weiterhin wortlos anstarrte.

Seine Worte machten Sinn. Vielleicht waren sie sogar sehr vernünftig. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er mich nicht verstand. Jedenfalls nicht so richtig.

Ich war oft bei Hira, um herauszufinden, weshalb ich überhaupt bei ihr war. Aber ich betrachtete sie nicht als einen Fall, den ich bearbeiten und lösen musste. Dieser Mensch war so geheimnisvoll, so vielseitig, so komplex. Es gab so viele Dinge, die ich einfach nicht verstand.

Warum lächelte sie nie? Warum verbarg sie ständig ihre echten Gefühle? Warum suchte sie Ratgeber zur Selbstfindung? Warum zündete sie Schuppen an und fand Gefallen an Gewalt und Rache, warum war sie gleichzeitig so ruhig und still, hörte Klaviermusik bis tief in die Nacht hinein?

Wie sahen ihre Albträume aus? Wie sieht ihre Vergangenheit aus?

Und warum sprach sie nie darüber?

Kopfschüttelnd wandte ich mich endlich von der Tür ab, um die ganzen Fragen und Gedanken loszuwerden.

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