𝐗𝐗𝐗𝐕 𝐈𝐧 𝐒𝐞𝐡𝐧𝐬𝐮𝐜𝐡𝐭

...𝐝𝐞𝐢𝐧 𝐁𝐫𝐮𝐝𝐞𝐫

Die altbekannte Einsamkeit flutete die verlassenen Räume. Lediglich der rote Fleck vom Rotwein, den Theo einst verschüttet hatte, bewies noch deren kurze Existenz in meiner unendlichen Geschichte. Sie füllten Zeilen in meinem Leben, während sie von mir nie erfahren würden.

Ansonsten hatten sie aufgeräumt und das durchweg schweigend. Zum ersten Mal sehnte ich mir die Krümel herbei, die der rothaarige Mann nach jeder Mahlzeit durchs ganze Haus verteilte hatte. Ich vermisste die blöde Bürste, die Frieda nach jedem Kämmen irgendwo liegen gelassen hatte, nur um sie danach verzweifelt zu suchen. Am liebsten hätte ich ihr Tipps gegeben, doch meine Worte ergaben keinen Ton in dieser Welt.

Mit diesen mir eigentlich fremden Menschen, die gegangen waren, ging auch ein Teil von dir, Emiliana...
Ich flüchtete in das einzige noch scheinbar belebte Zimmer. Emilianas Sachen zierten noch die toten Wände.
Ihre benutzte Kleidung hing noch an der Tür, oder lugte halb unter dem Bett hervor. Kein einziges Mal war ihr Bett gemacht gewesen, seit dem ich sie kannte. Ihre Schminke lag verstreut über den ganzen Schminktisch. Sie liebte das Chaos und gleichzeitig mich, den sortiertesten von allen. Es wunderte mich kaum, denn auch mir zauberte diese herrliche Unordnung nur ein Schmunzeln ins Gesicht.

Langsam setzte ich mich auf den Boden. Die kleinen Details spiegelten sie wider, das ungehaltene Gemüt, die Art des schnellen Denkens, ihre Spontanität. Wir lieben nicht die Gemeinsamkeiten und auch nicht die Gegensätze, sondern das, was wir bewundern. Weil eben das und inspiriert und wachsen lässt.

Emiliana hatte meine Geradlinigkeit in Kurven verwandelt. Zwischen Chaos und Ordnung gab es keine Grenzen. Zwischen Liebe und Hass ebenso nicht. Vor allem aber nicht zwischen Leben und Tod.

So tief in Gedanken versunken, bemerkte ich gar nicht, wie jemand in das Haus gekommen war. Dieser Jemand stürmte in Emilianas Zimmer, als sei er auf der Flucht. Ihr bester Freund marschierte direkt zum Schrank, ohne nach links und rechts zu sehen, während ich nur vor Schreck erstarrte. Ihre Shorts, Kleider und Bücher flogen nur so in die große Tasche. Die Kosmetik fegte er mit nur einem Wisch sorglos hinein. Mir sprangen regelrecht Tränen in die Augen. Er beseitigte die letzten Spuren unseres Fehlers, der nur sie so viel kostete. Ich wollte ihn aufhalten, doch blieb der Stein, der reglos alles ertragen musste. Meine Arme schlossen sich schützend um meine angewinkelten Beine. Mein Kinn zitterte.
Sie würde nun gehen und es war das Richtige. Ich wiederholte es wie ein Mantra, immer und immer wieder.

Vor meinem inneren Auge sah ich sie lächeln, hörte ihre Stimme. Ich roch den Zigarettenrauch, der sie umgab wie das herrlichste Parfum.

Als ich ein Wimmern vernahm, dachte ich erst, es wäre mein eigenes. Doch es klang zu echt, zu laut, beinahe schon Ohren-betäubend.
Da hielt ich inne.

Dieser Psychologe, Emiliana betitelte ihn als den besten seines Fachs, regte sich nicht mehr. Ich wagte es, vorsichtig nach ihm Ausschau zu halten. Er saß auf dem Bett, hielt etwas in der Hand und weinte. So wie ein Mann weinte, nur wenn er ganz alleine war. Mir schossen Sorgen quer durch den Kopf. War alles in Ordnung mit Emiliana? Ich stand sofort auf, bereit es herauszufinden, egal wie. Ich vergaß meine Angst vor dieser seltsamen Gestalt und ging direkt auf ihn zu. Entschlossen nahm ich mir vor so laut zu schreien, bis er mich hören musste. Wenn es so sein sollte, dann hätte ich auch alle losen Gegenstände durch dieses Zimmer befördert, vielleicht sogar die Schränke. Hauptsache, ich fand heraus, was passiert war.

Doch ich stoppte mich selbst, als ich sah, was er dort in seinen Händen hielt. Ich wollte ihm dieses Foto wegnehmen, weil es ihm nicht gehörte. Er griff in meine Privatsphäre ein. "Ich habe ihn gefunden." Vor Schluchzern hätte ich ihn fast nicht verstanden, doch er sagte es noch einmal. "Ich habe ihn gefunden, Mama." Dann ahnte ich es.

Meine Knie schlugen auf dem Boden auf. Vor ihm kniend, sah ich sein nach unten gerichtetes Gesicht. Mir blieb die Luft weg. Selbst der Atemreflex, der mich nie verlassen hatte, setzte nun sämtlich aus. Über die butterweichen Späckbäckchen war ein dichter Bart gewachsen. Er war so groß geworden, größer als ich. Da gab es keine Spur mehr von dem einst so pummeligen Kind, welches mir die letzten Nerven raubte.
"Ivo", flüsterte ich. Nur die fast schwarzen Augen waren die selben geblieben und sie ließen mich noch immer in sein gutes Herz blicken.

Noch nie wollte ich so sehr leben, wie in diesem Moment. Seine Haare hingen ihm wild über die Stirn. Ich streckte meine Finger nach ihnen aus. Mein kleiner Ivo... Nie wagte ich mich davon zu träumen, ihn wieder zu sehen.
Ein Psychologe, also... Zwar hätte ich es nicht erwartet, doch umso mehr Stolz füllte mein Inneres. Wie gerne hätte ich es ihn wissen lassen.
"Es tut so weh, Milo", gab er zu, indessen sein Daumen über das Gesicht unserer Mutter fuhr.
Hatte sie ihn auch verlassen?
Unsere Mama...

"Ich habe gekämpft und so vieles erreicht, aber manchmal bricht alles zusammen und ich weiß nicht mehr, für was ich eigentlich da bin."
Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, versuchte stark zu sein. "Dann höre ich deine Stimme.
Heul nicht immer, Fettsack. Du bist doch ein Mann", äffte er mich nach. Ein klägliches Lachen entfloh dabei seinem Mund. Eines, das Risse durch meine Seele zog. "Du hast es immer so ohne Emotionen gesagt, so als könnte dir nichts etwas anhaben." Kaum trocknete seine Haut, flossen erneut salzige Bäche.

Vor vielen Jahren hatte ich die falsche Entscheidung getroffen. Ich war in die falsche Richtung gelaufen, anstatt für die Familie da zu sein, die mir noch übrig blieb. Vielleicht bereute ich diesen Fehler so sehr, dass ich nie gehen konnte. Vielleicht wünschte ich mir immer noch ein Teil seines Lebens zu sein. Was hätte ich dafür gegeben, ihn mit seinem frisch erworbenen Zertifikat in den Händen zu sehen.
Der Ring um seinen Finger, könnte ein Ehering sein und wahrscheinlich wäre ich der Trauzeuge an seiner Seite gewesen.
Meine Fantasie malte Bilder, die so nie existierten.

Je länger ich ihn mir einfach nur betrachtete, desto stiller wurde die Stimme in mir.

Er hatte es auch ohne mich geschafft. Ganz alleine.

"Du bist perfekt, kleiner Bruder."

Unser Geschichte nahm keinen guten Verlauf, aber das Ende war perfekt. Ihn so zu sehen, schenkte mir Frieden. Ivo war stark genug, um jede Hürde zu überstehen; schlau genug, um anderen zu helfen und er hatte jemanden, der auf ihn Acht gab.
Emiliana. Unsere Liebe schien nur ein Kollateralschaden des Schicksals. Doch egal was passieren würde, sie hatten sich und ich würde auf ewig in ihnen weiter leben.

"Du musst sie gehen lassen, Milo." Als hätte ich meine Gedanken auf ihn projiziert, erwähnte er sie.
"Emi ist das Maximum an Leben, was mir jemals begegnet ist. Sie ist wie die Sonne, die den Schatten fürchtet. Lass sie gehen", verlangte er mit brüchiger Stimme.

Ja, das musste ich. In der Liebe entschied nur selten die Vernunft, doch zum Glück die Selbstlosigkeit. Und ich wollte nichts mehr als das es ihr wieder besser gehen möge. Die Frage bestand nur darin, ob sie das auch so sah.

Ich griff nach seiner Hand und schwor es ihm. "Emiliana wird immer dort sein, wo ich hätte sein sollen.
An deiner Seite."

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