𝐗𝐗𝐗𝐈𝐕 𝐖𝐞𝐥𝐥𝐞𝐧

...𝐬𝐩𝐮̈𝐥𝐭 𝐬𝐢𝐞 𝐝𝐚𝐯𝐨𝐧, 𝐦𝐞𝐢𝐧𝐞 𝐒𝐨𝐫𝐠𝐞𝐧 𝐮𝐧𝐝 𝐏𝐫𝐨𝐛𝐥𝐞𝐦𝐞.

"Hallo", untermalte Dino sein wildes Winken. Er strahlte als einziger im Einklang mit der Sonne. Nelio sah mir kurz in die Augen, dann blinzelte er und sein Blick landete auf dem Arm, der um meine Hüfte lag und mich vor dem sicheren Sturz bewahrte. Schließlich widmete er sich vollends meinem Freund, was mir total unangenehm war. Ich war so hilflos.

Nelio zeigte keinerlei Emotionen, sondern überflog die Erscheinung meines Chefs wie ein zwei Meter großes Sudoku.
"Nenn mich einfach Dino. Ich würde dir ja die Hand geben, aber die Kleine hier lernt gerade erst das Laufen", stellte der Verrückte sich vor. Ich verdrehte die Augen und gab ihm einen Tritt, um ihn an die Kraft in meinen Beinen zu erinnern, die langsam aber sicher wiederkehrte.

"Und du bist... dieser... ", knirschte der Nelio kaum verständlich hervor.
Uns wurde fast gleichzeitig bewusst, was er meinte. Und sofort schüttelte ich den Kopf, während Dino seinen Griff um meinen Rücken lockerte.
"Sowas wie ihr homosexueller Freund, oder ihr Bruder. Eigentlich auch ihr Chef. Auf jeden Fall kein Typ, den sie daten würde." Ein gruseliges Grinsen zierte sein Gesicht, nachdem er mir über die dürre Haarpracht wuschelte. Hätte nur noch gefehlt, wenn er ein 'feine Emi' hervor gebracht hätte.

Ich sah zu Nelio, wahrscheinlich spiegelte sich Verzweiflung in meinen Augen wider. Verdammt, ich hatte ganz vergessen, wie nervtötend Dinos unnahbare Art sein konnte. Wenn er einen nicht ernst nahm und mit sinnlosen Sprüchen bombardierte, nur um vom Ernst der Dinge abzulenken.
Dafür war er genau das Gegenteil, wenn er vor seinen Klienten saß. Er konnte sein Wesen wie auf Knopfdruck wechseln, was mich gleichzeitig verängstigte, sowie faszinierte.

"Unser Boot fährt gleich. Wollen wir?", suchte Nelio nach der Bestätigung mich retten zu dürfen und ich nickte erleichtert. Der eine Mann reichte mich weiter zum nächsten. An so einem erbärmlichen Punkt war ich mittlerweile angekommen und doch schätzte ich, dass ich keinen Rollstuhl mehr brauchte, nur eine Stütze.

Meine Hände lagen auf Nelios Brust. Ich liebte seine Wärme. Der Wunsch keimte auf, meinen Kopf an seinen Körper zu schmiegen, doch Milans Gesicht in meinen Gedanken, schob sich vor mein Vorhaben wie ein eiserner Riegel.

Zweifellos traf Nelios fruchtiger Atem auf das süß-rauchige Parfum. Diese einzigartige Mischung verband ich sofort mit ihm und einem Gefühl von Vertrautheit. Meine Iriden wanderten über seine Brustmuskulatur, bis hinauf zu seinem sehnigem Hals und landeten letztendlich bei den auffälligsten Merkmalen seines Gesichts. Die Farbe, die seine Pupillen umspielte war eben so schön, wie gefährlich.

Dino räusperte sich, was mich schnell wieder im Hier und Jetzt ankommen ließ. "Also, ich geh dann auch mal. Viel Spaß euch beiden und Emi, ich hol dich dann ab. Um 19 Uhr treffen wir uns wieder hier." Er zwinkerte ein letztes Mal, ehe er ging und ich in Gedanken Gott dafür dankte.

Nelio brachte mich zwar sicher an Bord, doch er hielt mich auf Abstand. Er gestattete mir lediglich mich an seiner Schulter festzuhalten, packte mit seinen Armen aber nur zu, wenn ich mal eine Treppe nicht schaffte.

Als wir endlich auf dem Deck des weißen Bootes saßen, bewunderte ich das Wasser. Noch nie hatte mir jemand erzählt, dass die Strände in Kroatien so verzauberten wie die der Malediven. Es leuchtete hellblau in der Ferne und aus nächster Nähe funkelte es so rein, dass ich alles hinter der Wasseroberfläche erkannte. Ich hätte die weißen Steine zählen und die goldenen Fische fangen können.

"Mondello würde dir auch gefallen. Der Sand ist weiß und das Wasser schimmert je nach Tiefe in allen Blautönen", murmelte mein Begleiter von der Seite.

Italien stand sogar auf meiner Reiseliste.
"Wohnst du dort?", wollte ich wissen. "Nein, meine Mutter und ich wohnen in Corleone. Mondello ist aber nur etwa siebzig Kilometer entfernt", erklärte er, vermutlich in der Hoffnung, ich würde ihn in nächster Zeit besuchen kommen.

"Cornelio aus Corleone", und als ich es aussprach, schlich sich ein Schmunzeln zwischen meine Wangen.
"Ich werde es für immer bereuen müssen, dass ich dir meinen vollen Namen genannt habe, oder?" Zumindest, solange wir uns noch sehen, dachte ich im Stillen.

Ich beobachtete ihn, wie er starr versuchte an mir vorbei, in die weite See zu schauen. Als das Boot plötzlich startete, trafen sich unsere Blicke kurz, aber jedesmal mit der Wucht eines auf mich zurasenden ICEs.

"Du bist sehr achtsam", stellte ich fest, dass er die von mir als am wichtigsten erachtete Eigenschaft besaß. "Du hast gesehen, dass Dino mir zu schaffen gemacht hat und hast mich aus seinem Griff befreit. Deine Nähe ist zu viel für mich, aber du hast mich mit Abstand gestützt. Deine Augen sind überall, außer auf mir. Damit lässt du mir den Raum, den ich brauche und so bist du immer. Du achtest auf dich und deine Mitmenschen", erzählte ich ihm stolz von meiner Feststellung.

Es brachte ihn zum Nachdenken. Zumindest senkte er schweigend seinen Kopf. Seine Haare waren gewachsen. Den Übergang von rasiert zu geschnitten gab es nicht mehr wirklich, aber umso mehr zogen mich seine pechschwarzen Haare in den Bann. Sie glänzten wie Seide in der Sonne. Meine Hände zuckten, so sehr wollte ich mit meinen Fingerspitzen hindurch fahren.

"Wenn ich so sehr auf mich achten würde, dann würde ich keine Betriebswirtschaft studieren, sondern Autos reparieren und ich achte nicht auf meine Mitmenschen. Meine Freunde würden wahrscheinlich sagen, ich zieh mein Ding durch, ohne nach links und rechts zu schauen. Ich beachte nur dich, merke mir jede deiner Reaktionen, weil ich genau das sein will, was du brauchst und willst."
Mir blieb die Spucke im Hals stecken und ich krallte mich in die Bank. Sein trauriger Welpenblick brachte mich zum Schwitzen.

"Doch, du achtest auf dich", lenkte ich ab und ging auf seine letzte Aussage erst gar nicht ein. "Achtsamkeit bedeutet nicht, sofort das Richtige für sich zu tun, sondern erstmal zu erkennen, was einem gut tut und was nicht. Viele verlernen ihre innere Stimme zu verstehen, du nicht."

Nelio mied meinen Anblick, was vielleicht gut so war, wobei ich mir auch dämlich vorkam. Ich erwischte mich dabei, wie ich den Kontakt suchte. Ihm brannte etwas auf der Zunge. Immer wieder befeuchtete er seine Lippen, schien zum Sprechen anzusetzen, doch dann ließ er den Kopf wieder hängen. Also wandte ich mich wieder dem Mittelmeer zu. Das Motorboot teilte das Wasser unter sich entzwei. Wellen entstanden, das dunkle Gewässer endete in Schaumkrönchen, die stetig davon trieben. Es hatte eine hypnotische Wirkung auf mich.

"Ja, ich höre die Stimme in mir, aber ich ignoriere sie. Sonst wäre ich schon längst wieder in meiner Heimat." Selbst wenn er redete, schien er es mehr mit sich selbst zu tun. So in sich gekehrt, kannte ich den Mann neben mir nicht. Er gab die Hoffnung auf und es schmerzte.

"Ich werde dich niemals vergessen, Nelio", gab ich zu, wie besonders er meinen Sommer eigentlich gemacht hatte. Außerdem sollte es ihn trösten. Langsam reichte es, ihm ständig weh zu tun. Als Antwort brachte er ein erschöpftes Lächeln hervor, welches in der selben Sekunde erlosch, wie es aufflammte.

Das Boot kam einige Meter vor einer Bucht zum stehen. Himmelblaues Wasser trennte zwei riesige Klippen. Zwischen ihnen ergoss sich weißer Kieß ins Gewässer. Unter uns zeigte sich der steinige Grund des Meeres. Algen tanzten im Takt der Wellen und kleine glänzende Fische drehten ihre Runden. Ganz so als hätten sie nie Sorgen, oder Kummer.

Das Bild der puren Harmonie explodierte in tausenden von Tropfen. Willige Passagiere suchten die Abkühlung und sprangen in das nasse Tief. Ich beneidete sie. Sie alle waren hier, um zu Leben, Spaß zu haben, oder sich zu erholen und es funktionierte. Ich hatte es in einem Monat geschafft, mein Herz zu finden, mich aber dafür zugrunde zu richten.
Sich zu verlieben sollte nur schön sein und nichts anderes.

"Meinst du, ich kann mich nur mit den Armen oben halten?", flüsterte ich vor mich hin.
"Was?" Nelio zuckte erschrocken zusammen.
"Wirf mich in das Wasser", verlangte ich entschlossener. Dabei rechnete ich bereits mit Widerspruch, doch schnappte nach Luft, nachdem ich Nelios Arme unter meinem Körper spürte. Er trug mich wie eine Braut zwischen den hölzernen Sitzbänken entlang, die Treppen hinunter, dorthin, wo die anderen schon vom Heck des Bootes gesprungen waren.

Nelio tat es kurz und schmerzlos. Er hatte meine Worte wirklich verdammt ernst genommen. Wahrscheinlich ernster als ich.
Denn als ich so flog, überkam mich eine Flut von Zweifeln und dann wurde es auch schon bitter kalt. Das Wasser schloss sich um meinen Körper, zog mich in die Tiefe und riss an meiner knappen Kleidung. Danach war ich umgeben von einer herrlichen Ruhe. Ich sah Körper, kleine und große, verschlungene und einzelne. Die Wasseroberfläche strahlte so hell wie die Sonne selbst.
Es weckte meine Sinne. Die Kraft, sie pulsierte in meinem Blut. Meine Beine nahmen ihren Dienst wieder auf. Wie die stolzeste aller Meerjungfrauen schwamm ich geschmeidig mit der Strömung bis an die Luft.

Ich drehte mich im Kreis, weil ich ihn suchte. Und er stand immer noch da, atmete erleichtert aus, indessen im gleichen Zuge ein unwiderstehliches Lächeln seinen Ausdruck erhellte.
"Jetzt komm schon rein!", forderte ich Nelio auf. "Ich habe keine Badehose drunter", rief er mir in einer seltsamen Tonlage zwischen Flüstern und Schreien zu. Die Leute um uns herum tollten so lautstark herum, dass ich bezweifelte, dass sie ihn hören konnten, doch es schien ihm unangenehm. Ich fand es lustig, wie er sich umsah und verbissen darüber nachdachte, ob er es machen sollte.
Natürlich, das Abbild von Adonis durfte sich ja nicht blamieren.
Na warte, dachte ich mir.

Ich prustete laut los, nachdem Nelio meine triefende Shorts von seinem Gesicht wischte und mit ihnen seine angespannten Züge.
Nun trug auch ich nur noch meine Panties und ein weißes T-Shirt, was mehr offenbarte als verbarg.
Der arme Italiener wirkte zunächst sprachlos, doch dann schüttelte er nur noch lachend den Kopf.

Es kam einer Show gleich, als er sich das schwarze Shirt in einer geschmeidigen Bewegung über den Kopf zog. Wie hatte er das gemacht? Eine derart reizvolle Art sich Auszuziehen musste er doch studiert, oder zumindest geübt haben. Ich fing tatsächlich an die Fische im Meer unter mir zu suchen, als seine Hände, den Knopf seiner Jeans erreichten.
Wahrscheinlich war mir gerade die Mimik entgleist. Wann hatte ich überhaupt aufgehört zu lachen? Wann wurde es so derart leise um uns herum?

Während sich eine gewisse Nervosität durch meine wirren Gedanken fraß, traf mich ein kleiner Tsunami. Ich spuckte und hustete. Durch meine vom Salzwasser verschleierten Augen, erkannte ich, wie er genau vor mir auftauchte, der kleine Teufel mit den Engelsaugen. Kaum hatte ich meine Lungen befreit, musste ich wieder lachen. Ich spritzte ihm eine Welle entgegen, spürte da aber schon seine starken Hände meine Hüften fest umschließen. Mir entfloh ein Quietschen, dass selbst für mein Gehör zwei Oktaven zu hoch war. Nelio versuchte mich runter zu drücken, doch ich klammerte mich an seine straffen Schultern.

Zum ersten Mal bekam mein Trip den Beigeschmack von Urlaub. Für Sekunden war ich frei, unbeschwert, glücklich und einfach nur Emiliana.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top