𝐗𝐗𝐗𝐈 𝐕𝐞𝐫𝐳𝐰𝐞𝐢𝐟𝐞𝐥𝐭

...𝐢𝐦 𝐑𝐞𝐠𝐞𝐧

"Milan?" Noch so verwirrt, blinzelte ich der undurchlässigen Dunkelheit entgegen. Er war nicht da. Ich hätte es gespürt, wenn er da gewesen wäre, doch ich spürte nur Einsamkeit, die mir noch mehr die Kraft raubte.

Seltsam, ich meinte von einem Klopfen geweckt worden zu sein. Verschlafen erhob ich langsam meinen gebrechlichen Oberkörper. Gefühlt jeder Knochen knackte wie ein klappriges Gestell. Ich rieb mir scheinbar mitten in der Nacht den Schlaf aus den Augen. Dabei erkannte ich auch die Lärmquelle. Ein Sommergewitter hatte sich aufgeladen und ließ nun seine Wucht an meinem Fenster aus. Der Regen donnerte gegen das Fenster und lief in Strömen zu Boden. Eine Weile beobachtete ich gebannt das Spektakel. Ich hoffte irgendwie diese geballte Energie in mich aufnehmen zu können, doch vergebens. Noch immer war ich an das Bett gefesselt, da meine Beine mich kaum noch trugen.

Plötzlich schob sich eine dunkle Gestalt vor das sperrliche Licht der Straßenlaternen. Ich wich vor Schreck zurück in mein Kissen. Es hatte doch geklopft, denn genau dieses Geräusch hatte ich im Halbschlaf vor noch wenigen Minuten gehört. Da war ich mir ganz sicher. Die große Gestalt weckte ein Gefühl der Vertrautheit. Wahrscheinlich rutschte ich deswegen vor bis zum Bettende. An der Fensterbank stützte ich mich hinauf, um diesem Verrückten genau in die Augen zu sehen.

Nelio stand völlig durchnässt und vor allem in Lebensgefahr vor dem Haus.
Ständig zogen sich grelle Risse durch den Himmel, gefolgt von krachendem Donnern.
Ich brauchte keine weitere Sekunde, um das Fenster aufzureißen. "Bist du verrückt geworden?", flüsterte ich ihm zu. Meine Hände umschlossen seinen Arm. Ich wollte ihm hinein helfen, obwohl ich selber kaum auf den Füßen stand. Die Geräuschkulisse nahm schlagartig wieder ab, nachdem ich das Fenster hinter uns schloss. Nelio spazierte durch das Zimmer und hinterließ dabei dreckige Pfützen. Das wird Milan nicht gefallen, fiel mir sofort ein, doch das schien diesen Mann nicht im geringsten zu interessieren.

Erschöpft ließ ich mich wieder auf das Bett fallen, während Nelio nichts tat, außer die Schemen des Zimmer genaustens zu inspizieren. "Was wird das?", sprach ich etwas lauter. "Ich muss es sehen, um es zu glauben", antwortete er. Was sehen, um was zu glauben, fragte ich mich im Stillen, ließ ihn jedoch gewähren. Über meine Haut legte sich eine feine Gänsehaut. Er zog die kalte Nacht mit sich herein, was zugegeben sogar erfrischend wirkte. Zumindest ereilte mich das Gefühl, dass ein Teil meiner Kraft zurückkehrte.

"Hier ist nichts, dass auf einen anderen Mann deutet. Es war nur eine Ausrede, um mich auf Abstand zu halten. Wieso Emiliana?" Ich überhörte seine Worte und konzentrierte mich nur auf mich selbst. Vorsichtig tasteten meine Füße den Boden ab. Ich konnte es wieder. Vorsichtig fand ich hinauf, ohne gleich wieder umzukippen. Ein Lächeln schlich sich wieder in mein Gesicht. "Was ist los?", wollte er wissen. "Es wird alles gut", überkam mich neue Zuversicht. Nelio legte seinen Kopf schief, als sei ich ein menschliches Sudoku. Seine dunkelgraue Kapuze hing ihm halb vor die Stirn. Die schwarzen Strähnen verloren Tropfen, die über seine markanten Züge liefen.

"Was wäre gewesen, wenn du einen anderen Mann hier mit mir aufgefunden hättest?" Fragend zog ich die Augenbrauen hinauf.
"Ich hätte ihm jegliche Erinnerungen an dich aus der Visage geschlagen." Es zuckte um seine Mundwinkel, ehe er sich die Kapuze von den Haaren schob.
"Das lebende sizilianische Klischee." Ich schüttelte den Kopf. Sein Ehrgeiz beeindruckte mich und andererseits verzweifelte ich daran.

"Keine Ahnung, was ich gemacht hätte. Mein Plan war nur, es zu sehen. Weiter habe ich nicht gedacht. Ich verliere mein Gehirn, wenn es um dich geht", fing er wieder an. Eine Weile starrte ich in das graue Blau seiner Augen, die auch im Dunkeln schimmerten wie geschliffene Solitäre. Nelio ging langsam an mir vorbei und zog dabei einen süß-rauchigen Duft hinter sich her.

Er nahm auf der schmalen Fensterbank Platz. "Ich hätte vor drei Tagen wieder in Italien sein sollen." Die Frage, wieso er es nicht war, sprach ich nicht aus. Ich befürchtet ohnehin die Antwort zu kennen.
"Es fühlt sich falsch an. So als würde ich dich im Stich lassen. Du bist so oft zu mir gerannt mit einer unheimlichen Angst in deinen Augen und ich habe dir immer meine Hand gereicht. Ich werde sie nicht zurückziehen, nur weil du sie nicht mehr nehmen willst", setzte er fort, was meine Gänsehaut nur noch verstärkte.

"Und nein ich bin auch nicht wütend, weil ich es nicht bereue, immer für dich da gewesen zu sein. Ich habe es genossen, Bellezza", beendete Nelio. Das Schmunzeln seinerseits offenbarte jungenhafte Grübchen. Er strahlte so viel Wärme aus, dass ich mich mit allen Mitteln wehren musste, um nicht dahin zu schmelzen.

"Aber ich habe dir doch nichts mehr zu sagen, Nelio." Egal wie sehr ich nachdachte, da gab es wirklich nichts mehr. Ich konnte ihm weder Hoffnungen machen, noch wollte ich ihn weiter erniedrigen.

Er erhob sich plötzlich und schnellte auf mich zu. Seine Finger umschlossen problemlos meine Hände. "Musst du nicht. Lass uns einfach etwas tun. Was wünscht du dir?" Im selben Moment, wo er es mir anbot, tat sich tatsächlich ein Wunsch auf. Mein Blick glitt an ihm vorbei zum Fenster. Das Gewitter wütete nicht mehr, doch die Wolken weinten immer noch. "Kannst du mir raus helfen?" Er zögerte nicht und kletterte zunächst selber wieder ins kühle Nass. Dann umklammerte er meine Taille und befreite mich.

Meine Füße tapsten durch das erweichte Gras, versanken in den kleinen Pfützen. In der Luft lag ein erdiger Duft, den nur ein Sommerregen hervor bringen konnte. Ich drehte mich unter der lauwarmen Dusche und streckte dem Himmel mein Gesicht empor. Jeder Tropfen heilte meine Wunden und ich fühlte mich so stark auf meinen Beinen, fast schon schwerelos.

"Genau das kann ich nicht vergessen. Wie du aus allem etwas Unbegreifbares machst", rief Nelio mir durch den Regen zu. Zwei Atemzüge später hatte er die Lautstärke gar nicht mehr nötig. Er trat direkt vor meinen durchnässten Körper und legte seine starken Hände um meine Taille. Ich hätte mich fallen lassen können, doch er würde mich nicht stürzen lassen.
"Komm wieder mit mir nach Hause und heile an meiner Seite.
Und ich will jeden Morgen aufstehen und nicht wissen, was mich erwartet, weil du an meiner Seite bist."

Sein unerbittlicher Kampf, seine eisblauen Augen, die nur für mich brannten und letztendlich die Art, wie er mich fest packte und auf Erden hielt, berührten mich, auch wenn ich mich noch so sehr dagegen wehrte.
Ich schmiegte meinen Kopf an seine Brust und genoss den Kontrast seines erhitzten Körpers zum Regen.
Am Ende des Tages war ich doch nur ein Mensch, der sich nach Geborgenheit und Sicherheit sehnte. Den Herzschlag, den ich vergeblich suchte, fand ich hinter seiner Brust.

Aber ich brauchte das alles nicht, wenn ich nur bei Milan sein durfte.
Vielleicht war mein geliebter Geist nur das Streicheln des Windes, nicht mehr als Luft in unserer Welt, doch genau diese benötigte ich zum Atmen.
"Ich habe mich doch schon entschieden, Nelio und selbst wenn es mich das Leben kostet, bleibe ich bei ihm." Dabei rückte ich ein Stück vom Sizilianer ab, um ihm tief in die Augen zu schauen. Er antwortete nichts, sondern starrte einfach zurück.

Seine Lider schlossen sich langsam und versiegelten somit den Schmerz. Nelio lehnte seine Stirn gegen meine. Ich spürte, wie er seinen Kopf schüttelte, doch er musste es begreifen. Dort, wo er und ich standen, gab es nur Grenzen, die ich niemals überschreiten würde.
Die Liebe zwischen Milan und mir kannte kein Ende, nichtmal den Tod.

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