𝐗𝐗𝐗 𝐑𝐞𝐭𝐭𝐮𝐧𝐠
...𝐧𝐚𝐡𝐭
"Sie hat dich angelogen, weil sie weiß, dass du für so einen Scheiß empfänglich bist. Du zwingst sie doch immer, dass sie ihre Gefühle auspacken muss. Manche Leute brauchen sowas aber nicht." Hinter seinen Worten schloss Theo die Tür zum Haus. So standen Frieda und er nun auf dem Balkon, der nur knapp über dem Garten hing. Frieda hatte sämtliche Farben aus ihrem Gesicht verloren und bis jetzt nicht wieder gefunden. Ihre zierlichen Finger umfassten das Geländer.
"Und deswegen erfindet sie eine Geistergeschichte, anstatt mir die Wahrheit zu sagen? Für Emiliana ist da was dran, glaub mir." Friedas Augen zuckten nervös über die Landschaft. Die rote Decke der letzten Sonnenstrahlen hatte sich bereits über die Dächer gelegt. Selbst das Meer färbte sich grau. Lediglich die Wellen brachen in einem schimmernden Gold.
Ich hätte ewig in die Ferne schauen können, vor allem wenn im Gegensatz ein kräftiger Theo auf meiner Terrasse saß, der versuchte einen eingetrockneten Fleck von seinem Shirt zu kratzen. Angewidert verzog ich das Gesicht.
"Also denkst du, sie ist verrückt geworden, oder wie soll ich das jetzt verstehen?" Gedanklich konzentrierte sich dieser Mann immernoch auf die daneben gegangene Tomatensoße.
"Es ist nicht alles schwarz und weiß, oder mit ja, oder nein zu beantworten, Theo." Seine mittlerweile angesäuerte Freundin, wandte sich zu ihm, die Arme um ihren Körper geschlossen. Theo stöhnte frustriert auf. "Und was soll ich jetzt damit anfangen? Glaubst du ihr ernsthaft die Sache mit dem Toten, der in ihrem Zimmer lebt?"
Die Schwarzhaarige fixierte ihren Blick ins Leere. Sie dachte nach. "Nicht unbedingt, aber sie tut es und da steckt was dahinter. Vielleicht verarbeitet sie so ein Trauma, oder so...", mutmaßte ihre Freundin. Natürlich, einen Geist in Betracht zu ziehen, hätte jeder normale Mensch ausgeschlossen. Früher schmerzte diese Ausgrenzung, nun war es mir egal. Die Personen, die ich liebte, wussten, dass es mich einst gab und die Frau, die mir jetzt so viel bedeutete, wusste ebenfalls, dass es mich immernoch gibt. Mehr brauchte ich nicht vom Leben, welches mir noch übrig blieb.
"Mein Gott, jetzt kenne ich schon drei Psychologen und ich wollte nicht mal einen kennen... Egal was es ist, körperlich geht unsere Verrückte zugrunde. Sie braucht die gute deutsche Medizin, einen richtigen Arzt und so weiter. Lass uns Flüge zurück buchen. Sie wird schon mitkommen." Der Karottenkopf nickte sich selbst bestätigend zu, doch Frieda schien er damit nicht zu begeistern.
"Sie hat mich angeschrien, dass es ihr Haus ist! Emiliana wird nicht gehen", schlussfolgerte sie von der vorherigen Situation und traf damit auch meine Gedanken. Meine Bebba benahm sich wie eine Besessene, wenn es um dieses Haus ging und vielleicht war sie das auch. Wer konnte schon mit hundert prozentiger Wahrscheinlichkeit sagen, wie sich ein Geist auf einen Lebenden auswirkte. Eventuell war es keine Liebe, sondern nur Besessenheit. Zwischen Leben und Tod gab es nichts außer leere Magie.
Eine Weile verging, in der ich nur den Insekten lauschte. Außer Frieda kratzte mal wieder nervös am Metall des Geländers herum. Sie brütete doch etwas aus, was nicht so Recht von ihren Lippen zu gehen schien. "Was ist noch?" Auch Theo schien es bemerkt zu haben. Sie schaute zu Boden als ihre nächsten Worte folgten. "Wir könnten Dino anrufen und ihn um Hilfe bitten." Die fast durchsichtigen Augenbrauen des Rothaarigen hüpften parallel zueinander. "So so, Doktor Sixpack soll also helfen. Und du willst ihn nur deswegen anrufen." Dieser Psychologe musste ja besonders sein. Emilianas verschlossenes Herz öffnete sich für ihn einen Spalt und wo die Sonne versagte, Frieda Farbe ins Gesicht zu zaubern, so färbten sich ihre Wangen nun tiefrot.
"Natürlich", schoss es aus ihr, wobei sie gegen den Flechtsessel trat, in dem ihr Freund saß. Dieser lächelte, aber kein spöttisches Lächeln, was sein rundes Gesicht so oft zierte. "Die beiden sind ein Herz und eine kranke Seele. Könnte klappen. Na los, wähl seine Nummer", verlangte Theo euphorisch, doch Frieda zögerte. Sie sah ihrem Kumpel tief in die Augen, so als würden sie Zweifel überkommen. "Du bist mein Mädchen! Los Frieda Fröhlich, du schaffst das!" Aus ihren vollen Wangen prustete sie die Luft heraus, doch das Handy war bereits vor ihrem Gesicht in Position gebracht.
Bevor sie den Mann ihrer Träume anrief, checkte sie noch einmal ihr Aussehen vor der Kamera. Irgendwas murmelte sie noch vor sich hin, dann vernahm auch ich das Tuten. Theo gesellte sich an ihre Seite. Ich blieb an Ort und Stelle. Es schien mir ja schon unangebracht zu lauschen, dann musste ich nicht auch noch zusehen, wie sie sich über den Videoanruf unterhielten.
Sie warteten nicht lange, da hob dieser Typ den Hörer ab, doch scheinbar sehr beschäftigt. "Malio, wenn du noch einmal aus deinem Bett rennst, dann klaue ich dir deinen lieblings Teddy!" Schnelle Schritte schallten bis zu uns, kleine und große.
"Sorry Leute, schafft euch einfach keine Kinder an." Eine Tür fiel ins Schloss und der Mann schnaubte nur noch.
Erinnerungen krochen in mir auf. Wie oft hatte mein kleiner Bruder Ivo sich in mein Zimmer geschlichen und Sachen geklaut. Mal war es mein Parfüm, dann meine Kleidung. Ich war ihm immer hinterher gehetzt. Man merkt erst wie sehr man einen Menschen liebt, wenn man die Dinge am meisten vermisst, die einen am meisten nervten. Ich schluckte den Knoten herunter, der mich am atmen hinderte.
"Du bist bestimmt ein toller Vater", sprach Frieda, bevor sie sich räusperte. Ihre Hand, die das Smartphone bediente, zitterte. "Ja, abgesehen davon, dass ich gerade in Versuchung geraten bin, seine Tür abzuschließen, ganz bestimmt." Das Gesicht der Schwarzhaarigen zierte ein verträumtes Schmunzeln, welches auch mich in seinen Bann zog. Es war eine solche Seltenheit, jemand so verliebtem zu begegnen. Ob Emiliana mich wohl auch so ansah? So offensichtlich war es mir noch nie aufgefallen.
"Hey Kumpel, wir haben hier Alarmstufe rot." Theo nahm den Bildschirm vor sein Gesicht und unterbrach eiskalt Friedas unerfüllten Traum. "Was ist los? Wo ist Emi?", wollte er sofort wissen. Seine Sorgen galten ihr und irgendwie versetzte es mir einen Stich. Eifersucht schmerzte, vor allem berechtigte. Denn er durfte all das für sie sein, was ich mir für Emiliana wünschte.
"Sie schläft, wie fast immer. Vor knapp zwei Wochen wäre sie uns fast verblutet und vor ein paar Tagen wurde sie wiederbelebt." Auf der anderen Seite der Leitung blieb es ein paar Sekunden ruhig. "Ich hatte ja keine Ahnung", gab Dino leise zu.
"Sie hat Frieda heute erzählt, sie hätte sich in einen Geist verliebt und dieser würde denken, dass er sie mit seiner Anwesenheit umbringt, aber Emiliana glaubt das nicht. Ich für meinen Teil, glaube gar nichts an dieser Geschichte."
Wieder Stille, diesmal für eine längere Zeit.
"Von diesem Geistermann hatte sie mir auch erzählt." Dabei klang seine Stimme irgendwie so schuldbewusst. Ich hatte dieses Gespräch nicht mitbekommen. Vermutlich fand es statt, als ich versucht hatte Emiliana zu ignorieren und aus meinem Dasein auszuschließen.
"Ich hatte ihr geraten, es zuzulassen, wenn es ihr gut tut. Durch ihn, was auch immer er, oder es ist, benahm sie sich offener und ausgeglichener. Emiliana hatte ihre Gefühle zum ersten Mal akzeptiert und den Mut gefunden sich jemandem anzuvertrauen. Ich wollte nicht, dass es so endet", gab er geschlagen zu. Seine Stimme erklang zum Schluss hin, nicht lauter als ein Flüstern.
"Herr Gott, ihr seid Psychologen und braucht selbst einen Therapeuten. Emiliana hat körperliche Probleme und muss in ein deutsches Krankenhaus, mehr nicht. Wer glaubt denn an diese scheiß Horrorstory...", schoss Theo dagegen.
"Sie will nicht mit uns zurück und beharrt darauf in ihrem Haus zu bleiben", fügte Frieda noch bei. Auch ihre Stimmung war wieder ins Gegenteil umgeschlagen. Was hatte Emiliana für ein Glück gleich drei loyale Personen zu kennen. Andererseits verdiente sie auch nichts anderes.
"Ich bringe Malio zu seiner Mutter und werde gleich den nächsten Flieger nehmen!", beschloss dieser Dino, was mich wirklich überraschte. Wieso traute Emiliana sich nicht zu, ihm zu beichten, wie sehr sie diesen Mann liebte, wenn es doch offensichtlich war, dass er sie mindestens genauso liebte. Wahrscheinlich traute sie sich nur nicht, es sich selbst einzugestehen.
"Danke Psychodok. Emi kann sich wirklich glücklich schätzen", sagte Theo, doch sein Gesprächspartner hatte bereits aufgelegt.
Zurück blieben wir drei im Sonnenuntergang, unter einem trugvollem Schleier der Harmonie. Andere Touristen genossen gewiss diese lauwarmen Abende, wenn die Farbe des Himmels der Glut eines erlischendem Feuers glich.
"Vielleicht sollten wir auch Nelio kontaktieren, Theo. Er hat mir seine Nummer gegeben, bevor er das Krankenhaus verlassen hatte. Er hatte mich darum gebeten, ihm mitzuteilen, wenn es Emiliana schlechter gehen sollte." Frieda hielt das Gerät wieder in ihren Händen, während Theo sich erneut niederließ.
Er legte seine Finger auf seinem rundlichen Bauch zusammen. "Ich kann ihn nicht leiden", dabei ließ er seinen Kopf in den Nacken gleiten, als würde dieser plötzlich eine Tonne wiegen.
Seine Freundin setzte sich ihm gegenüber und legte ihre Hand auf seinem Knie ab. "Aber hey, warum denn?", hakte sie nach.
"Dieser Schönling weckt Komplexe in mir."
Er wich Friedas Blicken konsequent aus. "Er ist dieser Mann, den jede Frau als ihre Phantasie beschreiben würde. Nelio, selbst sein Name rollt geschmeidig von der Zunge. Wie kann man so ein Glück haben? Sein Körper ist trainiert, seine Haut gebräunt, die dichten dunklen Haare fallen von Natur aus perfekt. Und dann noch stechend blaue Augen?! Das ist doch nicht normal. Dann redet er mit diesem italienischen Akzent und ich sehe die Frauen schmelzen und ich könnte kotzen. Er hat die freie Wahl und mich schaut keine einzige an."
Ich musste mich erst zusammen reißen, um nicht los zu lachen, doch dann fiel mir ein, dass ich tot war und mich sowieso keiner sah, also prustete ich los. Anfangs dachte ich nach der detaillierten Beschreibung, jetzt würde ein Outing samt Liebeserklärung folgen. Auch wenn ich auch kein Fan von diesem Nelio war, was konnte er dafür, wie er aussah? Zum Glück schaffte Frieda es, sich besser in ihren Freund hinein zu versetzen.
"Hey und ich beneide dich für deine offene und direkte Art. Mit deinem Humor kann kein Mann mithalten und wenn alle Schiffe sinken, behältst du als einziger einen kühlen Kopf. Und wenn wir schon von deinem Kopf sprechen, ich liebe deine roten Löckchen." Dabei wickelte sie sich eine von ihnen um den Finger.
"Eine Wahl zu haben ist nicht immer das Beste. Die Frauen sehen seine oberflächliche Schönheit. Die eine wird ihn nur ausnutzen, die nächste nur die Nacht mit ihm verbringen und so weiter, aber die Frauen, die deine Perfektion sehen, werden dich zu schätzen wissen. Vielleicht sind es nicht so viele, aber die eine für dich ist dabei. Das weiß ich und du solltest auch dran glauben."
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