𝐗𝐗𝐕𝐈𝐈 𝐒𝐜𝐡𝐥𝐢𝐞ß 𝐝𝐢𝐞 𝐓𝐮̈𝐫
...𝐡𝐢𝐧𝐭𝐞𝐫 𝐝𝐞𝐧 𝐓𝐨𝐭𝐞𝐧
Nach dem Hochmut kommt der Fall. Ich hatte den schönsten Moment meines Lebens erlebt, mich in Milans starken Armen einfach vollkommen gehen lassen. Seine Berührungen hafteten noch an mir als mein Leben mich plötzlich verließ. Er sorgte sich immer darum, dass ich ihn nicht spüren könnte, zumindest nicht so wie einen leibhaftigen Menschen. Doch es war besser. Seine Zärtlichkeit ummantelte mich noch lange nachdem er mich losgelassen hatte.
Eine andere Macht, nicht von dieser Welt hatte mich in ihre Tiefe gezogen. Ich war abgetaucht und ertrunken. Zumindest bis ich wieder in meinem Zimmer aufgewacht war und anfing schwarzes Wasser zu erbrechen.
Es kam krampfartig aus meinem Magen geschossen. Das letzte woran ich mich erinnerte war, dass Theo und Frieda in mein Zimmer eilten, doch kurz darauf, verlor ich mein Bewusstsein.
Ich war in eine hoffnungslose Dunkelheit geglitten. Sie nahm alles ein und bereitete mir eine grenzenlose Angst. Dieses Schwarz bestand aus Einsamkeit, durch die ich nur planlos herum irrte. Da gab es keinen Ausgang, keinen Weg, nur ein endloses Nichts.
*
Ein so helles Licht prallte unbarmherzig durch den kleinen Spalt zwischen meinen Lidern, dass ich kurz annahm im Himmel, direkt vor der Sonne gelandet zu sein.
"Sie wacht auf!", hörte ich meine Freundin. Trotz ihres Flüsterns, vernahm ich die Hysterie in ihrer Stimme. Gleich darauf legten sich links und rechts Hände auf meine nackten Arme. Sie zitterten, aber fühlten sich so wohlig warm an. Ich versuchte erneut gegen die grellen Strahlen anzukämpfen.
"Schicker Style", bemerkte ich beim Anblick von Frieda, die am Bettende in ihrem grauen Pyjama stand.
"Und sie ist schon wieder ganz die Alte", kam es von der Person rechts von mir, zu der ich nun hinauf blickte. Theo streichelte über meine feuchte Stirn. Er schob die Haare weg, die an meinem Gesicht klebten. So sehr hatte er sich noch nie gefreut, mich zu sehen. Er hätte mich fast mit seiner Freude angesteckt.
Da stellte sich mir nur gleichzeitig eine andere Frage. Wer hielt meine linke Hand? Vorsichtig wandte ich mich zu der Person. Meine Gelenke schmerzten als hätte ich sie Jahre lang nicht mehr benutzt. Doch die Mühe lohnte sich, denn mich empfingen die schönsten blauen Augen, die ich jemals zuvor gesehen hatte. Nelios Iriden waren rot hinterlegt, was das Blau zwar sehr in Szene setzte, doch wurde mir schlagartig bewusst, wie viel Sorgen er sich gemacht haben muss.
Nicht nur er, sie alle standen da, am Rande des Wahnsinns. Frieda krallte sich zu meinen Füßen am Bettgestell fest. Theos rote Mähne stand in alle Richtungen ab, fast wie bei einem wilden Löwen. Nelios Kiefer trat schmerzhaft hervor. Deren Anblick versetzte mir einen Stich. Ich hatte sie erneut an ihre Grenzen getrieben und selbst lag ich in einem weichen Bett. Nur wo? Neben mir blinkte ein Monitor und allein der Geruch dieses Raumes schrie nach Krankenhaus.
Was für eine Scheiße, schloss ich in Gedanken kurz die Augen.
"Ich muss sofort nach Hause!", rief ich plötzlich. Wie von einer Tarantel gestochen, erhob ich meinen Oberkörper, nur um gleich von den männlichen Anwesenden wieder in die Matratze gedrückt zu werden.
"Emi, du musstest wiederbelebt werden. Du hattest Wasser in der Lunge", beschrieb Frieda das Ausmaß der Katastrophe.
Ergeben blinzelte ich der Decke entgegen, in Gedanken bei dem Mann, der vermutlich gerade am verzweifeln war. Ich musste zu Milan, egal wie.
"Aber mir geht es wieder gut!", gab ich deswegen selbstbewusst zurück. "Deine Stimme ist nur ein Krächzen! Es wird jetzt langsam mal Zeit erwachsen zu werden und deine verrückten Einfälle in den Hintergrund zu schieben. Du musst gesund werden!" Noch nie hatte ich Theo so streng erlebt. Sein Gemüt kochte, während seine Wangen die Farbe seines Haares annahmen.
Er hatte ja Recht, aber sie kannten Milan nicht. Sie wussten nicht, was er durchmachen musste und es jetzt wahrscheinlich auch gerade tat. Sie hatten keine Ahnung, was wir für einander empfanden und deswegen schlichtweg kein Mitspracherecht! Mein Körper bebte vor Wut und Aufregung. Am liebsten wäre ich einfach losgerannt.
"Psst Bellezza, atme tief durch. Die Situation ist beschissen, aber komm erstmal zurecht, okay? Es wird alles wieder gut", flüsterte Nelio mir direkt ins Ohr, während er meinen Arm so sanft wie eine Feder auf und ab streichelte.
"Theo, komm wir sagen dem Arzt bescheid und holen uns allen einen Kaffee", beschwichtigte Frieda unseren Freund und schob ihn gleichzeitig von mir. Ich wusste, was sie dachte, denn ihr Blick lag auf Nelio und mir. Sie brauchte sich keine Hoffnungen machen, denn das zwischen uns war vorbei, bevor es richtig anfangen konnte. Ich hatte mich seit der ersten Begegnung für Milan entschieden, nur das mich jetzt auch die Umstände nicht mehr interessierten. Sollten uns doch Welten, der Tod und das Leben trennen. Ich würde bei ihm bleiben.
Theo ließ sich aus dem Zimmer ziehen. Nelio und ich blieben zurück in einer unangenehmen Stille. Fast schon unterbewusst suchte ich den Abstand und rückte an den Rand des Bettes. Er ballte seine Hände zu Fäusten, doch verschrenkte schnell seine Arme vor seiner Brust. Der Mann neben mir wusste nichts mit sich anzufangen und auch nicht wie er mir helfen konnte.
"Du hättest überhaupt nicht hier sein dürfen", warf ich ihm letztendlich an den Kopf und bereute es in der gleichen Sekunde. Sein Mund klappte auf, doch er fand keine Worte.
"Emi...", bekam er nur zustande.
"Was Emi? Da gibt es nichts mehr zu sagen, Nelio. Am besten du gehst!", schrie ich ihn an, obwohl er es wirklich nicht verdiente. Innerlich wusste ich nur, wie sehr ich auch zu Milan wollte, er wäre die bessere Option gewesen. Und eben das, regte mich so auf.
"Emi, ich mag dich wirklich sehr. Mehr als das", beichtete er mir so leise, dass ich es fast nicht verstanden hätte. Und ich wünschte mir, es nicht gehört zu haben. So verunsichert wie dieser sonst so mutige Mann vor mir stand, tat er mir weh. Es sammelten sich Tränen in meinen Augen, die nur die Wahrheit auslösen konnte.
"Ich habe mich in einen anderen Mann verliebt."
Eine ganze Weile lauschte ich nur dem Sekundenzeiger der Uhr über der Tür. Nelio war zur Salzsäule erstarrt. Ich senkte meinen Blick, weil mein Schamgefühl mich dazu zwang. Er stand da, als hätte ich ein Messer in seiner Brust versenkt.
"Das glaube ich nicht. Ich habe mir das zwischen uns doch nicht eingebildet." Doch, das hatte er, auch wenn ich ihm genug Indizien für das Gegenteil geliefert hatte. Zu einem gewissen Zeitpunkt war ich ja auch selbst der Überzeugung gewesen, wir könnten mehr als nur Freunde werden.
"Die Küsse, die Nächte, das Strahlen in deinen Augen... Machst du sowas öfter mit Männern, ohne den Hauch eines schlechten Gewissens?!", wurde er schlagartig lauter. Sein italienisches Temperament war wohl wieder erwacht. Doch das kam mir nur gelegen, denn dem traurigen Welpen, der er eben noch war, hätte ich nichts mehr entgegen bringen können. Nun jedoch fand auch ich meinen Mut wieder. "Ich habe ein schlechtes Gewissen und es tut mir leid, aber ich habe mich auch von dir verabschiedet. Keiner hat dich hergerufen, Nelio!"
Er fuhr sich erschöpft durch das Gesicht, indessen er begann durch das Zimmer zu tigern. "Nach allem was war, wollte ich das aber nicht hinnehmen und kämpfen. Verstehst du das?" Bei meinem Anblick, schüttelte er jedoch schon den Kopf, bevor ich überhaupt antworten konnte. "Nein, tust du nicht. Weil es dir keine Probleme bereitet hatte, mich jedesmal zu rufen und dann wieder von dir zu stoßen. Dir hat noch nie etwas an mir gelegen. Kein kleines bisschen."
"Das stimmt nicht! Ich habe es wirklich versucht und ich mag dich, aber ich kann doch meine Gefühle nicht ändern", protestierte ich gegen seine Aussage.
"Wer ist dieser Typ? Weißt du, was mir aufgefallen ist? Bei mir ging es dir immer gut und sobald du scheinbar bei ihm bist, geht's dir scheiße. Schau mal, wo du gelandet bist und wo ist dein Held?" Nelio stampfte auf mich zu und blieb am Bettende stehen. Er fühlte sich vollends im Recht und zu einem gewissen Maße war er das auch. Auch mir war aufgefallen, dass Milan zwar meiner Seele, doch keineswegs meinem Körper gut tat. Ich zerfiel mit jedem Treffen mit ihm mehr zu Asche und Staub. Aber ich hatte mich unwiderruflich und schwerwiegend in diesen einen besonderen Mann verliebt.
"So wie du um mich kämpfst, kämpfe ich, um bei ihm sein zu können. Verstehst du?", stellte ich ihm die gleiche Gegenfrage. Tatsächlich nickte er.
"Dann pass auf, dass dieser Typ, der dich ja so sehr liebt, dich am Ende nicht umbringt." Und mit diesen Worten verschwand Nelio.
Mein Körper sackte zusammen und die ersten Tränen fanden ihren Weg über meine erhitzten Wangen. Wie sollte ich bei Milan bleiben, wenn er mir das Leben Stück für Stück entriss? Ich wusste, dass ich zu ihm fliehen würde, sobald ich nur das Haus betreten würde, ungeachtet der Konsequenzen. Was sollte ich nur tun?
Ihn gehen und seinem Schicksal zu überlassen schien für mich genauso unerträglich. Bei ihm zu bleiben, hieß vermutlich körperlich zu sterben und alles andere bedeutete meine Seele zu verlieren. Wie konnte ich mich nur so sehr in einen Menschen verlieben?! Ich, die es nie länger als wenige Wochen mit einer Person aushielt. Ich, die selbst ihre Familie und Freunde auf Abstand hielt.
Frieda wollte immer, dass ich echte Gefühle zulasse. Jetzt schien der erste Herzschmerz gleich zu meinem letzten zu werden.
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