𝐗𝐗𝐈𝐗 𝐔𝐧𝐠𝐥𝐚𝐮𝐛𝐥𝐢𝐜𝐡
...𝐚𝐛𝐞𝐫 𝐰𝐚𝐡𝐫
Sie war eingeschlafen und ich gönnte ihr die Ruhe. Keine Träume, in die ich sie entführen würde. Eigentlich wollte ich das auch gar nicht. Ihre Wange lag so warm an meine Brust gedrückt. Mir reichte es, so in ihrer Nähe sein zu dürfen. So fühlte es sich echt und friedlich an. Da gab es keine gläserne Wand mehr zwischen uns. Doch ich wusste auch, irgendwann würden wir uns an deren Scherben schneiden. Ich streichelte über Emilianas Seite. Ihre Rippen traten hervor, so abgemagert war sie bereits. Sie hatte sich schon an den Scherben unserer unerlaubten Beziehung geschnitten. Noch viel mehr quälte sie sich bereitwillig, um bei mir sein zu können.
Ich drückte ihr einen Kuss auf den Haaransatz. Dankbarkeit floss durch meine Adern und Liebe, wenn es schon kein Blut sein durfte. Zum ersten Mal empfand ich Stolz, wenn ich über die Jahre nachdachte, die ich sinnlos auf Erden vegetierte. Die Zeit des Wartens hatte sich gelohnt, bei dem Anblick, der sich mir gerade bot. Emiliana sabberte zwar auf mein Shirt, doch es sollte ihr verziehen sein. So wie alles. Vor allem, dass sie mir verfallen war. Wenn es einen Gott gab, wieso ließ er zu, dass sie leiden musste, wegen eines so unschuldigen Fehlers?
Ich meinte jedes Wort ernst, auch wenn Emiliana es nicht hören wollte. Wenn es sein musste, dann würde ich gehen und sie niemals meinetwegen sterben lassen. Sie war definitiv egoistischer als ich. Für mich, würde sie alle anderen verlassen. Auch wenn sich nicht viele positive Eigenschaften hinter meiner pessimistischen Art versteckten, so wusste ich, dass ich mein Leben und meinen Tod selbstlos führte. So wie ich mich für meine Familie aufopferte, würde ich es für diese Frau hunderte von Malen tun.
Ich drückte sie so fest an meinen Körper, bis ich zitterte. "Wir werden uns irgendwann wieder sehen", flüsterte ich, ehe ich mich ruckartig erhob.
Etwas Kaltes rann mir über die Wange und erschrocken fing ich es ein. Meine Finger glänzten. Die erste Träne seit mehr als dreißig Jahren. Selbst zu Lebzeiten weinte ich nicht. Das galt als Schwäche unter Männern zu meiner Zeit in Kroatien, doch Emiliana zwang mich in die Knie, oder besser gesagt ihr Verlust. Denn mit ihr hatte ich mich stärker denn je gefühlt. So stark, dass ich die Grenze zwischen Leben und Tod für eine Sekunde überqueren konnte.
Ich musste ihr Leben retten, deswegen mied ich es sie nochmal anzusehen. Hoffnungslos, denn ihre hellbraunen Augen strahlten auch in meinen Gedanken.
Schnellen Schrittes flüchtete ich in die anderen Räume. Wie sollte ich sie mitten in der Nacht aus diesem Haus bewegen? Ihr schweinischer Kumpel war nicht empfänglich für Übernatürliches. Er schlief und schnarchte. Da gab es keinen blassen Schimmer einer Aura, in die ich hinein schlüpfen konnte.
Auch Frieda besaß auf den ersten Blick kein Schlupfloch für die Geisterwelt. Doch dieser weiße Schleier um sie herum, den ich zunächst für das Mondlicht hielt, konnte eine Chance sein. Zumindest wünschte ich es mir.
Vorsichtig kniete ich mich vor das schlafende Mädchen. Selbst jetzt, während sie schlief, schien sie sich zu verstecken. Von Anfang an ereilte mich das Gefühl, sie würde sich selbst verbergen hinter den großen schwarzen T-Shirts und den Vorhang an Haaren, die stets vor ihrem Gesicht lagen. Und jetzt hatte sie sich die Decke bis über die Nase bei über fünfundzwanzig Grad Raumtemperatur gezogen. Ich legte meine Hände vorsichtig über sie und schloss meine Augen, in der Hoffnung etwas zu sehen.
"Bitte", flehte ich lautstark als sich zunächst nichts tat. Doch dann, hinter rosa Wölkchen landete ich am seltsamsten Ort, an dem ich jemals war. Vor mir spielte sich eine Art Teeparty ab. Ein runder Tisch war voll gedeckt mit zahlreichen Törtchen und anderem Süßzeug. Die Wände zierte nichts, sie leuchteten kahl und weiß. Keine Fenster, keine Tür. Am Tisch saß Frieda. Sie knetete den Saum ihres Shirts und atmete heftig, ganz so als ob sie ahnen würde, dass gleich was passiert. Keine Ahnung, was das werden sollte, aber von nun an, zog ich die Strippen. Was gruselige Träume anbelangt, durfte ich ja zahlreiche Erfahrungen sammeln.
Nur ließ ich diesmal nicht mich selbst sterben, sondern ihre beste Freundin. Wie aus dem Nichts, ließ ich Emiliana unter dem Tisch hervor, nach Friedas Beinen greifen. Diese schrie auf und rutschte mit dem Stuhl quer über die schwarz, weiß karierten Fliesen.
Die schrecklichen Bilder von Emilianas Zusammenbruch hatten sich in meinen Kopf gebrannt. Und nun sah auch Frieda sie. Wie Emiliana in Schüben schwarze Flüssigkeit erbrach. Wie sie auf den Rücken fiel und ihren Körper im Bogen hoch streckte. Auch Frieda hörte nun den dumpfen Aufprall ihres Kopfes, der mehrere Male gegen den Boden krachte. Emilianas Finger verkrampften in unnatürliche Formen. Ich zwang mich hinzusehen, denn sonst wäre die Illusion erloschen. Frieda eilte genauso zu ihrer Freundin, wie ich es getan hatte und im Gegensatz zu mir, schaffte sie es, Emiliana in die stabile Seitenlage zu drehen.
Bald saß Frieda selbst in dem dunklen Gewässer, dass unaufhaltsam aus Emiliana floss. Frieda schrie nach ihrer Freundin, doch das bemerkte ich nur am Rande. Ich litt mit meinem Engel und mir wurde nur noch bewusster, was meine Anwesenheit für sie bedeutete. Der schwarze See, an dem ich hockte, um traurig in Erinnerungen zu schwelgen, er war nicht verschwunden, als Emiliana plötzlich in meinem Traum auftauchte. Es war, als hätte sie ihn aufgesaugt, um für mich einen glasklaren See zu zaubern. So geschah es mit uns. Sie schenkte mir das Leben und ich ihr den Tod.
In Friedas Alptraum ließ ich Emilianas Herz aufhören zu schlagen, damit es in Wirklichkeit weiter schlagen konnte. Emiliana hing leblos in den Armen ihrer Freundin, den Blick starr ins Nirgendwo gerichtet.
Mein Plan ging fürs Erste auf. Frieda öffnete mit Gewalt ihre Augen. Sie saß kerzengerade auf dem Bett und rieb sich den Schweiß von der Stirn. Die Arme streichelte über ihre Bettwäsche, als müsste sie realisieren, dass es wirklich nur um einen Traum handelte.
Sie setzte ihre Füße auf dem Boden ab und zum ersten Mal dankte ich Gott, dass er meine Gebete erhörte. Auf Zehenspitzen wanderte Frieda in Emilianas Zimmer. Sie hielt ihre eigene Atmung an, um die ihrer Freundin zu hören. Ein friedlicher Atemzug folgte dem nächsten, doch davon sollte sie sich nicht beirren lassen. Das war nur der Frieden vor dem Krieg, so wie ich es selbst einmal erfuhr.
Als ob es was bringen würde, schubste ich sie von hinten. Dabei legte ich all meine angestaute Verzweiflung in die Geste. Sie taumelte einen Schritt vor und legte dann ihre Arme um ihren Körper. Sie fröstelte von meinem Dasein, doch verblieb an Ort und Stelle, bis sie kehrt machte. Ich blieb felsenfest stehen, bereit zur Mauer zu werden, aber das brauchte ich nicht. Frieda wandte sich erneut von mir ab und lief entschlossener auf Emiliana zu.
Vorsichtig rüttelte sie an ihrer Schulter. Emiliana öffnete schwermütig ihre Lider. Es traf mich mitten ins Herz als sie nicht nach Frieda Ausschau hielt, sondern sofort das Kissen dort abtastete, wo ich vorher noch gelegen hatte.
"Emi, geht's dir gut?", sprach die Schwarzhaarige auf sie ein. "Ja... aber wo... vergiss es", gab mein Mädchen verwirrt von sich.
"Halt mich für verrückt Emi, aber ich spüre, dass was nicht stimmt. Es wird etwas passieren und das macht mir Angst", gestand sie, während sie sich vorsichtig zu Emiliana an den Bettrand setzte.
Die Lampe im Flur, beleuchtete das Zimmer sparsam, aber angenehm. Emiliana gewöhnte sich schnell daran und begab sich neben ihrer Freundin in den Schneidersitz. "Was ist denn los, Frieda?" Diese spielte erneut an ihrem Saum, wobei der schwarze Ponny ihr vor die Augen fiel. "Du bist anders. Deine Präsenz ist eine andere. Keine Ahnung, wie ich es erklären soll. Kannst du mir bitte einfach sagen, was dein Geheimnis ist, oder was mit dir gerade passiert? Es macht mich verrückt!", wurde Frieda zum Ende hin immer lauter. Nun mischte auch ich mich ein. Emilianas plötzlich so gleichgültige Mimik verriet mir, dass sie zu irgendeiner Ausrede greifen würde. "Sag ihr die Wahrheit!", befahl ich ihr, worauf ihr Blick überrascht den meinen kreuzte.
Auch Frieda bemerkte es und folgte Emilianas Blick, doch starrte ins Leere, wo ich mich befand. "Schon wieder! Du benimmst dich total seltsam", unterstellte ihre beste Freundin ihr und das zu Recht.
"Sag es ihr. Sie wird es verstehen", wiederholte ich noch einmal sanfter.
"Mir fehlt sowieso langsam die Kraft... Frieda, ich habe mich verliebt, in einen Geist und er heißt Milan", schoss es regelrecht aus ihr heraus. Wir betrachteten beide gespannt die Frau, dessen Kinnlade sich so eben gelöst hatte. "Ja... Er wurde hier ermordet, während des Jugoslawien-Krieges. Das war das Haus seiner Familie", erklärte sie weiter, denn ich merkte ihr an, wie die unangenehme Stille sie zu erdrücken drohte.
"Bitte was?!" Nun war Frieda ihre Lautstärke wirklich egal geworden.
"Eigentlich wollte ich es dir nicht sagen, aber Milan drängt mich dazu, weil er der Meinung ist, ich würde wegen ihm sterben. Dabei ist es vollkommen normal, dass die Gesundheit eines Menschen mal leidet." Ich klatschte mir die Hand vor das Gesicht. Emiliana sah, dass ihre Freundin total überfordert zu sein schien und trotzdem redete sie immer weiter. Naja, genau das machte sie aus. Entschloss sie sich für etwas, musste sie es vollenden.
"Du verarscht mich gerade nur!" Frieda schüttelte den Kopf, was Emiliana sehr schnell zur Weißglut brachte. Sie raufte sich die Haare, doch bevor sie zum Gegenargument ansetzen konnte, erstarrte sie. Ganz langsam senkte sich ihre Hand und in ihr ein dicker Haarbüschel, der ihr einfach so vom Kopf fiel. Ich ließ mich entgeistert neben sie fallen. Emiliana begann langsam wortwörtlich zu zerfallen. Sanft glitt meine Hand über ihren Rücken, indessen sie wie gebannt auf diese welligen Strähnen starrte. Ich hätte gerade selber eine Hand gebraucht, die mich stützt.
"Es ist ganz egal, was es letztendlich ist, du musst zurück nach Deutschland!", beendete Frieda das Schweigen. Emiliana jedoch, warf ihr Haar achtlos in meine Richtung. "Ich muss gar nichts. Das ist mein Haus!", knurrte sie ihrer Freundin fast schon animalisch entgegen. Es hatte etwas von Besessenheit und damit war ich kein Geist mehr, sondern ein Dämon.
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