𝐗𝐗𝐈𝐈𝐈 𝐀𝐛𝐬𝐜𝐡𝐢𝐞𝐝

... 𝐬𝐜𝐡𝐰𝐞𝐫𝐞𝐧 𝐇𝐞𝐫𝐳𝐞𝐧𝐬

Nelio kehrte noch schnell die Scherben zusammen, bevor er uns seine Tür aufschloss. Die Wohnung, die ich bisher nur aus dunklen Verhältnissen kannte, erstrahlte im Licht der Sonne in einem sauberen Weiß. Der Vermieter bewies wahren Geschmack. Die Ledercouch, der lackierte Frühstückstisch und der flauschige Teppich fügten sich in das Gesamtbild der absoluten Reinheit makellos ein.

Der Mann, der sich maßlos um mich kümmerte, rannte in sein Zimmer und kam mit einem neuen Shirt und einer Shorts zurück. Ich hatte ja schon längst vergessen, dass ich aussah wie ein lebender Krimi. Er half mir aus dem Shirt zu schlüpfen und wandte gleichzeitig seine Augen ab. Den Rest erledigte ich selbst. Der Duft frisch gewaschener Wäsche hüllte mich ein und ich konnte nicht anders als meine Arme um mich zu legen und die Luft tief zu inhalieren.

Nelio nahm den Rat des Arztes sehr ernst, denn im nächsten Moment schob er mir schon einen Stuhl zurecht. Ich setzte mich und betrachtete den voll gedeckten Tisch.
Vor Nelio stand noch sein Teller mit einem angebissenen Lachsbrötchen darauf. Im wahrsten Sinne des Wortes hatte ich ihn heute beim Frühstück unterbrochen. "Was willst du auf deinem Brötchen", erkundigte er sich, während er schon dabei war eines aufzuschneiden. Langsam fühlte ich mich wirklich wie ein Kind, das er für den Kindergarten vorbereitete. "Du hast den Arzt gehört. Es ist alles in Ordnung", wollte ich ihm seine Sorgen nehmen.

"Er hat auch gesagt, dass du dich schonen sollst", fügte er mit einer hochgezogenen Augenbraue bei. Ich schüttelte meinen Kopf, als er noch aufsprang, um mir einen Kamillentee zu machen. "Und ein Käsebrötchen, bitte, aber nur eine Hälfte", verlangte ich frech. Immerhin bekam man nicht immer das Angebot, so bedient zu werden, also akzeptierte ich es.

Mir fehlte wieder jeglicher Appetit und deswegen schaffte ich nur zwei Bissen.

"Kannst du dich wirklich nicht erinnern, dich gestoßen zu haben? Vielleicht im Halbschlaf, oder so?", fragte er, indessen er mich wieder intensiv scannte. Er war schon süß, mehr als das. Ich schüttelte den Kopf, indessen ich nachdenklich an der Tasse nippte.

Nachdem er sein Brötchen verschlungen hatte, schenkte er mir wieder seine ganze Aufmerksamkeit. Erschrocken bemerkte ich wie er über den Tisch hinweg nach meiner kalten Hand griff. "Du bist anders", offenbarte er. Ich legte meinen Kopf fragend schief und genoss ganz nebenbei die Wärme seiner Finger.
"Naja, du bist total verrückt und seltsam. Ich versuche ein Rätsel zu lösen, da gibst du mir schon zehn neue, um dich zu entschlüsseln." Er war nicht der einzige, der nichts mehr verstand. Mir ging es leider genauso.

"Und außerdem bekomme ich meistens was, oder wen ich will, aber dich nicht annähernd." Er starrte mich allen Ernstes an wie ein kniffliges Sudoku, ohne den Hauch von Ironie. "Wow, wie eingebildet Herr Cornelio der Große", versuchte ich sein Ego ein wenig zurecht zu rücken. "Nein, nur ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, liebe Emilia." Und dafür beneidete ich ihn. Er wusste genau was er war, was er bewirkte und wo er hin wollte. Ganz im Gegensatz zu mir, die von einem Wahnsinn zum nächsten zusteuerte, ohne ein Ziel zu haben.

"Wäre es okay für dich, wenn ich mich bei dir ein wenig auf die Couch lege?" Ich wollte noch nicht nachhause, wo Milan wartete, oder auch nicht. Er meldete sich ja nicht mehr, oder es gab ihn gar nicht. Ja, genau diesem Chaos musste ich aus dem Weg gehen. Wenigstens für ein paar Stunden.

"Ich muss gleich zur Arbeit, wenn du mich nicht ausraubst in der Zeit, ist das in Ordnung." Er lächelte und zeigte dabei seine strahlend weißen Zähne. Meine Hand drückte seine nochmal fester, ehe ich mich erhob und mich zwei Sekunden später kraftlos auf seine Couch schmiss. Nachdem Nelio mein Zittern bemerkte, brachte er mir noch sein Bettzeug aus dem Schlafzimmer. Wie gut er duftete, es erschwerte meine Lider. Ich hatte nicht einmal mehr mitbekommen wie Nelio aus dem Haus gegangen war, da schlief ich schon.

Als ich das nächste Mal meine Augen öffnete, befand ich mich in tiefster Dunkelheit. Zumindest bis ich mehrmals blinzelte und sperrliches Licht von den Straßenlaternen erkannte. Es leuchtete angenehm durch die große Fensterfront.

"Jetzt müsste dein Schlafrhythmus komplett hinüber sein." Nelio erhob sich von einem der Stühle auf seiner Terrasse und lief geschmeidigen Schrittes auf mich zu.

Ich hatte gut geschlafen und fühlte mich seit langem wieder frisch und erholt. Das war mir das Opfer von Schlafrhythmus definitiv wert. Zum ersten Mal kam dieser Trip einem einfachen Urlaub gleich. Vielleicht nicht besonders, doch normal und unkompliziert. Danach sehnte ich mich so sehr.

"Das habe ich dir mitgebracht. Du hast bestimmt Hunger", vermutete Nelio, worauf er eine Papiertüte mit dem Logo der Mokka Beach Bar auf den kleinen Tisch stellte.

Genau in diesem Moment brach mein Herz und eine Erkenntnis fiel mir wie Schuppen von den Augen. Dieser Mann tat alles für mich und doch existierte nur der andere. Ich empfand nicht ansatzweise so viel für Nelio wie ich es für Milan tat, ich wünschte mir nur, dass es so wäre.

Langsam beugte ich mich vor und kostete ein letztes Mal von diesen vollen Lippen. Es war kein Kuss aus Verlangen, oder Leidenschaft und doch steckte er voller Emotionen.
Ich gab ihn auf, obwohl es weh tat.

Nachdem diese zarte Berührung ein Ende nahm, lehnte seine Stirn an meiner. Wie sehr würde ich seine Augen vermissen? Wie sehr würde mir diese spezielle Fürsorge fehlen? Er war ein Mann, der die Blicke aller Frauen auf sich zog, doch er schien nur mich zu sehen.

Oh ja, der Schritt, den ich zurück wich schmerzte.

Ich nahm mir die Papiertüte vom Tisch und ging rückwärts auf den Ausgang zu. Er saß nur da und beobachtete jede meiner Bewegungen. "Leb wohl, Nelio", flüsterte ich, doch er verstand jedes Wort. Er wusste schon vorher genau, was ich vor hatte. Seine Augen glänzten verräterisch. Diesen Kummer verdiente er nicht. Ich schwor mir, ihn nie wieder aufzusuchen, selbst wenn ich ihn brauchte. Letzten Endes ließ ich ihn doch nur hängen. So wie letzte Nacht und in dieser.

Bevor ich es mir anders überlegen konnte, schob ich meinen Körper die Tür hinaus.

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