𝐗𝐈𝐕 𝐃𝐚𝐬 𝐄𝐧𝐝𝐞

...𝐛𝐢𝐭𝐭𝐞𝐫𝐬𝐮̈ß 𝐯𝐞𝐫𝐩𝐚𝐜𝐤𝐭

Sie brachte mich mit ihrem Glück ein weiteres Mal um. Seit Stunden lag Emiliana in ihrem Bett, die Wangen gerötet, stets mit erhobenen Mundwinkeln. Ich war mir sicher, sie dachte an diesen Nelio mit dem sie die Zeit verbrachte, wenn sie das Haus verließ. Sie durfte sich freuen, die Straßen entlang spazieren und Männer ansprechen, wie es ihr beliebte. Doch wieso musste ich zuschauen? Irgendwann würde sie das Haus verlassen und mich vergessen; mich der endlosen Verdammnis überlassen.

Wieder teilten wir uns eine Matratze und wieder vergaß ich jegliche Höflichkeit. Ich streckte meine Hand nach ihr aus, auch wenn sie ihr Gewicht nicht spüren würde. So war es doch normal, nur für mich nicht. Doch Emiliana drehte sich meiner Bewegung entgegen. "Milan?", gluckste sie etwas überrascht. Wenigstens fand ich keine Furcht in ihren runden Augen. Eine Weile starrte ich sie nur an, weil ich nach den passenden Worten suchte, doch die gab es nicht. Nur die direkte Wahrheit brachte es auf den Punkt.

"Ich habe mich entschieden. Meine Existenz muss ein Ende finden. Was ist dein Plan?" Sie schluckte. "Was ist passiert?", wollte sie wissen, doch was sollte schon geschehen sein? Jeden Tag quälte ich mich, weil mir alles und jeder das Gefühl schenkte, hier nicht hinzugehören. "Du lebst und ich nicht", tätigte ich die selbe Aussage wie wenige Tage zuvor schon. Dabei lächelte ich müde, obwohl die Geste Stärke symbolisieren sollte. Sie dachte eine Weile nach, doch dann hebte sich ihr Oberkörper und ihre nackten Füße schwangen über die Bettkante hinweg. "Ich weiß nicht", zweifelte sie an ihren eigenen Plänen, mir zu helfen.

Auch wenn ich dachte, dass meine Reflexe schon längst erloschen waren, packte ich nach ihrem Arm. Das Unmögliche passierte. Ihre Haut schmiegte sich an meine und darunter spürte ich ihre festen Knochen. Sofort entfernte ich meine Hand wieder. Es geschah, doch das durfte es nicht. Emiliana zierte das selbe ungläubige Gesicht. Ihre Atmung stockte, als sie ihren Arm musterte und kurz darauf über eben die Stelle rieb, die so eben vom Tod geküsst wurde.

"Du bist eiskalt, nicht wie ein Eiswürfel. Es schmerzt nicht, aber die Stelle wurde eben ganz taub", erklärte sie ohne Aufforderung. Eigentlich hätte ich darauf verzichtet, zu wissen, wie ätzend ich mich anfühlte. "Was ist dein Plan?", forderte ich weiter nach der Lösing für mein nur dringender werdendes Anliegen.

"Normalerweise sensibilisiere ich meine Klienten für ihr Trauma, aber das kann Jahre dauern. Du musst dich deiner Angst stellen. Sprich, nochmal sterben, um es zu akzeptieren." Ihre Stimme umschrieb so sanft die harten Worte. "Aber das habe ich doch jedesmal gemacht in euren Träumen. Du erinnerst dich doch sicherlich noch an den Mann, der hier an der Hauswand gekreuzigt wurde?", gab ich verzweifelt zurück. "Was ist zuvor in dem Haus passiert? Vielleicht liegt dort dein größter Schmerz begraben." Mein Kopf glitt in meinen Nacken. Allein bei dem Gedanken, die Bilder zu wiederholen, stieg mir mein nicht vorhandener Mageninhalt auf.

"Ich habe Recht, oder?", las sie mir meine Qualen vom Gesicht ab. "Kann sein", stimmte ich ihr zu. "Wenn du bereit bist, dann komm in meine Träume. Denk immer daran, diesmal bist du nicht alleine, aber ansonsten darfst du nichts an deiner Vergangenheit verändern. Du musst deinen Tod nochmal sterben."

Meine Lider sanken und ich mit ihnen in die Dunkelheit. Warum konnte es nicht so einfach sein? Ich schloss die Augen und öffnete sie im Paradies, oder in der Hölle. So müsste es doch sein? Doch so war es nicht. Spätestens nachdem ich Emiliana erneut erblickte, wusste ich, dass ich fernab von jeder Vorstellung des Todes existierte.

"Milan?", hörte ich sie ganz nah an meiner Seite. "Hm?" Reden brachte doch nichts mehr. Emiliana höchst persönlich würde mich wie ein Galgenmann zu meinem Tod geleiten. "Danke, dass ich dich kennenlernen durfte. In dieser kurzen Zeit hast du meine Vorstellungen erweitert und mein Leben bereichert. Egal wo du hin kommst, ich wünsche dir, dass es dort tausend Mal besser wird, als auf der Erde." Dabei legte sie ihre Hand in meine. "Es fühlt sich anders als alles zuvor an, aber wundervoll." Sie drückte herzlich zu und auch ich genoss wahrscheinlich die letzten Minuten einer Berührung.

Emiliana behielt ihre Hand in meiner bis sie einschlief. Mein Alptraum begann.

Ich vergaß die Zeit. Die Sonne hatte nicht mehr die Kraft mich zu blenden.
Ein Stern leuchtete am Himmel auf. Er steuerte auf das Land zu. Und dann wusste ich, dass es keine Sternschnuppe war. Dennoch wünschte ich mir etwas. Ich bat Gott höchstpersönlich, dass es sich nur um eine Einbildung handeln möge. Gott hatte uns allerdings schon verlassen. Der Rauch kletterte die Berge hinauf wie das reinste Gift.

Wenn Tata wirklich angelte, dann könnte er eben von einer Explosion getroffen worden sein. Der Hass verflog und übrig blieben nur Sorgen. Ich musste ihn holen. Wir hatten uns. Er war alleine.

Die Sirenen ertönten. Sie schafften keine Warnung, sondern viel mehr die Einläutung des Untergangs. Viel zu spät erwachte ich aus meiner Starre. Mein Atem ging stoßweise als ich das Haus nach Mama und Ivo absuchte.
Sie kauerten zwischen Bett und Wand auf dem Boden. Beide schluchzten und hielten sich die Ohren zu. "Ich suche Tata und wir ziehen weiter!", schrie ich, aber sie hörten mich wahrscheinlich nicht.

Ich musste schnell handeln und gehen. Wenn ich rannte, dann würde ich in zehn Minuten wieder hier sein.
Kaum erreichte ich die Tür, hielt der Zwerg mich am Bein fest. "Milo geh nicht. Ich hab das nicht so gemeint. Du sollst bleiben. Bitte geh nicht. Ich habe Angst ohne dich", plapperte er nervös, indessen sich eine Träne nach der anderen über seine Lider ergoss.

Auch wenn er mich zur Weißglut trieb, gab es keinen Tag, den ich ohne meinen Bruder verbringen wollte.
Ich schluckte die Angst herunter und unterdrückte das Beben meines Körpers. Mein Knie berührte den Boden und ich begegnete Ivo von Angesicht zu Angesicht. "Tata ist alleine. Das ist ungerecht. Du musst jetzt stark sein Ivo und auf Mama aufpassen. Nimm sie ganz fest in deine Arme und öffnet keinem die Tür."

Ivo nickte. Er glaubte mir, auch wenn ich log. Mein Herz blutete aus Angst, es könnte das letzte Mal gewesen sein, dass ich in diese braunen Augen schaue. Augen, die meinen so ähnelten. Ich drückte ihm ein Kuss auf die Stirn und rannte.

Die Luft schmeckte nach Feuer. Sie brannte in der Lunge. Nach dem ersten Schritt nach draußen wusste ich bereits, dass ich meinen Vater nie wieder sehen würde. Ich würde ihn niemals erreichen. Der Rauch stieg weiter von der Küste auf unseren Berg und mit ihm rannten all die unschuldigen Menschen. Mütter quetschten sich schreiend durch die schmalen Gassen. Väter trugen Taschen und Säuglinge. Es ging nur noch aufwärts, aber nicht mehr abwärts.

Unter ihnen rannten Polizisten, die sie schlugen. In dem Durcheinander war es schwer Gut von Böse zu unterscheiden. Wir mussten einfach fliehen.

Eine weitere Explosion erklang in der Nähe. Ich stolperte geistesabwesend zurück in unser Haus.

Ich packte meine traumatisierte Mutter an einem Arm und meinen Bruder an dem anderen. "Wir müssen gehen. Tata kommt nach." Daran glaubte ich nicht, doch Ivo durfte seine kostbare Hoffnung nicht verlieren.

Erneut öffnete ich das Tor zur Hölle.
Wir rannten nur wenige Meter, da hatte es ein Polizist auf uns abgesehen. Er hob seinen Schlagstock und packte nach Ivos Arm. Mir blieb das Herz stehen und mir fiel in der Eile nichts besseres ein, als den Mann mit meiner flachen Hand ins Gesicht zu schlagen. Sein schwarzer Hut verrutschte und irritiert ließ er von meinem Bruder ab. Dann lag sein Fokus auf mir.

Ich war erleichtert, denn ich hätte es nicht ertragen können, wenn jemand dem Zwerg geschadet hätte.

"Mama lauf. Du musst ihn retten!", schrie ich bereits auf dem Rücktritt.

Meine Mutter verweilte kurz, doch sie entschied sich richtig. Wir wandten unsere Gesichter von einander ab. Sie rannte mit Ivo hoch, ich runter. Der Ordnungshüter rannte mir nach. Ich lenkte ihn ab und das wusste sie. Wir hätten alle sterben können, oder sie überlebte mit Ivo. Ihre Entscheidung war richtig. Meine Entscheidung war richtig. Auch wenn es uns trennte.
Ich war der Superheld, der ich für meine Familie immer sein wollte.

Es trieb mich zurück in unser kurzes Glück von Haus, wo ich die Türen verriegelte und mir gleich das längste Messer aus der Küche schnappte.

Der Polizist machte sich vergeblich an der Tür zu schaffen.

Mich verließen alle Kräfte und meine Hände zitterten als ich mir den Schweiß gemischt mit Dreck aus dem Gesicht wischte. Ich sackte zusammen und hechelte wie ein sterbender Hund auf dem kalten Boden. Alles was ich bisher erfolgreich unterdrückt hatte, schlug nun zurück. Die Angst und Verzweiflung trieben mich regelrecht in den Wahnsinn.
Mein Herz hämmerte sich aus der Brust und um meinem Schicksal zu entkommen, wäre ich bereit gewesen mir das Messer selbst in die Brust zu rammen.

Die große Fensterfront vor mir splitterte in Abertausende von Teilen. Einzelne Scherben flogen mir bis zu den Fußspitzen. Das einzige, was ich darauf realisierte, waren weit mehr als zwei Lederstiefel, die ihr Ziel fast erreichten. Ich wischte mir eine Träne von der Wange, denn diese Genugtuung gönnte ich diesen Mistkerlen nicht.

"Da ist ja unser verhärmtes Bürschchen", lachte einer von den drei Polizisten. Ihre Stiefel quietschten unangenehm. In meinen Ohren schmerzte es, wie Kreide, die im falschen Winkel an einer Tafel entlang kratzt.

Der nächste trat nach meiner Hand, so dass das Messer mehrere Meter über den Holzboden schlitterte. Ich war kein Kämpfer. Mir wäre nie in den Sinn gekommen einen anderen Menschen ernsthaft zu verletzen. Umso mehr stach die Erkenntnis in meiner Brust, das viele meiner Artgenossen es gerne taten.

Der dritte stoppte das Messer mit seinem Fuß und stach sogleich mehrere Male auf mich ein. Ganz so als hätte es kaum erwarten können, mich Bluten zu sehen. Ehe ich dachte, der eine Stich würde mich umbringen, traf das Messer mich schon an einer anderen Stelle. Spätestens nach dem dritten Stich hörte ich bereits auf zu zählen. Schmerz war nur noch relativ, genauso wie die Angst. Mein Körper verwandelte sich in einen Klumpen Schaumstoff, der nicht mehr zu mir gehörte. Ein Ding, welches es dem Messer zu leicht machte und kaum Widerstand leistete. Das schallende Lachen der anderen tat jedoch am meisten weh.

Doch dann passierte etwas, woran ich mich nicht erinnerte. Ein lautes Klirren riss die Fassade entzwei. Damals hatte ich meine Augen bereits geschlossen, doch diesmal wagte ich es aufzusehen.

Vor mir auf dem Boden sammelten sich Scherben von Mamas Lieblingsvase. Sie endeten vor nackten Füßchen, dessen Nägel ein reines weiß schmückten. Emiliana hatte sie einem der drei Peiniger übergezogen. Sie schnappte sich die Waffe des Bewusstlosen und ein Schuss fiel. Die Frau, die damals noch in Windeln stecken musste, hielt die Handfeuerwaffe. Wie in einem Schachspiel fiel die nächste Figur und letztendlich zielte sie auf den Letzten. Der legte es erst gar nicht drauf an. Das Messer landete neben mir auf dem Boden, getränkt mit meinem Leben und er flüchtete.

Ich nahm zum ersten Mal das ganze Blut wahr, dass bis unter den gesamten Esstisch floss. Ich würde meine Familie nie wieder sehen. Die Trauer darüber, brannte viel mehr als meine Verletzungen. Am liebsten wäre ich nur noch bei ihnen gewesen, nichts anderes.

"Scheiße Milan, ich kann das nicht", drang ihr schluchzen an mein Ohr. Sie riss an meinem leblosen Körper, wickelte hektisch Küchentücher über sämtliche Wunden, nur ohne Erfolg.
Ich stoppte ihr Handeln abrupt und schnappte nach ihren wilden Händen. "Emiliana, wir wissen beide, dass es schon zu spät ist." Eine zeitlang lauschte ich ihren schnellen Atemzügen, die sich mit jeder Sekunde beruhigten. Irgendwann sackte sie über mir zusammen und weinte nur noch. Ihr ganzer Körper zitterte, indessen meiner immer mehr versteinerte.

Als ich dachte, kurz davor zu stehen, diese Welt zu verlassen, hob Emiliana ihren Kopf. Ihre Lippen pressten sich gegen meine. Eine Herzrhythmusmassage traf auf eine Beatmung, obwohl sie nichts der Gleichen tat, denn sie küsste mich lediglich, warm und innig.
Mein übriges Blut pulsierte. Jedes kleinste weiße und rote Körperchen kämpfte sich durch meine Adern. Das Schwarz räumte immer mehr Platz für mein Leben, das noch nicht vorbei war.

Meine Wunden heilten auf wundersame Art und ich schloss meine Arme um diesen Engel.

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