𝐕𝐈𝐈𝐈 𝐈𝐡𝐫𝐞 𝐖𝐞𝐥𝐭

... 𝐢𝐧 𝐝𝐞𝐧 𝐅𝐚𝐫𝐛𝐞𝐧 𝐦𝐞𝐢𝐧𝐞𝐫 𝐏𝐫𝐚̈𝐬𝐞𝐧𝐳

Wer sagte, dass nur Menschen sich vor Geistern erschraken? Andersherum war es mindestens genauso schlimm. Ich hatte die Zeit vergessen, denn ich schreckte in völliger Dunkelheit, immer noch auf dem Bett liegend zusammen. Die Frau, auf die ich bereits den ganzen Tag wartete stand plötzlich an der Tür. "Nein, geht ruhig ohne mich. Ich will heute nur noch ins Bett!", schrie Emiliana Richtung Wohnzimmer.

Ihre leichten Wellen bedeckten wie Samt ihren Nacken und erreichten mit Mühe ihre Schulterblätter. Ich beobachtete sie mit Argusaugen, wobei die Nervosität meinen Körper in Stein verwandelte. Die Luft klemmte in meinen Lungenflügeln als sie ihre Kleidung loswurde und sich wuchtig neben mich warf. Egal wie unangenehm es mir war, ich schaffte es nicht mich auch nur einen Millimetern zu bewegen.

Entweder Emilianas Persönlichkeit glich dem eines Elefanten im Porzellanladen, oder sie spürte meine Anwesenheit nicht. Und damit bekam ich meine langersehnte Antwort. Natürlich stellte ich keinen Part ihrer Welt dar. Ich war nach wie vor unsichtbar und unnötig.

Meine Augenlider sanken erschöpft. Was zur Hölle machte ich noch hier?!

Mir stieg ihr feines Lavendelparfum in die Nase. Das Fenster, welches meine Realität von ihrer trennte, bröckelte. Wo auch immer sie war, berührte ich die Erde. So fühlte es sich an.

Sie räusperte sich und ich drehte mich auf die Seite, um sie mir genau anzusehen. Emiliana lag auf dem Rücken, ihren Blick starr an die Decke gerichtet. Das Licht von der Straße ließ mich all ihre Merkmale erkennen. Die makellose Haut, die Stupsnase, ihre langen dunklen Wimpern und die feinen Sommersproßen. Ich hätte ihr in Lebzeiten hinterher geschaut, aber mich niemals getraut sie anzusprechen. Ich gehörte schon immer zur ruhigeren Sorte.

Die Schönheit vor mir atmete geräuschvoll aus. Irgendwas belastete sie. Meine Hand erhob sich und stoppte ruckartig vor ihrem Gesicht. Ihr Oberkörper schoss hinauf und aus den langen gequälten Atemzügen wurden kurze schnelle. "Das kann doch nicht wahr sein", murmelte sie vor sich hin, bevor sie ihre Beine vom Bett schwang. Sie öffnete das Nachtschränkchen und holte ein Foto heraus. Ich kniete hinter ihr und konnte nicht glauben, was ich sah.

Dieses Bild existierte nicht mehr. Es war abgebrannt wie dieses Zimmer! Und doch klemmte es zwischen ihren zierlichen Fingern. Emiliana streichelte über mein Gesicht. Meine Wange kribbelte. "Milan...", flüsterte sie und brachte mein Herz damit gefühlt wieder zum schlagen. Solch eine schlimme Aufregung verspürte ich zuletzt während meiner Fahrprüfung.

Sie packte das Foto so schnell weg, wie sie es herausgeholt hatte und legte sich erneut ins Bett. Allerdings viel unruhiger als zuvor. Unter verschlossenen Lidern drehte sie sich von links nach rechts und wieder zurück. Wenn Menschen schliefen und träumten, dann öffneten sie mir eine Tür und Emiliana war weit davon entfernt.

Nach einer halben Stunde zerschnitt ihre scharfe Stimme die Stille. "Wie dämlich bin ich eigentlich", schimpfte sie sich selbst und erhob ihren Oberkörper. Sie lehnte ihn gegen den Bettrücken und suchte mit ihren Augen das gesamte Zimmer ab. "Hilfe, das ist so gestört... Milan, ich weiß, dass du hier bist." Dabei sah sie zur Tür, genau in die entgegen gesetzte Richtung, was mich ja zum schmunzeln brachte. Naja, wer würde vermuten, dass ein Mann so dreist war, dass er sich gleich im Bett neben ihr ausbreitete.

Das war nicht meine Art und löste ein schlechtes Gewissen aus. Ich vermutete als Geist, vergaß man die Sitten eines Lebenden. Um ein wenig mehr in ihr Sichtfeld zu geraten, setzte ich mich auf den Hocker an ihrem Schminktisch.

"Ich schlage dir einen Deal vor. Dir gehört das Haus und ich werde nur den ein oder anderen Sommer hier verbringen, sauber machen und das Haus instand halten. Dafür gibt's keine Alpträume mehr."

Ich lächelte vor mich hin wie ein verliebter Teenager und das nicht direkt wegen dieser Frau, die eigentlich mit sich selbst sprach. Seit über mehr als zwei Jahrzehnte machte ich wieder mehr aus mir als nur Luft, die von allen anderen verbraucht wurde. Jemand versuchte mit mir zu reden. "Es ist bestimmt unangebracht, weil es nichts wieder in Ordnung bringt, aber es tut mir leid, was dir und der ganzen Stadt wiederfahren ist." Explosionen sollten da bleiben, wo sie entzündet wurden, in der Vergangenheit.

Emiliana wagte sich an einen neuen Versuch zu schlafen. Reden half bekanntlich und sie wirkte nun entspannter. Wie ein kleines Baby wickelte sie ihre angewinkelten Beine in die Decke und schloss die Augen. Sie öffnete mir unbewusst erneut ihre Türen. Diesmal und wahrscheinlich nie wieder würde ich ihre Traumwelt manipulieren. Es sprach aber nichts dagegen, sie in ihrem eigenen Traum heimlich zu besuchen.

Als ich das nächste Mal blinzelte, kämpfte ich gegen grelle Sonnenstrahlen an. Sie gingen gerade entweder auf, oder unter, direkt über einer nicht weit entfernten Blocksiedlung. Ich saß an eine kaputte Mauer gelehnt, rund herum nur weites Feld und Unkraut.

Flüchtete Emiliana gerade von einem Alptraum zum nächsten, oder was war das hier? Die verarmte Gegend deutete auf nichts anderes.

Hinter mir knallte es ohrenbetäubend. Unterbewusst duckte ich mich, so dass mein ganzer Körper hinter dem kalten Gestein verschwand. Ein weiterer plumper Aufprall auf Metall stimmte mich neugierig. Vorsichtig lugte ich an der Seite vorbei, um die Ursache für den Krach ausfindig zu machen.

Die bröselnden Mauern grenzten eine asphaltierte Fläche ein. Dort standen silberne Rampen, genauso farbig vollgesprüht wie die Wände und der Boden.

Emiliana fuhr Skateboard, so wie ich es selten sah. Ihr Bein stand fest verwurzelt auf dem Brett, während das andere sich kräftig vom Boden abstieß. Alles hüftaufwärts blieb gerade und unbewegt. Sie hätte ein Buch auf ihrem Kopf problemlos ausbalanciert und das gefährlich schnell.

Ich wunderte mich darüber, dass das ihr Hobby war. Psychologen zählte ich automatisch zur Kategorie Bücherwurm. Aber Emiliana stand auf Abenteuer, Adrenalin und Spontanität. Sie lebte das Maximum an Geschwindigkeit. Entscheidungen für die andere Jahre brauchten, brauchte sie den Bruchteil einer Sekunde. Das bewunderte ich gleichermaßen, wie ich es fürchtete. Weil jedem, dem sie was bedeutete, musste sie Sorgen bereiten. Ein Leben wie ihres bestand aus einer Wanderung stets am Rande des Abgrunds.

Ihr Traum nahm eine beängstigende Stille an. Keine rauen Rollen rasten mehr über den Asphalt. Kein Vogel zwitscherte mehr. Das Bild in ihrem Kopf blieb stehen. Mittendrin saß sie auf einer der Rampen. Emiliana fokussierte den Plattenbau an. Ihre unteren Lider zuckten und sie biss auf ihrer Wange herum. Was beschäftigte sie stumm und heimlich so dermaßen? Sie zog ihre Knie noch enger an ihren Körper und legte den Kopf erschöpft ab.

Ich war mir sicher, dass sie einen Kampf führte von dem keiner wusste. Am liebsten wäre ich zu ihr gegangen, aber ich hielt mich zurück. Sie hatte mir gesagt, was sie wollte. Frieden und keine ruhelosen Geister.
Das verstand ich. Ein letztes Mal erlaubte ich es mir, ihr Unterbewusstsein zu täuschen.

'Deal angenommen', zauberte ich in bunten Druckbuchstaben ein kleines Graffiti an das Gemäuer direkt vor ihr.

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