𝐕𝐈 𝐄𝐢𝐧 𝐊𝐞𝐤𝐬 𝐚𝐦 𝐌𝐨𝐫𝐠𝐞𝐧

... 𝐯𝐞𝐫𝐭𝐫𝐞𝐢𝐛𝐭 𝐊𝐮𝐦𝐦𝐞𝐫 𝐮𝐧𝐝 𝐒𝐨𝐫𝐠𝐞𝐧

Was für eine Nacht. Sie steckte mir in den Knochen, wie der Schmerz in meinen Muskeln. Ich hatte es geschafft, die gesamte Promenade zehn Mal auf und ab zu laufen, dabei gehörte ich nun wirklich nicht zu der sportlichen Sorte Mensch.

Ob es an der guten Luft lag, oder der Erschöpfung wusste ich nicht, doch meine Gedanken wurden leiser. Langsam bekam ich sogar Appetit auf ein Frühstück.

Ich betrachtete das ruhige Meer und streckte mich. Das tat gut. Nur nachhause wollte ich nicht. Frieda neigte dazu alles zu übertreiben und ich befürchtete, dass sie Theo bereits alles bis ins Detail berichtet hatte. Ein Teil von mir dachte sich, dass es nicht schlimm sei. Das ich einfach eintreten und das ganze mit einem 'man was war das für ein Alptraum' runterspielen könnte. Meine Lügen flogen nur ziemlich schnell auf.

War es denn eine Lüge?

Dieser Mann stand vor meinem Bett und starrte mir in die Augen. Und was es am realistischsten machte, er wirkte genauso schockiert wie ich. Emiliana, man nennt es auch Schlafparalyse, beruhigte ich mich selbst. Das musste es gewesen sein. Eine simple Halluzination. Und diese durfte ich meinem geschundenem Gehirn nach diesem Traum nicht so übel nehmen.

Ich rief mich wieder in das Hier und Jetzt. Das Meer mit seinen sanften Wellen schien mich trösten zu wollen, meine Seele zu streicheln.

Die herrliche Ruhe wurde von meinem Magen unterbrochen. Ich blickte kurz auf mein Handy, nur um entsetzt festzustellen, dass meine Freunde versuchten mich zu erreichen und auch, dass die Uhr schon halb zehn zeigte.

Erschöpft spazierte ich die Promenade entlang, bis ich an der Mokka Beach Bar hängen blieb. Ich schmiss mich auf den selben Platz wie gestern und um das Dejavu perfekt zu machen, zündete ich mir eine Zigarette an.

"Man sieht sich immer zwei Mal im Leben." Verdammte Scheiße. Wann endete seine letzte Schicht und wann begann diese. Ich hatte den hübschen Kellner am vorherigen Tag noch bis in die Abendstunden gesehen. Jetzt grinste er schon am Morgen wie ein verdammtes Honigkuchenpferd.

"Nerv nicht und nimm einfach meine Bestellung auf, okay?" Als ich das aus meinem eigenen Mund hörte, biss ich mir auf die Zunge. So unhöflich bekam mich wahrscheinlich noch keiner zu sehen. Ich wollte mich entschuldigen, doch der Mann vor mir kam mir zuvor. "Entschuldigen Sie Signora. Was darf ich Ihnen bringen?" Jeglicher Schalk war aus seiner Mimik gewichen. Er stand stocksteif da und wich meinen Augen gekonnt aus.

Mir entkam ein langer Seufzer. "Einen Cappuccino, bitte." Er ging und hinterließ ein sehr schlechtes Gewissen.

Dieser Mann aus meinem Traum ging mir nicht aus dem Kopf, wie sehr ich mich auch auf andere Dinge konzentrierte. Mal sah ich ihn blutüberströmt vor mir, dann wieder kerngesund vor meinem Bett und ich wusste nicht, welcher Anblick mich mehr aus der Bahn warf. Frustriert rieb ich mir über den Nasenrücken. Wie sollte ich dieses Haus jemals wieder betreten. Ich fürchtete mich. Ja, das tat ich.

Der letzte Zug brannte mir auf den Lippen, da der Filter schon anbrannte. Wenige Sekunden später erhielt ich mein heißes Getränk. Es folgte ein Gebäck, welches ich nicht kannte und auch nicht bestellt hatte.

Der Kellner deutete meine Verwirrung richtig. "Das ist eine der beliebtesten Süßspeisen Kroatiens. Eine Nussmischung, umhüllt von einem knusprigen Teig. Vielleicht muntert es Sie ein wenig auf." Er lächelte wehleidig, ehe er sich von mir abwandte.

"Es tut mir leid. Ich habe eine anstrengende Nacht hinter mir. Das gibt mir aber nicht das Recht, so mit anderen umzugehen. Entschuldigung" , sprach ich in meinem besten Englisch. Langsam verschwand sein Rücken und sein durchaus hübsches Gesicht erschien. Die schwarzen Spitzen seiner Haare ragten ihm leicht auf die Stirn. Seine Augen strahlten, ähnlich wie das Meer, nur viele Nuancen heller.

Dieser Mann funktionierte wie auf Knopfdruck. Seine Professionalität verschwand und er schob den Stuhl mir gegenüber nach hinten. Ich lehnte mich zurück, setzte die Tasse an meine Lippen und beobachtete ihn gespannt. "Keine Frau kann mir lange wiederstehen." Da nickte ich wissend.
"Also dient der Taschenspiegel wirklich als Waffe." Sein Mund öffnete sich und eine Reihe weißer Zähne blitzte hervor. Er wirkte so dermaßen gepflegt, dass ich mich wie die letzte graue Maus fühlte.

"Cornelio, aber tu mir den Gefallen und nenn mich nicht so. Nelio reicht vollkommen." Seine große Hand schwebte über den Tisch zu mir, nur vor Belustigung vergaß ich fast sie zu ergreifen. "Warum erwähnst du es dann überhaupt, Cornelio?" Dabei legte ich meine zierliche Hand in seine. "Emiliana, und wag es ja nicht mich Emilia zu nennen. Emi reicht vollkommen", stellte ich mich genauso kryptisch vor.

Trotz der Tatsache, dass ich als Psychologin viel mit anderen Personen sprach, konnte ich keinen Blickkontakt mehr als drei Sekunden halten. Eigentlich las ich vor Kurzem sogar, dass jemand der dir länger als sechs Sekunden durchgängig in die Augen schaut, dich entweder umbringen, oder mit dir schlafen möchte. Nelio beherrschte das Spiel. Er musste scheinbar nichtmal blinzeln und seine eisblauen Iriden bohrten sich wie Schwerter durch mein Inneres.

Erst jetzt fiel mir auf, dass ich wie eine Irre, immer noch seine Hand schüttelte. Als ich dem Verlauf seiner muskulösen Arme folgte, entdeckte ich die unzähligen Tattoos. Sie vermischten sich auf seiner Haut zu einem ganzen Kunstwerk aus vielen kleinen Details. "Unter dem T-Shirt geht's weiter." Endlich erwachte ich aus meiner Trance und riss meine Hand peinlich berührt von ihm los.

"Wohnst du hier?" Mein Finger kreiste in der Gegend, als hätte er mich anders nicht verstanden. "Nein, ich habe Semesterferien. Ursprünglich komme ich aus Palermo und du?"
Sein Lächeln verbarg sich nun hinter seinem scheinbaren Interesse. "Geboren in Russland und erwachsen geworden in Deutschland." Meine Kindheit war mit der Auswanderung beendet. Also traf ich es so auf den Punkt.

"Und du machst jetzt hier Urlaub?" Nelio zog seine wohlgeformten Augenbrauen zusammen. Okay und ich durfte jetzt angeben. Ich wickelte meine schulterlangen Wellen um meinen Zeigefinger. "Naja, ich bin renommierte Psychologin in Deutschland, aber ab und zu muss ich hier nach meinem Haus sehen."

Er verdrehte seine Augen, lachte aber so herrlich kehlig.

In seinem linken Ohr glänzte mir ein kleiner silberner Ring entgegen. Dieser Mensch bestand aus so vielen kleinen Details, die mich allesamt verblüfften. Ich kam mir so 0815 vor mit meinen Highwaist-Hosen und goldblonden Strähnen im braunen Haar.

"Was studierst du?", wollte ich wissen. "Betriebswirtschaftslehre... Meine Mamma will, dass ich ihr Geschäft übernehme", klang er eher unbegeistert. "Um was für ein Geschäft handelt es sich?", bohrte ich weiter. "Eine Parfümerie", gab er monton von sich.

Ich wagte einen Bissen von dem kroatischen Gebäck. Frische und dazu noch karamelisierte Mandeln brachten mich gerade in Extase. Dazu brannte sich eine leichte Alkohol-Note durch meinen Hals. "Gut, oder? Dir sieht man wirklich jede Emotion sofort im Gesicht an." Wieder lachte er und ich öffnete meine Lider, die ich vor Genuss geschlossen hatte.

Mir egal. Ich stopfte mir das restliche Stück Paradies zwischen die Backen.
"Was wäre dein Traumberuf gewesen?", offenbarte ich schmatzend, dass ich wusste, dass er später ungern in einer Art Douglas stehen wollte.

"Automechaniker." Er lächelte sanft und schnippte nebenbei Krümel vom Tisch. "Es ist nie zu spä..."

"Emi! Wir haben uns Sorgen gemacht und du reißt hier einfach Typen auf", rief Theo und wandte sich anschließend an Frieda. "Siehst du, alles in Ordnung." Meine Freundin, die einen Schwimmring um die Schultern trug, schaute zwischen Nelio und mir hin und her, dann ließ sie die angestaute Luft aus und nickte.

Sie übergab Theo den Donut. Der wollte diesmal scheinbar direkt im Wasser flirten, oder zumindest stalken. "Ich kann dann jetzt beruhigt zur Stadtführung." Sie lächelte mir zu. "Eine Stadtführung?", wurde ich neugierig.
"Ja, zur Geschichte von Dubrovnik." Sie zog sich ihre Sonnenbrille über. "Da bin ich dabei!" Ich sprang von meinem Platz.

"Cappuccino und Pirogi übernehm ich", meldete Nelio sich zurück. Pirogi, das merkte ich mir. Meine Eltern erzogen mich nach der alten Schule, deswegen hatte ich nichts gegen zahlende Männer. "Danke und bis bald, Cornelio", lachte ich. "Das hoffe ich doch, Emilia." Er zwinkerte mir zu und machte sich daran den Tisch zu wischen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top