𝐕 𝐅𝐫𝐮̈𝐡𝐬𝐭𝐮̈𝐜𝐤

... 𝐳𝐮 𝐝𝐫𝐢𝐭𝐭

"Vielleicht hatte sie ja nur einen ganz schlimmen Alptraum." Der kräftige Typ schob seine Harry Potter -Brille zurecht und lag mit seiner Vermutung fast richtig. "Theo...Emi hat am ganzen Körper gezittert und sich an mich geklettet, die ganze Nacht. Sie ist Psychologin und weiß, was ein Alptraum ist. Sowas verstört sie doch nicht so dermaßen." Darauf steckte sich die Schwarz-haarige einen Löffel Joghurt in den Mund.

"Schätzlein, nur weil Psychologen Ängste und so verstehen, heißt das nicht automatisch, dass sie keine mehr haben." Dieser Theo schien sie nicht ernst zu nehmen. Stattdessen schüttete er sich ein Glas Rotwein ein. Es flogen rote Spritzer zu allen Seiten und verfärbten die Fliesen.

Ich wich einen Schritt zurück, weil es mich an das Blut erinnerte. An mein eigenes.

Wieso musste dieser fette Idiot auch Rotwein zum Frühstück trinken? Welcher normale Menschen machte so etwas? Ich hätte ihm in die Eier getreten, wenn er einer meiner Freunde gewesen wäre.

Man musste doch ein Gespür für seine Umgebung haben und Verantwortung. Ich fühlte mich nur da wohl, wo Ordnung und Reinheit herrschte. Ein Tick, oder besser gesagt eine Angewohnheit, die mir meine Mutter vererbte.

Und dann musste ich wahrscheinlich den Rest meiner Verdammnis in diesem Haus verbringen. Deswegen ekelte ich Leute, gerade wie diesen Theo sehr gerne raus. Fassungslos beobachtete ich ihn dabei, wie er diese Flecken mit seinem nackten Fuß auf dem Boden verschmierte.

In diesen kurzen und eigentlich unbedeutsamen Augenblicken wünschte ich mir meine physischen Kräfte am meisten zurück. Manchmal stellte ich es mir wie in den Filmen vor, wenn Geister begannen Gegenstände zu bewegen. Die Realität sah anders aus. In deren Welt existierte ich nicht. Sie spürten mich weder als kalte Brise, noch sonst wie. Ich existierte nur für mich, hinter einer Wand aus Glas, durch das nur ich hindurch sehen konnte.

"Theo, ich weiß nicht... Ich mache mir Sorgen um sie. Nach all den Jahren hatte ich noch nie das Gefühl gehabt sie wirklich zu kennen und von Jahr zu Jahr werden ihre Ideen verrückter. Sie hat einfach das Haus gekauft, dann bekommt sie mitten in der Nacht Panikattacken und geht um fünf Uhr morgens joggen. Da stimmt doch etwas nicht." Emis Freundin massierte ihre Schläfen. Die Nacht nahm auch sie mit.

"Frieda, chill. Das ist eben ihr Wesen. Mach da kein Problem draus." Theo zuckte mit den Schultern.

Emi schien ein Buch mit sieben Siegeln zu sein. Ich lauschte gerne, auch wenn ich nur die Hälfte verstand. Das lag allerdings nicht an der deutschen Sprache, sondern daran, dass ich die Personen vor mir nicht kannte. Eine gute Sache, die der Tod mit sich brachte, war die Tatsache, dass ich jede Sprache dieser Welt verstand. Nicht den genauen Wortlaut, dafür die Bedeutung.

"Als sie damals zu uns in die zehnte Klasse kam und auch auf der Uni, da saß sie immer alleine am Tisch. Egal, ob im Unterricht, oder in der Pause. Sie starrte gedankenverloren in der Gegend herum. Ich glaube ja, wo auch immer sie ist, sie kommt nie an und sie will unbedingt erzwingen, dass es hier anders wird. Deswegen auch die Sache mit dem Haus." Ihre Freundin winkelte ihre Ellenbogen auf ihren Knien an und schien gedanklich weitere Fäden zu spinnen.

"Das stimmt nicht ganz. Denn, wenn das so wäre, dann wäre sie jetzt nicht eine gute Freundin von mir. Emi hatte viel Zeit an der Theke verbracht, um mit mir unterbezahltem Unikoch zu reden. Ich sag's dir, Emi war einfach zu cool für diese unreifen Studenten", konterte Theo und ich wurde neugierig, wessen Version mehr der Wahrheit entsprach.

"Ehrlich gesagt, bewundere ich sie. Wir werden in Deutschland versauern, während sie hier her kommt und ihr Leben lebt. Emiliana ist unglaublich mutig, Frieda", setzte Theo nach und dem stimmte ich stumm zu.

Emiliana... Den Namen hatte ich noch nie zuvor gehört. Er gefiel mir. Irgendwie zerging er auf meiner Zunge. Emiliana... Und sie war wirklich mutig.

Ich kehrte den beiden Tratschtanten den Rücken zu und lehnte mich an das Geländer. Die Sonne schien und ließ das Meer glitzern. Männer, Frauen und Kinder kauften ein und lachten nebenher. Wäre ich am Leben gewesen, wäre ich schwimmen gegangen. Ivo hätte sich gefreut, denn ich hätte ihn auf jeden Fall mitgenommen.

Vielleicht schwamm Emiliana gerade auch ihre Runden. Die Erde läutete bald ihre zehnte Stunde ein und laut Frieda, wäre sie dann schon seit fünf Stunden am joggen. Sie rannte, weil sie sich fürchtete. Dem war ich mir sicher. Ich hatte ihr mit meinen hervor geführten Alpträumen Angst eingejagt und es tat mir nach unzähligen Malen, das erste Mal leid.

Den selben Traum spielte ich schon bei so vielen Touristen ab und immer endete es gleich. Sie sahen mich nicht an der Mauer hängen. Die Fremden verloren sich in der Masse und rannten mit dem Strom an mir vorbei.
Genauso, wie es damals geschehen war.

Der Rekord lag bei genau sieben Tagen. Die meisten verließen das verfluchte Haus schon nach drei. Es würde mich nicht wundern, wenn mein Geist im Fernsehen bei einer Horror-Doku landen würde.

Ich seufzte und kratzte mir zeitgleich am Nacken.

Emiliana war direkt auf mich zugekommen. In ihren Augen kämpften Überwältigung und Schmerz über die Oberhand. Sie sah nur mich und blendete den Rest meiner Illusion aus.

Ich weiß, dass ich es mir nur einbildete, weil ich vermutlich schon viel zu lange, viel zu einsam war. Aber mir kam es so vor, als hätte sie mir auch nach ihrem Erwachen mitten in die Augen gesehen.

Mir wurde mit jeder Sekunde wärmer, ja sogar heiß und sowas wie eine Körpertemperatur spürte ich seit meinem Tod nicht mehr. Damit erschreckte sie auch mich. Was hatte das zu bedeuten?

Ich wünschte sie wäre hier, um zu erfahren, ob da wirklich etwas war. Zunächst musste ich mich allerdings mit ihrem Zimmer zufrieden geben.

Sie hatten das zu Trümmern zerbombte Haus ähnlich wie das Original wieder erbaut. Emilianas Zimmer lag dort, wo einst das Zimmer meiner Mutter war.

Ich glitt durch die verschlossene Tür.
Der starke Duft von Lavendel umhüllte mich, gepaart mit süßer Vanille. Sie hatte den Raum schon vollkommen eingenommen, auch mit ihrer leider chaotischen Art. Ihr Shirt, dass sie zum schlafen trug, lag halb unter dem Bett. Der Kleiderschrank stand offen und ihre Bürste lag behaart auf dem kleinen Nachtschränkchen.

O, moj Bože würde Mama jetzt sagen und sich die Hand an die Stirn klatschen. Das entlockte mir ein Schmunzeln. Ich vermisste sie. Es zog mich auf das Bett und ich legte mich nieder. Vergeblich suchte ich nach der Vergangenheit, Dingen, die mich meiner Mama näher brachten. Gedankenverloren streichelte ich über die weiße Decke. Wäre Mutter tot, dann hätte sie mich abgeholt. Genauso Ivo. Mein kleiner Bruder schaffte es früher keine Stunde ohne mich. Das hieß, sie lebten noch. Anders machte meine halbe Existenz keinen Sinn.

Mama musste jetzt neunundsechtzig Jahre alt sein und Ivo fünfunddreißig. Würde ich altern, müsste ich jetzt Falten haben mit meinen achtundvierzig Jahren. Das tat ich aber nicht. Mit vierundzwanzig beendeten sie mein Leben und nahmen mir dabei alles. Es verging kein Tag, an dem ich nicht wissen wollte, wo der Rest meiner Familie steckte und hätte ich nicht die wertvolle Zeit damit verschwendet meinen Vater zu suchen, dann wären wir vielleicht alle noch zusammen.

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