𝐈𝐗 𝐓𝐚𝐧𝐳𝐞𝐧

... 𝐬𝐢𝐧𝐠𝐞𝐧, 𝐟𝐥𝐢𝐫𝐭𝐞𝐧

"Tell me why?", schrie ich in meine Bürste wie der größte Weltstar und Frieda feuerte mit "ain't nothin' but a heartache", zurück. So trieben wir Theo in den Wahnsinn, der immer noch im Bett lag und sich die Decke bis zur Stirn zog. Jeden Abend schlief er, bevor wir uns zum Abendessen ein Lokal suchten. Für Frieda und mich ein gefundenes Fressen, um zu nerven.

Nach der letzten Nacht fühlte ich mich wieder wohl und befreit. Milan hatte mich wirklich besucht. Mit diesem Gedanken flüchtete ich zurück in mein Zimmer, aber nicht ohne das Radio so aufzudrehen, dass ich es noch bis in die kleinste Ecke des Hauses hörte.

Meine Hüften schwangen mit dem Beat, meine Hände schwebten in der Luft und um noch einen ganzen Ticken dämlicher auszusehen, drehte ich mich. Vor dem Schminktisch kam ich zur Ruhe und im Spiegel funkelte mir der Beweis entgegen, dass ich glücklich war und schön. Meine Haare lagen in glänzenden Wellen über meiner mittlerweile gebräunten Haut. Das weiße trägerlose Top betonte das Ergebnis vom Sonnenbad zusätzlich. Ich tuschte meine Wimpern ein wenig und trug zum Abschluss noch den Lippenstift in Rosè auf.

Ich spürte Milans Anwesenheit, doch es störte mich nicht im Geringsten. Als ich sah, wie die dezente Farbe meine Lippen schmückte, kam mir eine Idee. Hoffentlich würde er es mir nicht übel nehmen. 'Danke' kitzelte ich mit dem viel zu teuren Lippenstift auf den Spiegel. Das Gefühl beobachtet zu werden stieg und damit auch mein Puls. Mir war, als würden seine Atemzüge meinen Nacken streifen. Ein wohliger Schauder jagte mir über den Rücken.

***

Bewaffnet mit einer Weinflasche schlenderten wir den steilen Berg hinab, dabei machten wir keine halben Dinge. Wir tranken abwechselnd aus der Flasche und lachten über jeden Unsinn. "Emi, deine Pobacken sagen Hallo", lachte Theo, worauf ich an der schwarzen Ledershorts zupfte. "Wenigstens sind sie somit anständiger als du." Damit fing er sich von Frieda einen Klapps auf den Hinterkopf.

Nach Frieda erhielt ich wieder einen Schluck der roten Flüssigkeit. "Sag mal, hattest du deine Stimmungsschwankungen diesem PMS zu verdanken, oder was war das?" Er sprach mich auf mein seltsames Verhalten an, die Panikattacken, das Verschwinden und die ständige Müdigkeit.

"Jeder hat mal ein, oder zwei schlechte Tage", gab ich ein bisschen zu gereizt von mir. Frieda schwieg und musterte den demolierten Gehweg. Wahrscheinlich malte sie sich Horrorszenarien aus, um zu verstehen, was mit mir nicht stimmte. Langsam störte mich die Art, wie sie mich behandelten. "Leute, wieso wollt ihr mich unbedingt glauben lassen, dass mit mir etwas nicht stimmt? Mir geht's gut!", beendete ich das Thema und Theo grummelte ein "Ich glaube dir ja."

Nachdem wir uns alle an einem kleinen Grillstand an der Strandpromenade ein Fladenbrot mit Cevapcici gegönnt hatten, setzten wir uns in eine Shishabar. Nun dampften diese Verräter mit, die mir an den Kopf warfen, wie schädlich das Rauchen doch sei. "Eine Shisha ist hundert mal schädlicher als eine Zigarette. Gönnt euch", ließ ich sie an meinen Gedanken teilhaben und zuckte neunmal klug das Näschen. "Ich ziehe nur zwei mal, dann widme ich mich den Cocktails", rechtfertigte sich Frieda. Das ein guter Cocktail fast so viel Kalorien hatte wie ein Döner, verschwieg ich ihr lieber. Theo zog genüsslich weiter an seinem Schlauch. Er ließ sich sowieso nie was sagen.

Am Abend erwachte Dubrovnik erst so richtig zum Leben. Bunte Lichter von unzähligen Bars erhellten die Promenade. Jedes einzelne Lokal schien voll besetzt und ich hörte von unserem Standpunkt aus drei verschiedene Songs klar und deutlich. Mich störte es nicht. Das Chaos hier draußen, erstickte das Durcheinander in meinem Inneren.

Aus der Ferne entdeckte ich Nelio, der immer noch fleißig bediente. Er war scheinbar sehr motiviert und ein richtiges Arbeitstier. Als hätte er meinen Blick auf sich gespürt, drehte er sich um. Sofort lag ein Hauch von Schalm in seinen Gesichtszügen. Er winkte mir kurz zu, während ich es nur schaffte mit halb erhobener Hand ein paar Finger zu bewegen. Dieser heißblütige Sizilianer sah aber auch unverschämt gut aus.

"Ihhh Emi, du sabberst gleich", schrie Frieda, von ihrem ersten Schluck Pina Colada wahrscheinlich schon leicht beschwippst. Normalerweise rief sie keine unnötigen Kommentare aus. Sofort wandte ich mich von der Mokka Beach Bar ab, um Emi mit meiner bloßen Vorstellungskraft zu erdolchen. "Ach der Schönling wieder... Solche Typen bedeuten nur Ärger, Schätzchen", gab auch Theo seinen Senf dazu.

"Ich mag ihn!", entschied ich mich soeben lautstark dafür und blickte erneut und diesmal ungeniert in Nelios Richtung. Da war er nur diesmal nicht. In meinem Bauch machte sich das schwere Gefühl der Enttäuschung breit.

"Bevor du ihn entdeckt hast, hat er dich schon die ganze Zeit angestarrt. Ihm ist sogar fast das Blech aus der Hand gefallen", richtete sich Frieda wieder an mich, diesmal zum Glück so leise, dass Theo es nicht mitbekam. Meine Freundin redete nicht viel, dafür beobachtete sie mehr. Man könnte meinen, sie wäre die Psychologin und ich hatte es ihr auch geraten. Frieda hatte sich allerdings schon früh von ihrer Familie entfernt und musste eigenständig Geld verdienen. Da kam die Uni nicht in Frage.

Nun beobachtete ich sie. Ihr schönes Gesicht versuchte sie mal wieder hinter den gefärbt schwarzen Haaren zu verstecken, doch sie betonten nur noch mehr ihre blauen Augen. Ihre Eltern wollten, dass sie blond gelockt bleibt, die kleine süße Frieda-Maus. So nannten sie sie immer. Sie bestanden auf Kleidchen und ein weibliches Benehmen, doch Frieda passte nicht in diesen Rahmen und büchste aus. Die Arme hatte es nie leicht, aber auf wen von uns traf das zu? Auf keinen.

Theo zu meiner anderen Seite tat stets auf fröhlich und unantastbar, doch manchmal hörte ich ihn nebenan im Zimmer schluchzen. Die Sprüche über sein Gewicht, oder rotes Haar trafen ihn, zumindest manchmal. Da war ich mir sicher. Auch jetzt, nippte er an einem Bier und wirkte dabei mehr nachdenklich als erholt.

Wir trugen unsere Päckchen zusammen, egal wie sehr wir uns dabei unterschieden und das stimmte mich in diesem Moment ziemlich glücklich.

Ein Glück, welches Milan geraubt wurde...
Der Gedanke riss mich aus allen Wolken. Während wir sangen, lachten, uns verliebten und tanzten, existierte er nur in diesem Haus. Gefangen und alleine. Mit vierundzwanzig fing das Leben doch erst richtig an, doch für ihn
hatte es aufgehört. Ein Teil von mir wollte zurück zu ihm, um ihn nicht seiner Einsamkeit zu überlassen und der andere Teil von mir wollte einfach nur fern ab vom Tod leben. Letzteres überwog. Der Mensch ist und bleibt ein geborener Egoist, fiel mir dazu ein.

"Du betrügst mich mit der Savannah-Bar?" Eine mir mittlerweile bekannte Stimme riss mich endgültig aus dem Zwiespalt. "Darf ich mich zu euch setzen?" Nachdem meine Freunde wie paralysiert nickten, drängte Nelio ein Stuhl zwischen Theo und mich. Dort saß er nun neben mir, seine eisblauen Iriden gehörten wieder nur mir. Meine Wangen erröteten. Mit nur einem Blick schaffte er es mich emotional auszuziehen. In seinem schelmischen Grinsen lag das Wissen, was er in mir auslöste. "Hallo Signora", säuselte er mit seinem italienischen Akzent. Fehlte nur noch der Handkuss, dann wäre ich geschmolzen. Der Mann weckte die widerlichste Romantikerin in mir.

Als Theo sich räusperte, schreckten wir zusammen. "Sorry Leute, das ist...", wollte ich ihn vorstellen, doch er kam mir zuvor. "Nelio." Schade, ich hätte ihn ja als Cornelio vorgestellt und das wusste er scheinbar. Zumindest zog er seine Augen zu Schlitzen zusammen, nachdem er mich erwischte, wie ich ein Lachen unterdrückte.

Eine Weile sagte keiner mehr was. Frieda sprach schon immer weniger, je mehr Leute sich zu uns gesellten und gerade beschäftigte sie sich sowieso mit ihrem Handy. Theo schien Nelio schlichtweg nicht zu mögen. Ich dampfte und lauschte Drake, der mit seinem 'one dance' einen wahren Hit landete.

"Frauen wie sie, stehen auf andere Typen", beendete Nelio das stumme Treiben. Ganz automatisch folgte ich seinem und auch Theos Blick. Da stand eine junge Frau, die ihre Melonen wahrscheinlich nicht nur Gott zu verdanken hatte. Ihr enges Kleid offenbarte mir von ihrer Figur bis zu ihrer Unterwäsche alles was ich sehen, oder auch nicht sehen wollte.
Lasziv bewegte sie ihre Hüften wie eine Schlange und hypnotisierte so den Barkeeper und scheinbar auch Theo.

"Auf was steht sie dann? Natürlich auf einen Schönling wie dich. Ihr denkt auch, dass euch die Welt gehört", schoss mein Freund direkt zurück.
Er fühlte sich angegriffen von Nelios Aussage. Frieda lunzte mit kugelrunden Augen über den Rand ihres Handys zu mir herüber. Ich zuckte nur mit den Schultern als sei es mir gleichgültig, doch gleichzeitig baute sich eine schwerwiegende Spannung in mir auf.

"Sorry, das war gar nicht auf's Aussehen bezogen. Ich meinte Männer mit sehr viel Geld", rechtfertigte Nelio sich. Der Arme tat mir fast schon leid. Er lehnte seine Arme auf den Tisch, umschloss seine Faust mit der anderen Hand. Dabei streifte seine Haut die meine. Ich spürte die animalische Kraft in seinem Bizeps. Ausgerechnet jetzt bereitete sich eine wohlige Wärme in meinem Unterleib aus. "Jetzt willst du mir sagen, dass ich arm bin?" Mein langjähriger Freund fuchtelte aufgebracht mit seinen Armen. Nein, Nelio hätte sagen können, was er will. Er wäre nur in ein weiteres Fettnäppchen getreten.

Als der DJ 'can't take my eyes off of you' abspielte, packte ich die Gelegenheit am Schopf. Mein Händchen schlüpfte in Nelios. Er ließ sich auf die Füße ziehen und folgte mir über den schwarz-weiß karierten Boden zu einer freien Fläche zwischen den Tischen.

Ich schlang meine Arme um seinen Nacken. Er nahm die Einladung an und seine warmen Hände landeten knapp über meinen Hüften. Seine Augen wanderten unruhig durch die Gegend. "Ich bin seit zwei Wochen hier und hier hatte noch nie jemand getanzt", erklärte er sein Verhalten. "Na und? Interessiert es dich so sehr, was Leute denken, die du sowieso nie wieder sehen wirst?" Ich lachte. Seine Aufmerksamkeit lag wieder vollkommen auf mir. Mit einem Ruck wurde sein Griff fester. "Du hast Recht." Er schmunzelte. In seinen Schlingen ließ ich mich hängen und von den Tönen treiben. Der Alkohol kribbelte von innen, indessen seine Berührungen eine feine Gänsehaut über jeden Millimeter meiner Haut schickten.

"Es tut mir leid, dass ich deinen Kumpel so blöd angemacht habe. Normalerweise weiß ich genau, was ich sagen muss... Aber du bringst mich aus dem Konzept." Sein warmer Atem tänzelte über mein Gesicht. Ich öffnete meine Lider aus der Entspannung heraus. Wie vermutet fokussierte er meine Lippen an. Ja, es konnte was an Theos These dran sein. Er war die gottverdammte Versuchung im Garten Eden. Ein Fehler. Aber einen, den ich im Moment niemals bereut hätte.

"Jetzt bringst du mich aber in Verlegenheit", gab ich zu, was meine gerröteten Wangen schon längst verraten hatten. "Ich bin Italiener. Was soll ich machen?", lachte er.
Um uns herum tanzten mittlerweile mehrere Paare. Manchmal musste man eben als gutes Vorbild voran gehen.

"Ernsthaft, sorry. Ich bin Einzelkind mit typisch großer Klappe", entschuldigte er sich erneut mit einer wahrhaftigen Ernstigkeit in seiner Mimik. "Theo ist manchmal auch etwas speziell." Dabei dachte ich an die Situation von eben zurück.

"Du weißt mittlerweile so viel von mir. Erzähl mir was über dich, bellezza."

"Als Psychologin bin ich es gewohnt, stille Zuhörerin zu sein." Und in diesen Minuten fühlte ich viel lieber als zu sprechen. Ich kuschelte mein Kinn in seine Halsbeuge und inhalierte seinen süßen und zugleich herben Duft. "Also bist du das Geheimnis, dass die Geheimnisse aller anderen kennt", flüsterte er direkt an mein Ohr und diese Beschreibung gefiel mir eigentlich ganz gut.

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