𝐄𝐩𝐢𝐥𝐨𝐠 - 𝐳𝐮𝐫 𝐫𝐢𝐜𝐡𝐭𝐢𝐠𝐞𝐧 𝐙𝐞𝐢𝐭

...𝐚𝐦 𝐫𝐢𝐜𝐡𝐭𝐢𝐠𝐞𝐧 𝐎𝐫𝐭

"Baby, Baby, Baby, ohhhh", schrien Frieda und ich im Chor, während Theo uns mit Ferdinand dem Zweiten kutschierte. Ich nannte es bewusst schreien, weil es mit Gesang so gar nichts zu tun hatte. Als Malio, der gequetscht zwischen uns Frauen auf der Rückbank saß, plötzlich einen Chor mit uns bildete und Dino die Hand gegen sein Gesicht klatschte, verfielen wir in schallendes Gelächter. "Ich versuche ihm klassische Musik näher zu bringen, das Klavier spielen und ihr kommt mit Justin Bieber." Malios Papa schüttelte den Kopf. Friedalein und ich grinsten uns nur neckisch einander an. Ich unterdrückte das Bedürfnis über ihre stoppeligen Haare zu streicheln. Ja, ihre Mähne war ab und es stand ihr. Es nahm ihr die Möglichkeit, ihr wunderschönes Gesicht zu verstecken.

Wir fuhren an den Bergen Österreichs vorbei, die mich jedes Jahr aufs Neue begeisterten. Doch mein Gesicht klebte wie das eines Kinder an der Scheibe, als das Mittelmeer in die Kulisse rückte. Das bedeutete, dass ich nach langem Warten, endlich wieder Zuhause ankam. Kroatien. Dubrovnik. Das Land, welches mein Herz stahl.

"Du machst uns aber kein Drama, wie es vor drei Jahren der Fall war, oder?" Theo schien etwas zu beschäftigen und ich glaubte, es hatte was mit seiner Frage zu tun. Zumindest sprach er ansonsten während der gesamten Fahrt kaum ein Wort. "Die letzen beiden Jahre waren wir auch da und ich lebe noch", gab ich trocken zurück. Sogar im Gegenteil, ich war endlich angekommen, mitten im Leben sozusagen.

Der Rotschopf saß vor mir und ich legte meine Arme kurz um ihn. Ich drückte ihn zurück in den Sitz, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. Er sorgte sich am meisten um mich, auch wenn er das immer versuchte unter seiner Badboy-Attitude zu verstecken.
"Die letzten beiden Male war nur der Schönling nicht da." Theo war immernoch der Meinung, Nelio hätte das Drama vor genau drei Jahren ausgelöst.

Doch was geschah im Sommer 2015?
Man nannte es auch Psychosomatik, wenn die Psyche den Körper krank macht. Die Reise damals hatte mich umgekrempelt auf schmerzhafte Art, doch das Ergebnis hatte sich gelohnt.
Ich traute mich offener und mutiger zu werden, mied auch keine Konflikte mehr. Es gab nichts, vor was, oder wem ich wegrennen musste, aus Angst alles erneut zu verlieren.
Dino half mir mit dem Verlust meiner Kindheit und meiner Oma umzugehen. Manchmal fiel ich, aber ich stand jedesmal wieder auf. Als würde mir eine unsichtbare Hand zur Hilfe eilen.

Ich umklammerte unbewusst mein Stimmungstagebuch. Es waren die Worte darin, die aus meinem Herzen kamen, die ich nicht entschlüsseln konnte. Daran verzweifelte ich ein wenig. Nach so viel Arbeit, gab es immer noch Geheimnisse in mir, die ich nicht schaffte zu lüften.

Nach zwanzig Stunden berührten meine tauben Füße endlich den Boden. Ich nahm gleich einen tiefen Zug der vom Salzwasser geschwängerten Luft. So stellte ich mir vor, musste es sein, an einem Joint zu ziehen. Kroatien duftete nach 'du wirst hier keine Sekunde bereuen'. Ich schloss meine Augen und lächelte in mich hinein. Bis ein Arm sich um meine Schultern legte, um mich in unser Sommerhaus zu führen. Dino und ich spazierten stolz der Tür entgegen. Es war unser Eigentum. Nachdem er mir offenbarte, was er und seine Familie hier erlebten und er sich in einen Berg aus Schulden gestürzt hatte, um das zu retten, was ihm übrig blieb, traf ich einen Entschluss. Ich schenkte ihm das halbe Haus, welches ich einst in meiner Wahnvorstellung gekauft hatte. Nun besaßen wir es beide.

"It's wine o'clock", schrie Frieda gleich, nachdem sie das Haus betrat. Sie holte den Hugo aus einer Kühltasche, die sie extra für die Ankunft vorbereitet hatte. "Versprüht sie nicht immer herrliche Alkoholiker-Vibes?", bemerkte Theo gespielt verträumt, indessen er daran war, das meiste Gepäck hinein zu schleppen.

Mich zog es erstmal in mein Zimmer. Es waren meine vier Wände und fast schon so privat, wie mein Inneres selbst. Ich wusste nicht warum, doch hier fühlte ich mich nackt und verletzbar. Andererseits auch sicher, da hier niemand meine Verletzlichkeit ausnutzen würde. Meine Reise zu mir selbst führte immer hier her. Niemand durfte den Raum betreten, gar etwas verändern, vor allem den Spiegel hinter dem Schminktisch nicht.

Wie jedes Jahr setzte ich mich vor ihn und mein Spiegelbild schenkte mir ein wunderschönes Strahlen, eines das meine Augen erreichte. Es hatte etwas mit dem 'Danke' zu tun, was ich einst mit dem Lippenstift an den Spiegel gekritzelt hatte und mich bis heute weigerte, es zu säubern. Dieses Geschmiere besaß unglaublichen Wert für mich. Meine Finger glitten zart über das Rot und wie immer trieb es mir Tränen in die Augen.

Da gab es eine Verbindung zu dem, was in meinem Stimmungstagebuch stand. Ganz sicher. Ich hatte es in mein Nachtschränkchen gelegt, nachdem ich den Holzkasten bis ins hinterste Eck abgetastet hatte. Jedes Jahr suchte ich darin etwas, doch ich fand nichts.

Nachdem ich mir ein paar Minuten für mich genommen hatte, schloss ich mein Zimmer wieder ab. Die Geräuschkulisse überwältigte mich. Theo fluchte, Dino drückte ihm einen Spruch und Frieda lachte eine Stufe zu laut. Sie schwärmte immernoch heimlich für meinen Chef.

In Deutschland musste jeder seiner Arbeit und dem Alltag nachkommen, doch hier wuchsen wir zu einer Familie zusammen.

Sie saßen draußen auf dem Balkon, jeder mit seinem Weinglas und Käsehäppchen. Nebenbei spielten sie 'Schwimmen', unser Lieblings-Kartenspiel.
Ich ging an ihnen vorbei und zog meine Zigarette, die einzige, die ich an einem Tag rauchte.
Irgendwann würde ich auch ohne überleben.
"Oh nein, hier wird's gleich stinken", kommentierte Theo unnötiger Weise.
"Wieso? Hast du einen fahren lassen?" Ich zog meine Augenbrauen hoch und wandte mich wieder der untergehenden Sonne zu.

Ja, ich war angekommen...
Meine Finger schlängelten sich um das metallische Geländer. Und wieder stellte meine größte Angst der Tag dar, an dem ich meine Koffer wieder packen müsste.

"Du erinnerst mich an meinen Bruder. Ihr teilt euch die selbe Faszination für die untergehende Sonne." Dinos Erscheinung gesellte sich an meine Seite. "Milan?", harkte ich nach. "Der einzig wahre", bejahte er mit einem tiefen Seufzer.
"Ich bin für dich da." Und um ihm das zu zeigen, legte ich meine Hand schützend über seine. "Genauso, wie ich für dich, Fettsack." Er löste seine Finger aus meinen, um meinen Kopf gegen seine Lippen zu drücken.

"Ohhh schaut mal, da werden sie wieder sentimental." Dafür fing sich Theo einen Tritt von Frieda ein, die immer noch neben ihm saß.
"Sag mal Emi, wann willst du auf die Jagd gehen?" Das Thema mit Nelio ließ Theo einfach nicht los. "Gleich", gab ich wahrheitsgemäß zu.

Ich verfolgte immer noch den Status des Sizilianers auf WhatsApp. Nach allem, was vorgefallen war, hatte er mich nicht blockiert, oder gelöscht. Keine Ahnung, wieso ich so hart mit ihm verfahren bin, doch wie hieß meine Devise "Du begegnest den Menschen mit Zweifeln, wenn du dir selbst nicht traust." Vermutlich war ich so dermaßen verunsichert, dass ich ihn mit Gewalt auf Distanz halten wollte.
Aus diesem Grund hatte ich ihm damals diese Liebesgeschichte mit Dino aufgetischt, doch so ganz vergessen konnte ich ihn nie und er mich scheinbar auch nicht.

Wie dem auch sei, Nelio veröffentlichte seit mehreren Tagen Fotos von der Mokka Beach Bar. Er verbrachte seinen Sommer wieder hier und das musste ich nutzen.

Um es nicht weiter hinaus zu zögern, ging ich gezielt ins Badezimmer. Ich verpasste mir ein Tuning aus Makeup, Lippenstift und Mascara, was sehr viel Sinn machte, nachdem die Sonnenbrille die Hälfte meines Gesichts bedeckte. Zugegeben meine Hände zitterten bei dem Gedanken, gleich auf ihn zu treffen.
"Du siehst unwiderstehlich aus, Emilein." Frieda trat hinter mir im Spiegel hervor und richtete die Träger meines sandfarbenen Kleides. Ich zog nocheinmal die feine Spitze ordentlich über meine Brüste.
"Egal, wie er reagieren wird, das wird nichts dran ändern", sprach sie mir Mut zu.
Mir war bewusst, dass ich ihn nicht gut behandelt hatte und wenn er mich nicht mehr sehen wollen würde, dann müsste ich es akzeptieren.

Bevor ich mich auf den Weg machte, suchte ich wieder die verdammte Schublade meines Nachtschränkchens ab. Ich fand nur mein Stimmungstagebuch. Wie konnte das sein? Mich überströmte die Gewissheit, dort vor langer Zeit, was liegen gelassen zu haben.

Mein Stimmungstagebuch, das in mintgrün eingebundene... Sollte ich es tun? Ich wollte, dass Dino es liest. Diese Last und gleichzeitig Bereicherung mit jemandem teilen.
Wenn nicht heute, dann gar nicht.

Als ich meine zweite Hälfte suchte, fand ich ihn mit seinem Sohn in deren Zimmer. Ich stand im Türrahmen und wagte mich kaum den Anblick, der sich mir bot, zu zerstören.
"Und du warst genauso klein wie ich, als dir dieses Zimmer gehört hat?", wollte Malio wissen, während er seinen Schwimmreifen in einen Rucksack packte. "Mir und deinem Onkel Milo", erzählte er seinem Sohn.
"Er ist auch oft vor dem Abendessen mit mir Schwimmen gegangen."
Malio dachte kurz nach, dabei tippte er mit dem Zeigefinger auf seinem Kinn herum. "Hatte er keine Angst zu schwimmen, so wie du?" Darauf lachte Dino kurz angebunden. "Nein, er war der mutigste Mensch, den ich kannte. Onkel Milo ist fast bis zur nächsten Insel geschwommen, weil er dort immer mal hin wollte. Er sagte, dort gibt es wahre Magie."
Lokrum.
Meine Hand wanderte auf meine Brust. Mein Herz pochte so stark, dass ich meinen Puls in den Ohren rauschen hörte.

"Schau mal, wir haben einen Spion." Dino holte mich ins Hier und Jetzt zurück, leider. "Tante Emi, du sieht so schön aus." Der kleine Frechdachs rannte auf mich zu und schlang seine Arme um meinen Bauch. Ich wuschelte ihm über seine weichen Locken und drückte ihn anschließend fest an mich.

"Alles in Ordnung, Emiliana?" Dino sah und spürte vermutlich, dass mich etwas belastete. Ehrlich gesagt, sogar umhaute. Ich schniefte, ehe ich ihm mein Stimmungstagebuch in die Hand drückte. "Bitte les es. Ich verstehe es nicht", bat ich ihn. Er nahm es zwar an, doch zog zweifelnd seine Augenbrauen zusammen. "Das ist eine persönliche Angelegenheit, nur für dich", erklärte er mir noch einmal, das mir schon längst bekannte Prinzip. "Ich will es aber so", bestand ich darauf. Sein Ausdruck wurde sanfter und er quittierte es mit einem stummen Nicken.

Dann ging ich. In mir hallte das Geschriebene nach. Ich hatte die Zeilen so oft gelesen, dass ich es auswendig konnte.

Ich habe mit dir ein Stück Himmel berührt.
Der Schmerz in deinen Augen hat mich gelehrt, wie viel das Glück bedeutet und dankbar zu sein für alles, was ich habe.
Du hast mir gezeigt, was es bedeutet stark zu sein, weil du als Vorbild voran gegangen bist. Denn Stärke heißt nicht voran zu kommen, sondern so lange wieder aufzustehen, bis man dort ankommt, wo man sein möchte.

Seit der ersten Sekunde hattest du die Barriere meines Körpers überwunden, um gleich meine Seele zu berühren. Zunächst wie ein sanfter Windstoß, doch schnell wie ein Feuer. Ich tanzte einen Seilakt zwischen lieblicher Wärme und dem hoffnungslosem Verbrennen. Und vielleicht habe ich mich an dir verbrannt. Die Narben werde ich den Rest meines Lebens mit mir tragen. Sie sind tief, genauso wie unsere Liebe und sie erfüllen mich mit Stolz. Unsere Begegnung war nämlich einzigartig.

Bring mich doch zurück in den Traum, in dem wir uns einst trafen. Volim te, schreit mein Herz, wo auch immer du bist.

Du hast mit mir die Orte besucht, die mich prägten. Ich habe sie in ein Schatzkästchen gesperrt, von dem ich selbst den Schlüssel verloren hatte. Du hast ihn gefunden und mich aus meinem goldenen Käfig befreit. Danke dafür, du Engel, der gegangen ist, um mich zu retten.

Hast du auch nur einen Funken Egoismus in dir? Ich glaube nicht.
Wenn nachts alles ganz leise wird, dann fühle ich mich einsam. Meine Welt geriet in Vergessenheit auf der Suche nach der Erinnerung. Volim te, schreit mein Herz, wo auch immer du bist.

Du wartest irgendwo und ich renne auf dich zu, in einer Geschwindigkeit, die nicht in Raum und Zeit gemessen werden kann. Keiner kann mir sagen, wann ich ankommen werde, aber das werde ich. Und bis der Tag kommt, werden wir uns in den Träumen treffen, an die sich keiner erinnert. Keine Welt zwischen uns, kann verhindern, was wir fühlen. In meinem Herzschlag wird auf ewig deiner wohnen.
Volim te, schreit mein Herz, wo auch immer du bist.

Es trieb mich fast in den Wahnsinn, bis dieses Gedicht, oder was es auch immer war, verstummte.

Ich sah Nelio, nur seinen Rücken und doch erkannte ich ihn an der förmlichen Haltung und den Tattoos, die seine Arme schmückten.
Er belud ein Tablett mit allerlei bunten Getränken.

Ein letztes Mal pustete ich die angestaute Luft aus, bevor ich auf ihn zustampfte, wie ein verdammtes Nilpferd. Niemand würde mich aufhalten, ohne meinen Zorn zu spüren!

Dicht hinter seinem Rücken stoppte ich und bewaffnete mich.
"Links neben dir steht der schönste Mann, den ich je gesehen habe."
Er checkte kurz den Handspiegel zu seiner Linken, woraus mich bereits das Funkeln seiner eisigen Iriden aus den nicht vorhandenen Socken haute.

Für meinen Geschmack viel zu schnell, drehte er sich gänzlich um und starrte mich nieder, als sei ich verrückt. Aber als er diesen "Zaubertrick" abgezogen hat, war es das normalste der Welt, oder was?!
Die schmalen Schlitze weiteten sich fast auf Tellergröße, als er zu erkennen schien, welche Frau da vor ihm stand und ihn so unverschämt anflirtete.

"Emiliana?" Er klang so verständnislos.
Als ob er noch nicht wüsste, dass ich es bin, zog ich mir die Sonnenbrille vom Gesicht.
Eine Weile starrten wir uns einfach nur an, bis aus seinen geöffneten Lippen auch tatsächlich Worte entwichen.

"Hast du deinen Handspiegel immer dabei, weil du das bei jedem Mann hier abziehst, oder bist du so eitel, dass du dich in jeder freien Sekunde darin betrachten musst?"






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