𝐗 𝐓𝐨𝐝

...𝐮𝐧𝐝 𝐚𝐦 𝐋𝐞𝐛𝐞𝐧 𝐳𝐮𝐫 𝐬𝐞𝐥𝐛𝐞𝐧 𝐙𝐞𝐢𝐭

"Jetzt ernsthaft, wenn du noch einmal sowas abziehst, dann schneide ich dir die Eier ab und fütter dich damit!", lallte ich Theo ins Ohr, der beim Versuch zwei Frauen auf einmal zu jonglieren, selbst ins Wanken geriet.
"Mr. Perfekt zupft sich die Augenbrauen. Willst du wirklich so ne Pussy?", schimpfte er zurück. "Ich will ihn auch. Von mir aus kann er sich auch die Beine wachsen.", meldete sich Frieda zu Wort und aus meiner Empörung wurde ein Lachkrampf. Sie war so betrunken, dass jedem Atemzug ein Hickser folgte.

In meinem Haus angekommen, ließ Theo uns erbarmungslos fallen. "Ich gehe jetzt schlafen. Ihr Hühner seid jetzt auf euch gestellt!" Wahrscheinlich stand er selber auf Nelio und schimpfte uns deswegen so sehr. Frieda und ich fielen quer übereinander auf den Boden. Ein sinnloser Lachkrampf jagte den nächsten. "Willst du so eine Art heiße Urlaubsromanze anfangen? Oh, wenn Doktor Dino jetzt hier wäre...", schwärmte sie wieder von meinem Professor. Ach, wie gerne hätte ich ihr geholfen, aber Dino war immer so distanziert, wenn es um Persönliches ging.

Was mich anging, ich hatte gar keine Ahnung, was ich mit Nelio trieb. In seiner Nähe geschahen einfach Dinge, die sich gut anfühlten, ohne irgendwelche Hintergedanken, oder Sorgen. "Meinst du, er würde mich noch anschauen, wenn ich meine Haare abrasiere? Ich hasse sie", klang ihre Stimme plötzlich ernst, ja sogar ein wenig verzweifelt. Ich stützte mich auf meinen Ellenbogen, um sie anzusehen. Vorsichtig fuhr ich durch ihr seidiges Haar, es glänzte wie das einer reinen schwarzen Katze und schmiegte sich auch genauso weich an meine Haut.

Das brachte nur alles nichts, wenn sie es nicht mochte. "Er muss die Version von dir nehmen, die du selbst liebst." Auch mein von Alkohol geschwängertes Gehirn erbrachte Leistung. "Ist egal. Lass uns schlafen, sonst kotze ich hier auf den Boden", lenkte sie schnell ab und es war ohnehin zu spät für einen Tiefgang in ihre Psyche. Das sie sich in ihrer Haut nicht wohlfühlte, wusste ich bereits.

Meine Netzhaut brannte bereits und meine Lider klappten immer wieder zusammen. "Dito", gab ich also zurück und wir stützten uns aneinander hoch.

Unsere Wege trennten sich in verschiedene Schlafzimmer. Das Bett rief nach mir, ein Teil von mir und kein kleiner, schlief bereits. Geschminkt und immer noch im Lederhöschen landete ich auf der Matratze und schloss meine Augen.
Das Gefühl des Wegtretens und der Erholung blieb jedoch aus.

Stattdessen wurde ich immer wacher. Als hätte ich drei Kaffeetassen in drei Zügen geleert, breitete sich eine Nervosität in mir aus. Meine Finger verfingen sich krampfhaft im dünnen Laken. Der Schweiß stand mir auf der Stirn und meine Gliedmaßen zitterten.

Nichts auf dieser Welt hätte mich zwingen können, meine Augen zu öffnen. Es würde etwas Schlimmes passieren, dessen war ich mir sicher. Ein Autocrash, der Sturz von einer Klippe, ein Schuss in den Kopf. Sowas erwartete ich, geschützt in meinem Zimmer. Aber die Gewissheit war da, dass es so kommen würde. Der Tod klopfte wieder unaufhaltsam gegen meine Pforten.

Hatte ich Milan verärgert, oder lungerten hier noch andere Wesen?
Ich hielt dieses stetige Gefühl des Sterbens nicht mehr aus. Die ungeheuerliche Angst, die meinen Körper gleichzeitig lähmte und krampfen ließ. Selbst der Schrei erstickte in meiner staubtrockenen Kehle. Einzig und allein die kalte Träne, die über meine Wange rollte, erdete mich in dieser Welt.

Als auch meine Lungen in ihrer Tätigkeit nachgaben, packte mich die Panik und ich richtete mich ruckartig auf. Meine Augen öffneten sich, ohne meinen bewussten Zuspruch. Damit tat ich das, was ich mir am meisten verboten hatte und nicht umsonst. Vor mir stand er. Eine bleiche, zerfressene Leiche mit blauen Flecken auf der Haut. Das Blut klebte in braunen Krümeln an seiner zerrissenen Kleidung.

Nach der Starre, folgte die Ernüchterung. Ich nahm mein eigenes Schluchzen als fremde Person wahr, so laut und von allem Guten verlassen. Wie ein Kind versteckte ich mein Gesicht hinter meinen Händen und wisperte in die Dunkelheit. "Geh weg. Bitte geh weg." Immer wieder und wieder wiederholte ich mich in der Hoffnung, er würde es hören.

Und tatsächlich, das Gewitter zog an mir vorbei und der kalte Schauer wurde durch wärmer werdende Sonnenstrahlen ersetzt. Die Furcht verflog genauso unergründlich wie sie auftauchte. Nach einer Weile traute ich mich sogar meine Hände zu lösen. Die Sonne schien noch nicht, nur der Mond in der tiefsten Nacht.

Der Mann, der mich das fürchten lehrte stand nicht mehr vor meinem Bett, stattdessen saß er neben mir am Bettrand. Er existierte. Milan saß neben mir, nicht als Schatten, oder Erscheinung. Ich sah jedes noch lebende Detail, die tief-braunen Augen, der Ansatz eines Bartes, das braune zurück gestrichene Haar. Die spitze Nase schmückte ein Muttermal. Es erweckte den Anschein eines Nasenpiercings. Da gab es kein tödliches Rot, oder Wunden, die seinen Körper zierten. Seine Ellenbogen lehnten auf seinen Knien und er rieb sich unruhig über das Gesicht, vielleicht um sich die Sorgenfalten von der Stirn zu wischen.

"Milan?", flüsterte ich, um ihn ja nicht zu verschrecken, doch das tat ich. Seine weit aufgerissenen Augen landeten mit dem ersten Ton, der meine Lippen verließ, auf mir. Als wäre ich das Monster aus seinen Träumen, rutschte er einen guten Meter weg. "Tut mir leid", entschuldigte ich mich und hob beschwichtigend meine Hände.

Seine Lippen öffneten sich einen kleinen Spalt, als er einen kaum erkennbaren Millimeter vor zuckte. Ich erkannte in ihm die Bereitschaft zu reden, doch alles was seinem Hals entkam war Luft. Luft? "Atmest du?", schoss es ungewollt direkt aus mir heraus, anstatt erst mal in mein Gehirn. "Aus Gewohnheit."

Wow. Das ich ihn wirklich hörte, überwältigte mich. Stumm und dämlich starrten wir uns bestimmt mehrere Minuten einfach nur gegenseitig an. Das einzige was in diesem Zimmer Geräusche erzeugte, war mein eigenes Herz, welches mir bis zum Rachen schlug. Er atmete nicht, sondern ahmte nur die Bewegung nach. Meine Sinne gaben ihre Koordination auf. Was ich nicht hörte, sah ich um zu deutlicher. Es überforderte mich, weil er so echt wirkte und doch wusste ich andererseits, dass ich alleine in diesem Zimmer saß. Irgendwie zumindest.

"Was siehst du? Bin ich nur ein Schatten, oder ein Licht, oder?", wollte er mindestens genauso ahnungslos wissen. "Einen ganzen Mann. Ich vermute genauso wie kurz bevor du gestorben bist mit Gesicht, Körper und Kleidung." Er sah kurz an sich hinab, als wüsste er gar nicht mehr, was er zuletzt trug.

Die Neunziger standen ihm gut. Die helle Jeansjacke hing locker über dem engen weißen Shirt. "Ich bin übrigens Emiliana", stellte ich mich vor, da mir zum ersten Mal im Leben die Worte fehlten. "Das weiß ich", stellte er ohne jegliche Emotionen klar. In Anbetracht der Tatsache, dass er ermordet wurde, wollte ich ihm seine mürrische Art nicht übel nehmen.

Milan stand vom Bett auf und hockte sich an meinen Schminktisch. Der Spiegel zeigte ihn nicht. Er wandte sich vom Glas ab, ganz so als wäre es ihm peinlich. "Ich habe den Deal gebrochen. Tut mir leid", entschuldigte er sich. Seine Stimme, so sanft sie auch klang, triefte vor Schmerz. Ein Schmerz, der meiner Seele kleine Nadelstiche verpasste.

"Wieso hast du ihn gebrochen?", sprach ich leise, um meine Freunde nicht zu wecken. Seine Finger fuhren durch sein seidig glattes Haar. "Weil du lebst und ich nicht."

"Weil ich Dinge machen kann, die du nicht mehr kannst?", bohrte ich weiter. "Das Leben schließt mich aus, selbst dieser scheiß Spiegel. Ich kann ihn sehen, aber er zeigt mir nur den Mittelfinger. Wenn ich in diesem Haus alleine bin, dann weiß ich das ich tot bin und es nichts mehr gibt. Ich akzeptiere es. Nur wenn ihr Touristen kommt und Spaß haben wollt, dann werde ich gezwungen dabei zu sein. Und welche Rolle nehme ich ein? Die des ewig Ausgeschlossenen."

Mein schlechtes Gewissen brachte mich um, auch wenn ich nichts Werferliches getan hatte. "Würde es dir besser gehen, wenn wir morgen abreisen? Das Haus gehört jetzt mir. Ich werde nicht zulassen, dass erneut Leute hier rein kommen und deinen Frieden stören." Darauf entwich ihm ein sarkastisches Lachen. "Frieden? Das ist eine schreckliche Bezeichnung für das hier", spuckte er verächtlich aus, während er sich kurz in dem Raum umschaute.

"Meinst du es gibt einen Grund dafür, dass du hier gefangen bist?" Keiner wusste doch so wirklich, was nach dem Tod kam, doch wenn es so endete, dann fürchtete ich mich jemals zu sterben. Er zuckte nur mit den Schultern. Ich massierte meine Schläfen, um diesem Teufelskreis zu entkommen. Meine Lider sanken zusammen, doch anstatt eine Lösung vor mir zu sehen, löschte das Schwarz all meine Hoffnungen.

Als ich meine Augen wieder öffnete, erschrak ich. Milan saß wieder an meiner Seite, viel näher als zuvor. Ich fragte mich, ob meine anderen Sinne auch an ihm versagen würden. Konnte ich ihn berühren? Es hatte was von Fernsehen. Er stellte lediglich ein bewegliches Bild dar, welches fern ab existierte, welches ich niemals spüren, riechen, oder begreifen könnte.

Die Iriden ohne Musterung zogen mich in ihre braunen Tiefen, ein Meer aus zartbitter Schokolade.
"Du bist die erste, die mich sehen kann. Vielleicht kennst du die Antwort."

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