𝐗𝐕𝐈 𝐅𝐚𝐥𝐬𝐜𝐡

...𝐢𝐧𝐭𝐞𝐫𝐩𝐫𝐞𝐭𝐢𝐞𝐫𝐭

"Meinst du das ernst?" Nelio blieb stehen. "Ja, außer du willst nicht. Das wäre auch absolut okay für mich." Ich erhob meine Arme in Unschuld. Er kam noch einen Schritt näher, so dass meine Hände auf seiner Brust landeten. Seine eisernen Iriden durchbohrten mich, hielten mich an Ort und Stelle gefangen und ich hätte nach Luft ringen müssen, doch ich konnte nicht. Der Mann vor mir besaß Zauberkräfte mit denen er die Zeit anhielt und gleichzeitig den Rest der Welt verschwinden ließ.

Nelio näherte sich in Zeitlupe meinen Lippen und es kostete mich alle Kraft nicht an Milan zu denken. Deswegen schnellte ich hervor und vernichtete den Abstand. Vielleicht zu stürmisch trafen meine Lippen auf seine. Er nahm dem Kuss die Geschwindigkeit und wiegte mich mit seiner Zärtlichkeit in Sicherheit. Seine Arme lagen so sanft um meinen Rücken, als wäre ich aus empfindlichem Porzellan. Dann löste er sich und alles was blieb war der Geschmack seines süßen Vanilleeises auf meinen Lippen.

Eine Weile sahen wir uns gegenseitig an. Ich wusste nicht, was er dachte, doch ich suchte die richtige Entscheidung in seinen wunderschönen Augen. Seine Nähe erinnerte mich daran wie es war, unbeschwert glücklich zu sein.

"Du bist wunderschön", flüsterte er kaum hörbar. Mir stieg schlagartig das Blut in den Kopf. Ich lachte peinlich berührt auf und schlug ihm gegen die Schulter, was ihm wiederum sein tiefes Lachen entlockte. "Du Klischee-Italiener", neckte ich ihn, worauf er spaßeshalber einen Schmollmund formte.

Hand in Hand schlenderten wir den Berg zu meinem Haus hinauf. Jetzt, wo ich ihm meine Adresse verraten hatte, tauschten wir noch Nummern aus. Mit der Gewissheit den Kontakt nie endgültig zu verlieren, ging es mir gleich besser.

Zu meinem Glück saßen Frieda und Theo auf der Terrasse, die direkt an der Straße lag. Sie schoben sich gegenseitig irgendwelche Süßigkeiten in den Mund. Vermutlich deren Ausbeute von der Shoppingtour. Überrascht blickten sie auf uns hinab, wobei unsere verflochtenen Finger das interessanteste an uns zu sein schienen. "Na ihr ekelerregenden Turteltauben." In Theos Stimme fand ich Schalk, doch keineswegs böse Absichten, was mich ehrlich erleichterte.

"Ich bleibe heute bei Nelio", informierte ich die beiden kurz. "Bleibt anständig", rief Frieda uns zu, indessen Theo nur den mickrigen Versuch eines Pfiffes vorführte. Aber allesamt machten den Eindruck als würden sie sich für mich freuen. Deswegen hob ich den Mittelfinger, allerdings mit einem vor Freude strahlenden Gesicht.

Ein Weinglas schlitterte über den Tisch und zersplitterte in tausenden von Teilen auf dem Boden. Keiner außer mir hatte es gesehen. Frieda und Theo stritten sofort, wer der tollpatschige Übeltäter war, doch ich wusste es besser.

Wieso tat er mir das an? Und ich wusste, er fragte sich selbiges über mich. Sekunden stand ich da, wie angewurzelt. Wir wussten doch beide, was unser Herz nicht verstand. Die Distanz zwischen den Welten, zwischen Leben und Tod würde uns zerreißen.

Nelio verfestigte seinen Griff und ich ging mit ihm. Er hätte genauso gut eine Gummipuppe neben sich herschleifen können, denn in meinem Inneren breitete sich pure Leere aus.
"Vielleicht werden sie mich ja doch noch mögen", sprach Nelio und wirkte dabei sehr zuversichtlich. Diese Zuversicht hätte ich gebraucht.

Irgendwann schloss er die Tür einer Erdgeschosswohnung auf. Ich hatte nicht auf den Weg geachtet, also hätte ich wahrscheinlich auch nicht zurück gefunden. Seine Ferienunterkunft und die Strandpromenade trennte nur eine Straße, die stetig von Autos befahren wurde.

Hier drinnen duftete es verstärkt nach Sandelholz und Vanille. Nelios Parfum. "Willst du darüber reden?" Er brachte mich zurück in das Geschehen. Erst jetzt realisierte ich, dass ich in fremden vier Wänden mit einem mir kaum bekannten Mann steckte. "Ich renne wieder davon, kann nie länger als fünf Minuten an einem Ort bleiben und brauche Distanz dringender als die Luft zum atmen." Er legte seine Arme schützend um meinen kleinen Körper. "Aus der Distanz lassen sich Dinge besser erkennen", gab Nelio mir den Tipp meine Schwäche in eine Stärke umzuwandeln. Und doch war dies nicht der richtige Ort, um über Milan nachzudenken.

"Wenn du willst, bringe ich dich zurück. Selbst wenn es mitten in der Nacht ist." Er lehnte sich zurück, um mich anschauen zu können. Dabei schob er mir die verirrten Strähnen zu beiden Seiten, hinter die Ohren. Ich hatte so lange gehofft, so einem Mann zu begegnen, fürsorglich, aufmerksam und liebevoll. "Das wird nicht nötig sein", wisperte ich und schmiegte mich eng an seine breite Brust. Vielleicht kannte ich seine Wohnung nicht, doch ihn schon.

Ich küsste ihn wieder, weil es mir vorhin geholfen hatte. Seine Fingerspitzen schoben sich leicht unter mein Shirt, sodass ich seine warme Haut direkt an meinem Rücken spürte. Genau dort begann ein Lauffeuer, dass sich meinem ganzen Körper bemächtigte. Meine Zunge streichelte über seine weichen Lippen, worauf er kurz zusammen zuckte. Es legte einen Schalter um. Er öffnete seinen Mund, gewährte mir Einlass. Mittlerweile bedeckten seine Händflächen den gesamten unteren Teil meines Rückens. So nah und doch nicht nah genug. Die natürliche Hitze Kroatiens sorgte dafür, dass sich unsere verschwitzten Körper aneinanderen rieben. Es funktionierte. Für mich gab es in diesem Moment nur Nelio.

Zumindest bis sich seine Erregung gegen meinen Unterleib drückte. Da brachen alle Brücken zum Paradies und ich stürzte in meine Unsicherheit. Ich wusste nicht, ob er es selbst auch mitbekommen hatte, aber spätestens nachdem ich einen großen Schritt rückwärts ging, musste er es ahnen.

Sein Blick eines verlorenen Welpens tötete mich. Meine geschwollenen Lippen trennten sich, doch mein Gehirn versagte in seiner Aufgabe, Worte aneinander zu reihen.

"Habe ich...etwas falsch gemacht?", zögerte er die Frage heraus, die in seinem Inneren sicher schmerzlich brannte. "Ich kann das nicht", gab ich zu. "Tut mir leid, Emiliana. Ich hätte es langs..." -"Du hast nichts falsch gemacht", unterbrach ich ihn, weil ich seinen niedergeschlagenen Ausdruck nicht weiter ertragen konnte. "Es tut mir trotzdem irgendwie leid", wiederholte er. In seinen Augen erlosch der Glanz. Eigentlich wich er meinen Augen sogar gänzlich aus. Stattdessen rieb er seinen Nacken und wandte sich von mir ab.

Na toll. Ich hatte soeben einen weiteren Ort erschaffen, der so schwer auf mir wog, dass er mich genauso gut unter die Erde drücken könnte und eine weitere Person, deren Anwesenheit ich nicht ertrug.

Als ich dachte der Abend sei gelaufen, weil Nelio auf den Balkon geflüchtet war, setzte ich mich auf die Couch im dunklen Wohnzimmer. Nelio trat einige Male wieder herein. Erst holte er sein Notebook, dann Schüsseln. Aus Neugierde stand ich auf und ging ebenfalls hinaus.

Der Balkon, der knapp über dem Boden schwebte, leuchtete im sanften Licht der Kerzen. Durch einen großen Olivenbaum wurden wir vor Gaffern von der Straße geschützt. Da lag eine ausgebreitete Decke auf dem Ecksofa und der Laptop lief auf dem Tisch davor. Rundherum standen allerlei Snacks verteilt auf die verschiedenen Schüsseln. "Lust auf ein bisschen Netflix?" Er lief gerade wieder hinaus, direkt an mir vorbei, Getränke und Gläser im Schlepptau. Er gab nicht einfach auf, oder begab sich zum Schmollen in eine Ecke. Ich bewunderte seine Stärke. Seine stets motivierte Persönlichkeit knickte nie ein.

Nelio machte es sich bereits gemütlich und ich schlüpfte zögerlich unter seine Decke. Auch wenn andere mich als selbstbewusst beschrieben, so verunsicherte mich alles, was ich nicht kontrollieren konnte. Ich konnte Nelios Temperament nicht kontrollieren. Das bereitete mir Angst.

Ich konnte mein Herz nicht kontrollieren, wenn ich bei Milan war. Das verängstigte mich noch viel mehr.

Mit diesem Gedanken driftete ich erneut ab. Wir hatten uns auf Peaky Blinders geeinigt, doch Nelio verfolgte als einziger das Geschehen. Mein Herz tat weh, wegen eines anderen Mannes, doch ich suchte Halt bei diesem, der gerade seinen Arm schützend um mich legte. Das Schuldgefühl knabberte sich durch meine Eingeweide. Ich nutzte Nelio nur aus, weil ich sonst fallen würde.

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