3. Kapitel
Die Wochen verstrichen und die großen Sommerferien kamen. Während die Meisten die zwei Monate über irgendwohin, in den Urlaub führen, blieb Samira Zuhause. Selbst Karina fuhr mit ihren Eltern weg. Dabei hatte sie Samira sogar gefragt, ob sie mitfahren wolle. Doch Samira hatte nur höflich abgelehnt.
Samira konnte nicht riskieren, dass jemand für eine längere Zeit ganz in ihre Nähe war. Sie musste unbedingt ihr Geheimnis schützen. Doch, dem war Samira sich sicher, irgendwann würde sie früher oder später doch dahinterkommen. Trotzdem war ihr später lieber, als früher.
Die Zeit verging schließlich doch noch und Karina kam nach fünf Wochen wieder. Somit blieben den beiden Mädchen noch gut drei Wochen, wo sie etwas unternehmen konnten. Karina zeigte Samira in dieser Zeit ausgiebig den Ort. Einige Tage verbrachten sie am See, einige im Park und wieder andere in Freizeitorten. Manchmal gingen die beiden aber auch einfach nur durch die Straßen und erzählten sich gegenseitig Geschichten.
Schlussendlich gingen die Sommerferien jedoch schließlich zu Ende. Dabei fühlten sie sich, wie bei allen Ferien, viel zu kurz an.
Als sich alle am zehnten September wiedertrafen, hatte sich natürlich jeder von den Ferien zu erzählen.
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Die ersten Wochen des neuen Schuljahres verstrichen. In jeder Woche hielt ein Team seine Präsentation über Aternis. Soweit Samira es mitbekommen hatte, waren die Themen das Essen dort, die Tiere, die Pflanzen, die Landschaft, die Architektur, der Zustand, die Umwelt, die Kultur, die Freizeitaktivitäten, die Königshäuser, die Technologie, die Medizin, die Geschichte, die Religion und der Handel.
An dem rauen Oktobermorgen drückte Karina Samira die Zettel für die Präsentation in die Hand. „Zur Sicherheit.", meinte sie. „Damit du weißt, wo wir gerade sind." Trotz allem verlangte sie, dass Samira auch mitsprach und Karina nicht alles allein machen musste.
Gleich am Morgen hatten sie Atrisch. Frau Kyriaki trat vor und bat Samira und Karina vor, um ihren Vortrag zu halten.
Auf einmal fühlte sich Samira stocksteif. Ihre Beine waren blanker Wackelpudding. Jedoch zwang sie sich, Karina nach vorne zu folgen und sich nichts anmerken zu lassen. Wie gut nur, dass sie an die pattischen Aberglauben nicht glaubte. Denn wie immer musste ihr Freund, das Schicksal, diese Präsentation genau auf einen Freitag des dreizehnten Tages des Monats legen.
Vor dem Unterricht hatte Samira sich die Zettel einmal durchgelesen, so dass sie wusste, dass sie als erstes mit einer Einführung mit einer allgemeinen Erklärung begann.
„Wie wir schon allesamt aus den anderen Präsentationen gehört haben, ist unsere Technologie in Aternis nicht so fortschrittlich, wie hier in Patia. Das liegt jedoch nicht daran, dass wir es nicht können. Können tun wir sehr wohl. Es liegt daran, dass unser Land auf die Traditionen großen Wert legt.", begann Samira. „Damit können wir uns dort ja nicht mit solchen Dingen beschäftigen, wie ihr hier. Computer, Handys... Das gibt es drüben alles nicht. Stattdessen beschäftigen wir und mit Musik und Kunst und ... Sport." Samira hielt kurz inne. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte eine Erinnerung in sich auf. Aber sie rappelte sich schnell wieder auf und fuhr unbeirrt fort: „Während es in Patia keine einheitliche Religion und Glaubensrichtungen gibt, existieren in Aternis fünf Götter, welches das Volk unterworfen ist. Aber von unserem Feuergott Josasis, der Wassergöttin Avissa, dem Erd- und Naturgott Yuval, dem Luftgott Naseem und der Friedensgöttin Mirembe, die unser Volk und unser Land behüten, habt ihr ja schon letzte Woche gehört. Wenn man das alles so hört, denkt man: ‚Was haben unsere beiden Länder dann bitte miteinander zu tun? Immerhin weisen sie so viele Unterschiede zueinander auf und doch nennt man sie Schwesterländer?' Ja, in der Tat. Aber doch gibt es eine Brücke zwischen Aternis und Patia. Und zwar der Handel." Samira fixierte die Filshias-Zwillinge und sah sie intensiv an. „Doch das hatten wir ja auch schon bereits gehört. Und möchte auch nicht vorgreifen und sagen, wie einzigartig unsere Medizin oder wie wunderschön unsere Landschaft ist. Deshalb kommen wir jetzt zu unserem eigentlichen Thema: Und zwar die ... Königshäuser."
„Ganz genau!", löste Karina sie ab. „So wie wir Adelsfamilien aus unserer Geschichte oder Büchern kennen, so gibt es sie in Aternis noch immer. Fürsten, Herzoge, Grafen, und so weiter. Jedoch stehen der Kaiser und seine Familie an oberste Stelle. „Denn während bei uns eine Demokratie herrscht, so besteht in Aternis noch immer eine Diktatur." Karina erzählte alles mit so einer Leidenschaft, dass Samira staunte. Aber Karina und alle in diesem Raum waren auch nur Schüler. Sie kannten nicht das wahre Leben hinter den Mauern, in Aternis. Aber niemand außerhalb kannte dies. Die Atner waren ein starkes und stolzes Volk. Und es achtete sehr genau darauf, dass die dunklen Geheimnisse des Landes nicht an die Öffentlichkeit gerieten.
Während Karina die ganzen Details erzählte und erklärte hörte Samira eigentlich gar nicht mehr wirklich zu. Sie stand einfach nur lächelnd da, so wie man es ihr von klein auf beigebracht hatte.
Schließlich wurde sie von Frau Kyriakis Stimme aus ihrer Trance gerissen. „Was hältst du von diesem Thema? Immerhin warst du damals ja noch dabei gewesen."
Samira wusste, wovon sie sprach. Jedoch wollte sie darüber nicht sprechen. Sie spürte, wie sich ein großer Kloß in ihrem Hals bildete. Aber sie musste sprechen! Also räusperte sie sich und erwiderte: „Es ... ist sehr bedrückend. Damals, wie auch heute." Samira spürte, wie ihr Tränen in die Augen schossen. Aber sie versuchte sie wegzublinzeln, ehe jemand noch etwas davon mitbekam. „Der Verlust des Kaisers und der Kaiserin war für das ganze Volk ein großer Schlag gewesen..."
Frau Kyriaki nickte und notierte sich etwas.
„Aber im Mai – ich glaube es war der achtundzwanzigste, oder so – wurde nun auch die Prinzessin zu ihrem sechzehnten Geburtstag gekrönt.", machte Karina weiter. „Sie ist nun seit über vier Jahren endlich die nächste Kaiserin.
Samira hätte fast laut aufgelacht. Zum Glück konnte sie sich noch zurückhalten. In ihrem Inneren tobte die Wut. Am liebsten wäre sie schon dreimal aus dem Klassenzimmer gestürmt. Allerdings hätte sie das dann schlussendlich erklären müssen. Und dazu hatte sie wirklich nicht die Kraft und die Erklärung, um das zu tun. Also versuchte sie irgendwie ruhig zu bleiben. Einfach ein und wieder ausatmen.
„Gibt es ein Problem?", zischte Karina ihr unbemerkt zu. „Los, dann sag es doch einfach! Du bist doch so eine Expertin!"
Samira sah sie nur verständnislos an. Warum war sie entzürt? Was hatte sie falsch gemacht? Doch Samira blieb vor der Klasse stumm.
Karina wandte sich mit einem Lächeln wieder an die Klasse, als sie schließlich die erlösenden Worte sagte: „Das wars. Vielen Dank, für eure Aufmerksamkeit!"
Sowie Karina zu Ende gesprochen hatte, stürmte Samira auch hinaus. Sie hörte sich noch nicht einmal Frau Kyriakis Bewertung an. Sie musste einfach raus.
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Nach etwa zehn Minuten nachdem Samira hinausgeflohen war, erreichte Karina sie endlich.
„Was ist denn los?", fragte sie.
Samira drehte sich zu ihr um. Karinas rote Haare wippten noch ein wenig von ihrem Eilschritt.
„Es ist ...", setzte sie an, entschied sich allerdings schließlich doch noch für eine andere Wortwahl. „... kompliziert. ... nicht so einfach."
„Ach so ist das also, ja?" Karina hörte selbst, wie ihre Stimme lauter wurde. „Denkst du, es war für mich einfach, die ganzen Monate über die Informationen über Aternis herauszusuchen? Weißt du eigentlich, wie schwer es ist, an Informationen überhaupt zu gelangen? Stattdessen hättest du ganz einfach etwas dazusteuern können! Wir wären in vielleicht zwei Stunden fertiggewesen, oder so. Genauso, wie du hier gerade ganz frei heraus, ganz improvisativ die Einleitung gemacht hast. Du hättest locker weiterreden können – und es wäre besser gewesen, als das, was ich da geschwafelt habe. Aber du musstest ja Prinzesschen spielen!"
Bei diesem Begriff stolperte Samira panisch einige Schritte rückwärts. Prinzesschen. Eine geisterhafte Stimme jagte durch Samiras Kopf. Sie bescherte ihr eine richtige Gänsehaut. ‚Was ist los Prinzesschen?' ‚Na? Brauchst du Hilfe, Prinzesschen?' ‚Vertrau mir, Prinzesschen!'
„Ist alles in Ordnung?" Es war Karina, die nun ganz nah vor ihr stand und sie besorgt ansah. „Und bevor du mir jetzt wieder dein typisches Es-ist-alles-in-Ordnung-und-es-besteht-kein-Grund-zur-Sorge-Lächeln aufsetzt, sage mir bitte, was wirklich los ist." Ihre Smaragdgrünen Augen leuchteten auf einmal so intensiv. Und beinahe hätte sich Samira in ihren auch verloren. Doch bevor sie etwas Falsches sagen konnte, wandte sie den Blick ab.
„Tut mir leid, Karina. Aber du solltest dich wirklich besser dort heraushalten. Auch zu deinem eigenen Wohle." Mit diesen Worten sh sie ihre Freundin noch einmal an, um unmissverständlich klar zu machen, wie ernst sie ihre Worte meinte. Danach nahm sie Karinas Hand und drückte sie fest. Dabei zeigte sie ihr ein sanftes Lächeln. „Komm. Lass uns wieder rein gehen. Die nächste Stunde müsste gleich beginnen."
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