16. Kapitel
Am nächsten Tag traf sich die Klasse wieder, wie immer, nach dem Frühstück. Es war bereits der fünfte Tag in Aternis. Somit war schon die Hälfte der Zeit ihres Aufenthalts in Silvermont verstrichen.
Gemeinsam machte sich die Gruppe auf den Weg zum Kaiserpalast, den man schon von hier aus gut erkennen konnte. Die großen Türme erhoben sich über die Dächer der Häuser hinweg, sodass man schon von weiter Entfernung die Pracht des Palastes erkennen konnte.
Dies verstärkte sich nur umso mehr, je näher sie kamen.
Alle bestaunten dieses beeindruckende Bauwerk mit großen Augen. Samira allerdings bekehrte der Anblick nur eine Gänsehaut. Sie konnte verstehen, weshalb ihre Mitschüler so dermaßen fasziniert von dem Anblick waren. Immerhin gab es soetwas in Patia nicht wirklich. Wenn überhaupt nur noch einige wenige alte Adelshäuser der Geschichte, die fast schon in sich zusammenfielen. Dazu wurden sie auch gleich noch einer echten Kaiserin vorgestellt! Samira konnte mit den anderen wirklich mitfühlen. Und es war auch nicht so, als würde sie das Schloss nicht würdigen. Denn das tat sie! Sie war schon oft hier vorbeigekommen. Und doch hegte sie nach wie vor den gleichen Respekt zu dem Schloss, wie bei ersten Mal. Es war eines der größten Wahrzeichen dieses Landes, womit Samira zahlreiche Erinnerungen verband. Gute, sowie Schlechte.
Herr Orell meldete die Klasse an und zusammen mit mehreren Wachen, die sie begleiteten, ging es schließlich in die Höhle des Löwen.
Schon die äußere Fassade sah prächtig aus, mit den weißen Wänden und den goldenen Mustern und Verzierungen. Jedoch kam es einem so vor, als strotze der Palast von Innen nur so von Reichtum und Macht.
Der Boden war mit Marmor verkleidet, genauso wie die Säulen, die vom Boden, bis zur Decke reichten. Der Weg war mit einem roten Teppich ausgelegt und an den Wänden hingen erstaunliche Kunstwerke. Was Karina allerdings auffiel war, dass erstaunlich viele Portraits von einer rothaarigen jungen Frau in den Fluren hingen. Mag dies wohl die Kaiserin sein? Allerdings sah sie auf den Bildern alles andere als freundlich aus. Eher erweckte sie den Eindruck von kälte, gefürchtet oder über allem stehend.
Karina bekam, während sie durch das Schloss liefen und die Bilder ansahen mit, wie Samira immer wieder kurz traurig schaute, bevor sie sich wieder zusammenriss und wieder ihre ausdruckslose Miene aufsetzte. Karina wollte ihre Freundin schon fragen was los ist, entschied sich allerding dazu, heute Abend nochmal darauf zurückzukommen. Sie hatte bemerkt, dass Samira dort am gesprächigsten war.
Die Gruppe kam vor einer riesigen goldenen Flügeltür zum Stehen.
Auf der Tür eine junge Frau abgebildet – welche nicht die, wie auf den Portraits war – von der auf jeder Seite ein Drache war.
Samira beugte sich zu Karina und flüsterte: „Das ist Aleshia. Sie ist sozusagen unsere Gründerin und Erschafferin Aternis."
Nun kam ein blonder Junger Mann an und bat um Aufmerksamkeit. „Njarr Mongrarr!", grüßte er. Guten Tag! „Einige kennen mich ja schon vom Stadtrundgang von vor zwei Tagen. Für alle, zu denen das nicht zutrifft: Hallo, ich bin Noan." Er winkte allen kurz zu. „Bevor ihr dort hinein geht", er deutete auf die Tür hinter sich, „möchte ich euch noch einige Sachen mitgeben. Also: Ihr stellt euch bitte, wenn ihr hinein geht in eine Reihe auf. Ihr sagt keinen Muchs, es sei denn ihr werdet von der Kaiserin direkt angesprochen. Wenn ihr angesprochen werdet, antwortet ihr ordentlich und verständlich und verbeugt euch anschließend. Beim hinein- und hinausgehen wird ebenfalls eine Verbeugung erwartet."
„Und was ist, wenn wir die Regeln nicht befolgen?", kam es aus der Menge. Karina hätte schwören können, dass es Zynthia war. Allerdings stand diese nicht weit von ihr selbst bei ihrem Bruder und sah Noan nur mit verträumtem Blick an.
Noans Blick richtete sich ruckartig zu Jenem, der diese Frage gestellt hatte und fixierte diese Person. Wer das war, konnte Karina nicht richtig erkennen. Sie sah lediglich einen schwarzen Haarschopf. „Das würde ich mir an deiner Stelle lieber nicht überlegen! Ich sage euch die ganzen Sachen nicht, weil ich dazu aufgefordert wurde. Glaub mir, ich habe weißgott genug zu tun, als dass ich gerne meine Zeit vergeude! Ich tue dies, weil ich euch warnen möchte!" Damit drehte er sich um und nickte den Wachen an der Tür zu, welche die schweren Türen öffneten.
Nach Noans Rat hin, stellten sich alle gerade in eine Reihe.
„Ich verkünde", rief eine Stimme in dem Saal, nachdem die Tür wieder geschlossen wurde. „die Schüler aus Patia."
Sowohl die Schüler, als auch die beiden Lehrer verbeugten sich vor der Kaiserin, die auf ihrem Thron saß und alles genaustens begutachtete, jeden nach der Reihe nach. Schließlich blieb ihr Blick an Samira hängen, die zuletzt in der Reihe stand. Die Augen der Kaiserin weiteten sich.
Schließlich erhob sie sich und kam langsam auf die Klasse zu. Wie ein Raubtier, das sich ihrer Beute näherte. Es war still. Niemand wagte es, etwas zu sagen. Allein die Schritte der Kaiserin erfüllten den Saal mit Geräuschen. Schließlich blieb sie sie stehen – etwa fünf Meter vor den Besuchern.
„Mein Name ist Kaylin. Ich bin hier die Kaiserin Aternis. Aber das dürftet ihr bereits wissen." Jedes einzelne ihrer Worte klang Klingenscharf. „Ich möchte eines zu allererst klarmachen: Solange ihr hier in meinem Reich seid, befolgt ihr auch meine Regeln! Bei Gesetzesbrüchen, folgen die gleichen Strafen! Ist das klar?"
Frau Kyriaki machte einen Knicks. „Jawohl, Eure Majestät"
Die Kaiserin nickte zufrieden. Danach richtete sich ihr Blick wieder ruckartig auf Samira. Kaylin kam auf sie zu. Näher. Und näher. Und noch näher. So weit, bis sie schließlich direkt vor ihr stand.
„Wie ist dein Name?", forderte die Kaiserin zu wissen.
Samira zuckte mit keiner Wimper, als sie log: „Karina, Eure Majestät."
„Sicher?"
„Aber natürlich, Majestät! Es ist der Name, den Meine Eltern ihrem Kind schon immer geben wollten."
„Soso" Es schien so, als wolle die Kaiserin Samira mit ihrem Blick regelrecht erdolchen. Jedoch hielt Samira dem Blick stand.
„Du siehst jemandem, den ich kenne, ziemlich ähnlich!" Kaylins Worte hallten von den Wänden wider und hinterließen eine eisige Kälte in Samiras Innerem.
Samira machte einen Knicks. „Das freut mich zu hören. Es ist mir eine wahnsinnige Ehre, dass ich einer Bekannten Eurer Majestät ähnle. Aber glaubt mir, mein Zuhause ist in Patia, in der Stadt Kruerno." Emines Heimatstadt war die erste, welche ihr gerade spontan einfiel. „Allerdings könnten einige Merkmale meiner Urururururgroßtante, die Attin war, für die Ähnlichkeit sorgen." Allerdings konnte Samira an Kaylins Gesicht ablesen, dass sie noch immer nicht überzeugt war. Somit gab es nur noch einen Ausweg, wo sich Samira allerdings gewünscht hatte, sie müsse ihn nicht einschlagen. Samira kniete sich vor Kaylin hin. „Ich bin sehr geschmeichelt, dass ich jemanden ähnle, den Ihr kennt. Allerdings bin ich nur ein ganz normales Mädchen, welches das Glück hatte, nach Aternis, dem wundervollen Land zu reisen."
Auf Kaylins Gesicht machte sich nun ein breites Grinsen breit.
Samira atmete erleichtert auf, als sie wieder hochkam.
Danach war das Treffen beendet und die Klasse wurde von den Wachen wieder hinausgeleitet.
Samira und Karina hielten sich hinten. Als schließlich die nächste Abbiegung kam und die Wachen gerade nicht auf die beiden achteten, schlich Samira sich weg und zog Karina mit fort.
„Was machst du?", fragte das rothaarige Mädchen.
„Ehrlich gesagt weiß ich das auch nicht so recht.", antwortete Samira ihr, als sie um die Ecke lugte, ob die Luft rein war. „Komm!" Damit begann ihre Geistertour durch den Palast. Es ging Treppauf, Treppab, nach links, nach rechts, endlose Flure entlang, noch mehr Treppen, einige kurvige Flure und unzählige Hallen und Zimmertüren. Dabei hatte Karina schon bei höchstens der dritten Abbiegung die Orientierung verloren. Wie bekam Samira das nur hin? Kannte sie sich hier aus? Hatte sie, oder ihre Eltern hier einmal gearbeitet?
Samira wollte schon weiter gehen, als sie plötzlich Stimmen hörte.
Leise schlich sie sich zu einer der Türen. Diese stand zufälligerweise einen Spalt weit offen, sodass Samira das Gespräch verfolgen konnte.
Samira war überrascht, als sie Noan in dem Zimmer erblickte. Wer die andere Person war, konnte sie noch nicht erkennen, da sie im Schatten und mit dem Rücken zu Noan und Samiras Blickwinkel stand.
„Nun beantwortete mir eine Frage!"
Samira zog scharf die Luft ein. Diese Stimme würde sie aus Tausenden wiedererkennen. Diese Schärfe eiserner Klingen, vermischt mit der Kälte ewigen Eises und den leichten Akzent. Kaylin!
„Wie kommt es, dass ich ganz plötzlich über eines der Bilder stolpere, die eigentlich schon vor Monaten hätten verbrannt oder zerstört werden sollen?" Mit einem Ruck drehte Kaylin sich nun um und blickte Noan düster an.
Noan zuckte mit keiner Wimper. „Ich werde sie niemals zerstören!", brachte er hervor. Mit zusammengebissenen Zähnen schloss er noch an: „Und das weißt du auch!"
„Tja, das ist aber ein Befehl!" Kaylins Stimme wurde immer lauter, bis sie nicht weniger, als ein schreien war.
Noan verbeugte sich vor seiner Kaiserin und wandte sich zum Gehen.
Schnell huschte Samira von der Tür weg. Karina machte es ihr gleich, die anscheinend ebenfalls mitgehört hatte.
Noan kam aus dem Raum heraus und schloss die Tür hinter sich. Danach drehte er sich in die entgegengesetzte Richtung, in der Samira und Karina standen, womit er die beiden nicht sah. Seine Schritte hallten auf dem kalten Boden wider.
Doch mit einem Mal wurden seine Schritte langsamer und er blieb schließlich stehen. Langsam drehte er sich um. Er sah den Mädchen direkt in die Augen, bevor er fragte: „Was macht ihr hier?"
Der Kälte in seiner Stimme versetzte Samira einen Stich ins Herz. Selbst seine Minzgrünen Augen, die identisch mit denen von Nian waren, wirkten viel blasser, als früher. Damals hatten sie nur so von Wärme gestrahlt. Was war nur passiert?
„Wir haben uns wohl irgendwie verlaufen.", antwortete Samira schnell. „Wir beide gehören der Schulklasse aus Patia an."
Noans Gesicht hellte sich auf und er setzte ein Lächeln auf. „Na dann folgt mir mal."
Die Mädchen taten gesagtes.
„Wo sind eigentlich die ganzen anderen Bilder?", fragte Samira möglichst beiläufig, als sie gerade an einer ganzen Reihe Portraits vorbeikamen.
Noan warf Samira einen Seitenblick zu. „Ich versteh nicht ganz. Es sind doch alle da!" Er deutete nach links, wo sich die Gemälde befanden.
Samira bedachte Noan mit einem Lächeln. „Du weißt ganz genau, was ich meine, Noan! Die Gemälde wurden ausgetauscht!"
„Dann nehme ich an, dass Du schon einmal hier warst?"
„So ist es." Samira nickte.
Noan seufzte tief. „Hör zu, Mädchen. Alles, was hier im Palast abläuft, unterliegt der höchsten Geheimhaltung. Ich kann nicht jedem Dahergelaufenem irgendwelche Geheimnisse verraten!"
„Würdest du es denn tun?"
Bei dieser Frage blieb er plötzlich abrupt stehen und sah Samira irritiert an. Doch er raffte sich schnell wieder zusammen und ging weiter. „So, da wären wir dann.", meinte er, als sie am großen Palasttor ankamen, wo Herr Orell sie eingewiesen hatte. „Ich denke, den Rest, bis zu eurem Apartment findet ihr alleine?"
Karina nickte. „Danke."
Doch bevor Samira Noan wieder gehen ließ, nahm sie seine Hand, beugte sich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich verstehe das. Einige Geheimnisse muss man eben bewahren. Allerdings sollten sie die Einschränkungen auch wert sein!" Mit diesen Worten ließ die Noan schließlich los und verschwand zusammen mit Karina hinter der Palastmauer.
Noan stand da, als hätte er einen Geist gesehen. Vielleicht hatte er das auch. Irgendwas an diesem Mädchen war ... sonderbar. Er sah seine Hand an, wo das Mädchen ihn gefasst hatte und fuhr über die Stelle. Was war das für ein Kribbeln in seiner Magengrube?
Er warf den Kopf in den Nacken und überlegte. Hatte er sich etwa neu verliebt? Aber könnte er seine lange Liebe jemals loslassen?
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