Kapitel 14 - Grosses Theater
Die Sonne schien durch die hohen Fenster des Theatersaals.
Frau Lautner hatte uns erneut im Halbkreis gesammelt, diesmal allerdings um ein Klavier, das normalerweise in der Ecke verstaubte. Ich hatte nicht gewusst, dass unsere Lehrerin spielen konnte, doch nun stellte sie sich neben den Hocker und schaute begeistert in die Runde.
„Also gut! Heute werden wir die Lieder gemeinsam durchgehen. Ich habe euch die Noten mitgebracht und wir werden sie uns gleich noch anhören. Danach möchte ich die Solos üben und wenn uns dann noch Zeit bleibt, sprechen wir das Theaterstück einmal als Ganzes durch. Sonst verschieben wir das auf nächsten Freitag."
Ich starrte sie an, als sie einen Stapel Blätter durch die Reihen gab.
Sie wollte das Theater komplett durchspielen?
Nein, oder?
In der letzten Stunde hatte ich mir überlegt, was ich zu Nia sagen sollte und war zu keinem Ergebnis gekommen.
Zumindest zu keinem, das mich nicht in eine Ecke gedrängt zurückgelassen hätte, weil ich zugeben musste, dass ich mir in den letzten Tagen Sorgen um ihn gemacht hatte.
Ich war noch immer verstimmt wegen des Zwists, den wir noch nicht beigelegt hatten, aber ein kleiner Teil von mir hatte angenommen, dass wir beim Proben reden könnten und so hatte ich mich nach der letzten Stunde in eine Nische zurückgezogen und so getan, als würde ich mich nur für meine Musik interessieren.
Nia war von allen Seiten belagert worden und wie schon vermutet, versuchten sie ihn über die letzten Tage auszuquetschen.
Er war den Fragen allerdings ausgewichen und hatte gesagt, dass er nicht über seine Abwesenheit sprechen wolle, was ihm eine ganze Menge Ooohs und Aaahs einbrachte.
Ich hatte meine kümmerlichen Notizen hervorgekramt und versucht, sie aus meiner Erinnerung heraus zu vervollständigen, was mir nicht wirklich gelang, weil ein paar der Mädchen bei Nia auf Tuchfühlung gehen wollten, um ihr 'Mitgefühl' auszudrücken und ihr Gackern mich ständig aus meinen Gedanken riss.
Ich hätte fast mein Zeug zusammengepackt und wäre gegangen, aber Nia wich den grapschenden Händen geschickt aus und seltsamerweise legte sich das komische Gefühl in meinem Magen daraufhin.
Die Fragerei ging mir aber dennoch auf die Nerven. Besonders, als sie wissen wollten, ob er etwas mit Janine am Laufen habe.
Interessierten die sich überhaupt für Nia und wie es ihm ging?
Oder wollten sie nur wissen, ob sie noch eine Chance bei ihm hatten?
Genau so hatte es nämlich geklungen, als eine von ihnen gurrte: „Würdest du denn heute schon etwas mit mir unternehmen wollen?" und eine andere ihn anhimmelte mit einem: „Du siehst aber gut aus, Nia", das zuerst so klang, als hätte sie sich Sorgen um seine Gesundheit gemacht, bevor sie es mit einem gehauchten: „Sehr gut", ruinierte.
Es war nichts auch nur annähernd Einfühlsames mit dabei gewesen und obwohl ich natürlich wusste, dass niemand in seiner Familie gestorben war oder einen Unfall gehabt hatte, hätte es doch sehr wohl sein können und dann musste man sich bestimmt nicht so ranschmeissen.
Es schien diesen Harpyien aber nur um sich selbst zu gehen und das machte mich gallig.
Nia hingegen schien es nicht zu kümmern, dass sie kein Taktgefühl besassen, denn er hatte alles mit einem Lachen quittiert.
Nun lehnte er an einem der Seitentische und ich verzog grimmig den Mund.
Hatte er Frau Lautners Bemerkung nicht mitbekommen?
Störte es ihn gar nicht, dass wir gleich unter allen Augen als Hendrick und Lisbeth zusammenrücken und über unsere Gefühle sprechen mussten?
Dass wir keinen Moment ausserhalb des Rampenlichts haben würden?
War die Sache zwischen uns für ihn erledigt?
Und wieso war es mir so wichtig, einen Moment mit ihm alleine zu haben? Ich schluckte, als ich die letzten Tage im Geiste noch einmal durchging und sich immer stärker herauskristallisierte, dass ich im Grunde nur wissen wollte, wie es ihm ging.
Ich wollte ihm in die Augen schauen und sehen, dass er die Wahrheit sprach, wenn er sagte, dass er sich erholt hatte. Dass alles in Ordnung war, auch zwischen uns, denn ich wollte nicht, dass da dieses beklemmende Gefühl bestehen blieb.
Aber darüber hinaus wollte ich auch wissen, was in ihm vorging.
Es ging mir nicht mehr nur darum, ein Rätsel zu lösen.
Er hatte mir einen Teil seiner wahren Gedanken gezeigt und ich wollte mehr davon sehen.
Selbst wenn ich es am Ende bereuen sollte.
Ich nahm meine Notenblätter entgegen und überflog die Seiten.
„Die Lieder sind in der Reihenfolge der Szenen aufgeführt", sagte Frau Lautner, „aber ich möchte mit den kleineren Rollen beginnen und im Anschluss die Hauptrollen anschauen, da Hendrick mehrere davon anstimmen soll und Lisbeth mit ihrem Solo das Ende einläutet."
Nein, dachte ich, als ich das hörte. Ich sollte das Theaterstück beenden?
Mit wachsender Besorgnis las ich mir die Anmerkungen zu meinem Solo durch.
Lisbeths stumme Szenen waren deshalb so schön, weil sie sich am Rand des Geschehens hielt und zuhörte, bis alle gegangen waren.
Sie trat leise heran und ging unbemerkt davon – zumindest für die Protagonisten auf der Bühne.
Für das Publikum stand sie als schweigende Figur da und stach erst am Ende durch ihr Gespräch mit Hendrick heraus.
Hendrick hätte dann einen Monolog darüber gehalten, wie er aus der ganzen Misere gelernt hatte, in sich hineinzuhorchen und seiner eigenen Stimme zu vertrauen. Dann wäre er dem 'Horizont' entgegen gegangen.
Nun hingegen würde Lisbeth in der letzten Szene ein Lied über ihre verlorene Liebe anstimmen und dann dem Chor übergeben, der schliesslich verstummte, um Hendrick die letzte Strophe singen zu lassen.
Ich mochte diese Version und es war angemessen, dass unser Stück mit Hendricks Stimme ausklang, aber Lisbeth sang zwei Strophen ganz alleine und das machte mich nervös.
Frau Lautner, die unterdessen einen CD-Player herangeschleppt hatte, erzählte etwas zu den Melodien, die sie als simpel bezeichnete.
Ich ging meinen Text durch und blieb an Formulierungen hängen wie: 'bis zum bitt'ren Ende, blieb mein Herz dir treu ...' und 'wenn meine Tränen trocknen, träum ich von ...'
So viele Bs und Ts.
Was, wenn ich es ganz am Schluss noch vergeigte? Alles in den letzten Minuten noch den Bach runterginge?
Meine Augen huschten über die vielen Zeilen und entdeckten ein Problem nach dem anderen. Doch noch ehe ich mich in meiner Angst über diese Stolperfallen verlieren konnte, wurden meine Gedanken von einer lauten Stimme unterbrochen.
„Was?"
Sämtliche Schüler drehten sich zu Nia um.
„Singen?!", sagte er perplex. „Seit wann singen wir?"
Ein gutmütiges Lachen ging durch den Raum, als man sich über ihn lustig machte, weil er das nicht mitbekommen hatte und einer seiner Freunde schlug ihm auf die Schultern und krakeelte: „Da steht ein Klavier, Alter!", was für einen weiteren Heiterkeitsausbruch sorgte.
Sogar Frau Lautner musste schmunzeln.
„Guten Morgen dann, Nia", sagte und legte eine CD in den Player ein. „Auch schon wach?"
Nia grinste.
Es war möglich, dass er beim letzten Mal rumgeblödelt hatte, als unsere Lehrerin die Sache mit dem Musical erwähnte und natürlich verdiente das unseren Spott, aber als Frau Lautner den ersten Song abspielte, behielt ich Nia im Blick, denn sein Grinsen war alles andere als fröhlich gewesen.
Es konnte sein, dass ich mich irrte, aber seine lockere Art war einer angespannten Haltung gewichen und er zog immer wieder am Lederband um seinen Hals, als wäre es ihm zu eng. Er schaute immer wieder zum Klavier und er umklammerte den Anhänger, als ob er sich daran festhalten müsste, als ob ...
Und dann verstand ich mit einem Mal, was ich bisher übersehen hatte.
Es war ein Tick.
Ein nervöser Tick.
Die Art, wie er sein linkes Handgelenk manchmal umschlossen hielt und über die dünnen Lederbänder strich. Sein breites Grinsen, wenn er von den Mädels in die Ecke gedrängt wurde und wie er sich dann über den Nacken rieb, oder an dem kleinen Anhänger um seinen Hals spielte, was ich zuvor als Flirten interpretiert hatte.
Nichts davon war eine zufällige Geste.
Oder handelte es sich vielleicht um eine lästige Angewohnheit? Interpretierte ich zu viel hinein?
Ich erinnerte mich an eine Therapiestunde, in der dieses Thema angesprochen wurde und nun runzelte ich die Stirn, als ich Nia beobachtete und sah, wie er das Band malträtierte.
Ich hatte als kleines Kind oft mit den Füssen gezappelt oder ein Stück Papier wieder und wieder gefaltet, bis man es mir aus den Händen nahm.
Ich hatte etwas gebraucht, an dem ich mich festkrallen konnte. Etwas, um die überschüssige Energie loszuwerden ... um mich zu beruhigen.
Frau Lautner klatschte in die Hände und trällerte: „Na, dann wollen wir mal!"
Sie sass nun am Klavier und bat den ersten Schüler nach vorne.
Ich bekam nur am Rande mit, dass die anderen unterdessen das Lied des Bauern durchgelesen hatten, der von Björn gespielt wurde und direkt nach Cecilias einleitendem Solo an die Reihe käme.
Nun maulte er vor sich hin, aber ich hatte keinerlei Mitleid mit ihm, denn er musste nach seinem ersten Auftritt nur noch einmal in der Mitte des Stückes mitlästern, wenn die Dorfgemeinschaft am Markttag über Hendrick und Cecilia herzog.
Frau Lautner spielte energisch auf dem Klavier, und es dauerte nicht lange, bis wir alle Mühe hatten, unser Lachen zu unterdrücken. Björns Gesangstalent liess zu wünschen übrig, und das hohe Kieksen in seiner Stimme machte alles nur noch schlimmer, so dass er schliesslich mit knallroter Birne dem nächsten Platz machte.
Bald war der Saal in ausgelassener Stimmung, und Frau Lautner gab einen Ratschlag nach dem anderen, um die Sänger zu ermutigen.
Bei manchen Tönen zuckten wir zusammen oder zogen Grimassen, aber die meisten hielten sich mit ihren Bemerkungen zurück – vor allem die Schüler, die noch an die Reihe kommen würden und selbst nicht ausgelacht werden wollten.
Nach den ersten drei Solos schaute ich unauffällig zu Nia hinüber und wunderte mich, ob er überhaupt etwas mitbekam von dem Geplänkel um ihn herum. Er tat so, als wäre er ganz vom Songtext eingenommen, aber er schlug die Seite nicht um, als es weiterging.
Ich fragte mich, ob er vielleicht doch nur in Gedanken versunken war, doch dann schaute er hoch und mein Atem stockte.
Nia war gestresst.
Mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich ihn beobachtete. Er zog an den Armbändern, als wollte er sie lösen und er war merklich blasser geworden.
Was war los mit ihm?
Kämpfte er gegen eine Panikattacke an?
Konnte er vielleicht auch nicht singen?
Und war die Furcht davor, sich lächerlich zu machen einer seiner Trigger?
Möglicherweise sogar der Hauptauslöser?
Ich war die fiesen Sprüche gewohnt und wusste genau, dass ich unter meinen Mitschülern kein freundliches Gesicht sehen würde, wenn ich gleich nach vorne musste, aber meine Angst würde mich wenigstens nicht dazu bringen, mich zu übergeben.
Oder in echte Atemnot zu geraten.
Sollte ich mich unauffällig durch die Menge schieben und etwas zu ihm sagen?
Nein, das wäre keine gute Idee.
Er wusste selbst am besten, wie er mit seinen Attacken umgehen musste und ich wollte mich nicht in etwas einmischen, von dem ich keine Ahnung hatte.
Noch dazu, wo ich ihn das letzte Mal schon verärgert hatte.
Und so zwang ich mich dazu, wegzuschauen.
Eine Freundin von Meret quäkte sich gerade durch ein Lied, aber der Qual wurde schnell ein Ende gesetzt und unsere Lehrerin winkte sie weg.
„Schauen wir mal", sagte sie.
Ich blätterte weiter und ein kaltes Gefühl legte sich in meine Magengrube.
Nur noch zwei Seiten trennten mich von meinem Solo und davor würde Hendrick singen.
Natalie, welche die Rolle der Cecilia bekommen hatte, war als nächstes an der Reihe und sie machte es nicht einmal so schlecht, auch wenn sie sich wohl für eine Opernsängerin hielt, so wie sie mit den Händen fuchtelte.
Die letzten Töne verklangen nur allzu schnell und dann sagte Frau Lautner: „Nia!"
Es dauerte einen Moment und die Anspannung in mir wuchs, aber dann schob sich Nia an seinen Freunden vorbei und stellte sich in die Mitte des Halbkreises.
Ich wollte gar nicht hinsehen, aber ich konnte nicht anders.
Frau Lautner schlug die ersten Töne an und alle hielten gebannt die Luft an.
Doch als Nias Einsatz kam, blieb er stumm.
Frau Lautner brach ab. „Ist dir klar, wann du einsetzen musst?"
Er nickte langsam.
Sie spielte erneut an und mein Magen schmerzte, als sie zu der Stelle kam, an der Nia singen sollte und er einen halben Takt zu früh begann.
Ein Lachen ging durch den Saal, aber es traute sich keiner zu spotten, denn eines war klar, als unsere Lehrerin mit einem nachsichtigen Lächeln erneut in die Tasten haute: Nia konnte singen.
Ein Flüstern ging durch die Reihen und ich starrte ihn aus grossen Augen an.
Seine Stimme war in einer ganz anderen Liga als unsere und wären die Umstände nicht so schrecklich gewesen, dann hätte ich ihm den ganzen Nachmittag über zuhören können.
Nur leider wusste er mittendrin nicht mehr, wie es weiterging und Frau Lautner musste zum dritten Mal unterbrechen.
Das Johlen der Jungs und Kichern der Mädchen drehte mir den Magen um.
Frau Lautner bat um Ruhe. „Das passiert schonmal!", sagte sie. „Keine Sorge, du hast eine hervorragende Stimme, wir müssen nur noch etwas an deinem Gehör für Musik feilen."
Etwas dunkles wanderte über Nias Gesicht, als sie das sagte und ich konnte sehen, dass er keine Lust mehr hatte, aber er biss die Zähne zusammen, als sie ihn dazu drängte, nochmals zu beginnen.
Ich war unterdessen so nervös, als stünde ich selbst da vorne und meine Fingernägel gruben sich in meine Handflächen.
Komm schon, dachte ich. Du schaffst das!
Doch Nia verpasste auch diesmal seinen Einsatz und nun zeigten sich überall verwirrte Gesichter. Ein paar amüsierte Sprüche gingen durch den Raum und ich betete innerlich, dass Nia sich sammeln konnte.
Ein Grinsen von ihm hätte wahrscheinlich gereicht und wir hätten alle mit ihm zusammen über das Missgeschick gelacht, aber er schien komplett neben sich zu stehen und mir wurde beinahe schlecht, als ich sah, wie seine Hand zitterte.
Frau Lautner bellte: „Nochmal!" und ich konnte förmlich die Spannung in der Luft spüren.
Oh mein Gott, konnte sie mal von ihm ablassen?
Nia war unterdessen so weiss wie ein Leintuch und ich wäre am liebsten dazwischen gegangen, aber ich konnte nur tatenlos mit ansehen, wie sie von vorne begann.
Sämtliche Schüler zuckten zusammen, als Nia in der zweiten Strophe im Ton verrutschte und nun ging ein Lachen durch den Saal, das mich langsam aber sicher sauer machte.
„Seid bitte still!", sagte Frau Lautner. „Das wird schon noch klappen!", fügte sie an Nia gewandt hinzu, aber es war offensichtlich, dass sie sich damit selbst Mut zusprach.
„Du spielst die Hauptrolle und bist zu diesem Zeitpunkt alleine mit Antonia auf der Bühne, daher kann sonst keiner für dich einspringen. Aber uns bleibt ja Zeit, also üben wir es noch ein letztes Mal!"
Nein, verdammt!, wollte ich schreien.
Sie schlug in die Tasten und mein Herz hämmerte gegen meine Rippen.
Ich wollte Nia aus dem Raum zerren und einen Ort finden, an dem wir alleine sein konnten. Einen Ort, an dem er durchatmen konnte und dann ... dann ...
Meine ungestümen Gedanken wurden unterbrochen, als Nia sein Blatt hinlegte und unsere Lehrerin stumm anstarrte.
Sie hielt inne. „Nia?"
„Nein."
Sie blinzelte verwirrt. „Was?"
„Ich singe nicht."
„Du singst nicht?"
„Ich singe nicht!"
„Aber es gehört zum Stück, wir können nicht einfach–"
„Ich weiss nicht, wieso ich mich wiederholen muss", sagte Nia und sein Gesicht nahm einen solch finsteren Ausdruck an, dass die Leute um mich herum ihn nicht nur aus purem Schock über seine Worte anstarrten.
Etwas an seiner Betonung war merkwürdig, doch noch ehe ich darüber nachdenken konnte, was er damit meinen könnte, gab er dem Klavierdeckel einen Schubs, so dass unsere Lehrerin die Hände zurückziehen musste.
„Ich singe nicht, förstått?"
„Nia", entkam es ihr mit einem nervösen Lachen. „Ich muss doch sehr bitten!"
„Nein, müssen Sie nicht."
Ich sog zischend die Luft ein. Oh oh.
„Bleib bitte anständig", versuchte Frau Lautner die Situation zu retten. „Ich verstehe, dass es nicht ganz einfach ist, vor allen anderen ein Lied zu singen und du musst es weder heute noch bei der Aufführung ohne Probleme hinbekommen, denn am Ende ist es immer noch ein Schultheater und kein Broadway-Stück. Aber du bist ein Teil dieser Klasse und gerade in der Hauptrolle können wir da keine Abstriche machen. Und auch wenn das bedeutet, dass wir etwas mehr Zeit investieren müssen, um–"
„Sie reden zu viel."
Geschockte Stille herrschte und ich hatte das Gefühl, dass die Hälfte meiner Mitschüler kurz davor war in Ohnmacht zu fallen.
Frau Lautner war käsig geworden um die Nase. „Bitte?"
„Sie haben mich schon verstanden."
„Das ist ... was fällt dir ein?!", stammelte Frau Lautner. „Ich weiss nicht, wieso du dich in meiner Klasse so benimmst, aber ich habe dir schon beim letzten Mal gesagt, dass ich solch ein Verhalten nicht dulde! Dieses Theaterstück ist uns allen wichtig und–"
Nia schnaubte.
„Ihr Theaterstück interessiert mich einen Scheiss."
Oh. mein. Gott.
Die Lippen unserer Lehrerin wurden zu einem dünnen Strich. „Ich möchte im Gang mit dir sprechen!", presste sie heraus. „Sofort!"
Und damit packte sie ihre Unterlagen und wies ihn an, zur Tür hinaus zu gehen, was er zum allgemeinen Erstaunen auch tatsächlich tat.
Die Tür knallte hinter ihnen zu und in der eintretenden Stille schauten sich alle verunsichert an.
***
Es dauerte eine schiere Ewigkeit, aber als unsere Lehrerin wieder in den Saal marschierte, lag ein strenger Zug um ihren Mund und ein banges Gefühl breitete sich in meiner Brust aus.
„Es gibt eine Planänderung!", sagte sie, als wir uns um sie versammelten. „Da ich mich mit Nia nicht einigen konnte, habe ich beschlossen, dass er bei den zukünftigen Proben nicht mehr dabei sein wird!"
Sie erstickte die aufkommenden Fragen im Keim und in meiner Brust setzte sich ein banges Gefühl fest.
„Ich bin nicht gewillt, solche Respektlosigkeiten hinzunehmen, ohne dass es Konsequenzen nach sich zieht", fuhr sie fort. „Und deshalb werden wir die Besetzung ändern. Björn, könntest du dir vorstellen, Hendrick zu spielen?"
Sprachlos starrte ich sie an.
Frau Lautner nahm die Liste mit den eingetragenen Namen hervor, die sie beim letzten Mal erstellt hatte und fing an, mit dem Bleistift darin herum zu kritzeln.
Keiner wagte es zu widersprechen, als sie einen nach dem anderen durchstrich und einen anderen Part hinschrieb.
Es dauerte nicht lange und dann scheuchte sie uns auch schon zur Bühne. Ich rieb meine schweissigen Handflächen zusammen, doch als ich den anderen folgen wollte, wurde ich zurückgehalten.
Frau Lautner lächelte gewinnbringend, doch es erreichte nicht ihre Augen und ich die leere Stelle in ihrer Liste sah, dämmerte mir langsam , was sie von mir wollte.
„Da uns eine Rolle fehlt und du nur ein paar Zeilen sprechen musst, wirst du sicherlich verstehen, wenn ich dich darum bitte, etwas mehr zu übernehmen", sagte sie. „Ich weiss, dass das schwierig werden könnte, aber die anderen sind schon zugeteilt."
„W-w-w-w-was?"
„Antonia, es tut mir leid, aber die zweite Marktfrau wäre noch offen und weil sie sich nirgendwo mit Lisbeth überschneidet, wärst du die geeignete Besetzung. Ausserdem können wir wunderbar mit den Kostümen arbeiten, da es sich um eine alte Dame handelt."
Ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich.
„A-aber Li-lisbeth ist ebenfalls e-eine Hauptrolle, w-w-w-w-w-w-w-w–"
„Ich weiss, aber uns bleibt nichts anderes übrig. Okay?"
Ich fühlte mich schlecht, weil ich ablehnen wollte, aber die Marktfrau hatte einen langen Monolog über ihren schweren Arbeitstag und sprach danach mit Hendrick über sein Liebesleben. Hendrick, der nun nicht mehr von Nia gespielt wurde.
Mein Blick ging zur Bühne, wo die Mädchen herumheulten, weil sie Nia zurückhaben wollten und Björn wegschubsten, der ihnen die Arme um die Schultern legen wollte und grölte: „Jetzt bekommt ihr mich. Upgrade baby!".
Sein schmieriger Blick ging durch den Raum und blieb an mir hängen.
„Freu mich schon", formten seine Lippen.
Oh Gott, nein.
Ich wollte meine Szenen nicht mit ihm spielen.
Ich wollte mich nicht bei ihm anlehnen und in sein Gesicht hoch schauen.
Und am allerwenigsten wollte ich, dass er mich anfasste.
„Nein", sagte ich und machte einen Schritt zurück. „B-B-B-B-B-B-Bitte, Frau Lautner, ich–"
Aber sie hatte mich schon eingetragen und hörte gar nicht mehr zu.
„Also dann, hoch zu den anderen", sagte sie und ging davon. Die Angst packte mich, als ich daran dachte, dass ich Björn gleich meine ewige Freundschaft schwören musste, während seine widerlichen Finger sich in meine Taille gruben.
Nein, dachte ich. Nein!
„Nein!", schrie ich und rannte unserer Lehrerin hinterher, um die Sache irgendwie zu retten, doch in meiner Hast übersah ich das Kabel des CD-Players und blieb daran hängen.
Ein Schrei entkam mir, als ich gegen den Klavierhocker stolperte und dabei sämtliche Bühnenskizzen herunterriss. Hinter mir krachte der Player mit einem lauten Poltern zu Boden, so dass die CD heraussprang und über den Boden schepperte.
Frau Lautner fuhr herum und ihre Kinnlade klappte herunter, als sie mich keuchend im Blätterchaos stehen sah.
Die empörten Gesichter meiner Mitschüler starrten mich von der Bühne herunter an und als ich denselben Ausdruck in den Augen unserer Lehrerin erkannte, wurde mir mit Schrecken bewusst, dass es so aussehen musste, als hätte ich das Zeug mit Absicht hinuntergefegt.
„Das kann doch wohl nicht wahr sein!", donnerte Frau Lautner da auch schon.
Erschrocken schüttelte ich den Kopf. „Das w-w-w-w-w-w–"
war ein Versehen.
„Wolltest du nicht? Sag mal, bin ich heute im Irrenhaus gelandet?!"
„I-Ich wollte n-n-n-n-n–"
nichts runterwefen. Ich wollte nicht respektlos sein!
„Du wolltest nur die Rolle nicht? Dann kann man das doch sagen, anstatt herumzuschreien und Vandale zu betreiben, oder nicht?"
„D-d-d-d-d–"
Das wollte ich doch nicht!
Doch Frau Lautners Laune war schon zu übel und nach Nias Ausbruch schien sie nur noch das Schlechteste annehmen zu wollen, denn sie würgte mich mit einer Handbewegung ab.
„Geh bitte raus, Antonia!"
Ihr unerbittlicher Blick liess keine weiteren Argumente zu und so gab ich nach und schlich wie eine getretene Katze zur Tür hinaus.
Hinter mir hörte ich einen der Schüler blöken: „Alle Nias drehen durch!"
Draussen sank ich gegen die Tür und atmete ein paar Sekunden durch, bevor ich mich abstiess und den Gang hinunter schaute. Gegenüber hatte Frau Lorenz ihr Klassenzimmer und ich wollte nicht von ihr beim Herumlungern erwischt werden.
Also peilte ich stattdessen die Gestalt an, die sich in der Nähe der Seitentür niedergelassen hatte.
In mir rang leise Enttäuschung über die Anschuldigung meiner Lehrerin mit der Erleichterung darüber, nicht mehr im Raum zu sein und als wäre das nicht schon genug, mischten sich nun noch ganz andere Gefühle ein.
Nia hatte sich gegen die Wand gelehnt, die Unterarme lässig auf den Knien und sein Gesicht hatte wieder eine normale Farbe angenommen.
Er schaute hoch, als ich neben ihm stehen blieb.
„Du auch?"
Ich schnaubte und sagte unwirsch. „Ja, ich auch."
Etwas in mir wollte ihm ankreiden, dass er unsere Lehrerin so wütend gemacht hatte, aber sie hätte ihn auch nicht wieder und wieder zum Singen zwingen sollen, und auch wenn ich mich darüber wunderte, wie seine Panikattacke so leicht in Zorn hatte umschlagen können, war es doch mehr als logisch, dass seine Geduld irgendwann ihr Ende erreichte.
Dennoch sagte ich: „Ha-hast du auch nur die g-g-g-g-g-geringste Ahnung, w-was du angerichtet hast?"
„Ich war hier draussen, also ..."
Ich bedachte ihn mit einem grimmigen Seitenblick und rutschte an der Wand hinunter.
„Schon gut", sagte er versöhnlich. „Was ist passiert?"
Ich vergrub die Hände in den Haaren und schaute an die Decke hoch. Ich musste mich sammeln, bevor ich sprechen konnte. „Sie ha-hat die Rollen anders vert-t-t–"
Er sagte nichts und das gab mir den Mut, fortzufahren.
„Vert-t-teilt", quetschte ich heraus. „Ich sollte mehr T-t-text übernehmen und rate mal, wer d-d-d-d-d-d-deine Rolle be-bekommen hat! Björn!"
„Autsch."
Ich fuhr zu ihm herum, weil ich nicht glauben konnte, dass er das so salopp sagte, aber dann fiel mein Blick auf die Lederbänder um sein Handgelenk und ich spürte, wie mein Herz sich zusammenzog.
Sie waren so abgenutzt.
Ich sank in mich zusammen. Müde lehnte ich mich gegen die Wand und als er sich ebenfalls zu mir umdrehte, waren wir plötzlich ziemlich nahe beieinander.
Ich schaute hoch in seine ernsten Augen und wusste, dass ich wegrücken sollte, aber ich tat es nicht.
„Es war nicht meine Absicht, dir das Leben schwer zu machen", murmelte Nia und mein schlechtes Gewissen begann sich zu melden.
Er konnte nichts dafür, dass Björn so ein Schwein war und mir schon beim Gedanken an ihn die Galle hochstieg.
„Also hast du gesagt, dass du nicht mehr mitspielst?" Nias fragendes Gesicht brachte mein Herz dazu, lauter zu schlagen, denn im Grunde war es nicht nur Björn, mit dem ich ein Problem hatte.
Ich wollte die Szenen mit Nia spielen und mit keinem sonst.
Aber das würde ich ihm bestimmt nicht verraten.
„Ich habe Frau Lautner verärgert", sagte ich stattdessen.
Er lächelte. „Du hast hoffentlich nicht behauptet, dass dich ihr Theaterstück einen Scheiss interessiert, oder? Ich habe gehört, dass man das nicht tun sollte."
Nun musste ich selbst lächeln. Das hatte ihm Frau Lautner bestimmt sehr deutlich gemacht, als sie mit ihm alleine geredet hatte.
„N-Natürlich nicht", sagte ich. „Ich b-b-b-b-bin doch nicht v-v-verrückt."
Er grinste bei meinem Seitenhieb und sagte: „Also?"
„Also was?"
„Was hast du gemacht?"
Ich verzog das Gesicht. „Ich h-habe den St-St-St-Stapel auf dem Hocker runtergeworfen."
Er hob die Augenbrauen. „Wie ist dir das denn passiert?"
Die Frage kam so unerwartet, dass ich ihn verwundert musterte.
„Wie?"
„Na, du hast das doch sicher nicht extra gemacht."
Ich schluckte schwer.
Er war nicht mal dabei gewesen und ging dennoch keinen Augenblick davon aus, ich könnte es mit Absicht getan haben.
Die Erkenntnis, dass er es besser wusste, als all die Idioten im Theatersaal, die mich schon seit Jahren kannten, grub sich als warmes Gefühl in meinen Magen und liess mein Herz schneller schlagen.
„Ich ...", sagte ich und spürte, wie mir die Röte ins Gesicht kroch.
„Hm?"
„B-b-b-bin gestolpert", brummte ich.
Er schaffte es nicht ganz, sein Grinsen zu verbergen und schliesslich lachte er bei meinem bösen Blick ganz offen.
„Sorry", sagte er, bemüht um einen ernsten Ton. „Und die Lautner dachte wirklich, das wäre Absicht gewesen?"
„Ich bin hier, oder nicht?"
„Unglaublich."
Eine Weile versanken wir beide in unseren eigenen Gedanken, aber dann fasste ich mir ein Herz und stellte die Frage, die mich schon länger beschäftigte.
„Geht es dir gut? Ich m-meine, nach den l-l-l-letzten Tagen."
Er rückte ein Stück von mir weg.
„Klar."
„N-nein", entgegnete ich und das Herz rutschte mir in die Hose, als sein Gesicht sich langsam verschloss.
„So meine ich das n-n-n-n-nicht. Ich meine g-g-g-geht es dir gut, Nia?" Ich legte all meine Ernsthaftigkeit in diese Worte und diesmal schienen sie anzukommen.
Er musterte mich aus dem Augenwinkel.
„Es geht schon."
„W-Wirklich? Du hast l-länger gefehlt und ..."
Ich traute mich nicht den Satz zu beenden. Hauptsächlich, weil ich nicht wusste, wie ich ausdrücken sollte, wie es mir dabei gegangen war, ohne ihm gleich zu sagen, dass ich bis spät in die Nacht immer wieder an ihn gedacht hatte.
Er schaute den Gang hinunter, als wollte er gar nichts mehr hören und ich schwieg.
Doch dann sagte er mit einem Mal: „Wieso hast du es nicht rumerzählt?"
„Was?" Ich stockte und erst als er mich wieder anschaute, sagte ich leise: „Das g-g-g-g-geht keinen etwas an."
Der misstrauische Ausdruck auf seinem Gesicht wurde für ein paar Sekunden von milder Überraschung abgelöst. Doch dann schien ihm ein Gedanke zu kommen und er runzelte die Stirn.
„Wieso warst du eigentlich nicht im Unterricht? Du hast doch bestimmt nicht geschwänzt, um dir die Waschräume der Jungs anzusehen."
Ich schüttelte den Kopf und erzählte ihm davon, wie unsere Chemielehrerin ihn vermisst hatte.
„Also hat sie dich suchen geschickt?"
„Nein." Ich zögerte. „Ich habe g-g-g-g-gesehen was passiert ist ... nach der Ohrfeige."
Er zuckte zurück. „Du hast es gesehen?"
Ich grub die Zähne in meine Unterlippe und nickte.
„Und was genau hast du da gesehen?"
„Ich glaube alles. Ich meine, d-d-d-d-du bist ge-getorkelt, und–" Ich zuckte unsicher mit einer Schulter. „Ich glaube, du h-h-hattest so eine Art At-t-t-t–" Ich holte Luft. „Attacke."
Er musterte mich lange.
„Sowas in der Art."
„Hmm", sagte ich. „So wie heute?"
Seine Augen weiteten sich und ich fragte mich, ob es ihn überraschte, dass ich es mitbekommen hatte.
Aber dann sagte er zu einem Erstaunen: „Das heute war nicht dasselbe."
„Nicht?", rutschte es mir heraus. „W-w-w-wieso nicht? Wo ist der Unterschied?"
Ich hoffte, dass er einen Unterschied zwischen starker Nervosität und einer tatsächlichen Panikattacke machte, denn wenn dem nicht so war, tappte ich erneut im Dunkeln.
Er schien in meinem Gesicht lesen zu können, wie verwirrt ich war und wie viele Fragen mir durch den Kopf schossen, denn er lehnte sich mit einem Stöhnen zurück.
"Genau deshalb bist du mir ein Dorn im Auge."
„W-wie bitte?"
„Du schaust zu genau hin", murmelte er und ich dachte wieder daran, wie er mich eine gute Beobachterin genannt hatte. Er schien auch daran zu denken, was er letzte Woche zu mir gesagt hatte und nun entkam ihm ein leises Seufzen.
„Es war nicht okay von mir, dir das beim letzten Mal vorzuhalten. Dass du mich anschaust, meine ich. Ich wollte mich nicht mit dir streiten."
Mein Herz hämmerte, als er mich musterte.
„Ich w-w-w-w-wollte mich auch nicht streiten."
Er schaute mich lange an. „Du ergibst so keinen Sinn für mich."
„Ich ergebe keinen Sinn?", rutschte es mir heraus. „Ich habe n-n-n-noch nie einen Menschen get-t-t-t-t-troffen, der so verwirrend ist, wie du! Mal bist du nett und dann w-w-w-wieder gemein."
Er senkte den Blick. „Ich möchte nicht gemein sein."
„Wieso bist du's dann?"
Er zuckte mit den Schultern.
„Grauenvolle Kindheit?", bot er an.
Ich hob die Augenbrauen.
Er grinste. „Schlechte Kinderstube?"
„Nia!"
„Okay", sagte er. „Ich habe es dir nie gesagt, aber du hast mir an meinem ersten Tag den Platz weggeschnappt."
Ich rollte mit den Augen. „Kannst du mal Ernst sein?"
„Okay", sagte er und dann senkte er die Stimme, so dass ich mich vorlehnen musste, um ihn zu verstehen.
„Ich habe bei einem Unfall beide Arme und Beine verloren und seither–"
Ich schlug ihm gegen den Oberarm und er lachte so laut, dass ich mich nicht dagegen wehren konnte, als ein breites Grinsen sich auf meinen Lippen formte.
„H-hör auf damit!"
Er lachte weiter und ich fühlte mich mit einem Mal ganz leicht. Es war schön, hier mit ihm zu sitzen und herumzualbern und hätte ich in diesem Moment die Zeit anhalten können, wäre ich sehr lange in diesem Gang geblieben.
Schliesslich erlosch Nias Grinsen aber wieder und er sagte: „Wieso willst du das eigentlich unbedingt wissen? Oder überhaupt etwas über mich?"
Verlegen schaute ich auf meine Knie hinunter. Ich wusste nicht, wie ich ihm das erklären sollte, wo ich selbst keine Antwort hatte.
Aber als ich schwieg, ohne dass Nia nachhakte und mich damit unter Druck setzte, entspannte ich mich langsam.
Die meisten Menschen hielten mein Schweigen nicht aus und dachten dann gleich, etwas wäre nicht in Ordnung, weshalb ich manchmal in kurzer Zeit Entscheidungen fällen musste, die ich hinterher bereute.
Aber mit ihm war das nie ein Problem gewesen.
Nia nahm mir meine Gedankengänge nicht weg.
Und das machte es letztlich doch noch schwer, die Frage herauszubringen, die auf mir lastete.
„Du hast mich am ersten Tag st-st-stehen lassen und seither frage ich mich, was ich dir g-g-g-getan habe." Ich schaffte es nicht, seinen Augen zu begegnen. „Ha-habe ich dich irgendwie b-b-b-b-beleidigt?"
Er räusperte sich und dann sagte er leise: „Wie denn, in so kurzer Zeit?"
Es brauchte all meinen Mut, um die nächsten Worte herauszubringen.
„Also ha-hast du mich stehen lassen, w-w-w-w-weil ich stottere?"
Ein paar Herzschläge vergingen, in denen ich mir wünschte, er würde Nein sagen.
„Ja."
Ich hatte es gewusst, aber seine Antwort fühlte sich dennoch an, als hätte er mir soeben ein Messer in den Bauch gerammt.
„O-okay." Ich schlang die Arme um meine Knie und blinzelte gegen die lästigen Tränen an, die sich in meinen Augen sammelten. „W-w-wenigstens bist du ehrlich."
„Nia", sagte er leise.
„Hm?" Ich konnte ihn nicht anschauen.
„Nia, bitte schau mich an", verlangte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. Ich konnte es aber nicht und schliesslich sagte er: „Es hat mit dir nicht viel zu tun."
Erstaunt drehte ich mich um.
„Womit dann?"
Doch noch ehe er mir eine Antwort geben konnte, öffnete sich eine Tür und Frau Lautner kam mit klackernden Schritten den Flur hinunter, so dass ich innerlich nur noch stöhnen konnte.
Das Timing dieser Frau war grauenerregend und ich hätte am liebsten meinen Frust offen gezeigt, aber stattdessen rappelte ich mich hoch und stellte mich neben Nia, dessen Gesicht nun keinerlei Regung mehr zeigte.
Frau Lautner hob zu einer Predigt über Teamwork und Integrität an und wir liessen es beide stumm über uns ergehen.
Ich wollte im Grunde nur wissen, ob ich mich nächsten Freitag doch noch mit Björn herumschlagen musste und zuckte richtiggehend zusammen, als Frau Lautner ein ums andere Mal in die Hände klatschte, um ihre Punkte zu verdeutlichen.
Aber als sie schliesslich zum Ende kam, da konnte ich schon in ihren Augen sehen, dass sie unser Betragen nicht so leicht durchgehen lassen würde. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass ihre Idee selbst nach der kürzlichen Kränkung noch so ein glückliches Gefühl in mir auslösen würde.
„K-K-K-Kulissendienst?", brach es aus mir heraus.
„Genau. Ihr werdet zusammen die Kulissen machen!", sagte sie. „Nächsten Freitag fangt ihr an."
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Okay – schon wieder ein Doppel- resp. fast schon Dreifachkapitel. Aber nach dem Warten sollt ihr auch ein bisschen was zu Lesen bekommen :)
Vielen Dank für eure Kommis und Sternchen ♥
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