Teil 24 Söhne Odins


Als Dallas und Dugan endlich zum Frühstück erschienen, trafen sie auf eine übereifrige Miss Fitzgibbons, die offenbar versucht hatte, jeden möglichen Wunsch zu erfüllen, aber nun natürlich alles länger warmhalten musste, als je zuvor. „Endlich", murrte sie leise vor sich hin. Ihr war klar, dass der Gast es nicht hören konnte, aber es war sicherlich verständlich genug für Master Dugan, der ihr immerhin einen entschuldigenden Blick zuwarf. Allerdings mehr aus Höflichkeit. So wie er sich beim ersten und nun zweiten Besuch des anderen Mannes benommen hatte, war wohl damit zu rechnen, dass gewisse Routinen oder Gewohnheiten sich ändern oder gar unberechenbar würden. Damit würde sie klarkommen müssen. Dallas wiederum stellte fest, dass es tatsächlich so etwas wie eine Routine gab. Nachdem er und Dugan gegessen hatten, bis fast nichts mehr da war, begann Miss Fitzgibbons mit einer Art Nachrichtenreport. Sie legte die gebügelte (!) Zeitung neben Dugan und berichtete von einem Unfall auf der Landstraße und einem Einbruch in der Gärtnerei des Ortes. Dugan wusste, dass dies Dallas seltsam vorkommen musste, also erklärte er ihm, dass sie nach den Wolfsnächten, wie er es nannte, die Zeitungen und Nachrichten durchsahen, um herauszufinden, ob sich irgendein Ereignis mit Dugan in Verbindung bringen ließ. Da er sich in der Regel nicht erinnerte, hoffte er jedes Mal, dass es keine besonderen Vorkommnisse gab.

„Du meinst, es könnte jemand auf die Idee kommen, einen Werwolf für den Einbruch in der Gärtnerei verantwortlich zu machen?" Dallas fand das genau genommen irgendwie witzig und grinste. Er stellte sich vor, wie der riesige schwarze Wolf ein Gewächshaus verwüstete.

Miss Fitzgibbons schaute ihn leicht entrüstet an. „Wenn der Gärtner Pfotenabdrücke in den Beeten gefunden hat, ist das in der Gegend hier schon möglich", sagte sie in vorwurfsvollem Ton.

„Das ist zu dicht am Ort", setzte Dugan hinzu. „Kein Wolf, nicht mal ich, treibt sich da herum. Aber ich werde den Mann anrufen und ihm eine Entschädigung anbieten, dann hört das Gerede auf."

Dallas schaute ihn entgeistert an. „Läuft das etwa so? Da passiert etwas und damit wieder Ruhe herrscht, zahlst du eine Entschädigung? Auch wenn du es nicht warst?"

Dugan schaute zurück, als wenn er nicht recht verstand, was Dallas daran auszusetzen hätte. „Warum denn nicht? Geld hab' ich genug und lieber meine Ruhe."

„Das ist doch nicht zu fassen..." Dallas schüttelte jetzt halb fasziniert, halb schockiert den Kopf.

Miss Fitzgibbons wiederum fand das offenbar lustig und hatte direkt noch ein weiteres Ass im Ärmel.

„Das bringt mich zu dem Anruf von Mr. Llwellyn", begann sie und schaute zu Dallas, dann zu Dugan.

„Wer ist das?", fragte Dallas ratlos.

„Der Förster", erklärte Dugan, „für den öffentlichen Forst auf der anderen Straßenseite. Was will der denn?" Er wandte sich an die Fitzgibbons.

„Nun, er sagt, da stand ein verlassener Landrover mit Londoner Kennzeichen mitten auf dem Forstweg nicht weit von hier und er hat ihn abschleppen lassen. Gleich heute Morgen."

„Oh." Dugan blickte zu Dallas und zog amüsiert eine Augenbraue hoch.

„Der war überhaupt nicht mitten auf dem Weg...", begann der, dann bemerkte er, dass Dugan zu lachen anfing und lachte mit.

„Miss Fitz, schicken Sie doch ihren Bruder, damit der den Wagen abholt", schlug Dugan vor.

Sie nickte und schien ebenfalls amüsiert. „Also bleibt Ihr Gast für längere Zeit?"

„Ja", kam es von beiden Männern wie aus einem Munde.

Dann ging sie direkt, um es ihrem Bruder mitzuteilen und ließ die beiden allein.

Dugan schien beinahe darauf gewartet zu haben. Er beugte sich über den Frühstückstisch, packte Dallas am Hinterkopf im Haar und zog ihn zu sich für einen langen Kuss. Dallas spürte gleich wieder ein Kribbeln im Bauch und erwiderte den Kuss ohne zu zögern. Diesmal war der Kuss mehr zärtlich als fordernd, was ihm nicht weniger gefiel und auch nicht weiter wunderte. Immerhin war Dugan die ganze Nacht umhergestreift. Da konnte er unmöglich noch einmal Sex wollen. Wie um ihm zu signalisieren, dass er so viel verstanden hatte, blieb Dallas auch in seinem Küssen spielerisch und reizte und knabberte mehr an Dugans Lippen. 

„Ich bin verrückt nach dir", flüsterte Dugan, „wenn ich könnte, wie ich wollte..."

Dallas grinste. „Das holen wir alles nach", versprach er und fragte sich, ob die nächste Nacht noch Vollmond sei. Dugan schien seine Gedanken zu lesen und schüttelte den Kopf.

„Nächste Nacht nicht. Es passiert nur in zwei oder höchstens drei Nächten hintereinander."

„Gibt es eine Erklärung, warum es überhaupt passiert?"

„Wohl keine, die mit rationalem oder wissenschaftlichem

 Verstand zusammenpasst."

Dallas überlegte kurz, dann beschloss er nachzuhaken. Vielleicht war das ein Grund, weshalb Dugan sich so schwer tat mit der Wahrheit. Es gab keine normale Erklärung, also gab es vielleicht eine unnormale.

„Mach es nicht so spannend. Irgendeine Erklärung musst du doch für dich selbst haben. Dein Vater, Großvater, irgendwer muss dir doch eine Erklärung gegeben haben."

Dugan schaute ihn abwägend an. Suchte er jetzt nach Worten?

„Also schön", begann er dann. „Hast du dich mal mit der Genealogie von Adelsfamilien beschäftigt?"

„Nein. Ich bin Fotograf, da beschäftigen mich andere Dinge. Was hat es damit auf sich?"

„Meine Familie ist alt. Sehr alt. Sogar noch viel älter als der ganze Kasten hier." Dugan machte eine lässig- kreisende Handbewegung, die verdeutlichte, dass er Lanark meinte.

„Was meinst du? Wie alt?" Dallas hatte wirklich keine Ahnung, worauf er hinauswollte.

„Älter als die schriftlichen Zeugnisse über uns. Älter als das Christentum in Schottland, viel älter."

Dallas zwinkerte nervös. Was hatte das zu bedeuten? Dugan bemerkte seine Nervosität, redete dann jedoch ruhig weiter. „Das älteste Erbstück hier im Haus ist ein Ulfberht Schwert aus der Wikingerzeit. Es trägt Verzierungen mit Wölfen und mein Vater hat mir anvertraut, dass dies eine Hinweis dafür ist, dass die Lanarks ihre Abstammung von Odin herleiten."

„Du meinst DEN Odin?" Dallas fand das ziemlich unglaublich, aber Dugan wirkte vollkommen ernst.

„Ich weiß von keinem anderen. Und es gibt die alten Sagas, in denen er die Gestalt wechselt. In der Völsunga Saga wird von einem Urenkel Odins berichtet, der sich wie Odin selbst in einen Wolf verwandelt. Dann auch sein Sohn und so weiter..." Dugan schaute Dallas mit seinen auffallend blau-grünen Augen eindringlich an. Er war von dem überzeugt, was er da gerade gesagt hatte. So viel stand fest.

„Du glaubst also, dass deine Familie, dass du... von diesem Gott aus der Wikingerzeit abstammst."

„Das ist noch die beste unlogische Erklärung, die ich für das habe, was regelmäßig bei Vollmond mit mir passiert. Ich meine, ich bin kein Hexenmeister oder sowas. Das hier ist nicht das verdammte Hogwarts. Es passiert, weil es immer passiert ist."

Dallas versuchte, sich das vorzustellen. Natürlich gab es Leute, die behaupteten, sie seien die Nachfahren von Merlin, dem Zauberer, der Jungfrau von Orleans oder Billy the Kid, aber das hier war noch eine Nummer härter. Ein heidnischer Gott?

„Du glaubst mir nicht?", fragte Dugan mit geflüsterter, vielleicht unsicherer Stimme. Hatte er Angst vor der Antwort?

Dallas schüttelte vehement den Kopf. „Nein, nein, ich... will dir glauben. Ich glaube dir. Es ist nur so völlig irre, was du da sagst."

„Völlig irre...?" Dugan schaute jetzt irritiert, er hielt den Atem an.

So meine ich das nicht. Du bist nicht irre. Du bist ein Werwolf. Ich hab's gesehen. Also ist das vielleicht wirklich die beste unlogische Erklärung: Du bist ein Nachkomme Odins." Wie um seinen Worten mehr Gewicht zu geben, beugte sich Dallas jetzt zu Dugan herüber, wie bei ihrem Kuss. Er strich mit den Fingern seiner Hand durch dessen rabenschwarze, wilden Locken und blickte ihm in die seltsam faszinierenden Augen. Warum sollte es nicht wahr sein? Dugan war mehr als attraktiv, er war schön, auf eine Art, die ohne weiteres auch überirdisch sein konnte.

„Ich weiß, was du denkst." Dugan fixierte ihn mit seinem Blick.

„Ich denke gerade, dass es zu dir passt."

„Ehrlich?"

„Ja, warum sollte ich lügen? Okay, ich könnte lügen, weil wir sonst nie wieder Sex haben, aber wenn ich dich richtig einschätze, hätten wir den trotzdem. Ich könnte lügen, weil es sowas nicht gibt, aber ich habe die Verwandlung gesehen. Also gibt es keinen Grund zu lügen."

Dugan begann zu lächeln. „Du hast recht. Es macht gar keinen Sinn zu lügen. Und es macht keinen Sinn, sich zu wehren."

„Oh, von wehren war überhaupt nie die Rede." Dallas hob ironisch eine Augenbraue.

„Stimmt. Du hast die Flucht ergriffen," neckte Dugan.

„Ist mir völlig unklar, wieso. Wieso sollte ich vor jemandem wie dir die Flucht ergriffen haben?", scherzte Dallas.

Dugan lachte, dann wurde er wieder ernst. „Du hast gedacht, ich treibe irgendein Spiel mit dir."

„Stimmt. Ich dachte, du machst mir was vor. Es... ging alles zu schnell."

„Nun, ich habe hier nicht gerade unzählige Gelegenheiten. Und ich wusste, dass ich dich wollte, als du mit den Jungwölfen gespielt hast."

„Da schon..."

„Ja."

„Warum ich? Du könntest jeden haben."

„Nicht jeder ist wie du."

„Gay?"

„Jemand mit Sinn für Schönheit, hoffnungslos romantisch, furchtlos, sexy, liebevoll, erfahren und verrückt genug." 

Dugan schaute ihn völlig offen an und Dallas begriff, dass das jetzt so etwas wie eine Liebeserklärung war. Damit hatte er nicht gerechnet. Okay, er war schon mit Typen zusammen gewesen, die die berüchtigten drei Worte zu ihm gesagt hatten. In dem Moment hatten sie es vielleicht auch gemeint, aber es war auf Dauer nicht viel dran gewesen. Das hier war anders. Keiner hatte Dallas jemals so gesehen oder beschrieben. 

„Du machst mich sprachlos," begann er, denn natürlich musste er jetzt etwas sagen. „Mir ist, als hättest du nach mir gerufen, als hätte uns irgendetwas zusammengeführt, als wäre ich ohne dich nicht heil gewesen. Du bist wie ein Teil von mir, der verloren war und nun hab ich dich wieder." 

Jetzt, wo er es gesagt hatte, bemerkte er, dass seine Worte beinahe spiegelbildlich zu dem passten, was Dugan gesagt hatte. Er war tatsächlich romantisch, furchtlos... Weiter kam er nicht, denn Dugan legte ihm jetzt die Hände an die Schläfen und zog ihn in einen Kuss, der nicht enden wollte. Diesmal ließ Dallas seine Augen geöffnet. Er wollte sehen, wie Dugan sich beim Küssen hingab und er wollte sich diesen Augenblick ganz genau einprägen. Dugan roch nach Birkenblüten- Shampoo und er schmeckte nach Dugan und English Breakfast Tee und sein Atem war heiß an Dallas' Lippen und er spiegelte sich in den aquamarinfarbenen Augen... Irgendwann rang Dallas nach Atem und Dugan lachte nur, weil es ihm auch so ging. Schließlich sah er Dallas an. 

„Jetzt, wo das alles geklärt ist, hätte ich dann auch eine Frage," begann er. 

„Frag, was du willst," fand Dallas großzügig. Er hätte ganz sicher keine Geheimnisse vor Dugan.

Dugan nickte. „Cool. Sag mal, wer hat dir eigentlich gesagt, dass du zu mir kommen solltest?"

Hellfire! Die Frage traf, wie es Dugans Art war, genau ins Schwarze.

Dallas zwinkerte überrascht, dann antwortete er einfach genau so ehrlich, wie die Frage war.

„Ein Typ in Inverness. Andy heißt er."

„Andy. Wie Andrew oder wie Anthony?"

Dallas hatte keine Ahnung. „Weiß nicht. Ich kenne ihn nur kurz. Er hat zwei Kater."

„Okay. Er muss klug sein."

„Das ist er. Er wusste, was mit mir los war, wegen dir."

„Dann sollte ich ihn kennenlernen und mich bedanken."

Kennenlernen und bedanken? „Das ist... eine gute Idee," gab Dallas dann zu und tatsächlich wäre es das wohl. 

„Du bist nicht eifersüchtig?", fragte er dann, nur um sicher zu gehen, dass er den anderen richtig verstand.

„Nein."

„Cool."

„Du wunderst dich."

„Nein, ich freue mich. Andere wären definitiv eifersüchtig."

„Warum? Ist mir klar, dass du was mit Typen hattest. Und es würde mich wundern, wenn die dumm wären."

„Gut. Ich meine: sehr gut. Dann solltest du ihn wirklich bald kennenlernen." 

Dallas fand die Vorstellung tatsächlich gut. Warum auch nicht? Und vielleicht sollte er mit Dugan auch nach der Frau am Fyrish Monument schauen. Immerhin hatte sie auch, genau wie Andy, Schicksal gespielt. Bei dem Gedanken fiel ihm plötzlich noch etwas Anderes ein. Seine Familie. Die Sache mit Dugan kam so schnell und unerwartet, dass er noch gar nicht daran gedacht hatte, dass seine Familie von ihm erfahren sollte. Daran hatte er zuvor bei keinem seiner Ex- Lover gedacht. Er nickte unwillkürlich, was Dugan lächelnd registrierte. 

„Was denkst du gerade?", fragte er.

„Ich denke, dass ich dich ausnahmslos jedem vorstellen sollte, der mich kennt. Ich denke, ich möchte mit dir angeben."

Dugan lachte. „Fangen wir damit an, wo wir zuletzt aufgehört haben. Ich zeige dir wo und wie ich lebe."

„Sehr gute Idee."

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