Kapitel 2 [Marcus]
Ich war nun schon seit drei Wochen auf der High School. Jesse und ich waren immer wieder aneinander geraten, im Unterricht, wenn er extra eine meiner Aussagen kritisierte, in der Cafeteria, wenn er sich einfach vor mich drängelte oder unbedingt einen dummen Spruch bringen musste, oder auch auf dem Gang, wenn er mich extra anrempelte. Ich hatte wirklich genug von ihm. Was er tat, war natürlich Provokation, wie ein Hahnenkampf. Er wollte zeigen, dass ich minderwertig war, aber ich ließ mich nicht unterkriegen. Es war ungewohnt für mich nicht zu den Beliebten zu gehören, aber ich mochte es. Meine Freunde waren toll und definitiv besser als Jesse und seine Clique.
- -
„Ich will bis vor die Osterferien von jedem Referate haben, in Partnerarbeit." Mr. Adams scannte mit strengem Blick den Kurs. „Weil es als Ersatz für die Klausur gilt, will ich auch, dass ihr euch Mühe gebt und das geht am Besten, wenn ihr es nicht mit euren besten Freunden zusammen macht."
Ein genervtes Stöhnen ging durch die Reihen und ich blickte zu Andreas, der die Augen verdrehte. Erdkunde war das einzige Fach, was wir zusammen hatten. Lucy war auch im Kurs, aber ich war froh, dass er sich neben mich gesetzt hatte und Lucy sich zu ein paar ihrer Freundinnen.
„Das ist so ein Dreck. Ich hasse den Typen. Der macht das immer", brummte er genervt und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. „Der wird auch selber die Partner einteilen, wart's ab."
Nachdem Andreas die Worte ausgesprochen hatte, wiederholte der Lehrer sie fast genauso.
„Ich werde die Partner selbstverständlich selber einteilen, damit ihr euch nicht durchmogelt."
Alle nur nicht Jesse, alle nur nicht Jesse, alle nur nicht Jesse. Das war das Einzige, was durch meinen Kopf ging. Ich wollte nicht mit dem Macho ein Referat machen müssen, da würde ich es lieber alleine machen. Am liebsten würde ich nicht einmal sein Haus betreten, also hoffentlich kam es erst gar nicht so weit.
„Marcus Rashford und Jesse Lingard."
Ich atmete tief durch, bevor ich meine Augen öffnete, die ich zuvor geschlossen hatte. Eine Notiz an mich selbst: niemals das denken, was du nicht willst, denn das wird immer passieren.
Ich suchte mit meinen Augen nach Jesses Blick, welchen ich auch abfing. Er war neutral, aber erfreut sicherlich nicht.
„Ihr haltet ein Referat über Entwicklungsländer." Der Lehrer lächelte noch, was mich innerlich zum Kotzen brachte. Wie konnte man so gemein sein und gleichzeitig noch so scheinheilig lächeln? Abartig.
Andreas wurde einem Mädchen zugeteilt, was ich nicht wirklich kannte, aber sie schien ganz nett zu sein. Immerhin hatte er mehr Glück als ich. Jeder im Raum hatte mehr Glück als ich.
„Dann findet euch jetzt schon einmal mit eurem Partner zusammen und plant doch etwas den Aufbau und wie ihr es gestaltet", meinte mein ab sofortiger Hasslehrer und klatschte in die Hände. Jesse machte keine Anstalten sich zu bewegen, also stand ich auf, lief zu ihm und klatschte meine Sachen auf seinem Tisch, bevor ich mich ihm gegenüber setzte.
„Ich kann das Referat alleine machen", murmelte ich. Jesses darauffolgende Antwort überraschte mich ziemlich.
„Nein." Entschieden schüttelte er den Kopf. „Ich will keine Noten bekommen für etwas, was ich nicht geleistet habe."
„Das ist der erste anständige Satz, den ich von dir höre." Diesen Kommentar konnte ich mir einfach nicht verkneifen, Jesse ignorierte ihn gekonnt.
„Wir treffen uns heute um 4 Uhr bei mir", entschied er. Klar. Ein ‚Hättest du heute um 4 Uhr Zeit?' wäre ja auch zu viel Freundlichkeit an einem Tag gewesen. Ich schnaubte verächtlich, bevor ich zuckersüß von mir gab: „Natürlich, Meister. Danke, dass Sie so nett gefragt haben."
Damit brachte ich ihn tatsächlich zum Schmunzeln, was aber nicht lange hielt. Er nannte mir noch seine Adresse, dann schwiegen wir uns den Rest der Stunde an. Ich war froh, als ich endlich den Raum verlassen konnte.
- -
„Und? Jesse als dein Referatpartner habe ich gehört?" Paul konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als ich mich schlecht gelaunt auf meinen Platz fallen ließ.
„Halt's Maul", fauchte ich und biss von dem Donut ab, den ich mir gekauft hatte.
„Keine Kraftausdrücke bitte." Andreas lächelte schief. „Erzähl doch mal. Wie war das Planen?"
„Tatsächlich in Ordnung. Er wollte sogar mithelfen, ob man es glaubt oder nicht." Ich biss noch ein Stück ab und hoffte, dass sie mich in Ruhe lassen würden, was sie aber natürlich nicht taten.
„Wann trefft ihr euch?", wollte Paul wissen.
„Heute um 4?Uhr bei ihm. Hat er so bestimmt. Und jetzt lasst mich in Ruhe, meine Laune ist eh schon am Tiefpunkt angelangt."
Sie beließen es tatsächlich dabei. Stattdessen machten sich Lucy und Paul über Andreas lustig, der mal wieder nur 2 Punkte in einem Mathetest geschrieben hatte.
„Ich habe doch die ganze Zeit gesagt, dass ich das Thema nicht kann!", verteidigte er sich und verschränkte, wie schon in Erdkunde, die Arme.
Ich hörte dem Gespräch nur mit halbem Ohr zu. Innerlich bereitete ich mich auf das Treffen mit Jesse vor. Wie er wohl privat war?
- -
Um kurz nach vier klingelte ich bei Jesse. Mir fiel auf, dass er in einer reicheren Gegend wohnte, was ihn mir noch unsympathischer machte. Dann aber öffnete ein kleines Mädchen die Tür und blickte mich mit großen Augen an, bevor sie nach Jesse rief, welcher kurz darauf auch zur Tür kam.
„Danke für's Aufmachen, Daisy." Er lächelte sie warm an und plötzlich war er mir ein ganzes Stück sympathischer. Dieser Jesse war ein ganz anderer Jesse als der in der Schule.
„Komm doch rein." Er öffnete mir die Tür komplett und ich trat in das wirklich luxuriöse Haus ein. „Mein Zimmer ist oben."
Ich folgte ihm in sein Zimmer und ließ mich auf das Bett nieder, auf welches er bloß deutete. Er schloss die Tür hinter uns.
„Ich habe ein paar verschiedene Plakate gekauft für das Referat. Ich mag es lieber Old School als mit Power Point oder so", meinte er verlegen und fuhr sich durch die Haare.
Ich war immer noch irritiert von seinem Verhalten, weshalb ich einfach nur resigniert nickte. Es gefiel mir, dass er so anders war. Vielleicht musste er sich hier nicht so aufspielen, weil es niemanden gab, dem er etwas beweisen musste.
„Also, wie wollen wir anfangen?", fragte er dann und schien erleichtert, als ich zu einer Antwort ansetzte.
„Vielleicht erstmal einen grundlegenden Aufbau entscheiden, wie wir es gliedern wollen und alles und dann fangen wir an mit der Recherche. Ich habe meinen Laptop extra mitgebracht."
Jesse nickte und so fingen wir an zu planen. Tatsächlich war es sogar ganz nett.
Es wurde ziemlich spät, bis wir uns auf einen Aufbau geeinigt hatten, aber zwischendurch hatten wir auch viel gelacht. Ich hatte den Jesse kennengelernt, den vermutlich auch seine Freunde kannten. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass er zu ihnen so war wie zu mir, das mochte ja niemand.
- -
„Wollen wir uns am Freitag wieder treffen?", fragte Jesse, als wir zusammen zu seiner Hautür liefen.
„Klar. Wieder um vier?"
„Klingt gut."
Für einen Moment lächelten wir uns an, dann verabschiedete ich mich schnell und lief nach Hause. Es fühlte sich gut an, nicht mehr mit ihm verfeindet zu sein. Ich hoffte bloß, dass es so bleiben würde.
- -
Ich war womöglich zu optimistisch gewesen, als ich am nächsten Tag in die Schule kam. Ich hatte gedacht, dass Jesse mich anders behandeln würde nach dem gestrigen Treffen, aber das war nicht der Fall.
„Jo, Magnus." Er sprach immer noch meinen Namen extra falsch aus. „Mir ist aufgefallen, dass du in letzter Zeit dir immer Donuts holst. Solltest lieber darauf verzichten, bist schon fett genug."
Ich setzte gerade zu einer Antwort an, aber das war es mir dann doch nicht wert, stattdessen warf ich ihm einfach einen kühlen Blick zu und setzte mich dann zu meinen Freunden.
„Lief nicht gut gestern, hm?", bemerkte Lucy direkt mitfühlend, jedoch schüttelte ich den Kopf.
„Nein, es war erschreckenderweise echt gut. Er war ein total anderer Mensch bei sich zuhause, wirklich nett." Frustriert blickte ich auf den Donut, den ich mir gekauft hatte. Jesse hatte mir jedoch den Appetit versaut. Als ich Pauls gierigen Blick bemerkte, gab ich ihm den Donut. Kurz wirkte er überrascht, dann fing er an ihn zu essen.
„Lass ihn nicht an dich heran", kommentierte Andreas mein Handeln.
„Hab keinen Hunger mehr", gab ich bloß zurück.
Was hatte ich falsch gemacht, dass er jetzt wieder so scheiße zu mir war? Und welcher Jesse war der richtige Jesse?
- -
Das Treffen am Freitag verlief wie das vorherige Treffen auch. Der Ältere war nett zu mir, wir kamen gut voran mit unserem Referat, auch wenn ich das irgendwie nicht wollte. Ich wollte mehr Zeit mit ihm verbringen, ich wollte, dass er anfing mich fair zu behandeln, auch in der Schule. Ich wollte, dass wie Freunde wurden.
Normalerweise störte es mich nicht, wenn mich jemand nicht mochte, es hatte mich auch nicht weiter bei Jesse gestört, aber sobald ich seine nette Seite kennengelernt hatte, wollte ich nicht, dass er mich so scheiße behandelte, weil ich wusste, dass er anders sein konnte. Und genau das war es, was ich ändern wollte und ich würde es schaffen. Wenn auch bis jetzt noch ohne Plan, wie ich das anstellen sollte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top