Kapitel 15 [Marcus]

Ich fuhr langsam die Straßen entlang. Es schneite sehr stark, weswegen ich extra langsam machte. Immerhin wollte ich nicht direkt nach nicht einmal zwei Monaten mein Auto zerstören.
Es war nun schon Mitte Dezember. Dele und ich waren seit fünf Monaten zusammen und seit dem Vorfall ein paar Tage nach meinem Geburtstag gingen Jesse und ich uns aus dem Weg. War wohl auch besser so, aber ich vermisste es unglaublich mit ihm zu lachen und ihm nah zu sein. Es war absurd, dass ich ihn mehr vermisste als Dele, obwohl ich ihn fünf Tage die Woche in der Schule sah.
Nun hatte ich mich dazu entschieden, übers Wochenende Dele einen Überraschungsbesuch abzustatten. Vor allem auch, um endlich mal wieder von Jesse abgelenkt zu werden.

Ich parkte mein Auto vor der Adresse, welche er mir mal gegeben hatte. Keine Ahnung, ob ich überhaupt dazu bereit war, seine Eltern kennenzulernen, aber ich brauchte einfach den Kontakt zu Dele, damit ich nicht durchdrehte.
Ich sah, wie in seinem Zimmer Licht brannte. Er hatte mir immer gesagt, dass er im einzigen Zimmer an der Straße wohnte, im zweiten Stock. Es flackerte etwas Licht, also schaute er wohl einen Film oder zockte oder so.
Ich wählte seine Nummer. Es dauerte etwas, dann ging er ran.
„Hey Marcus", meinte er atemlos. Machte er gerade Sport?
„Hey. Was machst du gerade?", wollte ich wissen und lehnte an meinem Auto.
„Ich bin bei Harry, warum?"
Bei Harry? Warum brannte dann in seinem Zimmer Licht? Oder hatte ich mich doch bei der Adresse vertan?
„Nur so. Was ist nochmal deine Adresse? Ich wollte dir mal ein Paket schicken zu Weihnachten."
„Aw, süß." Er nannte sie mir nochmal und ich schaute mich um. Ich war richtig. Langsam bekam ich ein mulmiges Gefühl im Magen. Vor allem, als ich ihn leise kichern hörte. Ich schluckte schwer.
„Dele...", flüsterte ich mit zitternder Stimme.
„Was ist, Babe?" Ich konnte deutlich ein Grinsen in seiner Stimme hören. Irgendwas lief hier gewaltig falsch.
„Warum brennt in deinem Zimmer Licht?", fragte ich.
„Was?"
„Warum brennt in deinem Zimmer Licht?" Mein Blick war auf sein Fenster gerichtet.
„Wovon redest du, Marcus?", lachte er verwirrt, aber ich konnte auch leichte Panik in seiner Stimme wahrnehmen.
„Ich stehe vor deiner Haustür, Dele. In deinem Zimmer brennt Licht."
Nun sah ich, wie er ans Fenster trat und sofort trafen sich unsere Blicke. Von hier aus konnte ich erkennen, dass er oberkörperfrei war.
„Marcus-", fing er an, jedoch unterbrach ich ihn.
„Nein, ich verstehe schon. Mach's gut, Dele." Mit diesen Worten legte ich auf und unterdrückte die Tränen. So konnte ich doch niemals zurück nach Manchester fahren. Ich blieb für einen kurzen Moment stehen, was ich sogleich bereute, da Dele aus der Haustür gerannt kam.
„Marcus! Bitte lass es mich erklären!", flehte er und kam auf mich zu.
„Nein. Ich fahre wohl lieber wieder." Ich öffnete die Tür, jedoch zog er mich zurück. Dabei landete mein Blick auf etwas an seinem Hals. Es war ein Knutschfleck.
Natürlich...er musste natürlich nichts verstecken, wenn sein Freund hunderte von Kilometern weit weg wohnte.
„Dele, es ist aus! Sag mir einfach nur: wie lange schon?", wollte ich leise wissen.
„Seit ein paar Wochen." Beschämt ließ er meinen Arm los.
„Mit wem? Kenn ich ihn oder sie?", fragte ich weiter.
„I-Ich-" Dele stockte. Das hieß dann wohl ja. Erneut schluckte ich. Ich kannte drei seiner Freunde und eigentlich wusste ich die Antwort selber schon. Ich wollte sie nur von ihm hören.
„Wer?"
„Eric", flüsterte er. „Es tut mir so Leid, Marcus. Du hast jemand besseren verdient."
Ich klatschte ihm eine. „Du hättest es einfach zugeben sollen. Das hätte mir eine Menge Leid erspart."
Dass ich dabei nicht die Situation jetzt sondern das ganze Hin und Her mit Jesse meinte, musste er ja nicht wissen. Jetzt wurde mir schlagartig bewusst, dass ich beide verloren hatte. Von zwei Leuten, die mich um sich haben wollten, war keiner mehr übrig.
„Werde glücklich mit Eric."
Mit diesen Worten stieg ich ins Auto ein und fuhr los. Meine Hände waren mittlerweile eiskalt. Ich konnte jetzt auch meine Tränen nicht mehr zurückhalten, strich sie jedoch schnell mit meinem Ärmel weg. Ich sollte mich lieber auf die Straße konzentrieren, damit ich wenigstens lebend aus der ganzen Sache rauskam.
Zitternd drückte ich auf dem Touchscreen auf Pauls Nummer. Ich musste jetzt dringend mit jemandem reden. Nach ein paar Sekunden ging er ran.
„Marcus? Ist alles okay? Bist du nicht gerade bei Dele?", wollte er sogleich wissen. Ich schniefte.
„I-Ich...ja, ich war bei ihm."
„Du warst bei ihm? Weinst du? Was ist passiert?" Man konnte deutlich die Besorgnis in seiner Stimme hören. Wie glücklich konnte ich nur sein, ihn als meinen besten Freund zu haben?

„Ich war bei ihm und wollte ihn anrufen, damit er runterkommt...u-und dann meinte er, dass er nicht zuhause ist, aber in seinem Zimmer brannte Licht. Er hat die ganze Zeit gekichert und ich hatte ein schlechtes Gefühl. E-Er hat mich betrogen, Paul. Mit Eric. Er hat immer gesagt, dass ich mir keine Sorgen wegen ihm machen müsste, aber jetzt hat er mich mit ihm betrogen! Gott, ich fühle mich so dämlich, Paul", schluchzte ich.
„Oh nein...wo bist du gerade?"
„Auf dem Weg zurück nach Manchester."
„Du fährst jetzt gerade Auto?! In diesem Zustand? Fahr links ran und beruhig dich bitte erstmal. Ich will dich lebend wiedersehen", befahl er mir und ich machte es.
„Paul...ich habe alles verkackt", flüsterte ich und lehnte meinen Kopf an das Lenkrad.
„Es ist nicht deine Schuld, dass er dich betrogen hat, Marcus. Er ist einfach ein Idiot."
„Nein, nein. Das meinte ich nicht. Ich habe den Menschen, der mich wirklich geliebt hat, verletzt und gehen lassen. Ich habe es sowasvon versaut. Ich bin der Idiot, Paul!", meinte ich verzweifelt. Es herrschte eine ganze Zeit lang stille.

„Du redest von Jesse, hm?", fragte er dann vorsichtig.
„Ja, ja verdammt! Ich rede von Jesse! Ich war so dämlich! Die ganze Zeit dachte ich, dass ich Dele über alles liebe und habe es verdrängt, dass ich die ganze Zeit nur an Jesse gedacht habe. Und erst jetzt merke ich, dass ich nur ihn will und ich habe es versaut. Warum habe ich das nicht früher bemerkt, Paul? Warum musste Dele mich dafür erst betrügen? Warum?" Ich weinte hemmungslos und hörte Paul seufzen.
„Manchmal macht man Fehler. Du musst dich bei ihm entschuldigen, Marcus. Ich bin mir sicher, dass er dir zuhören wird. Er hat sicherlich nicht einfach so aufgehört dich zu lieben. Aber erstmal muss du sicher nach Hause kommen. Schaffst du das?"
„J-Ja", sagte ich schwach und versuchte mich zusammenzureißen. Paul hatte Recht, ich musste mich bei Jesse entschuldigen. Ich hatte ihn unfair behandelt. Dafür müsste ich aber nach Manchester zurück und außerdem bei klarem Sinn sein.
Nach einer Weile startete ich den Motor erneut. „Okay...ich glaube, ich schaffe es nach Hause. W-Wir sehen uns dann spätestens Montag, ja?"
„Du kannst auch später nochmal vorbeikommen, wenn du reden willst. Oder morgen oder so."
„Nein...nein. Ich glaube ich will alleine sein."
„Okay. Ich rufe dich morgen an, okay?"
„Danke für alles. Bis dann", flüsterte ich und legte auf, machte stattdessen mein Radio an. Die Musik lenkte mich an, sodass ich mich auf den Verkehr konzentrieren konnte und relativ spät abends kam ich dann endlich zuhause an. Kraft, um meinen Eltern zu erklären, warum ich schon wieder zurück war, hatte ich trotzdem nicht. Sie würden es aber sicherlich bemerken, wenn ich nach Hause kam und dann kam ich um ein Gespräch nicht herum.
Was sollte ich jetzt tun?

Gedankenverloren stieg ich aus und lief durch Manchester. Zu Paul konnte ich nicht, er würde mich die ganze Zeit mit Mitleid überhäufen. Nach Hause sowieso nicht. Vielleicht sollte ich einfach heute draußen schlafen.

Ich lief ohne jegliches Ziel weiter, bis ich wieder zu Sinnen kam und erkannte, wo ich war. Ich stand mitten in Jesses Straße, von weitem konnte ich sein Haus erkennen. Anscheinend hatte mich mein Unterbewusstsein automatisch zu ihm gebracht, weil ich mich nach seiner Nähe sehnte. Jetzt war aber nicht wirklich der richtige Zeitpunkt, um mit ihm zu reden, zumal er mich sowieso von sich stoßen würde. Ich hatte ihn verletzt und Sachen gesagt, die unverzeihlich waren. Wäre ich an seiner Stelle, wäre ich unfassbar wütend auf mich und würde nie wieder mit mir reden wollen. Er hatte also nicht wirklich einen Grund, mich aufzumuntern, wenn ich vor seiner Tür stand und ihm erzählte, dass Dele mich betrogen hatte.

Seufzend wendete ich mich ab und lief stattdessen zu einem Park in der Nähe.

Ich ließ mich auf einer Bank nieder und starrte vor mich hin.
Konnte dieser Tag noch schlimmer werden?

Überstanden :D

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top