Chapter 98
Nachdem ich beinahe die gesamte Nacht nur geweint hatte und Kat erst am frühen Morgen eingeschlafen war, hatte ich beschlossen, spazieren zu gehen, um meinen Kopf freizukriegen. So entspannt, wie es mir momentan möglich war, lief ich durch den Jackson Square, bis ich plötzlich hinter mir eine Präsenz spürte, die mich zu verfolgen schien. Sofort drehte ich mich um, in der Erwartung, Kat zu sehen, die aufgewacht und mir gefolgt war, aber das Gesicht, in das ich blickte, sah vollkommen anders aus.
"Freya", hauchte ich fassungslos, doch bevor meine Emotionen mich in die Knie zwingen konnten, griff sie meinen Arm und beförderte uns beide mit einem Zauber in einen kleinen Raum. Ich vermutete, dass wir uns auf dem Dachboden der Kathedrale des Parks befanden, aber damit konnte ich mich nicht auseinandersetzen. Nicht, solange meine tot geglaubte Zwillingsschwester direkt vor mir stand.
"Hallo, Malina. Ich hatte nicht erwartet, dich hier zu sehen", meinte diese leise und allein beim Klang ihrer Stimme stiegen Tränen in meine Augen. Nach all der Zeit hatte ich vollkommen vergessen, wie sie geklungen hatte, aber sie jetzt zu hören, weckte unendlich viele Erinnerungen in mir.
"Ich habe heute mit unserem Vater gesprochen", fügte sie hinzu, als ich nicht sofort antwortete.
"Mikael? Er lebt auch wieder?", fragte ich fassungslos, ohne meinen Blick auch nur eine Sekunde von ihr abwenden zu können. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als sie in meine Arme zu schließen, aber irgendetwas hielt mich davon ab. Ihr Blick auf mich war so... distanziert. Als würde sie mich so überhaupt nicht mehr kennen.
"Ja, deine kleine Hexenfreundin Davina hat ihn schon vor Monaten wieder zum Leben erweckt. Hat dir niemand davon erzählt?"
"Nun ja, ich war... anderweitig beschäftigt", antwortete ich. "Ich bin nicht gerade auf dem neuesten Stand, was New Orleans angeht."
"Und doch hast du Kontakt zu unserer Familie", erwiderte sie und musterte mich genau. "Ich war überrascht, dass ich unseren Vater nicht davon überzeugen musste, dass ich wirklich existiere. Er wusste bereits über Dahlia Bescheid. Und da hat er mir erzählt, dass du ihm davon berichtet hast, als er dich vor nur wenigen Jahren gesehen hat. Dabei bin ich bisher immer davon ausgegangen, dass du dich so weit wie möglich von unserer Familie fernhältst. Du wolltest mit dem Namen Mikaelson nichts mehr zu tun haben. Was hat sich geändert?"
"Nun ja, ich habe meine Geschwister kennengelernt, eher durch einen Zufall, und dann..." Ich hielt inne, als mir etwas bewusst wurde und blickte Freya in die Augen. "Woher weißt du, dass ich mich so lange von meinen Geschwistern ferngehalten habe?", fragte ich mit belegter Stimme. "Hast du mich etwa all die Jahre beobachtet?"
"Keine Sorge, ich bin immer weit genug weggeblieben, um niemanden auf dich aufmerksam zu machen", antwortete meine Schwester, ohne auch nur den Versuch zu machen, das abzustreiten. Es fühlte sich an, als würde mein Herz in tausende Teile zerbrechen, während ich langsam einen Schritt auf sie zu ging.
"Keine Sorge?", wiederholte ich ungläubig. "Wie kannst du mir sagen, dass du mich all die Jahre lang beobachtet hast, ohne auch nur ein einziges Mal mit mir zu sprechen?"
"Wieso hätte ich mit dir sprechen sollen?", fragte Freya leichthin und verschränkte ihre Hände ineinander. "Nicht ich war es, die uns damals verlassen hat. Aber sei unbesorgt. Ich mache dir keine Vorwürfe, Malina. Ich verstehe es, warum du es tun musstest. Aber so, wie du nicht mehr bei Dahlia leben konntest, konnte auch ich es nicht mehr. Nachdem du gegangen bist, habe ich die nächste Gelegenheit genutzt und bin seitdem auf der Flucht. Ich habe nur ein einziges Mal selbst nach dir gesehen, um mich zu vergewissern, dass es dir gut ging, ansonsten habe ich mich stets von dir ferngehalten. Dahlia war immer nur wenige Schritte hinter mir, und ich hätte sie nie auf deine Spur gelockt. Ich hege keinen Groll gegen dich, Schwester."
Fassungslos blickte ich meine Schwester an, die mich so offen ansah und doch immer noch darauf bedacht war, Distanz zwischen uns aufzubauen. "Du weißt es nicht", flüsterte ich, als es mir bewusst wurde. "Du denkst, ich wäre freiwillig gegangen und hätte dich bei ihr zurückgelassen."
"Ich habe es dir gesagt, Malina. Ich mache dir keine Vorwürfe, du musst keine Entschuldigung dafür finden. Ich verstehe es, du..."
"Niemals", unterbrach ich sie fest und griff nach ihren Händen, während ich flehend in ihre Augen sah. "Niemals hätte ich dich bei Dahlia zurückgelassen, wenn ich gewusst hätte, dass du noch am Leben bist. Lass es mich erklären, ich bitte dich." Unsicher sah Freya mich an, nickte aber leicht und so holte ich tief Luft, um ihr meine Seite der Geschichte zu erzählen.
"Ich war an diesem Abend fort, um uns Vampirblut zu besorgen. Ich wollte uns verwandeln, damit Dahlia uns nicht mehr mit unserer Magie aufspüren konnte und dann mit dir fliehen. Ich hatte meines bereits getrunken und deines in einer kleinen Flasche dabei. Aber als ich bei uns angekommen bin, war ich bereits zu spät. Du hattest die Sache in deine eigenen Hände genommen. Ich habe deine Leiche gesehen, Freya, du warst tot. Dahlia stand über dir wie eine Verrückte und hat nur über mein Leid gelacht. Ich dachte, ich hätte alles verloren. Also habe ich mir ein Messer genommen und es mir in mein Herz gestoßen. Ich war mir nicht sicher, ob das Vampirblut funktionieren würde, aber ich bin wieder aufgewacht, ohne meine Magie. Ich war nutzlos für Dahlia geworden und sie hatte mich zurückgelassen. Sie hat auch deine Leiche mitgenommen. Ich habe die ganze Zeit lang gedacht, dass sie deinen Körper irgendwo vergraben haben muss, um weiter deine Macht nutzen zu können. Wenn ich gewusst hätte, dass du noch am Leben bist, die ganze Zeit über, gefangen bei Dahlia..." Meine Stimme brach und ich sank verzweifelt auf meine Knie, als mir bewusst wurde, dass ich meine Schwester verloren hatte, obwohl wir gemeinsam vor Dahlia hätten fliehen können. Wir hätten zusammen bleiben können, die ganze Zeit über.
"Ich bin aufgewacht, nur wenige Stunden danach", flüsterte Freya tonlos, ihre Hände noch immer in meinen. "Der Zauber, den sie über uns gesprochen hatte, hat uns nicht nur jung gehalten, sondern uns auch vor dem Tod geschützt. Als ich wach wurde, war ich allein mit Dahlia, und sie hat mir erzählt, dass du fortgelaufen bist, weil du es nicht mehr bei ihr ertragen hast."
"Ich wäre nie fortgelaufen", antwortete ich kaum hörbar und blickte zu Freya auf. "Nicht ohne dich. Das musst du mir glauben, Freya, bitte."
Auch meiner Schwester stiegen nun Tränen in die Augen und sie sank zu mir auf den Boden. Als sie ihre Hände aus meinen löste, befürchtete ich bereits das Schlimmste, aber dann spürte ich, wie sie mich in eine so lang ersehnte Umarmung zog. "Ich glaube dir, Lina", flüsterte sie unter Tränen in mein Ohr. "Dahlia hat uns getrennt, sie hat es geschafft, uns auseinanderzubringen. Aber ich verspreche dir, das wird nie wieder geschehen."
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