Chapter 30

Als Katherine einige Stunden später den Deckel von einem Sarg in einer Gruft anhob, konnte ich meine Neugier kaum im Zaum halten. Jeremy verschwand, sobald wir auch nur einen Blick auf Mikael geworfen hatten, aber ich konnte nicht einmal mehr wegsehen. Es gab keinen Zweifel, das war definitiv mein Vater. Natürlich war er ein paar Jahre älter geworden, bevor er ein Vampir wurde, und in diesem ausgetrockneten Zustand, gefesselt mit schweren Eisenketten, sah er auch ziemlich tot aus, aber ich würde sein Gesicht überall wiedererkennen.

Erst als ich merkte, wie sich Tränen in meinen Augen bildeten, wandte ich mich ab und atmete tief durch, bevor ich zu Katherine sah. Die mich bedauerlicherweise genau musterte und nachdenklich den Kopf schief legte. Langsam sah sie zu Mikael und dann wieder zurück zu mir, bevor sich ihr Gesicht aufhellte, als hätte sie gerade etwas verstanden.

"Natürlich!", rief sie aus. "Wieso ist mir das nicht gleich aufgefallen?"

"Was meinst du?", fragte ich gespielt unwissend und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Ach, tu doch nicht so. Mikael ist dein Vater!"

"Wie kommst du darauf?", wollte ich wissen und wählte meine Worte bewusst so, dass ich ihre Vermutung weder bestätigte noch verneinte.

"Ich wusste bisher nur, dass er ein Vampir ist, der Klaus jagt. Aber es macht Sinn, dass es sein eigener Vater ist, Elijah hat mir damals erzählt, dass ihr Vater Klaus gehasst hat. Spätestens bei dem Namen Mikael hätte es mir eigentlich klar werden müssen. Ihr heißt schließlich nicht umsonst alle Mikaelson."

"Clever kombiniert", meinte ich und verdrehte die Augen, war aber tatsächlich ziemlich beeindruckt davon. Natürlich war meine dumme, emotionale Reaktion der Auslöser gewesen, warum Katherine sich diese Gedanken gemacht hatte, aber die Verbindung zwischen Mikaels Namen und unserem Nachnamen war sonst niemandem aufgefallen, weder Damon noch Jeremy, und ich war mir sicher, dass das auch sonst keiner in Mystic Falls bemerken würde. "Streng genommen habe ich mich die ersten Jahre meines Lebens noch Mikaeldatter genannt, 'Tochter von Mikael'. Aber als ich die ersten Geschichten von meinen Geschwistern gehört habe, die sich alle Mikaelson nennen, bin ich selbst der Einfachheit halber auch dazu übergegangen, den Namen zu nutzen. Außerdem klingt er in unserer Sprache eindeutig besser als Mikaeldatter."

Katherine lachte bei diesem Kommentar auf und schüttelte den Kopf. "Wem sagst du das? Als ich während meiner Flucht das erste Mal den Namen Katherine Pierce benutzt habe, haben sich sofort alle anders verhalten als bei einer Katerina Petrova", erzählte sie grinsend. "Europäische Namen in Amerika fallen wohl doch einfach zu viel auf."

Kurz bevor ich fragen konnte, wie sie denn auf den Namen Pierce gekommen war, fiel mir wieder ein, dass ich sie eigentlich ja gar nicht leiden konnte, und sah stattdessen wieder auf den erstarrten Körper meines Vaters. "Okay, als erstes wird er Blut brauchen. Sieh mal nach, ob auf dem Friedhof irgendwelche Menschen rumlaufen. Das hier wird sicher nicht lange dauern."

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Ich hatte keine Ahnung, wie falsch ich mit dieser Vermutung lag. Zwei Tage später steckten Katherine und ich immer noch in dieser Gruft fest, weil mein Vater sich schlichtweg weigerte, irgendwelches Blut zu trinken. Wir hatten wirklich alles versucht, aber er ignorierte all unsere Bemühungen.

Katherine war gerade dabei, es mit noch einem trauernden Menschen zu versuchen, der einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war, und hielt seinen blutenden Hals direkt über Mikael. Einige Tropfen Blut fielen direkt in seinen Mund, woraufhin mein Vater sofort etwas mehr Farbe bekam und sogar die Augen aufschlug.

"Nimm ihn weg", flüsterte er leise. Seine ersten Worte, seit wir hier waren.

"Sie müssen etwas trinken", widersprach Katherine und drückte den Mann nur auffordernd näher zu ihm.

"Nimm ihn weg", wiederholte Mikael nun deutlicher und ich ging seufzend zu ihnen, um den Mann von seinem Sarg wegzuziehen. Ich wollte meinen Vater schließlich nicht zu etwas zwingen, was er offensichtlich nicht wollte. Auch wenn ich seine Bitte nicht wirklich verstehen konnte. Als ich so ausgehungert gewesen war, hätte ich so ziemlich alles getrunken, um wieder zu Kräften zu kommen.

"Das ist eine Enttäuschung", verkündete Katherine genervt. "Er soll die großartige Waffe gegen Klaus sein? Er hätte keine Chance gegen ihn. Wir verschwenden hier nur unsere Zeit."

"Du kannst ja gehen, wenn du willst", antwortete ich giftig, aber sie ignorierte das nur.

"Ich kann Klaus töten", flüsterte Mikael leise und versuchte, sich zu bewegen, wurde aber von den Eisenketten aufgehalten. Er war einfach noch zu schwach, um sie selbst zu zerbrechen, zumindest mit dem wenig Blut, das er hatte. "Und ich werde Klaus töten. Aber das werde ich nicht mit diesen Ketten können."

Ohne zu zögern griff ich nach den Ketten und zerriss sie in nur einer Bewegung.

"Wissen Sie, wenn Sie einfach das Blut trinken würden, das wir Ihnen geben, hätten Sie die Ketten auch selbst zerreißen können", bemerkte Katherine und beugte sich mehr über den Sarg, während ich die Ketten in eine Ecke der Gruft schmiss.

"Ich trinke nicht von Lebenden", hörte ich die leise Stimme meines Vaters.

"Wovon trinken Sie dann?", fragte Katherine und ich drehte mich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie mein Vater nach ihr griff und sie zu sich herunterzog, um ihr Blut zu trinken.

Schockiert wich ich einige Schritte zurück, als er frisch gestärkt aufstand und auf mich zuging. Sein Mund war mit Katherines Blut verschmiert, während sie hinter ihm tot auf dem Boden lag. Natürlich würde sie wieder aufwachen, ein Vampir konnte nicht an Blutverlust sterben, aber dennoch hatte ich meinen Vater noch nie so gewalttätig erlebt. Bedrohlich lief er auf mich zu, seine Reißzähne ausgefahren, als hätte er immer noch Hunger. Als würde ich seine nächste Mahlzeit werden.

"Nein, Vater, bitte nicht", flüsterte ich, ohne darüber nachzudenken. Es wäre sicher klüger gewesen, ihm nicht zu sagen, wer ich war, bevor ich nicht wusste, wie er sich verhalten würde. Er war immerhin der gefürchtetste Vampirjäger aller Zeiten und ich war ein Vampir. Mal ganz davon abgesehen, dass er sein ganzes Leben damit verbracht hatte, meinen Bruder zu jagen. Ich hatte keine Ahnung, wie er auf mich reagieren würde, aber ich konnte einfach nicht anders. Ich wollte keine Erinnerung daran haben, wie mein Vater mich aussaugte wie irgendeinen dahergelaufenen Passanten.

Tatsächlich hielt er kurz vor mir inne, schien aber nur wütend zu sein. "Wie hast du mich gerade genannt?" Der Hass in seiner Stimme trieb mir die Tränen in die Augen, aber ich zwang mich, seinem Blick weiter standzuhalten.

"Erkennst du denn deine eigene Tochter nicht mehr?", flüsterte ich leise.

Für einen Moment weiteten sich seine Augen, doch dann drückte er mich gewaltsam gegen die Steinwand hinter mir. "Du lügst!", schrie er rasend vor Wut. "Wie kannst du es wagen, dich als sie auszugeben?!"

"Ich lüge nicht", widersprach ich mit zitternder Stimme. "Du hast dein Schwert Rawthul genannt, nach der frühen Morgensonne. Der Griff war golden, wie die Haare von Freya und mir. Du sagtest uns, dass wir so immer an deiner Seite sein würden, so weit weg du auch sein mögest. Wir haben immer wieder darüber gesprochen, es war die letzte Erinnerung, die wir an dich hatten."

Langsam ließ Mikael mich los und trat fassungslos einen Schritt zurück. "Wie ist das möglich?", fragte er leise.

"Wir sind nicht gestorben. Wir sind entführt worden, von Dahlia. Freya... Sie hat es nicht überlebt. Und ich... du siehst ja, was aus mir geworden ist", antwortete ich leise und senkte meinen Blick. Es war offensichtlich, wie sehr er Vampire verabscheute, auch wenn er selbst einer war. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte, wenn er sich jetzt wie Carolines Vater verhalten würde und mich hassen würde, nur weil ich war, was ich nun einmal war. "Ich kann dir alles erklären, was passiert ist. Nur bitte sag mir, dass du mir glaubst."

Einige Sekunden schwieg mein Vater, bis ich unsicher wieder zu ihm aufsah und er eine Hand an meine Wange legte. "Malina", murmelte er, als müsste er sich erst wieder daran gewöhnen, meinen Namen auszusprechen. Elijah hatte mir erzählt, dass er uns nach unserem Verschwinden nie erwähnt hatte, keinem gegenüber, und sie immer aufpassen mussten, meinen Namen nicht in seiner Gegenwart zu nennen. "Meine kleine Malina... Wie könnte ich dich je vergessen?"

Mit diesen Worten zog er mich in seine Arme und ich spürte, wie mir ein Schluchzen entwich. Jahrhundertelang hatte ich gedacht, dass mein Vater längst tot wäre, und jetzt war er hier und hielt mich so fest, als ob er mich nie wieder loslassen würde. Das alles kam mir vor wie ein wunderschöner Traum und ich hoffte inständig, dass er niemals enden würde.

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