16. taktlose Fragen

Harry

Mein Herz pochte viel zu schnell. Ungesund schnell. Louis saß im Schneidersitz, mir zugewandt, auf dem unbequemen Sofa, meine Hand in seiner. Konzentriert knabberte er auf seiner Unterlippe, während er Strich für Strich meine Finger verschönerte. Ich hätte wissen müssen, dass Louis meine Blicke auf Elinas Nagellack mitbekommen würde. Irgendwie bekam er immer alles mit. Diese Farbe war einfach hübsch. Erinnerte mich an seine Augen. Ob er sich denken konnte, was mich an dieser Farbe so faszinierte?

Im Augenwinkel sah ich Lena toben. Sie hatte ein Telefon am Ohr und schien wild zu fluchen. Wahrscheinlich beschwerte sie sich gerade bei Simon. Es war bekannt, dass wir auf ihn am meisten hörten. Nur nicht, wenn es um Louis und mich gingen. Wir lebten einfach in den Tag hinein. Wir waren eben Freunde. Gute Freunde. Mehr als Freunde. Aber nur von mir aus.

„Das klingt ja spannend. Ich bin mir sicher, eure Fans freuen sich schon sehr darauf, euch nächstes Jahr sehen zu können. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich hätte da aber noch ein paar Fragen, auf die ich unbedingt eingehen möchte." Nur nebenbei, lauschte ich Elani. Mehr war ich auf Louis fokussiert. „Stimmt es, das du eine Freundin hast Louis?"

Schon bevor das Interview begann, hatte Lena uns Bescheid gesagt, dass solche Fragen gestellt werden. Ich sollte vorbereitet sein. Trotzdem zuckte ich zusammen. So sehr, dass Louis mit dem Pinsel verrutschte und meine Haut traf.

„Äh ja, stimmt", murmelte mein bester Freund. Er entfernte den Nagellack, auf der Haut und musterte dann die erste fertige Hand. Liam hielt währenddessen als Flaschenhalter her. „Wehe du berührst was damit! Meine Schwestern würden dich beneiden, wenn sie diese Finger sehen. Bei ihnen bekomme ich es nicht halb so gut hin." Warnend sah er mich an, legte meine Hand auf der Rückenlehne des Sofas ab und griff nach der anderen Hand.

„Während du deinem neuen Beruf des Nailartist nachgehst, wäre es toll, wenn du noch ein bisschen mehr über Eleanor redest Louis!" Lena klang gehetzt und gestresst, während sie Louis über die Kopfhörer kontaktierte.

„Ihr Name ist Eleanor, habe ich gehört. Lackierst du ihr auch manchmal die Nägel?"

Diesmal sah Louis Elina beim Antworten an. „Ne, El steht da nicht so drauf. Sie mag natürliche Nägel."
„Und wie lange seit ihr jetzt schon zusammen?"
„Knapp dreieinhalb Monate."
„Wow, das ist ja ein viertel Jahr." Elina sah ehrlich begeistert auf. Louis hingegen verzog verwirrt das Gesicht, tunkte den Pinsel in die Flasche und streifte dann den Nagellack etwas ab.
„Habens groß gefeiert."
„Wirklich?" Jetzt wirkte Elina überrascht. So schmerzhaft das Thema für mich gerade war, konnte ich ein Kichern nicht unterdrücken. Auch Louis wusste nicht, wie er mit der Nachfrage umgehen musste.
„Äh, ne. Das war Ironie."

„Harry", wandte sich die Interviewerin plötzlich an mich. Louis nahm das als Möglichkeit meine andere Hand weiter zu lackieren.
„Ja?" Das wahnsinnige Funkeln in Elinas Augen. Sie schaute, wie ein Paparazzo, der eine Möglichkeit gefunden hatte, mich fertig zu machen.
„Die Fans interessieren sich brennend dafür, wie du damit umgehst. Jetzt, wo Louis in einer Beziehung ist. Findest du es komisch? Bist du eifersüchtig? Treibt Eleanor einen Keil zwischen euch?"

Sprachlos starte ich sie an, Louis hörte auf meinen Daumen zu lackieren und Elina hatte noch immer ihr einladendes Lächeln im Gesicht. Ich bemühte mich, mein Gesicht nicht zu verziehen. Keine Regung. Elina machte nur ihren Job. Indem sie taktlose Fragen stellte, verdiente sie ihr Geld. Mir das in Erinnerung zu rufen, half mir ruhig zu bleiben. Würde ich Wut entwickeln, würde ich verzweifeln. Verzweifelte ich, war ich nur einen Schritt davon entfernt, was Falsches zu sagen. Mich möglichweise sogar zu entlarven. Ruhe war das gebot der Stunde.

Ich spürte Louis' Blick auf mir. Es machte mir Mut. Louis war hier, hier war bei mir. Er wusste, wie es mir ging und wie sehr es schmerzte. Wie sehr mein Herz unter dieser Frage litt. Er war hier und nachher, wenn wir alleine Zuhause waren, würde er mir einen Tee machen. Wie immer, in solchen Situationen, würden wir uns auf das Sofa setzten uns einen meiner Lieblingsfilme reinmachen, vor denen Louis sich so ekelte.

„Wieso sollte Eleanor etwas zwischen Louis und mir ändern? Es war klar, dass einer von uns beiden irgendwann eine Beziehung hat. Louis ist glücklich. Das ist alles was zählt. Und Eleanor ist nett. Sie akzeptiert, dass wir uns nah stehen und würde nicht versuchen, ein Keil zwischen uns zu treiben. Wir verbringen trotzdem noch viel Zeit zusammen und sind weiterhin beste Freunde. Und ich mag Eleanor. Louis und sie passen wunderbar zusammen." Scheiße. Mit jedem Wort hätte ich mehr heulen können. Ich bemühte mich um eine lockere Körperhaltung. Ich durfte es niemanden Zeigen. Der Schmerz in mir – er war nur für mich bestimmt. Er gehörte nur mir. Man sagte geteiltes Leid sei halbes Leid. Doch der Welt mein Leid zu zeigen, wäre der größte Fehler meines Lebens. Die Fans wussten fasst alles über mich. Nur dass, durften sie niemals erfahren.

„Lackiere seine Nägel weiter Louis! Und hör auf ihn so anzustarren! Heute bekommt ihr aber auch gar nichts hin." Louis neben mir zuckte zusammen, als Lenas Stimme uns über die Kopfhörer erreichte. Ich sah noch immer mit erhobenem Kopf und geraden Rücken da. Keine Schwäche durfte ich zeigen. Das wäre der größte Fehler.

„Harry hat Recht. Wir sind die besten Freunde", begann Louis, während er sich sanft meinen Zeigefinger krallte und den Nagel bemalte. „Ich denke dass Freunde, die sich aufgrund von Beziehungen distanzieren, irgendwann auch so gescheitert wären. Sobald man eine Beziehung, über die engsten Freunde stellt, hat man verloren. Gleichstellung ist okay und toll. Aber niemals höher stellen. Beste Freunde sind wichtig. Sie wissen alles über einen. Jedes Geheimnis. Harry weiß alles über mich. Ich weiß alles über ihn. Er kennt mich besser, als Eleanor. Ich stelle Eleanor mit meinen Jungs gleich. Von der Wichtigkeit. Trotzdem ist sie meine Freundin und die Jungs meine besten Freunde. Da funkt nie etwas dazwischen. Stimmts Hazza?" Louis lächelte mich an. Ich sah ihn an. Louis und ich. Niemand würde je zwischen uns kommen. Das war alles, was er mit dieser kleinen Rede sagen wollte. Du und ich, gegen den Rest der Welt.
„Stimmt."

So sehr seine Worte auch halfen, etwas ganz bestimmtes verhinderten sie nicht. Den Schmerz. Auch wenn Louis und ich für immer Freunde sein würden, jetzt gerade war er mehr für mich. Und es tat weh. Es zerriss mich. Das Bedürfnis ihm nah zu sein, seine Stütze zu sein, ihn zu küssen und lieben zu dürfen.
Ich wollte Eleanor sein. Ich wollte in ihren Körper schlüpfen, nur damit Louis mich liebte. Bitte Louis. Bitte lieb mich einfach. Wenn wir jetzt auf Partys gehen und Eleanor dabei sein wird, dann werde nicht mehr ich den Platz an seiner Seite haben. Da wird jetzt Eleanor sein. Louis sagte, wir sein gleichberechtigt. In der Theorie vielleicht. Doch in der Praxis?

Sobald das Interview offiziell beendet war – gleichzeitig beendete Louis meine Hand und ich sollte sie breit grinsend der Kamera präsentieren – Stand ich vom Sofa auf. Ich brauchte jetzt Zeit für mich.

„Ich muss aufs Klo." Schnell flüchtete ich von meinen Freunden, dem Management und allen anderen. Es tat weh. So sehr weh.

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