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7. August

Der Tag, an dem ich, Hailey Parker, Aiden Johnson kennenlernte. Der Junge aus dem Krankenhaus, todkrank und von der grässlichen Krankheit gezeichnet. Er war klapperdürr, seine Wangenknochen stachen heraus und unter seinen Augen bildeten sich kohlschwarze Ringe ab, aber das schiefe Lächeln blieb. Und das war es, welches mich dazu entschloss, ihn anzusprechen.

Er saß neben mir im Warteraum, mit provozierend schlechter Haltung und starrte die langweilige weiße Wand gegenüber von uns an. Umso überraschender erschien es ihm, dass ein Mädchen mit einem 500 Seiten Roman in der Hand und geradem Sitz, ihn ansprach.

Aiden war hübsch, ganz klar, hatte dunkle kurze Haare und traumhaft schöne Augen, braun, wie die meines alten Teddybärs mit hellen goldfarbenen Sprenkeln in der Iris. Diese Augen sahen mich neugierig an, denn eigentlich hatte ich überhaupt keinen Grund ihn anzusprechen.

Aber ich zog es durch, ich redete mit ihm und erfuhr, dass er Krebs hatte, genau wie meine kleine Schwester Linn. Linn bekam vor zwei Jahren, da war sie 11 Jahre alt, ihre Diagnose. Sie hatte ein Nierenkarzinom. Ein halbes Jahr lang wurde sie untersucht und mit einer Chemotherapie behandelt, danach bekam sie Bestrahlung und hatte eine Operation, bei der ihr die vom Feind zerfressene Niere entfernt wurde. Zum Glück wurde Linn wieder „gesund", sie galt sogar als geheilt. Trotzdem hatte meine Familie schreckliche Angst vor einem Rückfall, welcher leider eintrat.

Ich hoffte so für Aiden, dass er die Hoffnung auf Genesung nicht aufgab, auch wenn Lungenkrebs eine fast unheilbare Krankheit ist. Er sollte kämpfen, genauso wie Linn es machte und alles über sich ergehen lassen. Am Ende würde ihm den Sieg überreicht. Hauptsache er tat, was er konnte. Auch wenn man das nicht so einfach sagen konnte als Außenstehender, denn man leidet unfassbar sehr an den schlimmen Schmerzen.

Ich verabredete mich mit Aiden. Ein Kennenlern-Picknick stand am morgigen Tag an. Ich tat dies wirklich nicht aus Mitleid, sondern weil er mich mit seiner humorvollen klugen Art beeindruckte. Außerdem überzeugte mich das Strahlen seiner Augen, dass ich ihn wiedersehen wollte. Es war wunderschön wie das letzte Sonnenlicht am Tag, kurz bevor dieser Himmelskörper nach unten zieht.

Ich war noch immer fasziniert davon, als auch schon Mom und Linn aus dem Ärzteraum von Dr. Thomas kamen, blass und die Augen vom Weinen gerötet. Ich ahnte Schlimmes. Ich ging auf meine Schwester zu, welche unsere Mutter fest an der Hand hielt, und umarmte sie. "Das wird schon wieder. Du wirst wieder gesund, du bist ein starkes Mädchen!", flüsterte ich in ihr Ohr und unterdrückte die Tränen, die nun auch in meinen Augen standen.

Dann ließ ich sie wieder los und schaute ihr einfach in ihr zartes Gesicht. Sie hatte dieselben grauen Augen wie ich, wir haben sie von unserem Vater geerbt. Er konnte nicht mitkommen, saß gerade auf seinem bequemen Bürostuhl und wusste von Linns Schmerzen nichts. Dann blickte ich auf Linns rosige Wangen und zartrosa Lippen, beides von unserer Mutter. Und schließlich die gleichen blonden Haare, die ich auch habe. Ich küsste sie auf den Seitenscheitel und wendete mich an meine Mutter. "Mom..." Jetzt weinte ich auch. Sie nahm mich ihre warmen Arme und streichte mir sanft über den Kopf. "Das ist so unfair", sagte ich. "Ich weiß, Schätzchen."

Wir lösten uns voneinander, machten uns auf den Weg nachhause und liefen den Gang in Richtung Treppe. Ich drehte mich noch einmal um, in der Hoffnung, Aiden schief grinsend sitzend zu sehen, doch er musste wohl schon in einem ernsten Gespräch mit Dr. Thomas vertieft sein.

Die Fahrt verlief ruhig, keiner sagte ein Wort, jeder war in seinen Gedanken vertieft. Nur im Radio erklang leise Musik aus den 90zigern. Meine Mutter hatte einen echt seltsamen Musikgeschmack. Zuhause schmiss ich meine Tasche in die Ecke und machte mir einen Kaffee. Es war zwar schon 19 Uhr, aber das interessierte mich nicht. Der Hunger war allen vergangen nach dieser furchterregenden Nachricht.

Also ging ich die raue Holztreppe nach oben in mein Zimmer, stellte die Kuhfleckentasse auf den Schreibtisch und legte mich in mein Bett. Die Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum, ohne auch nur eine kleine Pause einzulegen.

Wieso um Gottes Willen hatte Linn wieder Krebs bekommen? Ich hatte ja schon davon gehört, dass man einen Rückfall bekommen konnte, aber ich dachte, Linn wäre geheilt? Was machten wir denn jetzt? Musste meine kleine dreizehnjährige Schwester wieder ins Krankenhaus? Sicherlich, aber wird es ihr erneut so schlecht gehen? Oder wird sie sogar sterben? All diese Fragen und nicht auf eine einzige, wusste ich eine Antwort. Ich musste mit Mom reden, ich musste wissen, wie es weitergeht mit Linn.

Ich rief ihren Namen durch das Haus. Keine Antwort. Ich suchte im Haus nach ihr, aber ich konnte niemanden entdecken. Schließlich fand ich sie im Garten, sie saßen auf der neuen Hollywoodschaukel und unterhielten sich über einen neuen Kinofilm.

"Hailey, Pitch Perfect ist echt cool! Gehen wir da rein? Ist zwar der 2. Teil, aber das macht doch nichts. Ich habe den ersten mit Sky geschaut. Vielleicht leiht sie dir die DVD ja mal aus, ich kann sie fragen und darin geht es um eine Acapellagru..."

"Ist ja gut, ist ja gut. Wir gehen ja in den Film", unterbrach ich sie und lachte über das süße Gebrabbel.

"Morgen Nachmittag?"

"Du, da bin ich schon verabredet."

"Ach, mit wem denn?", meldete sich nun auch mal meine Mutter zu Wort. Na super, ausgerechnet DAS fragt sie mich. Aber am besten war ich ehrlich zu ihr.

"Während ihr mit dem Arzt geredet habt, habe ich Aiden Johnson kennengelernt. Er ist sehr nett und hat...ähm...auch Krebs."

Wir versuchten jederzeit zu vermeiden, etwas mit Krebs vor Linn zu erzählen. Das ist weder angemessen noch gut, was Linns Umgang mit dieser Krankheit zu tun hat, aber trotzdem taten wir es. Vielleicht damit sich meine Schwester nicht auch noch den Kopf daran zerbrach? Es war doch aber klar, dass sie das auch tat. Sie war ja schließlich kein Kleinkind mehr.

Meine Mutter trug ein trauriges Lächeln auf den vollen Lippen.

"In Ordnung." Das war alles? Ich traf mich mit einem fremden und vielleicht auch etwas älteren Jungen und alles was sie sagte, war "In Ordnung"?

Ich verstand, sie hatte im Moment andere Sorgen.

Ich fragte meine Mutter endlich, ob wir mal reden könnten und sie nickte. Sie schaute auf den Boden, traurig und ihre Seele verletzt.

***

"Bitte erzähl mir, was los ist", forderte ich meine Mutter auf, mir über das weitere Vorgehen gegen den Krebs zu berichten.

"Dr. Thomas, hatte schon eine Vorahnung gehabt, als er unsere Kleine hereinkommen sah. Du weißt, sie hat geschrien und sich gekrümmt vor Schmerz. Der Arzt ordnete sofort einen PET Scan an und die Vermutung hat sich bestätigt. Linn hat Metastasen in der Leber. Und die sind schwerer zu bekämpfen. Linn wird lange Zeit im Krankenhaus verbringen, sie wird wieder mehrere Zyklen Chemotherapie und Bestrahlung bekommen. Sie wird hart kämpfen müssen, aber ich hoffe so..." Ihre Antwort wurde durch Schluchzen unterbrochen. Meine Mutter versuchte immer noch, ihre Tränen zu unterdrücken, aber die erste Träne von vielen rollte ihr langsam über die Wange.

"Sie soll doch ein langes glückliches Leben haben! Sie hat es doch so verdient!"

Ich musste nun auch weinen, denn ich wollte genauso miterleben, wie meine kleine Schwester das erste Mal vom Direktor nach Hause geschickt wird, was bisher komischerweise noch nicht passiert war, wie sie nach ihrem ersten Kuss zu mir gerannt kommt und mir alle Details erzählt, wie sie ihren Traumberuf Krankenschwester erlernt und wie sie heiraten und in einem wundervollem Haus am Strand leben wird.

"Das wird sie. Linn wird gesund, sie wird kämpfen wie eine Löwin und den Kampf auch gewinnen. Mache dir keine Sorgen, Mom." Natürlich machte sie sich Sorgen, jedes Familienmitglied und jeder Freund machte sie sich, wenn so ein kleines und zierliches Wesen wie meine kleine Schwester, diesen so fiesen Feind besiegen musste.

Meine Mutter schaute auf ihre golden glänzende Armbanduhr und sagte: "Schätzchen, ich glaube es ist langsam Zeit zum Schlafen. Ruhe dich aus, die nächste Zeit wird sehr anstrengend, das kann ich dir versichern." Ich nickte, stand auf und umarmte sie fest.

Ich erkundigte mich, wann sie es Dad sagen wollte und erfuhr, dass Mom mit ihm redete, wenn er von der Arbeit kam, seiner Gewohnheit nachkam und sich einen koffeinfreien Kaffe kochte.

Und so trabte ich die Treppe hoch zu meinem gemütlichen Zimmer, welches ich schon sein einigen Jahren bewohnte. Plötzlich ging die Badezimmertür auf und meine Schwester stand mit ihren nassen Haaren und dem blau gestreiften Handtuch um ihren zierlichen Körper vor mir.

"Hailey, wie soll ich es Sky sagen?", platzte sie heraus. Ich sagte doch, auch Linn zerbrach sich den Kopf.

Ich zögerte, riet ihr dann: „Sage ihr einfach die Wahrheit. Das ist das Beste für euch beide."

"Aber was ist, wenn sie nicht mehr meine Freundin sein will?"

Beim Sprechen wurde sie immer leiser und diese Frage brach mein Herz in viele kleine Stücke.

"Das wird nicht passieren! Ihr seid beste Freundinnen und keiner lässt seine beste Freundin im Stich!" Sie schaute mich immer noch traurig an.

Sie flüsterte: „Ich habe so schreckliche Angst."

"Hey, Kopf hoch! Das wird schon alles wieder in Ordnung werden!", versuchte ich sie zu ermutigen. Auch machte ich mir selbst damit Mut.

"Danke Hails. Gute Nacht dann und schlaf gut. Hab dich lieb." Ich lächelte, denn ich liebte es, wenn mich jemand mit meinem Spitznamen nannte. Linn gab ihn mir, als sie noch ein Baby war, noch immer in ihre Windeln machte, aber schon anfing zu sprechen.

"Ich dich auch. Bis morgen." Noch eine Umarmung und wir trennten unsere Wege.

***

"Das darf verdammt nochmal nicht wahr sein! Nein...Linn darf nicht...!", hörte ich meinen Vater schreien. Es war kurz vor 12 und ich lag in meinem kuschligen Bett, die grün gepunktete Bettdecke bis zu meinem Gesicht gezogen. Mom führte das furchtbare Gespräch mit meinem Vater.

"Schatz, beruhige dich...sie bekommt die Chemo...7 Zyklen." Dann hörte ich Schluchzen. "Ich hoffe nur so, dass sie wieder gesund wird...", ertönte die gebrochene Stimme meines Vaters.

"Das wird sie.", versuchte Mum Dad zu trösten.

Und mit dieser Hoffnung sank ich in einen traumlosen und beruhigenden Schlaf.

***

"PIEP PIEP PIEP!!!" Um 7:13 Uhr erwachte ich todmüde, weil mein Wecker mich mit dem grässlichen PIEP-Geräusch nervte. Ich lag noch ein Weilchen im Bett, denn ich überlegte noch einmal, ob ich doch noch einige Zeit liegen bleiben sollte. Aber dann entschied ich mich doch dagegen, denn um 8 Uhr kam schon Jessica und brachte mich und Linn, wie jeden Tag, zur Schule und wieder nach Hause. Sie ging in meine Klasse und war eine meiner besten Freundinnen.

Also stand ich auf und tappte noch schlafgetrunken ins Bad. Da duschte ich mich, putzte Zähne und schminkte mich dezent mit Wimperntusche und Lipgloss. In meinem Zimmer wühlte ich in meinem Kleiderschrank nach meinem Lieblingstop, eines mit feinen roten Röschen und Spitze. Dazu trug ich nun eine Skinny Jeans und Ballerinas. Ich schnappte mir meine pastellfarbene Schultasche und ging gemächlich in die Küche. Dort traf ich meine Eltern. Sie sahen sehr schlecht aus, hatten dunkle Augenringe und die kurzen Haare von meiner Mutter standen in alle Richtungen ab. "Guten Morgen.", sagte ich ruhig zu ihnen. "Morgen.", murmelten mir beide gleichzeitig zurück. Beide saßen am Tisch, eine Tasse heißen Kaffee in der Hand, und starrten in die Leere. Ich nahm mir auch eine kleine Tasse und einen Pancake, der Teller mit dem köstlichen Essen stand auf dem Küchentisch vor meinen Eltern.

Bald kam Jessica und holte meine Schwester und mich ab. Jetzt saßen wir im Auto und hörten gespannt Taylor Swift zu, welche die Lieblingssängerin von uns dreien war. Zusammen sangen wir 'Shake it off' in voller Lautstärke mit, was mich ein bisschen von den Sorgen ablenkte. Als wir auf dem Parkplatz unserer Schule hielten, kam Grace eilig angelaufen. „Guten Morgen Leute", sagte sie und umarmte uns. Mir fiel auf, dass sie etwas bedrückte, worüber natürlich gesprochen werden musste. Linn verabschiedete sich währenddessen und lief zu Sky, die freudig von der anderen Seite des Schulhofes winkte. Also liefen wir drei den Gang entlang in Richtung Mädchenklo, wo Grace uns von ihrem (Ex-)Freund erzählte, der sie mit Emily aus unserem Chemiekurs betrog. Sie weinte und ihre Schminke verlief. Jessica und ich trösteten sie, redeten darüber und liehen ihr die Wimperntusche. Anscheinend machten wir unseren Job als beste Freundinnen ziemlich gut, denn sie beruhigte sich schnell wieder. Um nicht zu spät zu kommen, rannten wir die Flure entlang zur ersten Stunde.

***

Eigentlich verlief der Schultag ziemlich ruhig, es stellte sich heraus, dass Brad Grace nur ausnutzte, was sie natürlich nur noch mehr verletzte. Natürlich fanden Jessica und ich es sehr blöd von ihm und es tat mir auch leid, doch hatte ich andere größere Sorgen. Aber sie konnten es ja nicht wissen, ich hatte nichts erzählt.

Als ich dann in Jessicas Auto saß und erneut Taylor Swifts Lieder leise mitsang, fiel mir der Junge im Krankenhaus wieder ein. Aiden. Und ich hatte gleich ein 'Kennenlern-Date' im Park mit ihm. Was mich da wohl erwartete...

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