Kristallsplitter
Langsam fiel mir nichts mehr ein, was ich noch in das Verschwindekabinett stecken sollte. Der Raum der Wünsche war zwar von oben bis unten mit allem möglichen vollgestopft, aber ich hatte keine Lust nach neuen Gegenstände zu suchen.
"Hey, Lu, schläfst du noch?", lachte Daphne und schnipste mit den Fingern vor meiner Nase. "Hast du überhaupt schon was gegessen?"
Ich schaute hinab auf meinen Toast mit Eiern, der seit fünf Minuten unberührt auf meinem Frühstücksteller lag.
"Nein, irgendwie hab ich doch keinen so großen Hunger", sagte ich und schob das Teller ein Stück zurück. Stattdessen trank ich noch einen weiteren großen Schluck Kaffee. Ohne den würde ich an den Tagen, an denen ich in der Nacht zuvor allzu lange im Raum der Wünsche war - also an solchen Tagen wie heute - so gut wie nicht aus dem Bett kommen.
"Gibst du mir das Wasser rüber, Lucie?", fragte Daphne mit einem leeren Glas in der Hand.
Ich griff nach dem Wasserkrug, auf dessen Griff ein roter Handabdruck zu sehen war.
"Mann, das war kein so schöner Aprilstreich...", meinte Daphne und nahm den Krug entgegen. "Der hat die Farbe immer noch oben"
Ich schaute zu dem Fünftklässler zwei Plätze neben Daphne, der vor vier Tagen in den Duschen mit einer roten Farbbombe überrascht wurde. Laut seinen Freunden, die wir gefragt haben, hätte sich die Farbe im Nachhinein gleich wieder abwaschen sollen, was allerdings nicht so gut funktionierte. Selbst im Krankenflügel konnte der Junge nicht richtig behandelt werden, weshalb er nun immer noch von oben bis unten knallrot zwischen uns saß.
Ich richtete meinen Blick wieder auf Daphne und in dem Moment, als ich sie von ihrem Glas trinken sah, kam mir ein äußerst guter Einfall...
Ich ließ nach dem Frühstück ein Glas Wasser mitgehen, dass ich in meinem Umhang zu verbergen versuchte. Zum Glück war dieser weit geschnitten und Daphne leichtgläubig genug um zu glauben, dass ich, wie ich gesagt hatte, ganz dringend aufs Klo müsse und nicht mehr bis unten im Keller warten konnte.
Ich ging erstmal hoch bis zur Bibliothek und versteckte mich dort in der Nähe, bis ich glaubte, dass nun alle Gryffindors zurück in ihrem Gemeinschaftsraum oder zumindest nicht mehr auf den Gängen im siebten Stock waren.
Auf dem weiteren Weg nach oben holte ich meinen Saphir aus der Tasche meines Umhangs. Inzwischen trug ich ihn immer bei mir, vor allem im Raum der Wünsche. Ich meine, wer könnte jetzt, wo die Zeit immer knapper wurde, mehr Glück gebrauchen, als ich und Draco?
Die ganze Zeit hielt ich den Stein fest in meiner Hand, als ich den Raum betrat, durch die Gänge ging, das Glas in den Schrank stellte, die Beschwörung sprach.
Diese Routine brachte mich langsam um, bald würde ich echt die Geduld verlieren. Hoffnungsvoll öffnete ich nach dem zweiten Windgeräusch die Schranktür und...
Das Glas war leer.
Natürlich, was denn sonst.
Ich schloss die Augen einen Moment und versuchte ruhig zu bleiben. Drei Monate noch, in den nächsten drei Monaten wird es soweit sein, es wird funktionieren.
Von der einen auf die andere Sekunde überkam mich ein Gefühl der absoluten Reue und der sehnliche Wunsch die Zeit zurückdrehen zu können.
Worauf hatten wir uns da nur eingelassen? Wir hatten doch von Anfang an keine Chance, es ist bereits alles verloren.
Vor Wut auf mich selbst ballte ich die Fäuste, doch in eine Hand, in der ich immer noch den Stein hielt, bohrte dieser seine Spitzen kannten in meine Haut. Aus Reflex ließ ich ihn etwas zu sorglos und heftig fallen.
Ich erschrak, als das Geräusch von splitterndem Glas oder ähnlichem den Raum erfüllte und starrte zu Boden.
Zwischen meinen Füßen lagen Abertausende kleine und große blaue Kristallstücke. Ich konnte förmlich sehen, wie das Blau etwas blasser wurde und somit die Fähigkeit, die ich dem Saphir zugesprochen hatte, langsam erlosch.
Tränen stiegen mir in die Augen. Das war eine meiner liebsten Kindheitserinnerungen gewesen und nun schämte ich mich fast dafür sie aus reiner Unvorsichtigkeit zerstört zu haben, wo ich doch mein halbes Leben lang auf den Gegenstand geachtet hatte.
Ein brennender und stechender Schmerz in meiner Hand riss mich aus meinen Gedanken. Die Spuren, die die Kanten des Saphirs hinterlassen hatten, begannen zu bluten.
Ich machte wieder eine Faust mit der verletzten Hand, um den Blutfluss etwas zu stoppen und sah wieder auf die Kristalle zu meinen Füßen hinab.
Gerade brachte ich es nicht über mich sie aufzusammeln, später würde ich vielleicht versuchen, die Einzelteile wieder zusammenzuführen, aber ich fürchtete, dass es sich danach nicht mehr wie zuvor anfühlen würde.
Ich wandte mich vom Verschwindekabinett und den Splittern ab und wollte ein Bad oder eine Toilette aufsuchen, um meine Hand zu waschen.
Die Toiletten im siebten Stock befanden sich zu nahe beim Gryffindor Gemeinschaftsraum, weshalb ich in das Stockwerk darunter ging.
Ich trat einfach in das erstbeste Klo, das ich fand, ein und stellte mich zu einem der Waschbecken.
Blutstropfen fielen nacheinander in das Keramikbecken, meine Handfläche und Finger waren nun schon fast zur Gänze rot.
Mit der sauberen Hand drehte ich den Wasserhahn auf und wusch das Blut ab.
Das kühle Wasser tat gut, ich atmete erleichtert auf und blickte in den Spiegel.
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