chapter two ✔
Harry machte Liam und Niall miteinander bekannt und machte sich danach alleine auf den Rückweg. Liam hatte ihnen angeboten, sie nach Hause zu bringen, und Niall hatte auch eingewilligt, doch Harry war nicht nach fahren. Er wollte gehen und die frische Luft einatmen. Bei jedem Schritt, den er tat, verspürte er noch immer den Schmerz von dem harten Schlag. Somit bewegte er sich langsamer voran als sonst, um den Schmerz etwas zu dämmen. Als er zu Hause ankam, war Gemma bereits da und guckte Fernsehen.
Harry hingegen grüßte sie kurz, und ging hoch in sein Zimmer, um Hausaufgaben zu machen. Er schmiss die Tasche auf sein Bett und setzte sich auf seinen Schreibtischstuhl. Als er nach seiner Tasche greifen wollte, zuckte er vor Schreck heftig zusammen und hielt sich die Hand ans Herz. Es war kein Traum gewesen.
»Du hast mich erschreckt, Angel«, sagte Harry und regulierte seine Atmung.
»Tut mir leid, Harry. Wie geht es dir? Wegen... du weißt schon...« Angel ließ den Satz offen.
»Liam hat mich vor Zayn gerettet«, sagte er leise. »Ich hatte gehofft, du -« Er brach ab bei dem Funkeln, das in Angels helle Augen getreten war. Es war unbeschreiblich schön, dieses besondere Etwas in ihnen zu sehen, und am liebsten hätte er sie für immer angeschaut. »Du warst das«, sprach er seine Gedanken aus. »Du bist dafür verantwortlich, dass Liam mir geholfen hat! Du warst das. Ich habe dich gesehen. Ich war mir nicht sicher, ob du das warst, aber... danke.« Er trat auf sie zu und zog das zierliche Mädchen in seine Arme, darauf bedacht, ihre Flügel nicht einzuklemmen. Er legte sein Kinn auf ihrem Kopf ab und inhalierte den starken Lavendelduft. »Du glaubst gar nicht, wie dankbar ich dir bin. Zayn hätte sonst was mit mir gemacht. Er ist kalt und grausam.« Noch nie hatte Harry ein Mädchen so umarmt (von Gemma mal abgesehen) und es war seltsam, ihre Wange an seiner Brust zu spüren, doch er mochte es. Aber nur bei Angel.
»Glaub mir, Harry, Zayn hat viele Geheimnisse und er ist nicht der, für den du ihn hälst«, erwiderte Angel wissend. Behutsam löste sie sich von Harrys, der sie schon beinahe umklammert hatte, und lächelte zu ihm hoch. Und dieses eine Lächeln brachte Harry dazu, sein strahlendstes Lächeln preiszugeben. »Er tut so, als wäre er ein Badboy, dabei begleitet er seine Schwestern auf den Spielplatz und guckt mit ihnen Findet Nemo. Jeder hat Geheimnisse, die kaum jemand oder sogar niemand kennt. Es gibt bestimmt vieles, das ich nicht über dich weiß, was du auch niemals preisgeben würdest. Und doch sind wir alle gleich. Wir alle lügen, um besser auf andere zu wirken. Aus Lügen, die wir ständig wiederholen, werden Wahrheiten, die unser tägliches Leben bestimmen. Merk dir das gut.« Als sie endete, löste sie sich plötzlich in Luft auf. Harry griff nach ihr, doch es war nur Leere.
Was war das? Erst tauchte sie auf, und verschwand dann einfach wieder. Schmollend machte Harry seine Hausaufgaben, aß Abendbrot mit seiner Familie und legte sich früher als sonst schlafen. Was ihn jedoch wunderte, war, dass seit er Angel umarmt hatte, die Schmerzen fort waren.
Der darauffolgende Schultag war relativ entspannt, und Zayn und Louis kamen weder Harry noch Niall in die Quere. Der Tag war fast perfekt, hätte Religion nicht alles versaut.
»Glauben. Was fällt euch zu dem Wort ein?«, fragte die Lehrerin, Mrs Tyssen.
Harry hob sofort seine Hand und wurde auch drangenommen. »Schutzengel«, kam es wie aus der Pistole geschossen.
»Nun ja, ich meine keinen Aberglauben, sondern Glauben an Jesus, Gott, die drei Könige...«
»Das ist kein Aberglaube«, verteidigte Harry sich erbost. »Jeder hat einen Schutzengel. Und ich kenne meinen sogar. Ihr Name ist Angel.« Jeder in der Klasse starrte ihn mit großen Augen an. Und erst, als er die Worte ausgesprochen hatte, bereute er es. Er hatte zu viel ausgeplaudert. Viel zu viel. Dann brach urplötzlich die ganze Klasse in Gelächter aus (bis auf Niall, der Harry zuliebe versuchte, nicht auffällig zu lachen). Beschämt vergrub Harry seine Finger in seinen Locken.
»Das ist eine schöne Geschichte, aber ein Aberglaube, Harry.«
Harry mochte Mrs Tyssen nicht mehr, da sie sich sichtbar auch das Lachen verkneifte.
Mit schlechter Laune schlug Harry seine Zimmertür geräuschvoll zu, die kurz darauf von Anne geöffnet wurde. Sie trug ein Tablett mit einem Glas Milch und Cookies mit sich und stellte jenes neben Harry ab.
»Was ist denn passiert, Harry?«, fragte sie fürsorglich und strich ihm eine Locke aus der Stirn.
»Glaubst du an Schutzengel?«, fragte Harry sie direkt und blickte ihr in die Augen.
»Nun ja... ähm... also... in der Bibel -«
»Glaubst du an Schutzengel?«, wiederholte er sich.
»Nein«, antwortete sie ehrlich. »Man erzählt Kindern, jeder habe einen Schutzengel, der einen beschützt, wenn man in Gefahr ist, aber ich glaube nicht daran. Hätte jeder einen Schutzengel, gäbe es keine tödliche Krankheiten mehr, keine Unfälle. Das Leben hier wäre perfekt. Dem ist aber nicht so.« Anne Styles lächelte sanft, gab Harry einen Kuss auf die Wange und verließ sein Zimmer.
»Es ist nun eben nicht so einfach, einen Menschen zu beschützen, wie deine Mutter es darstellt.«
Harry wunderte sich nicht mehr, dass Angel neben ihm auf dem Bett saß. Sie griff an ihm vorbei und bediente sich an den Cookies.
»Es ist viel komplizierter, zumal ein Schutzengel nicht über einem Menschen in den Luft schwebt, sondern ihn von den Wolken aus beobachtet. Nur selten besucht man die Erde, aber dank dir bin ich Stammgast hier. Zumindestens konnte ich das Ende von Harry Potter erfahren.« Sie biss von dem Cookie ab und ein Krümel blieb an ihrer Lippe hängen. Harrys Hand schnellte hervor und er wischte den Krümel weg. Diese kurze Berührung ließ ihn Glückshormone freisetzen.
»Und wo lebst du dann?«, wollte Harry schüchtern wissen.
»Im Himmel, wo denn sonst? Du bist doch Christ, oder? Ich bin Jüdin.«
Harry hatte es sich denken können, dass sie Jüdin war, was vor allem an ihren lockigen dunklen Haaren erkennbar war, doch ihre Augen waren dagegensprechend. Ein seltsamer Gedanke machte sich in ihm breit. »Bist du gestorben wegen...? Auch wenn Hitler da schon tot war, gab und gibt es noch immer Hass auf Juden«, entfloh es seinem Mund, bevor er sich Gedanken über die Dreistigkeit dieser Frage machen konnte. Er selber fand es im Nachhinein schrecklich egoistisch. Dieses Mädchen war tot und dann fragte er sie einfach nach der Ursache.
»Ich wurde mit Steinen beworfen«, wisperte sie, während Harry mitfühlend einen Arm um ihre Schultern legte und über ihr Haar strich, »und ich war krankenhausreif, aber das hat niemanden interessiert. Ich wurde blutend liegen gelassen. Alleine. Du kannst dir gar nicht ausmalen, wie es ist, alleine zu sein mit dem Wissen, zu sterben, und niemanden zu haben, der mich von dem Leid erlösen kann. Hätte jemand mir eine Kugel in den Kopf gejagt, wäre es mir besser gegangen. Ich hätte den Schmerz nicht lange aushalten müssen. Und als Revanche wurde ich zu dem, was ich jetzt bin.«
»Die, die dich mit Steinen beworfen haben, gehören in das Fegefeuer«, versuchte Harry, sie aufzumuntern.
»Glaub mir, Hazza, da werden sie auch landen«, hauchte sie und lächelte mit Tränen in den Augen zu ihm hoch.
Harry zog Angel unerwartet mit dem Kopf an seinen Bauch, damit sie sich wärmen konnte, da sie leicht mit den Schultern zitterte und den Zähnen klapperte. Er spendete ihr seine Körperwärme und atmete tief ihren Geruch ein. Und es war ihm egal, ob seine Mutter und seine Schwester jeden Moment in das Zimmer kommen könnten, denn etwas tief in ihm sagte ihm, dass sie Angel gar nicht sehen konnten. Nachdem Angel lange Zeit tonlos geweint hatte, wischte sie sich die letzten Tränen weg und stand auf.
»Danke für's Zuhören. Ich muss los. Ich hab mich mit Sydney verabredet, gemeinsam etwas zu plaudern und sie wartet nicht gerne.« Mit den Worten sprang sie so jäh aus dem Fenster, dass Harry seinen Kopf aus dem Fenster steckte und überraschte beobachtete, wie sie davonflog mit ihren prächtigen Flügeln. Jeder Flügelschlag war stark und trug die höher, bis sie irgendwo dort oben zwischen den Wolken verschwand.
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