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Keine Ahnung wie lange ich unter der Dusche stand. Irgendwann wurde mir das Stehen auf jeden Fall zu anstrengend und ich habe mich hingesetzt. Die ganze Zeit aber habe ich geweint. Vom vielen Weinen musste ich würgen, davon husten und dann noch mehr weinen. Und jetzt habe ich von Dehydration Kopfschmerzen.
In einer viertel Stunde treffe ich mich mit Dave und J.J. in der Lobby. Per Handy habe ich gefragt ob mich jemand mit zum Revier nehmen kann und die beiden waren so nett das zu tun. Jetzt stehe ich im Badezimmer vor dem Spiegel und versuche so gut es geht meine Augenringe und die blauen Flecke im Gesicht zu überschminken. Einen Agent der wie frisch verprügelt aussieht kann man ja nicht ernst nehmen.
Als ich zumindest nicht mehr wie eine Leiche aussehe gehe ich in den Nebenraum und stecke meine Waffe und Dienstausweis an. Ich trage die gleiche Kleidung wie immer, wenn ich Arbeite: Jeans, schwarze Turnschuhe und ein schlichtes Oberteil. Doch heute fühle ich mich darin unwohl. Am liebsten würde ich jetzt meine Jogginghose und den XXL Pulli anziehen, die in meinem Kleiderschrank zuhause liegen. Der Pulli ist von Derek und.... Bei dem Gedanken an Derek muss ich schlucken und mir die Tränen verkneifen. Es ist hart auf seinen besten Freund sauer zu sein, aber es ist noch härter nach so einem Erlebnis wie gestern Abend nicht mit seinem besten Freund reden zu können. Da ich aber im Moment nicht weiß, wie ich Derek verzeihen oder wieder vertrauen soll, ist Reden einfach keine Option.
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich nach unten muss um Dave und J.J. nicht warten zu lassen. Ich schnappe mir schnell einen Müsliriegel aus meiner Tasche, welchen ich im Fahrstuhl esse.

In der Lobby warten meine beiden Kollegen auf mich und ich sehe an ihren Blicken, dass sie etwas zu Gestern sagen wollen, aber ich komme ihnen zuvor: „Tut mir einfach einen Gefallen und sagt nichts. Spencer hat es gestern schon versucht und ist gescheitert. Ich möchte im Moment nicht darüber reden. Weder über diesen Joe noch über die Sache mit Derek. Und bitte... bitte erstellt kein Profil von mir." Die beiden schauen mich kurz an, nicken dann aber. „Na klar. Am besten konzentrieren wir uns einfach auf unseren Fall und sehen zu, dass wir so schnell wie möglich zurück nach Quantico kommen." Antwortet Dave und ich nicke zustimmend.

Als wir bei dem Polizeirevier ankommen sind die anderen schon alle da. Schweigend nehme ich mir einen Kaffee und mein Blick fällt auf den Schreibtisch, auf welchem eine Akte liegt. Aus der Akte gucken Fotos und ich erkenne den Tatort von Gestern, an welchem ich fast vergewaltigt wurde. Ich bekomme Gänsehaut und ziehe die Schultern hoch. Die anderen hören Hotch zu, der, glaube ich, die Ergebnisse von Gestern Abend zusammenfasst. Deswegen hat auch keiner meine Reaktion auf die Fotos mitbekommen. Das dachte ich zumindest, denn plötzlich spüre ich eine Hand auf meinem Rücken und ich blicke in Spencers sorgenvolles Gesicht. Auf der einen Seite bin ich davon genervt, dass er so aufmerksam ist, auf der anderen Seite tröstet mich das aber auch irgendwie. Deswegen schenke ich ihm ein halbherziges, trauriges lächeln. Er erwidert es und wir beide wenden unsere Aufmerksamkeit Hotch zu. Dabei sehe ich, wie Derek mich mit schuldbewusstem Blick beobachtet, aber ich ignoriere ihn.

Ich bin nicht bei der Sache, sondern hänge meinen Gedanken nach. Deswegen erschrecke ich mich etwas, als ich plötzlich im Auto neben J.J. sitze und wir irgendwohin unterwegs sind. Ich schaue mich verwirrt um, was meine Kollegin natürlich bemerkt. „Soll ich dir nochmal eine Zusammenfassung geben?" fragt sie ohne dabei einen verurteilenden Ton zu haben. Verlegen nicke ich.
„Also. Gestern Abend bei der undercover-Aktion gab es eigentlich nur einen nennenswerten Durchbruch. Hotch und Rossi haben von einer Selbsthilfegruppe erfahren, welche die Verarbeitung von den Erlebnissen mithilfe von religiösem Glauben anbietet." „Und dahin sind wir unterwegs?" frage ich nach. J.J. nickt „Wir sollen uns da mal umhören. Vielleicht ist jemand da aufgefallen durch den Glauben an die Sünde der Hexerei. Das sind übrigens nicht meine Worte, sondern die von Spenc." Ich muss kurz grinsen. „Das überrascht mich nicht. Wo sind die anderen?" J.J.s Augen huschen kurz zu mir, dann wieder auf die Straße. „Sie sind beim neuen Tatort." „Es gibt wieder eine Tote?" frage ich überrascht. „Ja, Hotch hatte uns doch vorhin darüber informiert." Ich erwidere nichts, sondern starre auf die Straße. Ich bin so wenig bei der Sache, dass das schon grob fahrlässig ist, wenn ich weiterarbeite. Eigentlich sollte ich bei Hotch um meine vorübergehende Freistellung bitten, aber andererseits ist die Arbeit wahrscheinlich gerade das einzige was mich zumindest etwas ablenkt.
„Ich werde ab jetzt wieder voll und ganz bei der Sache sein." Sage ich nur und es bleibt die Frage ob ich das sage um J.J. zu beruhigen, oder um mich selbst zu überzeugen.

15 Minuten später erreichen wir unser Ziel. Als wir aussteigen sehe ich ein Schild, auf welchem die Treffen der Selbsthilfegruppe geschrieben sind. Das nächste Treffen findet erst in einer halben Stunde statt. Wir haben also genug Zeit uns mit dem Leiter der Gruppe zu unterhalten.
„Oh, tut mir leid. Aber das Meeting fängt erst in 30 Minuten an." Sagt uns eine brünette Frau im mittleren Alter. Sie stellt gerade einen Stuhlkreis auf, als J.J. und ich den Raum betreten. „Mam, wir sind vom FBI. Das ist Agent Miller und ich bin Agent Jareau." Stellt J.J. uns vor. „Wir haben einige Fragen zu dieser Selbsthilfegruppe." „Oh... äh, okay. Wie kann ich Ihnen helfen?" fragt die Frau uns verwirrt. Auf ihrem Namensschild an der blauen Jacke steht „Karen". „Wissen Sie, ob jemand aus dieser Gruppe an Hexerei glaubt?" frage ich und Karen zuckt mit den Schultern. „Das tun alle irgendwie. Wissen Sie," fängt sie an zu erklären, "wir sind eine religiöse Selbsthilfegruppe. Und da das hier die Stadt der Hexen ist, gehört die Hexerei irgendwie zu unserem Glauben dazu." „Ist Ihnen denn vielleicht jemand aufgefallen, der die Hexerei auf schärfste verurteilt und sogar so weit geht, dass Hexerei bzw. Hexen bestraft gehören?" hakt J.J. nach. Karen scheint kurz zu überlegen und schaut uns dann unsicher an. „Hm.. vielleicht Sophie. Aber sie war jetzt schon eine Weile nicht mehr bei uns." „Können Sie uns etwas über Sophie erzählen?" frage ich nach. „Nun ja, sie hat eigentlich nie viel gesagt. Manchmal ist sie mit ihrer Tochter hierhergekommen. Sie hat wohl ihre jüngste Tochter vor einiger Zeit verloren." J.J. und ich tauschen einen schnellen Blick. Das klingt doch vielversprechend. „Und warum glauben Sie, dass Sophie die Hexen bestrafen will?" „Ich habe öfter gehört wie sie sich nach den Meetings mit den anderen über Hexerei unterhalten hat. Ich weiß noch, dass ich das merkwürdig fand. Denn eigentlich haben wir hier in der Gruppe ein eher positives Bild von den Hexen. Immerhin können sie viele Leiden linden. Aber Sophie... sie war richtig vernarrt in den Gedanken, dass Hexen nur Leid beifügen, nicht aber heilen können." „Können Sie uns sonst noch was von Sophie erzählen?" fragt J.J. und Karen schüttelt den Kopf. „Nein tut mir leid, mehr weiß ich leider nicht über sie." „Das macht nichts Mam, Sie haben uns sehr geholfen. Vielen Dank und auf Wiedersehen." Erwidere ich und J.J. und ich laufen zurück zum Wagen. „Das ist eine gute Spur." Sagt J.J. als wir im Auto sitzen. „Endlich haben wir eine." Murmle ich.

Es geht nicht darum, was dir im Leben passiert, sondern wie du darauf reagierst. - Epictetus.

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