Kapitel 40
Ein leiser Schrei war zu hören, als wir wieder auf den Friedhof apparierten, auf dem Dorcas heute beerdigt werden sollte.
„Carolin? Merlin, ist alles in Ordnung mit dir?" Lily kam auf mich zu gerannt. In ihren Augen stand Panik.
„Geht schon. Nur ein paar Kratzer, aber –" Ich merkte, wie mir mehrere Tränen über die Wangen liefen.
„Was ist los?"
„Marlene und ihre Eltern –" Ich sah zu meinem Großcousin herüber, der mit Kira auf dem Schoß angerollt kam. Er starrte mich entsetzt an.
„Samuel, ich – Es tut mir leid." Wir waren zu spät gewesen. Hätten wir nur früher Alarm geschlagen, als darauf zu vertrauen, dass meine beste Freundin in Sicherheit war. Mein Großcousin hielt mir seine Hand hin. Das Zeichen für mich, dass ich zu ihm kommen soll. Ich ließ mich auf sein Schoß fallen. Kira kam zu Marianne auf mein Schoß.
„Es tut mir leid." Ich kuschelte mich an meinen ältesten Freund.
„Du kannst nichts dafür, Kleines." Ich merkte, wie er anfing zu weinen, genauso wie mir wieder die Tränen in die Augen schossen.
Ich starrte in den Spiegel von Sirius und meinem Badezimmer. Langsam verstand ich Lilys Frage, ob mit mir alles in Ordnung war. Meine Kleidung war zerrissen, meine Arme und Beine mit blutigen Kratzern geziert. Außerdem sah man mehrere Blutflecken von meinen Versuchen, bei Mr McKinnon noch etwas zu retten. Ein ziemlich dummer Versuch, da er zu dem Zeitpunkt schon länger nicht mehr geatmet hatte. Doch als wir ihn gefunden haben, schien es mir aus irgendeinem Grund eine gute Idee zu sein.
„Prinzessin? Ich habe Kira, Patricia und Marianne ins Bett gebracht. Sie schlafen friedlich. Samuel wollte meine Hilfe nicht. Er hat mich angeschrien und dann herausgeschmissen."
„Nimm es nicht persönlich. Er ist –"
„Wäre ich an seiner Stelle, hätte ich mich auch nicht sehen wollen. Ist in Ordnung." Ich biss mir auf die Unterlippe.
„Hast du etwas dagegen, wenn ich bei ihm übernachte? Ich glaube, er braucht mich heute Nacht." Mein Ehemann lächelte leicht.
„Er braucht dich dringender als je zuvor. Keine Sorge. Kira, Patricia und ich werden uns schon gegenseitig trösten. Aber bevor du zu deinem muffeligen Samuel gehst, sollten wir dich noch einmal hübsch machen." Sirius ging zu dem Badezimmerschrank und holte meine Heilsalbe und einen Waschlappen heraus.
„Komm her, Prinzessin. Jetzt kümmert sich dein Stallbursche ein wenig um dich." Er machte den Waschlappen nass und begann damit über meine verdreckte Wange zu reinigen.
„Es würde schneller gehen, wenn ich eben duschen gehen würde."
„Dann würdest du aber eben unter die Dusche springen und ich könnte mich nicht mehr um mich kümmern. Lass mich dir helfen." Sirius sah mich mit seinem lieben Hundeblick an, den er immer aufsetzte, wenn er unbedingt etwas machen wollte. Doch ausnahmsweise schwang in seinem Blick noch etwas anderes mit. Er fühlte sich nutzlos. Die Kinder lagen im Bett, Samuel und ich brauchten gerade uns gegenseitig und Sirius wollte helfen, wusste aber nicht wie. Also tat er das Einzige, was ihm einfiel. Er wollte meine Wunden versorgen.
„Wir sollten die Wunden desinfizieren, bevor du sie heilst. Wahrscheinlich sind sie komplett verdreckt. Wenn wir sie jetzt heilen, wird der Dreck mit eingeschlossen." Ich begann meine schwarze, zerfetzte Kleidung auszuziehen, damit wir besser an die Wunden kommen konnten.
„Hast du etwas dafür hier?"
„Desinfektionsmittel steht auf dem Regalbrett mit meinen anderen Heilsalben. Und darunter steht etwas zum Abschminken, das könnte auch helfen. Die Schminke ist wasserfest."
„Ich kümmere mich um dich. Also sag mir nicht, wie ich das machen muss. Lass dir einfach helfen." Ich ließ mich auf die Kante der Badewanne fallen. Zufrieden lächelnd suchte Sirius die restlichen Dinge zusammen, bevor er seine Arbeit fortsetzte.
Vorsichtig klopfte ich an die Tür von Samuel und ehemals Marlenes Zimmer. Drinnen war nichts zu hören, doch ich konnte mir kaum vorstellen, meinen Großcousin hier nicht zu finden. Also trat ich trotz der fehlenden Reaktion in den Raum. Die Vorhänge waren nicht zugezogen worden. Vor dem Fenster saß Samuel, noch immer in der gleichen Kleidung wie vorher auch.
„Samuel, du solltest dich umziehen. Du warst schon auf Dorcas Beerdigung müde."
„Ich weiß." Ich trat neben meinen Großcousin, welcher mit trüben Blick nach draußen auf das weitläufige Gelände starte.
„Was ist los, Großer?"
„Ich habe es versucht, aber – Carolin, ich schaffe es nicht einmal mehr, alleine ins Bett zu gehen! Wie soll ich mich um meine Tochter kümmern? Was soll ich bitte ohne Marlene machen?" Ich strich meinen Großcousin über die Haare.
„Wir schaffen das. Wir alle zusammen. Versprochen."
„Carolin, die Prophezeiung sagt, dass –"
„Ich weiß, dass ich vor Ende des Kriegs fallen werde. Aber Sirius bleibt bei dir –"
„Carolin, was ist, wenn er auch fällt? Was ist, wenn sie alle fallen?"
„Du wirst jemanden finden, der dir helfen wird."
„Und wenn nur unsere Kids überbleiben?"
„Sie haben noch immer Artemis und Athene. Die beiden werden auf sie aufpassen."
„Und wenn wir ausgelöscht werden? Was dann?" Ich zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung, wir müssen einfach alles daran setzen, hier lebend herauszukommen. Wir werden das schaffen. Daran glaube ich. Jetzt lass mich dir helfen aus diesen Klamotten raus zu kommen. Wir brauchen beide Schlaf."
Es war komisch beim Frühstück zu sitzen und zu wissen, dass Marlene nicht in ein paar Tagen wieder bei uns sitzen würde. Es war komisch und es fühlte sich falsch an. Meine beste Freundin würde nie wieder bei irgendeiner Mahlzeit dabei sein, meinem Ehemann irgendwelche blöden Sprüche reinwürgen oder Ähnliches. Moa wirkte ein wenig überfordert mit der jetzigen Situation. Sie saß schweigend am Tisch und sah zwischen mir, Sirius und Samuel hin und her.
Mein Großcousin hatte seit unserem Aufstehen bisher nur ein paar Mal „Morgen" gemurmelt, ansonsten war er stumm, starrte traurig vor sich hin und wirkte einfach unglücklich. Ganz anders als Sirius, der rotierte. Er kuschelte mit unseren Kindern, sorgte dafür, dass sie die Flasche bekamen, oder rannte herum, um noch irgendetwas aus dem Kühlschrank zu holen. Länger als fünf Minuten am Stück blieb er nicht auf seinem Platz sitzen.
Elaina wirkte mit der ganzen Situation überfordert. Das junge Mädchen wirkte zwar traurig, da Marlene nun nicht mehr bei uns war, doch der Gedanke, dass ihre Tante bei den Göttern in Sicherheit war, zauberte ihr ein Lächeln aufs Gesicht. Die Sechsjährige versuchte Samuel ein wenig aufzuheitern, in dem sie versuchte, ihm den Rollstuhl schön zu reden. Sie wollte unbedingt selber einmal ausprobieren damit zu fahren, auch wenn ihre Arme dafür wahrscheinlich viel zu kurz waren. Auch die Idee, er könnte mit ihr eine Runde fahren, kam nicht wirklich gut an. Ein kurzes Kopfschütteln, mehr bekam meine Großcousine nicht als Reaktion.
Ein Klopfen an der Glasscheibe ließ uns aufblicken. Eine Eule saß dort. Sie wollte anscheinend gerne unsere Aufmerksamkeit haben. „Ich gehe schon." Sirius verließ erneut unsere Runde, um zum Fenster zu rennen. Er tauschte den Brief gegen ein Stück Toast, füllte ein wenig Wasser in eine Schüssel, bevor er den Brief aufriss. Diesen las er kurz, bevor das Stück Papier auf dem Boden fiel. Mein Ehemann rannte aus dem Raum heraus.
„Sirius?" Ich sah ihm verwirrt nach, doch bekam keine Antwort.
„Sirius! Pass doch auf!", hörte man im Flur Deborah rufen, während ein Baby anfing zu weinen. Doch auch die Gewitternymphe bekam keine Antwort. Stattdessen kam Deborah mit ihrer Tochter Natasha auf dem Arm in die Küche.
„Warum rennt dein Ehemann uns beide fast um?" Ich zeigte auf die Post, welche auf dem Boden lag.
„Er hat den Brief gelesen." Die frischgebackene Mutter bückte sich nach dem Schriftstück. Sie betrachtete kurz den Brief, bevor sie ihre Stirn runzelte.
„Von eurem ehemaligen Direktor an uns alle. Mopsos ist tot." Ich runzelte die Stirn. Eigentlich sollte mich diese Nachricht nicht überraschen. Im Krieg fielen andauernd Leute und die Nymphenfamilien waren in besonderer Gefahr.
Doch der Lehrer verließ so gut wie nie das Schloss. Er besuchte höchstens Mal seine beiden Nichten, die nach dem Tod ihrer Eltern bei Sophias Cousine Tanja untergekommen waren. Doch dieser Besuch geschah nur selten, meistens sehr spontan und unter großen Sicherheitsvorkehrungen. Selbst wenn die Todesser ihm auflauern sollte, hätte er wahrscheinlich vorher eine Vision gehabt und hätte es abgewandt. Daher schien dieser Satz einfach keinen Sinn zu machen. Der Wahrsager konnte einfach nicht tot sein.
„Du machst doch Scherze. Was will Dumbledore wirklich?" Samuel sah verwirrt zu der Gewitternymphe. Ein Teil von mir wollte für diese Worte meinem Großcousin um den Hals fallen. Obwohl er erst seit ungefähr einer Stunde wach war, hatte ich es vermisst, dass er sprach. Gerade jetzt, wo wir eigentlich so viel zu besprechen hätten. Diese wenigen Worte waren eine einzige Wohltat.
„Das ist kein Scherz. Dumbledore schreibt, dass der Professor aufgrund einer Erbkrankheit erblindet ist und an dieser nun auch gestorben ist. Es klingt so, als hätten die Leute, die von dieser Krankheit gewusst haben, absehen können, dass es passieren würde." Mein Blick glitt zur Tür, durch die mein Ehemann verschwunden war. Deshalb war er weggelaufen. Eine Hiobsbotschaft zu viel. Erst war Dorcas gefallen, dann Marlene, nun auch noch Professor Noble und alle drei Tode in der letzten Woche. Langsam stand ich von meinem Platz auf. Ich musste unbedingt nach meinem Ehemann sehen.
„Ich gehe mal nach Sirius gucken." Ich drückte im Vorbeigehen Samuels Hand, welcher diese dankbar solange umklammert hielt, wie ich in Reichweite war. Sobald dies allerdings nicht mehr ging, zog er seine Hand zurück.
Mein Ehemann lehnte ganz in der Nähe des Haupteinganges an der Mauer. Sein Blick starrte ins Leere, seine Schulter hingen herunter. Es wirkte mal wieder so, als würde er die ganze Last der Welt auf seinen Schultern tragen. Obwohl tragen, war vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Er brach eher unter der Last zusammen.
„Stallbursche?" Er reagierte gar nicht darauf. Ich stellte mich genau vor ihn, weshalb der Kies mal wieder unter meinen Schuhen knirschte.
„Sirius? Rede mit mir." Sein Blick wurde wieder ein wenig klarer. Anstatt ins Leere zu starren, fixierten nun die Augen meines Partners mich. Ich atmete erleichtert auf. Das war doch schon einmal ein guter Anfang.
„Ich will nicht mehr. Ich will einfach nur, dass das alles endet. Jetzt und hier. Ich kann nicht mehr. Ich habe durchgehend Angst, dass irgendjemand sterben wird. Ich traue mich kaum noch aus dem Haus und das Schlimmste ist, ich weiß, dass ich dich verlieren werde. Egal, was ich auch versuche, du wirst sterben. Jedes Mal, wenn ich es gerade verdrängt habe, passiert irgendetwas und ich werde wieder daran erinnert." Am Anfang seiner Worte war er noch zögerlich, doch er redete sich immer mehr und mehr im Fluss. Im Einklang damit flossen seine Tränen. Am Anfang noch langsam, Träne für Träne, weshalb ich sie noch versuchte wegzuwischen, doch am Ende flossen sie in Strömen. Allerdings endeten sie nicht mit seinen Worten.
Ich zog meinen Ehemann wortlos in meine Arme. Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Er sprach das aus, was ich mir schon seit längerem dachte. Der Krieg hatte einen viel zu hohen Preis.
Mittlerweile waren wir im Wohnzimmer gelandet. Sirius und ich hatten es uns mit Samuel und den Kindern auf dem Sofa gemütlich gemacht. Während Kira, Elaina und Marianne sehr glücklich über die Kuscheleinheit schienen, war es Patricia zu langweilig geworden, doch ganz von der Gruppe lösen wollte sie sich wohl nicht. Meine Tochter war dazu übergangen mit meinen Haaren zu spielen, dabei lagen im Wohnzimmer durchaus interessantere Spielsachen herum. Doch solange die fast Einjährige Spaß dabei hatte, bei uns zu sitzen, würde ich sie mit Sicherheit nicht von meinem Schoß schmeißen. Schon alleine deshalb nicht, weil Sirius seiner Tochter mit glücklich glänzenden Augen zusah.
„Vielleicht sollten wir für ein paar Tage mal England und dieses Schloss verlassen." Ich sah nach rechts, wo Samuel, welcher gesprochen hatte, saß. Er hatte seinen Kopf gegen meine Schulter gelehnt und hatte die letzten paar Minuten damit verbracht wortlos ins Leere zu starren. Nicht einmal Marianne hatte es geschafft, die Aufmerksamkeit ihres Vaters auf sich zu lenken.
„Wohin würdest du denn wollen?"
„Keine Ahnung. Hauptsache hier mal wieder raus. Ich kann das Schloss nicht mehr sehen." Die richtigen Worte waren wohl eher, er wollte nicht in Marlenes und seinem Schlafzimmer schlafen, wenn seine Verlobte fürs Erste nicht mehr neben ihm schlafen würde. Aus meiner Sicht durchaus verständlich. Wäre von heute auf morgen Sirius nicht mehr da, ich würde auch nur ungern dortbleiben, wo mich alles an ihn erinnert.
„Wir könnten mal wieder die Scamanders besuchen. Wir haben sie schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen." Ich sah zu meinem Großcousin herüber, welcher kurz nachdachte, bevor er langsam nickte.
„Von mir aus können wir das gerne machen. Sirius?" Wir sahen beide zu meiner linken Seite, wo mein Ehemann saß. Dieser nickte begeistert.
„Ich bin noch ein paar Tage krankgeschrieben. Solange komme ich gerne mit. Falls es erst danach klappt, könnt ihr aber auch gerne ohne mich sie besuchen."
„Sie werden sich bestimmt freuen, wenn wir die restlichen Tage deiner Krankschreibung bei ihnen verbringen. Ich schreibe ihnen gleich."
Wir mussten nicht lange auf die Antwort der Scamanders warten. Schon beim Abendessen kam der Brief von ihnen an. Ruby wirkte ziemlich erschöpft, was nach einem so weiten Flug auch nicht überraschend war. Vor allem weil sie die Strecke gleich zweimal zurückgelegt hatte. Einmal nach Amerika und wieder zurück war nichts, was man der kleinen Briefeule mal eben zumuten sollte.
Liebevoll strich ich dem Tier über die Federn. Sie waren ein wenig nass. Offensichtlich war sie in ein Regenschauer geraten. Arme Ruby. Ich nahm ein Küchenhandtuch, um damit mein Tier abzutrocknen. Sie klackerte glücklich mich dem Schnabel. Moa, welche gerade dabei gewesen war, das Abendessen vom Herd zu nehmen und zu dem Esstisch zu bringen, füllte eine Schüssel mit Wasser. Diese wurde mit einem Eulenkeks neben die Eule auf die Küchenablage gestellt. Kaum war ich mit dem Abtrocknen fertig, stürzte sich mein Haustier auf das bereitgestellte Essen. Das hatte sie sich auch wirklich verdient.
Ich wandte mich unserer Post zu. Die Antwort unserer alten Freunde war nicht lang, doch es stand alles Wichtige drin. Sie freuten sich sehr darüber, dass wir kommen wollten und erwarteten uns morgen um zwölf Uhr nach amerikanischer Zeit.
„Wir verbringen die nächsten paar Tage in Amerika." Ich sah zu meiner Familie und den anderen Schlossbewohnern, die an unserem großen Küchentisch saßen.
„Das höre ich gerne. Dann müssen wir Kofferpacken Welpe und Kätzchen. Wir fahren zu Mamas Lieblingsort. Einem Ort voller magischer Tiere. Ihr werdet es lieben."
Lachend sah ich dabei zu, wie Marianne und Kira mit Rolf auf einer Decke spielten. Sie hatten alle drei Stofftiere in der Hand. Während der junge Scamander die beiden fast Einjährigen voll plapperte, antworten meine Verwandten mit ihrer Babysprache oder machten irgendwelche Tiergeräusche nach.
Patricia hatte sich zu Elaina gesellt, welche Newts Einhörner auf der Koppel beobachtete. Eigentlich machten die Tiere nichts Interessantes. Sie waren friedlich am Grasen. Eine normale Handlung, welche die beiden Kinder schon oft bei unseren eigenen pferdeartigen Wesen beobachtet haben. Doch anscheinend war es noch immer faszinierend ihnen zuzusehen.
Ich selber saß mit Samuel, Sirius, den Scamanders, Jacob und Queenie zusammen. Wir waren friedlich am Quatschen und sahen immer mal wieder zu den Kindern herüber.
„Carolin!", wurde ich von meiner Großcousine gerufen. Sofort sah ich alarmiert auf.
„Was ist los, Elaina?"
„Darf ich reiten? Bitte, nur ganz kurz." Mein Blick glitt zu Newt. Es waren seine Einhörner. Da hatte ich keine Entscheidungsgewalt.
„Es sind sehr eigenständige Lebewesen. Wenn sich eines bereit erklärt, kann sich Elaina gerne austoben." Ich nickte dem alten Magizoologien zu, welcher mir aufmunternd zulächelte. Ich lief zu Elaina herüber. Es würde mit Sicherheit nicht schaden, wenn ich der Sechsjährigen beim Suchen eines Einhornes half, auf dem sie eine Runde reiten konnte.
Elaina hatte sich auf einem Einhorn gemütlich gemacht. Vor ihr saß Patricia. Meine Tochter und meine Großcousine hatten solange auf mich eingeredet, bis ich mich schließlich bereit erklärt hatte, dass das Baby eine Runde mitreiten durfte.
Das sechsjährige Mädchen hielt sie fest, ich lief zur Sicherheit nebenher. Natürlich hatte Elaina im Alter meiner Tochter schon auf einem Pferd gesessen, doch damals war die Person, mit der sich geritten ist, immer wesentlich Älter gewesen als sie im Moment. Das hieß auch, dass sie mehr Kraft gehabt haben, um Elaina festzuhalten. Bei meiner Großcousine und meiner Tochter hatte ich allerdings ein bisschen Sorge, dass die Sechsjährige das Baby nicht halten konnte.
Wahrscheinlich machte ich mir auch einfach zu viele Gedanken, weil in letzter Zeit so viele unserer Freunde und Bekannten verletzt oder getötet worden waren. Doch solange ich nebenher lief, konnte ich jeden Sturz mit einem Zauber abfangen. Das war doch ein guter Kompromiss, damit die beiden ihren Spaß haben konnten und ich mir nicht die ganze Zeit Sorgen machen musste.
Mein Blick glitt zum Zaun, an dem mittlerweile Samuel, Sirius und David standen. Mein Ehemann sah etwas besorgt aus, während David offensichtlich versuchte, ihn zu beruhigen. Samuel hingegen sah mit einem sehnsüchtigen Blick zu uns herüber. Ich fragte mich, welcher der beiden Aktivitäten er gerade hinterher trauerte. Dem neben dem Pferd herlaufen oder dem Reiten. Ich lief weiter in Richtung Zaun, das Tier blieb brav an meiner Seite, auch wenn es die drei Männer misstrauisch betrachtete.
„Sie werden dir nichts tun. Die drei sind wirklich sehr nett. Gerade gegenüber Tieren." Das Einhorn wieherte leise. Das Misstrauen wich ein wenig aus ihrem Blick. Kaum waren wir am Zaum angekommen, hatte ich schon Sirius Aufmerksamkeit sicher.
„Bist du dir sicher, dass es eine schlaue Idee ist, Patricia auf ein unbekanntes Pferd zu setzen, wenn sie bisher nicht einmal auf Mikki gesessen hat?"
„Ich bin direkt neben ihr und Elaina hält sie doch sehr gut fest. Mach dir keine Sorge."
„Und wenn das Einhorn losgeht?" Ich zog eine Augenbraue hoch.
„Ich habe das Ganze sehr gut im Griff."
„Und mir verbietest du, ihnen das Fliegen beizubringen", grummelte Sirius leise. Jetzt kam das Thema wieder auf. Patricia und Kira konnten noch nicht richtig laufen, da sollten sie schon fliegen lernen.
„Da sitzen sie alleine auf einem Besen."
„Also ist es in Ordnung, wenn ich mich hinter sie setze?" Ich dachte kurz nach. Nein, mir gefiel der Gedanke noch immer nicht. Allerdings konnte Sirius wohl wesentlich besser als ich abschätzen, ob eine meiner Töchter bereit dafür war, auf einem Besen zu sitzen.
„Wenn du nur Schritt fliegst, ist es in Ordnung." David brach in Gelächter aus.
„Schritt fliegen? Ehrlich Carolin?" Ich nickte bestimmt.
„Ja, Schritt fliegen. Also ungefähr sechs km/h." Mein Ehemann grinste schief.
„Ich weiß gar nicht, ob Besen so langsam fliegen können, Prinzessin. Aber ich probiere es erstmal aus. Ansonsten diskutieren wir das Thema nochmal aus." Ich nickte leicht. Damit konnte ich leben. Mein Blick glitt zu meinem Großcousin.
„Was ist los, Großer?"
„Ich vermisse nur meine Beine." Er seufzte leise, während sein Blick zu den besagten Körperteilen glitt.
„Weil du gerne an Elainas oder meiner Stelle wärst?"
„An beiden." Sirius begann aufmunternd Samuels Schulter zu tätscheln, während David anfing zu grinsen.
„Also die Muggel in Rollstühlen werden öfter mal auf Pferde gesetzt. Sie sind überzeugt, es würde den Querschnittsgelähmten helfen. Ich meine, sie glauben auch, zunähen von Wunden wäre eine gute Idee, obwohl es so hässliche Narben gibt, aber vielleicht haben sie ausnahmsweise mal recht. Du solltest es ausprobieren."
„David, ich kann nicht reiten. Selbst wenn wir es schaffen, mich auf ein Pferd sicher zu setzen, ich kann nicht mehr mit meinen Beinen die Kommandos geben. Wie soll ich also die Richtung oder die Gangart vorgeben?
„Mit deinen Händen? Den Zügeln? Eure Pferd haben in ihrem Leben eine Menge Kunststücke gelernt. Ich wette, sie schaffen es auch auf neue Kommandos zu lernen. Aber bevor du dir darüber Gedanken machst, wie du eine Richtung vorgibst, solltest du erstmal versuchen, ob wirklich Querschnittsgelähmte reiten können. Carolin wird dich mit Sicherheit gerne fürs Erste führen."
Nun saßen Elaina und Patricia in Samuels Rollstuhl, während mein Großcousin ziemlich unsicher auf dem Einhorn saß. Mit Hilfe von einem Zauber war es sehr einfach gewesen, ihn dorthin zu verfrachten, allerdings wirkte er nicht wirklich glücklich da oben. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich gedacht, er würde das erste Mal auf einem solchen Tier sitzen und wäre nicht auf pferdeartigen Wesen aufgewachsen.
„Bist du bereit?"
„Ganz ehrlich? Keine Ahnung." Er starrte auf seine Beine, die nutzlos an dem Pferdekörper herunterhingen.
„Du schaffst das." Ich lächelte ihm aufmunternd zu, bevor ich mich langsam in Bewegung setzte. Das Einhorn schien Samuels Angst vor diesem Ritt zu spüren. Es gab sich große Mühe, sogar für Schritt langsam zu laufen und möglichst wenig zu wackeln. Im ersten Moment, dachte ich, mein Großcousin würde herunterrutschen, doch anscheinend hatte das jahrelange Training sich eingeprägt. Er fand sein Gleichgewicht wieder. Damit blieb er an Ort und Stelle. Die ersten Schritte wirkte er trotz allem noch ziemlich angespannt. Doch nach und nach wirkte er immer entspannter, bis er schließlich breit grinste.
„Ich kann reiten, Carolin. Ich kann reiten." Eine Freudenträne floss über seine Wange. Er hielt mir die Hand hin, damit ich mich zu ihm auf das Einhorn begab. Nicht ungewöhnlich, dass er mich auf ein Pferd hochzog. Das hatten wir in der Zeit vor Hogwarts mindestens einmal täglich gemacht. Doch anders als zu dieser Zeit, zog er mich nicht hinter sich, sondern vor sich, damit ich sehen konnte, wohin wir nun ritten und ich notfalls ein paar Kommandos geben konnte.
Wir ritten nicht lange zusammen. Samuel wurde es schnell zu anstrengend. Man merkte doch, dass er die letzten Tage vor allem im Bett oder im Rollstuhl verbracht hatte. Außerdem fand er es auch mit gelähmten Beinen anstrengender, sich auf dem Pferd zu halten. Doch trotz allem zierte ein strahlendes Grinsen sein Gesicht. So glücklich hatte ich ihn schon lange nicht mehr gesehen. Das letzte Mal war vermutlich bei der Geburt von Mary gewesen.
Wir waren noch ungefähr zehn Meter vom Zaun entfernt, als es passierte. Mein Bauch fing furchtbar an zu brennen. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich behauptet, irgendein Fluch hätte mich dort getroffen. Das Brennen wurde immer schlimmer, während mein Blickfeld immer mehr verschwamm.
Mein Blick wurde wieder klarer, doch die Umgebung hatte sich verändert. Anstelle von den weiten Ländereien der Scamanders stand ich in einem Gebäude. Dem ganzen Schutt und dem Kampflärm, welcher zu mir drang, nach zu urteilen, war ich wohl mitten in einen Kampf geraten. Das Gemäuer kam mir seltsam bekannt vor, doch die kahlen Steinmauern brachten mir keine wirkliche Erkenntnis.
„Maélys, die Verletzung war nicht von mir beabsichtigt. Ich bitte um Verzeihung." Ich wirbelte herum. Die Kriegsnymphe saß auf dem Boden, an die Steinmauer gelehnt. Sie hielt sich den Bauch, wo ihr Oberteil kaputt gegangen war. Eine ziemlich schlimme Verbrennung zierte ihre eigentlich sehr helle Haut. Sie selbst wirkte so, als wäre sie Nahe der Bewusstlosigkeit.
Vor der Kriegsnymphe hockte Judy McCauley. Die älteste Tochter der aktuellen Feuernymphe wirkte ziemlich besorgt und auch schuldbewusst. Vermutlich war sie für die Verbrennung verantwortlich.
„Geht schon. Besser als die Alternative von dem Todesser umgebracht zu werden." Von Todessern umgebracht zu werden? Wo war die Kriegsnymphe jetzt hereingeraten? Sie hatte doch eigentlich versprochen, sich aus den gefährlichsten Kampfhandlungen rauszuhalten, damit ich in Sicherheit war.
„Ich hätte ihn in Flammen aufgehen lassen müssen, ohne dich zu verletzen."
„Du musst lernen mit deinen vollen Kräften umzugehen. Das kannst du nicht innerhalb von zwei Tagen. Was viel wichtiger ist, glaubst du, Carolin spürt das? Ich will nicht, dass sie sich Sorgen macht."
„Sie hat es mit Sicherheit gemerkt." Die Gedanken drehten sich im Kreis. Wo war Maélys? Warum hatte Judy jetzt ihre vollen Kräfte? Wo war sie vorher überhaupt eingeschränkt gewesen. Und vor allem, wie war ich hier hingekommen? Es gab wohl nur ein Weg, die Antworten auf all meine Fragen herauszufinden.
„Maélys? Judy?"
„Carolin? Was machst du hier?" Die Kriegsnymphe sah mich verwundert an, während die Prinzessin von Kanada mit gerunzelter Stirn ihrem Blick folgte.
„Carolin ist nicht hier."
„Sie steht doch da."
„Ich glaube, du bist schlimmer verletzt, als ich eingeschätzt habe. Du fängst an zu halluzinieren." Judy sah in eine andere Richtung.
„Jemand versucht, die Feuerbarriere zu durchbrechen."
„Geh schon. Ich komme klar." Die junge Frau sah noch einmal auf die Kriegsnymphe herab.
„Wenn sie die Barriere durchbrechen, haben wir ein Problem. Geh!" Die Rothaarige nickte kurz, bevor sie mit eiligen Schritten davonlief. Ich kniete mich neben Maélys. Ihr Atem war eindeutig viel zu flach. Sie würde mit Sicherheit nicht mehr lange durchhalten.
„Wie hast du uns gefunden?"
„Ich habe keine Ahnung. In einem Moment war ich noch in Amerika und hatte plötzlich furchtbar Bauchschmerzen, wahrscheinlich deshalb, dann stand ich schon hier." Ich zeigte auf die Bauchwunde. Die Kriegsnymphe lächelte schief.
„Jetzt bin ich diejenige, die uns fast umgebracht hätte."
„Noch hast du nicht überlebt." Ich kniete mich neben die junge Frau. Vorsichtig schob ich den Stoff ihres Pullovers hoch, den sie trug.
„Willst du mir nicht erzählen, wo wir sind, warum wir hier sind und warum Judy hier ist?" Ich tastete nach meinem Zauberstab. Ein paar einfache Heilzauber würden mit Sicherheit Maélys stabilisieren, doch für mehr fehlte mir auch einfach die Kraft. Die Wunde zehrte nicht nur an den Kraftreserven der Kriegsnymphe, sondern auch an den meinen.
„Wir sind hier in der Contreas Schule. In dem Kellergang mit dem Meeresausgang, allerdings ist er weiter eingestürzt. Die Todesser haben Allison aufgespürt. Ich war gerade bei Judy. Wir wollten ihr zur Hilfe eilen."
„Warum warst du bei Judy?"
„Weil ihre Mutter gestorben ist. Ich wollte euch nicht beunruhigen. Ihr wolltet ein paar ruhige Tage in Amerika verbringen, damit ihr im Schloss nicht immer an Marlene erinnert werdet. Ich wollte euch nicht schon die nächste schlechte Nachricht überbringen. Also habe ich beschlossen, auf eure Rückkehr zu warten." Ich schluckte schwer. Sarah war Tod. Damit machte der Spruch mit den vollen Kräften auch wieder Sinn. Natürlich. Nun war Judy im Vollbesitz der Nymphenkräfte. Nicht nur ein Teil der Nymphenkräfte, die in Magieschüben kamen und auch wieder verschwinden konnten, genauso wie es bei mir der Fall gewesen war, als meine Großmutter gestorben ist.
„Woran?" Ich merkte selber, wie belegt sich meine Stimme anhörte.
„Nur das Alter. Es gab keinen Angriff." Ich atmete erleichtert auf. Wenigstens waren die Kanadier noch sicher. Marlon kam mit Judy den Gang entlanggerannt. Er kam schlitternd vor seiner Freundin zum Stehen.
„Merlin, was machst du denn für einen Mist?" Er betrachtete die von mir teilweise geheilte Wunde.
„Ich dachte, die sähe schlimmer aus." Der Freund der Kriegsnymphe sah zu der neuen Feuernymphe herüber.
„Sie war schlimmer", versicherte diese ihm.
„Carolin hat sie geheilt", murmelte Maélys.
„Carolin ist nicht hier. Das sagt sie, schon ein wenig länger. Also das Carolin hier ist. Ich glaube, sie halluziniert. Wahrscheinlich hat sie sich selbst geheilt." Ich sah zu der Brünetten, welche mich anstarrte. Meine Augen sahen wahrscheinlich aus, wie die von einem verschreckten Reh.
„Warum bemerken sie mich nicht?"
„Ich weiß es nicht." Sie tastete nach meiner Hand. Dankbar ergriff ich die ihre. Wenigstens eine nahm mich noch wahr.
„Was machst du da, Maélys?" Marlon griff belustigt nach der Hand seiner Freundin. Dabei glitt seine Hand einfach durch meine durch. Die Kriegsnymphe starrte entsetzt die Hand des Muggels an.
„Die Todesser sind geflohen. Wir lassen dich jetzt auf der Stelle heilen." Die Französin wurde hochgehoben.
„Was ist mit den Leuten hier? Den Wilkinsons und den Schülern?"
„Die Wilkinsons haben es alle nicht geschafft. Allison und ihre Cousine suchen wir noch. Bei den Schülern und Lehrern gab es ebenfalls Verluste." Panik stieg in mir auf. Adina war nur wenige Monate älter als meine Zwillinge und Allison – natürlich war sie schon lange nicht mehr die Zweitklässlerin, die ich am Ende meines sechsten Schuljahres kennengelernt hatte. Sie war wesentlich erwachsener, größer und mächtiger geworden, doch ein kleiner Teil von mir sah noch immer dieses kleine Mädchen vor mir, die sie damals nun einmal gewesen war.
„Maélys, ich glaube, ich weiß, wo Allison sein könnte."
„Der Heiler kann warten. Carolin hat eine Vermutung, wo sie sind. Also suchen wir dort erst nach Allison und Adina."
„Carolin ist –"
„Marlon, ich habe gesagt, wir werden da erst nachsehen. Vielleicht halluziniere ich nur, aber ehrlich gesagt, glaube ich das nicht. Aber es ist auch egal, wenn wir dadurch die beiden finden können."
Schon von weiten konnte man jemand auf den Steinen liegen sehen, auf denen Samuel, Marlene, Allison und ich bei meinem Schulaufenthalt so oft gesessen haben. Je näher wir kamen, desto deutlicher wurde auch, dass nicht nur der Geruch nach Meer und Fisch in der Luft lag. Etwas Metallisches war noch zu riechen und der roten Pfütze nach zu urteilen, die man erkennen konnte, war es vermutlich Blut.
Maélys und ich beschleunigten fast zeitgleich unsere Schritte. Jetzt wo wir noch näher dran waren, sah man auch, dass ich recht gehabt hatte. Die Wassernymphe war mal wieder an ihrem Lieblingsplatz im Schloss gewesen. Den drei Otterleichen, um sie herum, nach zu urteilen, hatte sie mit den Tieren gespielt. Ich erkannte sofort das auch Samson unter den Lebewesen war.
„Allison!" Ich kniete mich neben die Blondine. Na ja, ihre Haare waren mal blond gewesen. Nun waren sie vom Blut rot getränkt.
„Es wird alles gut. Mach dir keine Sorgen." Ich wollte nach einem Puls suchen, doch meine Hände glitten einfach durch sie hindurch. Maélys schob mich ein Stück bei Seite, bevor sie ebenfalls nach einem Puls suchte.
„Sie lebt. Sie hat einen schwachen Puls." Erleichterung machte sich in mir breit. Sie lebte. Marlon ließ sich auf die andere Seite fallen. Vorsichtig schob er seine Arme unter den leblos aussehenden Körper. Durch das Gerüttel wurde Allison wohl aus ihrer Ohnmacht gerissen. Sie sah die anderen drei ängstlich an.
„Allison?" Ich versuchte, nach der Hand des Mädchens zu greifen, doch wieder ohne Erfolg. Stattdessen machte Maélys es. Der Blick der Wassernymphe fixierte die Brünette.
„Sie haben Adina." Drei einfache Worte, doch sie reichten, um entsetzen auf das Gesicht von allen anderen Anwesenden zu jagen. Sie hatten die kleine Adina und damit Allisons letzte Nachfolgerin entführt. Mit sie waren wohl die Todesser gemeint. Allisons Augen fielen wieder zu. Ihre Brust hörte auf, sich zu heben und zu senken.
„Maélys, sie atmet, glaube ich, nicht." Die Kriegsnymphe suchte erneut einen Puls bei dem Teenager.
„Sie hat keinen Puls." Die Französin sah verzweifelt zu ihrem Freund.
„Wir sind zu spät."
„Nein!" Sie sprang wütend auf und begann auf und ab zu rennen. Immer mal wieder trat sie Steine, die auf ihrem Weg lagen. Ich merkte, wie meine Kraft weiter schwand. Maélys war wahrscheinlich nur noch auf den Beinen, weil ihr Körper vom Adrenalin gepuscht wurde. Ohne dieses wäre sie schon lange bewusstlos. Sie sollte sich jetzt schonen und möglichst schnell zu einem Heiler, nicht hier herumrennen. Es kostete viel zu viel Kraft.
„Maélys, hört mit dem Gerenne auf! Du bringst uns beide um! Du musst zum Heiler!" Der wütende Blick der Kriegsnymphe traf mich.
„Halte die Klappe, Carolin!" Sie versuchte, mich mit einem Stein abzuschießen, rutschte dabei allerdings aus. Sie konnte sich noch gerade an einem Baum festhalten, ansonsten wäre sie zusammengeklappt. Doch jetzt wurde nur noch deutlicher, dass sie eigentlich kraftlos war. Das Adrenalin wurde immer weiter abgebaut. Anstelle sie wieder auf die Füße zu ziehen, ließ sie sich vorsichtig auf ihre Knie rutschen. Marlon eilte zu ihr.
„Maélys!"
„Heiler. Schnell." Die Kriegsnymphe wurde bewusstlos. Auch um mich wurde wieder alles schwarz.
Ich schreckte hoch. Ich war wieder in einem anderen Raum, doch dieses Mal wusste ich sofort, wo ich mich aufhielt. In Sirius und meinem Gästezimmer. Mein Ehemann war zwar nicht zu sehen, allerdings saß Samuel mit einem Buch neben mir. Mit der linken Hand umklammerte er meine, mit der rechten blätterte die Seiten um.
„Samuel?" Mein Großcousin sah auf. Sobald er sah, dass ich wirklich wach war und es sich nicht eingebildet hatte, begann er breit zu grinsen.
„Carolin, weißt du eigentlich, was für eine Angst wir um dich hatten. Du bist einfach ohnmächtig geworden und hast ständig komisches Zeug vor dich hergebrabbelt."
„Samuel, ich – also – frag nach, wie es Maélys geht. Und dann musst du noch nach Allison fragen."
„Hey, was ist denn los?" Das Buch wurde bei Seite gelegt. Stattdessen wurde ich skeptisch angesehen. Ich holte tief Luft, bevor ich anfing, von meinem komischen Erlebnis zu erzählen.
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