Kapitel 17

Maélys P.o.V.:
Ich schlug nach der Person, die mich gepackt hatte und dann einfach disappariert war. Nachdem eines der Häuser eingebrochen war, ging alles plötzlich ganz schnell. Eine Handvoll Zauberer in roten Umhängen apparierten zu uns, packten uns und disapparierten wieder. Nun standen wir hier. Inmitten einer prunkvollen Halle und ich hatte keine Ahnung, wo wir waren. Also tat ich das Erste, was mir einfiel. Meinen Entführer loswerden. Mit geübten Handgriffen befreite ich mich von dem Griff.
Als Nächstes versuchte ich, den Mann im roten Umhang niederzuschlagen, doch dieser wich noch im letzten Moment aus. Er ging zum Gegenangriff über. Er jagte einen Schockzauber in meine Richtung, dem ich auswich. Stattdessen knallte der Fluch gegen die Wand. Auch die anderen schienen nicht kampflos aufgeben zu wollen. Marlon und Frédéric hatten sich ebenfalls befreit. Auch sie waren in einen Kampf mit den Leuten im roten Umhang verstrickt. Deborah Watkins hatte sich mit Hilfe von mehreren Elektroschocks losgemacht. Sie rannte gerade zu ihrem Lehrer herüber.
„Waffen runter oder ich schneide ihr die Kehle durch!" Marlon hatte eines seiner Messer herausgezogen und hielt es einer rothaarigen Frau an die Kehle. Die anderen in den roten Umhängen sahen zu ihm herüber. Sie hatten ihre Zauberstäbe erhoben, schienen allerdings nicht zu wissen, ob sie nun angreifen sollten oder lieber nicht.
„Was geht hier vor sich?" Die Türen zu dem Saal waren geöffnet worden. Zwei Frauen standen dort drin. Die eine musste schon ziemlich alt sein. Ihre Haut war von Falten geziert, ihre Haare ergraut. Sie trug ein ziemlich edel wirkendes Kleid. Streng sah sie durch die Runde, musterte uns alle einmal. Jeder in den roten Umhängen schien den Blick zu senken, als würden sie erwarten, gleich eine Standpauke ihrer Mutter zu bekommen. Die alte Frau strahlte mit ihrer aufrechten Haltung große Macht aus.
Auch die jüngere Frau neben ihr wirkte nicht so, als ließe sie sich von irgendjemand hier etwas sagen. Sie hatte die gleiche Haltung wie die Frau neben sich. Allerdings waren ihre langen Haare noch nicht ergraut, sondern Feuerrot.
Die beiden gingen langsam in den Saal herein. Es schien, als würde die Zeit still stehen. Niemand wagte es, noch einen weiteren Angriff gegen jemanden zu starten. Alle starrten nur gebannt zu der Frau, die langsam auf Marlon zuging. Dieser hatte noch immer die andere rothaarige Frau in seiner Gewalt, das Messer an ihrer Kehle, doch gleichzeitig wirkte er ein wenig mit der Situation überfordert.
„Wären sie so freundlich und würden das Messer von der Kehle meiner Nichte nehmen?" Entschlossenheit blitzte in seinen Augen auf. Der Griff um die Waffe wurde wieder fester.
„Noch einen Schritt weiter und ihre Nichte stirbt."
„Nun, ich bitte sie noch einmal, dass Messer sinken zu lassen. Falls sie es tun, wäre ich ihnen sehr verbunden, wenn sie mir alle in den Speisesaal folgen würde. Ich glaube, eine kleine Stärkung würde uns allen gerade entgegenkommen. Dort können wir ebenfalls viel besser besprechen, warum ich sie hier her bringen ließ. Ihre verletzte Freundin könnten wir ebenfalls durch unseren Hofheiler behandeln lassen. Sollten sie sich allerdings weigern zu kooperieren, werden sie mit den Konsequenzen ihres Handelns konfrontiert. Dann sehe ich mich leider dazu gezwungen, sie fürs Erste außer Gefecht setzen zu lassen. Das gilt im Übrigen für alle hier anwesenden Gäste."
„Warum sollte auch nur einer von uns ihnen vertrauen? Sie haben uns entführt!" In Deborahs Augen blitzte Wut auf.
„Es steht ihnen frei, zu gehen, wann immer sie wollen. Unsere Kamine sind alle an das internationale Flohnetzwerk angeschlossen und stehen ihnen zur Verfügung. Auch die Türen dieses Anwesens dürfen sie gerne zum Verlassen nutzen. Nur das Apparieren ist nicht möglich. Nur in seltenen Fällen ist der Apparierschutz über diesem Gebäude ganz oder teilweise deaktiviert. Sollten sie sich trotzdem wünschen, diese Fortbewegungsmethode zu nutzen, können wir es ihnen selbstverständlich ermöglichen. Allerdings wird es ein wenig Vorbereitungszeit benötigen. Ich hoffe, sie haben dafür Verständnis." Marlon sah zu mir herüber. Er wollte meine Entscheidung wissen. Sollten wir der alten Frau vertrauen, sollte er der Rothaarigen in seiner Gewalt die Kehle aufschlitzen oder war ich dafür, den Rückzug anzutreten.
„Nennen sie uns einen Grund, aus dem wir nicht direkt von hier fort apparieren sollten."
„Ms Watkins, mir ist bekannt, welche Macht, sie ins sich tragen und welche Verluste sie auf Grund dieser erleiden mussten. Der heutige Angriff hat gezeigt, die Gefahr, welche über ihrer Familie schwebt, ist noch lange nicht vorbei. Diese Gefahr bedroht ebenfalls meiner Familie. Daher wäre ich höchst erfreut, wenn wir den Kampf gegen diese Gefahr gemeinsam aufnehmen könnten, und Hephaistos wäre dies ebenfalls."
„Sie sind die Nymphe von Hephaistos?" Ich sah misstrauisch zu der alten Dame, die sich wieder zu mir drehte.
„In der Tat, dies bin ich."
„Beweisen sie es!" Marlons Fingerknöchel waren schon ganz weiß angelaufen, da er das Messer so fest umklammerte. Die Frau griff langsam in die Tasche ihres Kleides und zog ein Medaillon heraus. Unverkennbar prangte darauf das Symbol der Feuernymphe.
„Marlon, leg das Messer weg. Wir hören erstmal zu, was sie uns zu sagen haben." Und falls sie einen falschen Schritt machten, konnte er noch immer Kehlen aufschlitzen. Der Muggel nickte leicht, dann nahm er das Messer weg und ließ die Frau los. Stattdessen kam er zu mir rüber. Er legte seine Hände auf meine Schultern. Die alte Dame sah zurück zur Tür und nickte einmal. Kurz darauf kam ein Mann hereingeeilt.
„Elliot, würdest du dich bitte um die Verletzten kümmern?"
„Natürlich." Er lief zu Carolin herüber. Das verletzte Mädchen lag bewusstlos auf einer Trage. Neben ihr kniete schon Frédéric. Dieser Elliot untersuchte Carolin kurz, wobei mein Großcousin ihn mit Adleraugen beobachtete. Nur einen falschen Schritt und der Heiler würde es bitter bereuen. Frédéric wirkte nicht so, als hätte er vor auch nur eine Sekunde zu zögern, wenn der Fremde der Nymphe etwas tun wollte.
„Würden sie mir dann alle ins Esszimmer folgen?" Die ältere Dame sah fragend in die Runde.
„Frédéric, pass auf Carolin auf." Mit einer kurzen Handbewegung gab ich ihm noch die Erlaubnis, dem Heiler die Kehle durchzuschneiden. Als Nächstes sah ich zu Marlon. Auch ihm gab ich Anweisungen mit einer Handbewegung.
„Ich soll mitkommen, richtig?" Ich sah den Muggel augenverdrehend an.
„Und du willst Teil meiner Familie sein."
„Länger als du."

Ich dachte immer, das Schloss, in dem ich lebte, wäre protzig, doch da hatte ich nun mal noch nicht dieses hier kennengelernt. Der Speisesaal war wahrscheinlich noch aus dem Zeitalter der Götter. Riesige, goldene Kronleuchter verbreiteten ein angenehmes Licht. Durch die großen Fenster sah man einen gepflegten Garten und den Nachthimmel. Wie viel Uhr wir wohl gerade hatten? Ganz offensichtlich irgendetwas in der Nacht.
Die alte Dame ließ ich an Kopf der langen Tafel nieder, während ihre jüngere Begleiterin sich auf ihre rechte Seite nieder ließ. Die Rothaarige, welche eben noch von Marlon bedroht worden war, setzte sich auf die linke Seite. Deborah, ihr Lehrer, der es aufgegeben hatte zu fragen, was vor sich ging, Marlon und ich blieben unsicher stehen.
„Sie dürfen sich sehr gerne zu uns setzen." Zögerlich setzte ich mich neben die unbekannte Begleiterin der Feuernymphe. Auch die anderen setzten sich zögerlich hin. Marlon auf meine andere Seite, die Gewitternymphe mir gegenüber, ihr Freund gegenüber von meinem Begleiter.
„Es ist wohl nun angebracht uns erst einmal vorzustellen. Mein Name ist Sarah Bennett, dies hier ist meine Tochter Judy McCauley und diese Dame ist meine Nichte Lois Fallon. Sie befinden sich momentan in Kanada, um es zu spezifizieren, in dem Palast der kanadischen Königsfamilie." Ach ja, das gute altmodische Kanada mit ihren Monarchen. Die meisten Zauberer lebten glücklich in einer Demokratie und sie verehrten noch immer ihre Monarchenfamilie.
„Deborah Watkins und das hier ist mein Freund Michael Cruz." Ich sah zu Marlon herüber. Deborahs Lehrer war also ihr Freund. Wenn er wirklich ihr Lehrer war. Allerdings wäre er ansonsten nicht vom Lehrerparkplatz gekommen und hätte auf dem Nachhauseweg auf seine Freundin gewartet.
„Maélys Acouret", nannte ich meinen Namen und sah zu meinem Begleiter. Er konnte sich wohl alleine vorstellen.
„Marlon Allaire." Lois Fallon betrachtete Marlon und mich misstrauisch. „Acouret und Allaire hört sich französisch an. Warum halten sich französische Zauberer ausgerechnet bei einem Todesserangriff in Australien auf?"
„Lois! Sei bitte nicht so unhöflich." Es war das erste Mal, dass Judy etwas sagte, seit dem wir anwesend waren. Sie hatte den gleichen bestimmten Befehlston wie ihre Mutter.
„Wir haben von dem Angriff auf Watkins gehört und wollten sie warnen. Was sie nicht zu schätzen wusste." Ich sah vorwurfsvoll zu der besagten Nymphe herüber. Wäre sie nicht gewesen, hätten uns die Todesser nie entdeckt. Sie war doch so blöd gewesen apparieren zu wollen. Man hatte sich doch denken können, dass es einen Disapparierschutz gibt, damit Deborah Watkins nicht entkommen konnte.
„Ihr hättet nicht bleiben müssen."
„Dann wärst du drauf gegangen. Leider ist mein Auftrag, genau das zu verhindern."
„Dann solltest du dich damit abfinden, dass in meiner Nähe Leute verletzt oder getötet werden."
„Das Risiko ist mir bewusst, aber man muss auch nicht leichtsinnig Leute in Gefahr bringen! Als wir ankamen, gab es noch genug Zeit zu gehen, bevor die Todesser kamen." Die Gewitternymphe machte den Mund auf, um etwas zu erwidern, doch die Feuernymphe unterbrach uns.
„Ich würde sie bitten, ihren Disput zu einem späteren Zeitpunkt aufzulösen. Ms Acouret, wer hat sie beauftragt, auf Ms Watkins aufzupassen." Ich zog das Medaillon aus meiner Hosentasche.
„Ares." Ich betrachtete neugierig die Reaktion der anderen.
„Eine überraschende, aber auch sehr erfreuliche Wendung." Judy betrachtete glücklich die Kette in meiner Hand.
„Damit sind nur noch vier verschollen." Nur noch vier verschollen?
„Was meinen sie damit? Es sind nur noch vier verschollen?" Deborah sah neugierig zu Lois Fallon.
„Wir sind schon seit einigen Jahren damit beschäftigt, die anderen Nymphenfamilien erneut aufzuspüren und zu kontaktieren, um in Falle eines erneuten Auftauchens der Hadesnymphe besser vorbereitet zu sein. Uns gelang es, bis zum heutigen Tage sieben der anderen Nymphen aufzuspüren, wenn wir euch mitzählen", erklärte die Nichte der Königin.
„Bisher haben wir die Nymphen von Hermes, Aphrodite, Hera, Hestia und Dementer aufgespürt. Ihr seid die Nymphen von Zeus und Ares. Damit fehlen nur noch die Nymphen von Athene, Poseidon, Artemis und Apollon", ergänzte Judy. Ich sah zu Marlon herüber. Sollten wir ihnen sagen, dass sie die Suche komplett einstellen konnten? Eigentlich sprach nichts dagegen. Sie waren auf unserer Seite.
„Wir wissen, wo die anderen vier Nymphen sind. Carolin Sanders, das Mädchen, welches uns begleitet hat, ist die Nymphe von Artemis. Ihr Großcousin ist mit der Nymphe von Athene zusammen. Die Nymphe von Apollon ist in Deutschland, die von Poseidon lebt auf den Bahamas. Ich kann den Kontakt mit ihnen herstellen."
„Das wäre sicherlich hilfreich für den Kampf gegen die Hadesnymphe."
„Wir wissen auch, wer die Hadesnymphe ist. Es ist Lord Voldemort. Deshalb waren die Todesser in Australien. Deshalb haben sie in Frankreich, jagt auf mich gemacht, und deshalb wurden Carolins und Watkins Familie fast von ihnen ausgerottet."

Samuels P.o.V.:
Nervös sah ich auf meine Armbanduhr. Carolin hatte noch drei Minuten, wenn sie pünktlich zu ihrer Ausbildung kommen wollte, doch bisher war sie nicht wieder aufgetaucht. Unruhig lief ich weiter durch das kleine Büro. Warum war ich nicht mit ihr gegangen? Merlin, ich wusste doch, es war kein Grund für sie, die Gewitternymphe nicht zu warnen, dass sie vor wenigen Tagen bei dem Angriff auf das St. Mungo verletzt worden war und auch nicht davon, dass sie hier Dienst hatte. Sie konnte nicht still sitzen, wenn sie wusste, dass jemand in Gefahr war. Ich hätte sie dabei unterstützen müssen. Natürlich ist sie nicht nur zu Maélys gegangen, um die Kriegsnymphe zu informieren. Ich kannte das Mädchen seit ihrer Geburt. Auch wenn ich es in diesem Moment nicht wahrhaben wollte, ich hatte gewusst, sie würde alleine losziehen.
Seufzend raufte ich mir die Haare. Wenn Carolin nicht kam, würde ich es Fabian und Mason irgendwie erklären müssen. Am besten so, dass sie nach ihrer Rückkehr keinen Ärger bekommen würde. Falls sie zurückkommen würde. Merlin, was war, wenn sie nicht wieder kommen würde? Es wäre meine Schuld! Ich habe sie nicht beschützt. Ich hätte mich nicht von Marlene überreden lassen sollen, nicht nach Frankreich zu apparieren, als gestern der Brief kam, in dem stand, sie würde bei Maélys übernachten. Was hatte ich erwartet? Die Kriegsnymphe hatte sie natürlich mit nach Australien genommen und ihr die Idee nicht ausgeredet. Wahrscheinlich hatte sie Carolin auch noch darin bestärkt mitzukommen.
„Wenn du dir so die Haare raufst, wirst du mit dreißig eine Glatze haben." Ich wirbelte zur Tür, in der Fabian stand. Er hatte ein breites Grinsen im Gesicht, welches langsam verblasste, während er mich musterte. Dann glitt sein Blick durch das Büro auf der Suche nach Carolin und er wurde ganz blass.
„Wo ist sie?"
„Ich weiß es nicht."
„Sag mir bitte, dass du damit meinst, sie ist irgendwo im Mungos und du weißt nicht, auf welcher Station sie ist."
„Ich musste gerade Elaina erklären, warum Carolin nicht mit uns frühstückt und warum sie auch nicht mit in den Kindergarten kommt. Sie war gestern Abend bei –" Ich stockte. Ich konnte Regulus nicht verraten.
„Sie war bei einem Informanten. Er hat uns auch vom Angriff auf das Krankenhaus erzählt. Es soll heute einen Angriff auf die Gewitternymphe geben, die sich gerade in Australien befindet. Carolin wollte sie warnen, Sirius, Marlene und ich meinten, sie soll es jemand anderen überlassen. Dann ist sie zu Maélys appariert, um sie zu informieren. Ein paar Stunden später hat sie uns einen Brief geschrieben, sie würde dort übernachten und dann heute hierher kommen."
„Bei Maélys ist sie doch gut aufgehoben. Vielleicht hat sie sich einfach ein wenig verquatscht."
„Ich glaube nicht, dass Maélys und sie in Frankreich eine Übernachtungsfeier geschmissen haben, wo sie sich gegenseitig die Haare flechten und die Finger lackieren. Australien liegt in einer anderen Zeitzone. Ich weiß nicht genau in welcher, aber es müssten ungefähr zehn Stunden Zeitunterschied sein. Wir haben jetzt acht Uhr morgens, da müsste gerade 18 Uhr sein. Ich vermute, Carolin und Maélys sind nach Australien appariert und irgendetwas ist vorgefallen."
„Wir hätten bestimmt davon gehört, wenn es ein Todesserangriff in Australien gegeben hätte. Geben wir ihr noch etwas Zeit, bevor wir Alarm schlagen. Wir sollten nicht gleich einen Auroreneinsatz auslösen, weil sie verschlafen hat." Fabian klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. Ich seufzte leise.
„Du hast Recht. Wir geben ihr noch eine halbe Stunde und ich werde einen Brief nach Frankreich schicken." Der andere Heiler nickte zufrieden.
„Das ist eine gute Idee."

Unruhig lief ich durch mein Büro auf und ab. Wann meldete sich endlich die andere Nymphenfamilie? Es konnte doch nicht so schwer sein meinen Brief zu beantworten. Entweder war Carolin noch da oder sie war es nicht. Ein einfaches Ja oder ein einfaches Nein. Mehr wollte ich doch gar nicht. Ich raufte mal wieder meine Haare.
„Samuel!" Fabian kam um die Ecke geschlittert.
„Der hier ist gerade für dich angekommen." Mir wurde ein Brief vor die Nase gehalten. Artemis sei Dank, der Brief der Kriegsnymphenfamilie. Ich riss ungeduldig den Umschlag auf.
„Und was steht drin?"
„Lass mich erstmal lesen."
„Lies vor." Ich holte noch einmal tief Luft, dann begann ich zu lesen.

Hallo Samuel,
Carolin ist heute Morgen mit Maélys, Frédéric und Marlon nach Australien aufgebrochen. Bisher hat sich noch keiner der vier gemeldet. Allerdings haben unsere Kontakte von einem Auroreneinsatz berichtet an der Schule, welche uns Carolin genannt hat. Weder unter den Toten noch unter den Verletzten war einer von ihnen dabei. Wir versuchen zurzeit, herauszufinden, was passiert ist und wo sie sich aufhalten. Bisher ohne Erfolg. Die einzige gute Nachricht ist, dass Falerina keine neuen Kräfte entwickelt hat, demnach lebt mindestens noch Maélys.
Wir tun alles, was wir können.
Felicien Allaire

Carolin wurde vermisst. Sie war nach Australien appariert und war nicht wieder gekommen. Vielleicht war sie tot. Vielleicht würde sie nie wieder kommen. Es wäre meine Schuld, sollte sie nun – sollte ihr irgendetwas passiert sein. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Wie habe ich sie nur gehen lassen können? Wie hatte ich nur zulassen können, dass ihr irgendetwas passiert?
„Samuel, es geht ihr bestimmt gut. Sie sind wahrscheinlich entkommen und verstecken sich irgendwo." Fabian versuchte, mir aufmunternd zuzulächeln, doch es wirkte eher angespannt als beruhigend.
„Ich muss Bescheid sagen, dass Carolin vermisst wird."

Carolins P.o.V.:
Stöhnend machte ich meine Augen auf. Überraschenderweise spürte ich nicht das Verlangen meine Augen sofort wieder zuzukneifen. Der Raum war in ein angenehmes Licht getaucht worden. Nicht zu grell, aber auch nicht zu dunkel. Ich sah mich neugierig um.
Ich lag in einem Himmelbett. Es wirkte wirklich teuer und hochwertig. Die Bettdecke war furchtbar weich. Vor dem Fenster waren dicke, schwere Vorhänge gezogen worden. Ein Sessel stand davor, in dem Marlon saß. Sein Kopf lag im Nacken und er schlief offensichtlich. Auf seinem Schoß hatte es sich Maélys gemütlich gemacht. Ihre Beine hingen über der rechten Armlehne. Ihr Kopf hatte auf der Schulter ihres Verwandten Platz gefunden. Es sah nicht gerade gemütlich aus, wie die beiden dort zusammen saßen und schliefen, doch gleichzeitig wirkte es so furchtbar friedlich und irgendwie auch niedlich. Vor allem wenn man bedachte, wie sie miteinander umsprangen, wenn sie gerade wach waren.
Ich sah mich weiter im Raum um. Ein Kronleuchter an der Decke verbreitete das gemütliche Licht. Ein alter Kleiderschrank stand an einer Wand. Insgesamt wirkte alles an diesem Zimmer alt. Die verzierten Wände, der Holzboden, der dicke Teppich, welcher vor dem Bett lag. Ich guckte mich weiter um, um herauszufinden, wo ich überhaupt war. Im Schloss der Kriegsnymphe hatte ich bisher noch nie so einen Raum entdeckt. Die ganzen Schlafzimmer dort waren um einiges moderner eingerichtet. Auch das St. Mungo konnte ich ausschließen. Auch dort sahen die Räume ganz anders aus. Vielleicht das französische Krankenhaus oder das in Australien?
Vorsichtig schlug ich die Decke zurück. Es gab wohl nur einen Weg herauszufinden, wo ich war, wenn ich nicht gerade Maélys oder Marlon wecken wollte. Ich würde wohl gucken gehen müssen, wo ich mich gerade befand. Ich streckte meine nackten Füße aus dem Bett. Jemand hatte mir meine Schuhe ausgezogen. Ich sah mich suchend nach ihnen um, konnte sie aber nirgends in dem Raum entdecken. Dann halt barfuß. Vorsichtig stellte ich mich auf den wirklich flauschigen Teppich. So einen sollten wir zu Hause vor den Kamin legen.
Zum Glück gaben meine Beine unter der Belastung nicht nach. Wie lange ich wohl bewusstlos gewesen war? Und warum war meine Familie nicht hier? Hatte die Kriegsnymphe sie nicht benachrichtigt? Und wo war überhaupt Frédéric? Vielleicht war der junge Mann gerade unterwegs, meine Familie holen. Dann war ich wahrscheinlich auch nicht lange weg gewesen.
Ich lief vorsichtig los. Zum einen, um kein Lärm zu machen, zum anderen, weil ich meinen Beinen noch nicht ganz traute.
„Willst du dich von uns wegschleichen?" Erschrocken wirbelte ich herum. Dabei verlor ich mein Gleichgewicht und knallte unsanft gegen das Bett. Der laute Knall ließ Maélys aus dem Schlaf hochfahren und sich alarmiert umsehen.
„Was macht Carolin auf dem Boden?" Die Nymphe rieb sich verschlafen die Augen.
„Ich habe sie erschrocken." Marlon schien sich kein wenig schuldig zu fühlen. Die Französin stand von dem Schoß auf und half mir mich wieder auf die Beine zu stellen.
„Alles in Ordnung mit dir?" Ich nickte langsam.
„Ich denke schon. Wo sind wir hier?"
„In Kanada." Ich sah verwundert meine Begleiterin an.
„Wir sind wo?"
„In Kanada. Marlon ich glaube, sie hat sich den Kopf doch ein wenig heftiger angeschlagen, als der Heiler gemeint hat." Sie bugsierte mich auf das Bett.
„Was machen wir in Kanada? Wir waren doch in Australien. Von da aus hätten wir nach Frankreich gesollt oder nach England, aber wie seid ihr auf die Idee gekommen nach Kanada zu gehen?"
„Wir hatten die Idee nicht. Wir wurden hier her entführt und sind nach einer Unterhaltung mit unseren Entführern zu dem Schluss gekommen, wir sollten hierbleiben."
„Wie entführt? Und warum hierbleiben? Maélys, ich hätte gerne ein paar Antworten." Sie ließ sich neben mich aufs Bett nieder.
„Klar doch. Also wir sind hier in Kanada. Wie du vielleicht weißt, leben die Zauberer hier nicht wie in England, Frankreich oder Amerika in einer Demokratie, sondern sie leben noch immer in einer Monarchie. Ziemlich zufrieden, wenn ich mir die Leute ansehe, die hier durch das Schloss hüpfen. Aber das ist irrelevant. Auf jeden Fall ist die aktuelle Königin Sarah Bennett die Nymphe von Hephaistos. Ihre Leibgarde hat uns in Australien geholfen. Wenn man es so nennen will. Sie haben den Apparierschutz zerstört, uns gepackt und hier her entführt. Nachdem wir dann geklärt hat, wer uns entführt hat, haben wir beschlossen, dass wir erstmal hierbleiben. Sarah wollte sich darum kümmern, dass Sirius, Marlene und Samuel herkommen. Frédéric ist gerade los, um mit Allison und Sophia zu sprechen, während Sarah dafür sorgt, dass sich die Nymphen von Aphrodite, Hera, Hestia, Dementer und Hermes sich hier einfinden."
„Sie weiß, wer die restlichen olympischen Nymphen sind?"
„Ja, wir sind wieder komplett."
„Zeit, Hades in den Arsch zu treten." Marlon grinste uns beide an.
„Ach Marlon, du wirst als Erster von uns draufgehen. Das ist dir bewusst, oder?" Maélys sah ihren Verwandten kopfschüttelnd an.
„Wie bitte? Hast du kein Vertrauen in meine Fähigkeiten?"
„Gegenüber einem Haufen Todessern? Nur wenig." Der junge Mann fing an zu schmollen. Allerdings musste ich schon zugeben, dass ich ihm wesentliche bessere Überlebenschancen zuschrieb als mir.
„Wirst du wenigstens um mich trauern?"
„Warum sollte ich?" Ein beleidigtes Schnauben war zu hören.
„Ich gehe mal gucken, ob Judy Wechselsachen für uns drei auftreiben konnte."
„Klar, verlauf dich ruhig im Schloss."
„Maélys, sei nicht so gemein zu ihm. Marlon, ich fände es schade, wenn du dich verläufst, und ich fände es auch schade, wenn du stirbst."
„Hörst du Maélys? So klingt eine Antwort von einer Person, die von eigentlich jedem gemocht wird." Die Kriegsnymphe streckte, erwachsen wie sie war, ihrem Großcousin die Zunge heraus, welcher zufrieden grinsend zur Tür ging und durch diese verschwand.
„Wie lange war ich eigentlich weg gewesen?"
„Nicht sehr lange. Drei Stunden ungefähr. Warum bist du überhaupt zusammengeklappt? In einem Moment wolltest du gerade disapparieren und im nächsten hast du schreiend auf dem Boden gelegen. Es hat dich kein Fluch getroffen."
„Habt ihr dieses schrille Pfeifen nicht gehört? Es war furchtbar laut. Ich dachte, meine Ohren würden zerspringen."
„Da war kein schrilles Pfeifen, Carolin."
„Doch, es hat kurz, nachdem ich wieder ein Mensch war, aufgehört." Maélys sah mich nachdenklich an.
„Vielleicht war es auf einer Frequenz, die Menschen nicht hören können. Ich spreche später noch mit meiner Familie, falls sie noch eine andere Idee hat, was es gewesen sein könnte. Verlasse dich darauf, dass wir beim nächsten Training dich auf solche Situationen vorbereiten werden. Wir hatten in diesem Fall mehr Glück als Verstand. Jetzt Ruhe dich erstmal noch ein wenig aus. Ich sage dir Bescheid, wenn deine Familie eingetroffen ist oder wir Wechselkleidung bekommen haben. Die Gästezimmer haben eigene anschließende Badezimmer, die genauso schön sind wie meines zu Hause. Schlösser sind einfach nur toll. Glaube mir eins, du wirst es nicht mehr missen wollen, wenn wir herausgefunden haben, wo deines genau steht."
„Ich enttäusche dich nur ungern, Maélys, aber ich weiß nicht, was ich mit einem Schloss anstellen sollte. Wir wohnen doch in einem sehr schönen Haus, was eigentlich schon viel zu groß ist. Ein Schloss ist noch größer."
„Carolin, wenn du meinst, ihr habt zu viel Platz in einem Schloss, dann lass mich mal umbauen. Ihr könntet ein Indoorquidditchfeld kriegen."
„Würdet ihr dann nicht ständig gegen die Decke und Wände fliegen? Und die Fenster würden von den Klatschern zerstört werden."
„Du hättest dein eigenes Badezimmer."
„Es stört mich nicht, eines zu teilen."
„Sirius und deine 20 Kinder hätten alle eigene Zimmer."
„Wir wollen nur fünf und die können sich auch Zimmer teilen."
„Nicht mehr, wenn alle mit ihrem Partner bei euch einziehen wollen. Außerdem müssen irgendwo die Enkelkinder hin."
„Sirius hat mir erklärt, dass meine Kinder wahrscheinlich irgendwann ausziehen werden. Sie wachsen normal auf, da gehört ausziehen und unabhängig werden dazu."
„Also kann ich in das Schloss einziehen, wenn wir es aufspüren?"
„Das überlege ich mir, wenn es so weit ist."
„Du hängst doch ein wenig an dem Schloss." Mir wurde in die Seite gepikst.
„Maélys?"
„Ja?"
„Ich sollte mich doch ausruhen."
„Du weichst aus. Das bedeutet, ich habe Recht." Mit diesen Worten sprang die Kriegsnymphe von meinem Bett und machte es sich wieder auf dem Sessel gemütlich. Dieses Mal ohne Marlon.
„Du kannst dich auch zu mir ins Bett legen. Dann kriegst du keinen steifen Nacken, wenn du einschläfst." Die Kriegsnymphe schien kurz mit sich zu ringen, doch dann kam sie wieder ins Bett gekrochen.
„Schlaf gut, Carolin."
„Du auch, Maélys."

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