Kapitel 6

Unsicher spielte ich mit der Kette meines Medaillons. Ich wusste genau, was ich endlich zu tun hatte. Ich musste das Gespräch mit Ares suchen. Gerade weil Sirius Black nun in der Nähe von Hogwarts war. Es würde nicht mehr lange dauern, dann hätte er diese Schule erreicht und würde sich einen Plan ausdenken, wie er seine mörderischen Pläne umsetzen kann. Es konnte nicht mehr lange dauern, dann würde ich ihm mit Sicherheit, in die Augen schauen, in dem Wissen, dass nur einer von uns überleben würde. Und es wäre mit Sicherheit von Vorteil, wenn ich möglichst viel über den Massenmörder wusste. Jedes kleinste Detail am besten.
Der Kriegsgott würde mir mit Sicherheit alles erzählen, was er wusste. Schließlich war es auch in seinem Interesse, dass ich und die anderen Nymphen überleben. Außerdem wurde es vielleicht doch langsam Zeit, mich mit meinem Begleiter wieder auszusprechen. Ich atmete noch einmal tief durch, dann öffnete ich das Medaillon.
Ares hatte heute wohl keine Lust zu mir zu kommen. Wahrscheinlich hatte er auch einfach Angst, ich würde das Medaillon einfach wieder zuklappen. Womit er wahrscheinlich recht hatte. Anstelle dass der Kriegsgott in Miniversion auf dem Schmuckstück erschien, stand ich nun mitten im Olymp. Der kreisrunde Saal aus Säulen war wie immer leer. Auf den Stühlen, welcher im Form eines Hexagramms angeordnet waren, standen einsam herum. Niemand war dort, der sich gerne auf diesen niederlassen wollte. Was auch daran liegen konnte, dass nur eine Person da war.
Ares stand vor mir, nur zwei Meter entfernt. Der junge Mann überragte mich um mehr als einen Kopf. Seine blonden Haare waren nicht ganz so ordentlich frisiert wie sonst. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er sich Sorgen gemacht oder langweile hatte. Er sah mich mit verschränkten Arm an. An seinem Blick konnte ich erkennen, dass wir wohl beide gerade nicht Gut auf den Anderen zu sprechen waren.
„Du hast mich in deiner Nachttischschublade eingesperrt." Das klang jetzt aber sehr dramatisch.
„Du hast mich angelogen."
„Ich habe dir etwas verschwiegen und dich bewusst auf eine falsche Fährte gelockt. Nicht gelogen."
„Du hättest mir sagen müssen, dass meine Familie lebt. Du hättest mir sagen müssen, dass ich eine Zwillingsschwester habe! Und meine Cousine hättest du auch mal erwähnen können! Oder meinen Onkel, der auch noch Lehrer ist! Lass mich raten, mein Vater ist auch nicht tot, sondern hüpft irgendwo lebendig durch die Gegend. Uh, er ist wahrscheinlich auch noch Auror und wäre mir fast auf den Hals gehetzt worden!" Ares begann nervös mit den Fingern zu spielen. Vater war wohl noch ein kritisches Thema, welches wir bisher umgangen hatten.
Bisher hatte mir der Gott nur preisgegeben, dass er ein Überläufer gewesen war, der in einer schwarzmagischen Familie aufgewachsen war, sich allerdings in der Schulzeit von dieser abgewendet hat und sich schließlich einer Widerstandsgesellschaft gegen die Todesser angeschlossen hat. Den Krieg hatte er allerdings nicht überstanden.
„Dein Vater war Auror, da hast du recht mit." Ich seufzte leise. Wenigstens eine vernünftige Antwort, auch wenn ich noch immer das Gefühl hatte, Ares würde mir noch ein Haufen Dinge verschweigen.
„Warum hast du mir nicht von meiner Familie erzählt? Warum hast du mich glauben lassen, meine Mutter wäre die Kriegsnymphe gewesen?" Warum hast du alles zwischen uns kaputt gemacht, wäre wohl die richtige Frage gewesen. „Wann hätte ich es denn tun sollen? Ich wollte auf den richtigen Augenblick warten, bis ich es dir erzähle. Am Anfang dachte ich, wenn deine und Tashas Nymphenkräfte aktiv sind, wäre es an der Zeit euch davon zu erzählen. Dann hättet ihr die nötigen Fähigkeiten, zu euren Familien zurückzukehren. Du kannst dir vorstellen, dass Zeus nicht sehr begeistert davon war. Schließlich wollte ich euch eigentlich dazu anstiften, die Schule zu schmeißen. Na ja, als ihr dann zu den Cunninghams gekommen seid und ihr dort so glücklich wart, haben wir beschlossen, es doch noch aufzuschieben bis ihr euch wirklich für eure richtigen Eltern interessiert. Solange ihr bei ihnen glücklich seid, wollten wir nicht eure neue Familie zerstören. Und dann – es geschah der Vorfall ..."
„Du kannst ruhig aussprechen, dass sie ermordet und Natasha entführt wurde", unterbrach ich Ares. Er versuchte immer dieses Thema zu vermeiden oder zu umschreiben, um nicht wieder alte Wunden aufzureißen, doch ehrlich gesagt, fühlte ich mich dadurch nur noch schwächer und verletzlicher als ohnehin schon.
„Ja, das meinte ich. Na ja, eure neue Familie war zerstört und du hattest nur noch im Kopf die kleine Tasha wiederzufinden. Ich wollte dich nicht auch noch mit deiner leiblichen Familie belasten. Als Nächstes dachte ich, bevor du nach Hogwarts kommst, erzähle ich dir von ihnen. Dumbledore könnte mit Leichtigkeit den Kontakt herstellen, aber du wolltest so unbedingt nicht auf diese Schule und eigentlich war ich auch froh, dass ich dich selber unterrichten konnte. Kompetente Lehrer, gerade in Verteidigung, sind hier oft Mangelware. Also habe ich auf einen anderen guten Moment gewartet, um dir von all dem zu erzählen. Aber er kam nicht. Dann warst du auch schon im Hogwartsexpress und hast von deiner Zwillingsschwester von all dem Erfahren. Ich wollte dich nur schützen. Mehr nicht. Hätte ich die Geschehnisse dieses Tages erahnt, ich hätte dir vorher von deiner Familie erzählt." Ich seufzte leise. Wir wussten beide, dass der Kriegsgott nicht gelogen hatte.
„Schwöre mir, meine Fragen nie wieder so zu umgehen."
„Ich schwöre es dir, Tric. Ab jetzt führen wir nur noch alle anderen Menschen aufs Glatteis. Wir beide sind ehrlich zu einander. Alles wieder gut zwischen uns beiden?" Ares streckte die Arme nach mir aus. Ich nickte schnell, bevor ich ihn umarmte.
„Ja, das ist es." Und ich war froh darüber. Der Gott war immer an meiner Seite gewesen. Egal, was in meinem Leben los war, mit ihm konnte ich darüber sprechen. Daher war es furchtbar anstrengend, wenn wir uns stritten und ich alles mit mir selbstausmachen musste.
Vorsichtig löste ich mich von ihm.
„Ares, Sirius Black ist ganz in der Nähe gesehen worden. Du musst mir sagen, was du über ihn weißt." Der Blick meines Gegenübers wurde mal wieder abwesend. Er dachte anscheinend über meine Frage nach.
„Dein Unterricht beginnt in zehn Minuten. Du solltest nicht zu spät kommen." Ich zog eine Augenbraue hoch. Seit wann war es dem Kriegsgott wichtig, dass ich zur Schule ging? Normalerweise legte er eher wert darauf, dass ich von ihm wissen bekam, als dass ich dorthin ging. Allerdings hing es vielleicht auch ein wenig mit dem Lehrer zusammen. Schließlich hatte ich gleich die erste Unterrichtsstunde bei Remus Lupin. Für mich eigentlich eher ein Grund mehr, mich im Olymp zu verkriechen.
„Ich glaube, wir haben ein wichtigeres Problem als meine Noten. Vor allem weil wir beide wissen, dass die sowieso nicht gut werden. Ein Massenmörder will vier Leute hier umbringen. Vielleicht sollten wir darüber reden." Der Gott seufzte leise. Er hatte wohl gehofft, ich würde sofort zum Unterricht rennen. Allerdings wussten wir beide, dass ich mir die größte Mühe geben würde, meine Anwesenheit dort möglichst gering zu halten.
„Fünf, er will fünf Leute hier töten. Setz dich hin. Wir haben ein bisschen mehr zu besprechen." Ich biss mir auf die Unterlippe. In mir läuteten sämtliche Alarmglocken. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht.
Neugierig sah ich zu dem blonden Mann herüber, welcher neben mir am Rande des Podests saß. Er hatte das Schwert neben sich gelegt, während er nachdenklich seine Umgebung betrachtete.
„Also, erzähle mir etwas über den Nymphenjäger Sirius Black. Alles, was du über ihn weißt. Und über die fünfte Person, die er umbringen will." Die grünen Augen waren nun auf mich gerichtet.
„Sirius Black." Er sah mich kurz nachdenklich an, bevor er wieder seufzte.
Dann fing Ares endlich an zu reden.
„Vor ungefähr sechszehn Jahren starb die damalige Kriegsnymphe Minette Allaire. Sie selbst hatte keine weiblichen Nachkommen, sondern nur männliche. Daher gingen alle davon aus Falerina Sansouci, die Enkeltochter von Minettes jüngerem Bruder, würde die nächste Kriegsnymphe werden. Doch wie sich herausgestellt hat, gab es eine andere weibliche Nachfahrin, die älter war –"
„Ares, du wolltest mir von Sirius Black und nicht meiner Vorgängerin erzählen. Die Geschichtsstunde sollten wir vielleicht erst abhalten, wenn ich ihm die Kehle durchgeschnitten habe", unterbrach ich ihn genervt. Wenn ein Massenmörder draußen rumlief, sollten wir vielleicht nicht erst ausgiebig über die Vorgängerin meine Vorgängerin plaudern.
„Es ist wichtig, Rona. Also hör zu. Anette Acouret war die jüngere Schwester der Kriegsnymphe. Sie lief von ihrer Familie fort, weil sie eifersüchtig auf die Kräfte ihrer älteren Schwester war. Sie heiratete einen Zauberer, der eine Vorliebe für alle Arten der Magie hatte. Demnach auch für die schwarze Magie. Eine Vorliebe, die sie übernahm, und schließlich gaben sie diese auch an ihr einziges Kind weiter. Einen Sohn, der schließlich zwei Kinder bekam. Eine Tochter und einen Sohn. Die Tochter, Maélys Acouret, wurde nur wenige Stunden vor Falerina geboren. Wenige Stunden, doch es reichte aus, damit nach Minettes Tod nicht Falerina, sondern Maélys zur Nymphe wurde. Eine unvorbereitete Siebzehnjährige, die ihr Leben lang von ihren Eltern auf Händen getragen wurde. Einer der beliebtesten Mädchen von Beauxbatons, einer der begabtesten Duellantinnen, von ihren Eltern eigentlich dazu auserkoren an der Seite des dunklen Lords zu kämpfen. Sie sollte eigentlich nach ihrem Abschluss zur Nymphenjägerin werden. Mit ihren Genen wäre sie mit Sicherheit sehr gut darin gewesen. Doch ein Jahr vorher starb die Schwester ihrer inzwischen verstorbenen Großmutter. Sie wurde zur Nymphe. Ihre Familie wandte sich von ihr ab. Nein, noch schlimmer, sie versuchten sie zu töten. Niemand hielt zu ihr. Aus dem beliebtesten Mädchen wurde die Gejagte und nur noch ihre beste Freundin, Louisanne, hielt zu ihr. Doch auf der Flucht wurde diese getötet. Von ihrem eigenen Vater. Maélys war so geschockt und verletzt von der Tat, dass sich der Fluch aktivierte. Getrieben von dem Hass auf ihre Familie und den dunklen Lord machte sie sich auf, um die Todesser und ihren Anführer auszuschalten. Manchmal ist es doch recht interessant, was alles eine Entscheidung für Folgen hat. Hätten die Todesser sie damals aufgenommen, dann hätten sie nun die Kriegsnymphe auf ihrer Seite. Sehr wahrscheinlich als eine der gefährlichsten Nymphenjägerinnen, die man sich vorstellen kann. Sie hätte nach dem Verschwinden des dunklen Lords problemlos seinen Platz einnehmen können. Heutzutage wäre die Welt wahrscheinlich in ihrer Hand. Doch stattdessen schlug sie sich auf die andere Seite." „Ares, könntest du die Kurzversion fürs Erste nehmen? Wie gesagt, Black ist ziemlich nahe." Der Kriegsgott neben mir seufzte leise.
„Er wird nicht in den Unterricht reinplatzen. Es mit vier Nymphen gleichzeitig aufzunehmen und dann auch noch mit Remus wird er nicht wagen."
„Remus? Können wir vielleicht von Professor Lupin sprechen?" Er schien kurz nachzudenken, bevor er mit den Schultern zuckte.
„Klar. Also darf ich den Unterricht zum Erzählen nutzen oder willst du lieber zu Verteidigung?" Dieses Mal war es an mir zu seufzen.
„Los, erzähl schon weiter. Ich bin gespannt, wann wir zu Sirius Black kommen."
„In dem Teil, wo wir in England ankommen. Ungefähr. Also Maélys reist unter dem Fluch nach England. Dort erfahren wir durch einen Informanten, dass der dunkle Lord zwei Nymphen töten will. Deine Mutter, Carolin Sanders, und die beste Freundin deiner Mutter, Marlene McKinnon. Die beiden waren damals so alt wie Maélys und gingen nach Hogwarts. Er wollte die beiden am ersten Hogsmeadewochenende des Schuljahres schnappen. Also reisten wir dorthin und retteten deiner Mutter das Leben. Danach blieb Maélys in Hogwarts, wo sie die zwei gefundenen Nymphen beschützen wollte. Sie kam ins Hause Gryffindor, so wie Marlene und Carolin. Marlene war damals mit dem Großcousin deiner Mutter, Samuel Huxon, zusammen." „Huxon, wie Marianne Huxon."
„Richtig, er ist ihr Vater. Deine Mutter hatte damals ebenfalls einen Freund. Sirius Black." Ich wünschte, ich hätte in diesem Moment ein Glas zum Trinken gehabt. Dann hätte ich nämlich kurz vor der Nachricht einen Schluck genommen und wie in den ganzen Filmen aus Schock alles wieder ausgespuckt. Eine sehr passende Reaktion, wie ich gerade fand.
„Meine Mutter war mit Sirius Black zusammen! Er hat seine Ex-Freundin ..." Ares Gesicht sprach Bände. Er sah ziemlich schuldbewusst zu Boden.
„Die Frau und die Tochter von Sirius Black war kein Kollateralschaden, richtig? Sie waren das Ziel. Carolin Sanders und ich waren das Ziel. Oder hieß sie zu dieser Zeit schon nicht mehr Sanders, sondern Black? Sie hat ihren eigenen Mörder geheiratet! Den Verräter! Ich bin die Tochter des Mannes, welcher mich umbringen will!"
Ein kurzes Nicken bestätigte meine ganzen Erkenntnisse. Mein Hals fühlte sich wie zugeschnürt an, während sich meine Finger mal wieder um den Griff des Messers klammerte. Meine Knöchel waren schon ganz weiß. Die Gravur drückte sich in meine Haut.
Ich hatte immer geglaubt meine Eltern seien im Zaubererkrieg gefallen. Beide gestorben als Helden. Nicht, dass mein eigener Vater ein Spion des dunklen Lords war und in Askaban verrottet. Doch wenigstens hatte ich mit einem Recht gehabt. Familie war etwas, dass man nicht brauchte. Meine Eltern waren wohl das beste Beispiel. Wie sagt man so schön: Verliebt, verlobt, verheiratet, verraten.
„Rona, es tut mir leid. Maélys und ich hätten damals wissen müssen, dass er der Verräter ist. Es sprach so viel für ihn. Kurz bevor die Familie deiner Mutter ermordet wurde, hat sie ihm verraten, wo sie sich versteckt haben. Er wusste –" „Ares, könntest du mir den Gefallen tun und mich einfach zurückschicken? Ich muss mal in Ruhe über all das nachdenken. Ich höre mir gerne später den Rest deiner Geschichte an." Ich stand von meinem Platz auf.
„Rona, versprich mir, ihn nicht zu jagen. Du darfst deinen Vater nicht jagen, hörst du?" Ich schluckte schwer.
All meine Instinkte rieten mir, ihn zu jagen. Mein Messer in seinem Körper zu vergraben und damit all meine Probleme zu lösen. Dumbledore hätte kein Grund mehr, mich hierzubehalten. Ich hätte keinen echten Grund mehr hierzubleiben. Ich wäre wieder mein Spiegelbild und meine sogenannte Cousine los und ein Haufen meiner neuen Probleme gleich mit. Doch wenn Ares nicht wollte, dass ich ihn suchte, würde es einen Grund dafür geben. Einen sehr guten Grund, den er mir mit Sicherheit erklären würde, wenn wir weiter über Sirius Black redeten. Doch solange würde ich mich einfach damit zufriedengeben, dass er irgendwann zu mir kam.
„Ich muss keine Jagd eröffnen, Ares. Er wird zu mir kommen. Da bin ich mir ganz sicher."
„Ich mir auch und vorher sollten wir dieses Gespräch richtig beenden. Um Überraschungen zu vermeiden." Ich nickte leicht. Der Kriegsgott seufzte leise, bevor er mir zunickte. Er war zufrieden mit meiner Aussage.
Vorsichtig hängte ich mir das Medaillon wieder um den Hals. Jetzt war nur die Frage, wo ich in Ruhe über all die Dinge nachdenken konnte, die ich gerade eben erfahren hatte. In meinem Kopf ging ich noch einmal alles durch, was ich über Hogwarts wusste. Unzählige Geheimgänge, Flure und Räume, doch überall konnte jeder Zeit ein Schüler oder Lehrer auftauchen. Bis auf in dem verbotenen Wald. Dort würde sich wohl niemand hereinwagen. Bis auf Kira vielleicht, doch diese würde mit Sicherheit zuerst brav ihre Hausaufgaben erledigen, bevor sie irgendwohin ging. Also konnte ich dort in Ruhe meinen Gedanken nachgehen. Ich musste nur unauffällig dorthingelangen. Eine Aufgabe, die ich wohl erfüllen können sollte.
Mittlerweile war ich im Erdgeschoss angekommen. Aufmerksam betrachtete ich den Gang, welcher sich vor mir erstreckte. Der Korridor sah eigentlich genau so aus, wie jeder andere auch. Nur eine Tür wurde von zwei Wasserspeiern flankiert. Nicht gut. Es war schon schlimm genug, dass die Bilder mich alle sahen und verraten konnten, doch bei den Wasserspeiern musste ich an etwas ganz anderes denken. An Dumbledores Büro. Mir war zwar sehr bewusst, dass dies hier keinesfalls das Schulleiterbüro war, doch mein Instinkt riet mir, diesen Weg trotz allem zu meiden. Geräuschlos drehte ich mich um.
Ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut aufzuschreien. Ein blassweißer Geist schwebte nur wenige Zentimeter hinter mir. Besser gesagt ein Poltergeist. Seine Augen waren mindestens genauso schwarz wie seine Haare, die unter einem glockenförmigen Hut herausschauten. Ein heimtückisches Lächeln zierte sein Gesicht. Er wollte mir ärger machen und da ich gerade Unterricht schwänzte, konnte er dies auch allzu gut.
„Wer ist denn hier nicht im Unterricht. Die liebste Nichte von Lusche Lusche Lupin. Hätte nicht gedacht, dass du den Mumm dazu hast. Nicht bei der Mutter oder der Tante. Oder Lusche Lusche Lupin als Patenonkel."
Ich ballte meine Hand zu einer Faust. Es war gerade kein guter Zeitpunkt, um über meine Familie zu reden. Nicht nach dem ich gerade erfahren hatte, dass ihr Mörder mein Vater war.
Der Poltergeist schwebte neugierig um mich herum. Dabei musterte er mich ganz genau, wobei sein Lächeln nur noch breiter wurde. Offensichtlich hatte er bemerkt, dass vor ihm nicht Kira Lorraine Sanders stand. Oder sollte ich besser Black sagen?
„Oho, der verschwundene Zwilling. Willst wohl nicht bei dem Patenonkel deines Schwesterleins zum Unterricht, was? Aber ich als verantwortungsvoller Geist kann nicht zulassen, dass du den wirklich interessanten Unterricht verpasst. Lusche Lusche Lupin nimmt heute Irrwichte mit euch durch. Zum Glück ist er im Lehrerzimmer." Der Poltergeist zeigte auf die Tür, welche von den Wasserspeiern flankiert wurde. Kein Wunder, dass mein Instinkt dort nicht lang wollte.
„Was willst du, damit du mich nicht verrätst?"
„Oh, der verschwundene Zwilling kommt ganz nach ihrem Daddy." Ich merkte, wie wieder die Wut in mir aufstieg. Ich war kein Mörder! Ich war nicht wie Sirius Black! Ich versuchte nicht, meine eigene Familie zu ermorden!
„Ich bin nicht wie mein Vater!"
„Na dann!" Der Poltergeist schwebte in Richtung Lehrerzimmer. Zeit möglichst schnell abzuhauen.
„Lusche Lusche Lupin! Ich habe ein entflogenes Vögelchen gefunden!" Den Ruf konnte der Lehrer kaum überhört und in diesem Gang gab es kein Entkommen. Verdammt. So viel zu in Ruhe nachdenken. Dieser verdammte Poltergeist. Also blieb ich stehen, versuchte meine Wut herunterzuschlucken und sah dem Ärger entgegen, welcher mit Sicherheit bald eintreffen würde. Gleichzeitig suchte ich fieberhaft nach einer Ausrede.
Professor Lupin stand im Flur vor den Wasserspeiern. Die Arme verschränkt, die Stirn in Falten gelegt.
„Miss Smith, schön dass sie doch noch zum Unterricht erscheinen. Gerade rechtzeitig, um die Hausaufgaben mitzukriegen." Der Lehrer sah nicht sehr begeistert aus, dass ich doch noch gekommen war. Doch er ging nicht weiter darauf ein. Stattdessen wandte er sich an die Klasse, die sich mittlerweile hinter ihm zu sehen war.
„Ihr wart alle sehr gut, es war eine hervorragende Stunde. Als Hausaufgabe lest bitte das Kapitel über Irrwichte und schreibt mir eine Zusammenfassung ... bis nächsten Montag. Das ist alles." Mit einer leichten Kopfbewegung signalisierte er den anderen Schülern, dass sie gehen sollten. Die meisten liefen von mir weg. Nur die Mädchen aus meinem Schlafsaal kamen in meine.
„Jetzt bist du dran, Smith. Das wird mindestens eine Strafarbeit, wenn du nicht wieder sofort fliegst", flüsterte mir Parkinson ins Ohr.
„Das wird so viele Hauspunkte kosten, Professor Snape wird dich dafür hassen", legte Pucey noch nach. Ich verdrehte meine Augen. Beides waren keine wirklich relevanten Informationen für mich.
Ich hatte weder Angst vor Strafarbeiten, noch vor abgezogenen Hauspunkten oder Snape. Von der Schule fliegen würde ich sogar begrüßen, doch diesen Gefallen würde mir Dumbledore wohl eher nicht machen. Er würde schon dafür sorgen, dass ich hierblieb. Da war ich mir absolut sicher. Adina tätschelte mir im Vorbeigehen leicht die Schulter, als würde sie mich trösten wollen. Eine wirklich unnötige Aktion.
Der Lehrer wank mich zu sich heran. Der Poltergeist schwebte mit seinem breiten Grinsen zwischen uns hin und her. Dabei sang er ein Lied, in dem er sowohl den Lehrer als auch mich beleidigte. Ehrlich gesagt war ich dem Geist ziemlich zwiegespalten gegenüber. Irgendwie war er sehr witzig, doch gerade ging er mir ganz schön auf die Nerven. Außerdem würde ich mich noch für seinen Verrat bedanken.
„Komm erstmal rein." Die Tür zum Lehrerzimmer wurde aufgehalten. „Peeves, du schwirrst ab." Eher zögerlich betrat ich den Raum. Auf das Donnerwetter, welches sicherlich gleich über mich rein brechen würde, könnte ich sehr gut verzichten. Die Tür viel mit einem leisen Klick ins Schloss. Ich merkte, wie sich meine ganzen Muskeln anspannten.
„Du hast doch sicherlich einen Stundenplan erhalten, nicht wahr?" Doofe Frage. Natürlich hatte ich gewusst, dass ich eigentlich hätte hier sein müssen. Das wussten wir beide.
„Ich habe mich sehr bewusst von dem Unterricht ferngehalten." Der Lehrer wirkte überrascht, dass ich gar nicht versuchte, mich zu rechtfertigen.
„Warum? Liegt es daran, dass ich Verteidigung gegen die dunklen Künste unterrichte?" Ich schüttelte den Kopf.
„Sirius Black wurde nahe Hogwarts gesichtet."
„Ich weiß. Ein Grund mehr, im Unterricht zu erscheinen und nicht einsam durch die Gänge hier zu laufen. Du wirst dein Leben weg! Hier geben sich alle die größte Mühe, euch zu beschützen, aber wenn du dich nicht einmal an die einfachsten Dinge hältst, bringt es alles nichts." Ich ballte meine Hand zu einer Faust. Die Wut stieg wieder in mir auf.
Der Lehrer brauchte gar nicht so tun, als wäre er wirklich um mein Wohlergehen besorgt. Er kannte mich nicht. Er sah doch nur eine Person vor sich, die es gar nicht gab. Patricia Prim Black, die Zwillingsschwester von Kira Lorraine Sanders, das Mädchen, welches vor Jahren gestorben war.
„Eben, es ist mein Leben! Wenn ich mich in Gefahr begeben will, werde ich es tun! Sie haben sich in den letzten dreizehn Jahren nicht dafür interessiert, wie es mir geht, nun müssen sie nicht damit anfangen. Ich kann sehr gut auf mich alleine aufpassen. Dafür brauche ich keinen zweitklassigen Lehrer."
Ich hörte hinter uns die Tür aufgehen. Ein anderer Lehrer betrat wohl den Raum. Dadurch hörte man Peeves sein Lied über Lusche Lusche Lupin und der verlorene Zwilling, welcher wie sein Vater ist wieder. Die Wut darauf, dass plötzlich alle meinten, mich bevormunden zu müssen, darüber dass mein Vater ein Massenmörder war und dieser verdammte Poltergeist mich mit ihm verglich, stieg immer weiter in mir auf.
Ich merkte selber, dass ich langsam die Kontrolle verlor, und ließ es auch bereitwillig zu. Meine Hände fingen wieder an zu glühen. Ich drehte mich zu Peeves um, welcher vor der Tür schwebte.
„Und du hältst endlich deine Klappe!" Der Zauber löste sich aus meinen Händen und schleuderte den Poltergeist gegen die Wand hinter sich.
Ich wurde geschockt von Professor Lupin und der stellvertretenden Schulleiterin Professor McGonagall, welche gerade hereingekommen war, angesehen. Bevor einer von beiden reagieren konnte, hatte ich schon den Raum verlassen und sah schleunigst zu, möglichst viel abstand zwischen mich und dem Lehrerzimmer zu bringen.

Das Rennen hatte mich wieder ein wenig heruntergebracht. Doch noch immer pochte die Wut in mir. Das Leuchten um meine Hände hatte ein wenig nachgelassen. Ich ließ mich gegen einen Baum fallen, welcher zum verbotenen Wald gehörte. Mein Atem ging schnell und stoßweise.
Langsam beruhigte ich mich, weshalb das Leuchten noch weiter nachließ. Schließlich hörte dieses komplett auf. Mein Gehirn, welches bisher von der Magie vernebelt war, nahm wieder seine Arbeit auf. Ich hatte gerade Professor Lupin an den Kopf geworfen, dass er nur ein zweitklassiger Lehrer war und dann den Poltergeist mit Hilfe eines Zaubers durch den Flur katapultiert. Diese zwei Sachen und die geschwänzte Schulstunde führten auf jeden Fall zu meinem Rauswurf.
Ich merkte, wie die Wut in mir wieder aufstieg. Dieses Mal allerdings nicht, wegen der Worte des Lehrers oder weil mein eigener Vater der berüchtigte Massenmörder war, sondern weil ich sauer auf mich war. Es hatte keine 48 Stunden gedauert, bis ich mal wieder alles gegen die Wand gefahren hatte.
Meine Hände ballten sich mal wieder zu Fäusten. Ich war so ein Dummkopf! Ein Idiot! Ich schlug mit aller Kraft gegen den Baum, gegen welchen ich mich bis gerade gelehnt hatte. Immer musste ich alles vermasseln.
Ein weiterer Schlag gegen den Baum. Meine Haut riss auf und das erste Blut floss über meine Knöchel. Ich war wirklich zu nichts zu gebrauchen. Eine Kriegsnymphe, die nicht einmal ihre eigene Familie beschützen kann.
Ich schlug nochmal gegen den Baum. Der metallische Geruch meines Blutes wurde stärker, während die warme Flüssigkeit langsam an meiner Hand herunterfloss. Was war ich schon? Die Tochter eines Massenmörders. Ein ungewolltes Waisenkind.
Ich schlug ein viertes Mal gegen den Baum. Mittlerweile waren meine Hände ganz blutig. Die Leute hatten recht. Ich war nichts weiter als ein Mädchen aus der Gosse. Ein ungewolltes Kind, ohne einen wirklichen Platz zum Leben. Nur eine Last für alle anderen.
Ich schlug ein weiteres Mal gegen den Baum. Ein leises Knacken in meiner Hand war zu hören. Ein stechender Schmerz machte sich meiner Hand breit.
Ich wollte gerade das fünfte Mal zuschlagen, als mich jemand zu Boden schubste. Na ja, jemand war falsch. Etwas war wohl der richtige Ausdruck.
Ein großer, schwarzer Hund stand über mir. Sein Fell war ganz schmutzig und zottelig. Er wirkte abgemagert und verwahrlost. Doch seine grauen Augen wirkten einfach nur lieb und freundlich. Doch trotz allem störte mich irgendetwas daran. Sie wirkten irgendwie menschlich. Ich verdrehte innerlich die Augen über mich. Natürlich die Augen des Hundes wirkten menschlich.
Der Hund gab ein leises Bellen von sich, weshalb ich aus meinen Gedanken hochschreckte. Dann leckte er mir über die Wange. Irgendetwas an diesem Tier kam mir bekannt vor. Als würde ich ihn schon lange kennen.
Ich schüttelte den Kopf. Er war ein Streuner. Nichts weiter als irgendein Hund, welcher genauso heimatlos wie ich war. Ich hatte ihn mit Sicherheit noch nie gesehen. Wahrscheinlich erinnerte er mich einfach nur an den Hund der Howarth. Pacco war wohl der liebste Hund gewesen, den man sich vorstellen konnte. Bis er erschossen wurde, weil ich nur ein schwächliches kleines Kind war.
Die Wut auf mich selbst stieg wieder in mir auf. Ich versuchte, mich aufzurappeln, um erneut gegen den Baum zu schlagen, doch der Hund drückte mich wieder zu Boden. Erneut leckte er mir über die Wange, bevor er anfing, meine Hände zu beschnüffeln. Irgendwie beruhigte mich die Anwesenheit des Hundes. Er brachte mich langsam wieder runter.
Ein Finger von mir wurde vorsichtig mit Hilfe der Nase des Hundes bewegt. Der pochende Schmerz verstärkte sich wieder. Ich zog scharf die Luft ein. Gebrochene Knöchel taten höllisch weh. Der Hund gab ein leises Fiepen von sich. Er leckte mir nochmal über die Wange. Ich streckte meine Hand aus, um ihn ein wenig zu streicheln. Der Streuner ließ es zu. Mittlerweile hatte sich meine Wut wieder verzogen.
„Wie bist du denn auf der Straße gelandet? So ein lieber Hund wie du müsste doch eigentlich eine liebevolle Familie finden." Mir wurde wieder über die Wange geleckt. Dann wurde ich mit einem treuen Hundeblick bedacht, fast als wolle er mir sagen: „Du bist doch meine Familie."
„Ich kann dich nicht behalten. Ich fliege gleich von der Schule. Weder im Kinderheim noch auf der Straße kann ich mich um einen Hund kümmern. Schmeiß dich Kira an den Hals. Die wird dich mit Sicherheit wieder auf Vordermann bringen und ein schönes zu Hause für dich suchen, wo man sich wirklich um dich kümmern kann."
Der Hund stupste mir in die Seite. Offenbar wollte er mich dazu auffordern endlich aufzustehen. Ich drückte dem Tier einen Kuss auf die Schnauze, dann folgte ich seinem Willen, welcher durch mehrmaliges Stupsen noch einmal verdeutlichte.
Sobald ich stand, wurde ich in Richtung Waldrand geschoben. Eigentlich sträubte sich alles in mir dagegen, zurück zu dem Schloss zu gehen. Ich sollte besser bis zur Nachtruhe im verbotenen Wald ausharren. Mitten in der Nacht könnte ich dann unbemerkt meine Habseligkeiten aus dem Schlafsaal holen und mich vom Gelände schleichen. Unbemerkt zu verschwinden war doch eigentlich viel schöner, als sich einer Horde wütender Lehrer zu stellen. Doch zum einen wäre es furchtbar unvernünftig sich jetzt einfach, vom Gelände zu schleichen und wahrscheinlich Black genau in die Arme zu laufen, zum Anderen würde mir Dumbledore erst recht Auroren nachschicken, wenn ich jetzt einfach verschwand. Oder alle würden glauben, Black hätte mich ermordet. Letzteres würde meine Flucht doch deutlich vereinfachen. Vielleicht sollte ich die Gunst der Stunde nutzen, um meinen Tod vorzutäuschen.
Am Rande des Waldes ließ mich der Hund stehen. Er bellte einmal zum Abschied, leckte mir noch einmal vorsichtig über meine Handinnenfläche, als hätte er Angst noch einmal meine Finger zu berühren. Dann stupste er mir von hinten gegen das Bein, damit ich endlich weiterlief.
Ich seufzte frustriert. Eigentlich konnte ich auf das, was folgen würde, verzichten. Ich lief ein paar Meter, bevor ich mich noch einmal zu dem schwarzen Hund umdrehte. Er saß noch immer zwischen den letzten Bäumen des verbotenen Waldes. Seine Augen beobachteten mich aufmerksam. Wieder hatte ich das Gefühl, ihn irgendwie zu kennen. Ich wank dem Hund einmal zu, bevor ich in Richtung Schloss lief. Auf ins Verderben.

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