Kapitel 56
Traurig sah ich dabei zu, wie Marlon das Schlossgelände wieder verließ. Zwar würde ich ihn in kurzer Zeit schon wieder sehen, doch eigentlich hätte ich ihn gerne dabehalten.
Noch hatte ich keine Ahnung, was von gestern Abend im Schloss rumging. Wie schlimm die Gerüchte waren, gerade in Bezug auf mich. Wenn ich es erfuhr, war seine Unterstützung mit Sicherheit ziemlich hilfreich, doch ich konnte sehr gut verstehen, warum mein Vormund nicht blieb.
Bei unserer aktuellen Ferienplanung würden wir gerade einmal eine Woche in Frankreich und die restliche Zeit irgendwo unterwegs sein. Jetzt, wo sich Marlon wieder mit seiner Familie versöhnt hatte, wollte er wahrscheinlich die Zeit mit ihnen genießen.
Auf dem Weg zum Frühstück sammelte ich noch Adina ein, welche die Nacht über wortwörtlich im See abgetaucht war. Die Blondine schien vor Neugierde zu platzen. Jetzt wollte sie endlich wissen, was in der letzten Nacht passiert war, nachdem Dumbledore sie weggeschickt hatte. Also erzählte ich erneut die Ereignisse der letzten Nacht ein weiteres Mal, ließ Remus Werwolfdasein allerdings aus.
In der großen Halle war mal wieder das übliche Getuschel und Gemurmel zu hören. Ein leises stetiges Summen. Momentan noch für Hogwarts sehr leise. Wahrscheinlich schliefen die meisten noch. Gut für mich, dann wussten bisher noch nicht ganz Hogwarts von den Ereignissen der letzten Nacht. Das Frühstück würde ich also noch ganz in Ruhe einnehmen können.
Genüsslich kaute ich auf meinem Marmeladencroissant herum. Meinem Zweiten, um genau zu sein. Von hinten schlangen sich zwei Arme um mich. Blaise drückte mir einen Kuss auf die Wange.
„Guten Morgen, Primrose."
„Morgen", kam es von mir zwischen zwei Bissen.
„Im Gemeinschaftsraum spricht man darüber, dass Sirius Black wohl gefasst wurde, aber dann doch erneut entkommen konnte." Ich grummelte leise. Das hatte ich befürchtet.
„Du weißt nicht zufällig, ein bisschen mehr über diese Gerüchte, Primrose? Angeblich warst du deshalb im Krankenflügel." Ich grummelte erneut leise.
Blaise ließ sich neben mich auf die Bank fallen. Während er ebenfalls mit dem Frühstück begann, sah er immer wieder neugierig zu mir herüber. Ich aß noch in aller Ruhe mein Croissant auf, dann gab ich leise seufzend nach. Irgendwann würde Blaise die ganze Geschichte eh hören.
„Er wurde gestern Nacht gefasst. Und eventuell konnte er durch ein Fenster entkommen."
„Und jemand hat ihm eventuell geholfen?"
„Die Möglichkeit besteht, dass ein paar Schüler mit Hagrids Hippogreif Seidenschnabel zu dem Fenster geflogen sind und ihn so dort herausgeholt haben." Mein Mitschüler schüttelte breit grinsend.
„Ich würde gerne mehr über die möglichen Vorfälle der letzten Nacht wissen."
„Erzähle ich dir später", nuschelte ich. Wenn die große Halle nicht voller neugieriger Hogwartsschüler war, die größtenteils mit gespitzten Ohren auf Neuigkeiten in der Sache Black warteten.
Antiope und Bärchen sprangen glücklich bellend um Blaise, Jamie, Adina und mich herum. Die beiden Hunde jagten sich immer mal wieder gegenseitig und schnüffelten herum. Immer mal wieder liefen sie auch zum Rande des verbotenen Waldes, als erwarteten sie, Sirius würde mal wieder von dort aus kommen und sich zu uns gesellen.
Doch der große, schwarze Hund blieb heute verschwunden. Es war nicht überraschend, schließlich war er gestern auf dem Hippogreifen geflohen, doch schade fand ich es trotzdem. Wann ich wohl meinen Vater das nächste Mal wiedersehen würde? Wann hätte er ein sicheres Versteck gefunden, wo Marlon und ich ihn besuchen gehen konnten.
Mein Blick glitt wieder zu Blaise. Auf unserer Runde um den See hatte ich erneut erzählt, wie es letzte Nacht zur Festnahme von Sirius und seiner Flucht gekommen war. Auch bei dieser Erzählung ließ ich Remus Verwandlung einfach aus. Bisher hatte der dunkelhäutige Slyhterin noch kein Wort zu meiner Geschichte gesagt. Er hatte nur nachdenklich den beiden Hunden beim Spielen zugesehen.
„Du wirst also nicht zu Sirius ziehen, richtig?", fragte er schließlich.
„Nein, Marlon hat das Sorgerecht für mich. Er wird sich um mich kümmern, bis wir endlich Sirius Unschuld beweisen können."
„Er wohnt in Frankreich, nicht wahr?" Ich nickte leicht.
„Ja." Irgendwie wusste ich nicht, wohin dieses Gespräch führen sollte.
„Also wirst du in den Ferien nach Frankreich fahren? Meine Mutter schwärmt von Paris. Sie war in den Flitterwochen mit ihrem fünften Ehemann dort."
„Ihrem fünften?" Anscheinend hatte Blaises Mutter einen hohen Verschleiß an Ehemännern – Oder mein Klassenkamerad an Stiefvätern.
„Sie ist bei Ehemann sieben angekommen." Ich sah überrascht zu dem Jungen herüber. Sieben Ehemänner? Blaise hatte ziemlich viele Stiefväter gehabt. Noch nicht ganz so viele Möchtegernväter wie ich sie gehabt habe, doch trotzdem eine beachtliche Zahl. Man musste das Entsetzen in meinem Gesicht sehen.
„Jetzt schau nicht so, Primrose."
„Du - das sind viele Ehemänner."
„Ja, schon. Aber es macht nichts. Jetzt wo ich in Hogwarts bin, kriege ich von ihren Ehemännern eh nichts mehr mit."
„Und dein leiblicher Vater?"
„Er ist gestorben. Genauso wie Mutters andere Ehemänner." Ich sah beschämt zu Boden. Eigentlich wusste ich so gut wie gar nichts über Blaise Zabini.
Natürlich wusste ich, was man jeden Tag mitbekam. In welchen Fächern er gut war, in welchen schlecht. Ich wusste, was er am liebsten zum Frühstück aß, dass er beim Abendessen immer Salami mitnahm, um sie später mit Antiope und Bärchen zu essen. Doch ich hatte nie nach mehr gefragt. Weder bei ihm, noch bei Jamie oder Adina.
„Jetzt gucke nicht so traurig. Mir geht es gut damit. Erzähle mir von deinen Ferienplänen. Richtet ihr ein Zimmer für dich bei Marlon ein?", lenkte der Junge meine Aufmerksamkeit wieder auf ein anderes Thema.
„Ich denke nicht. Wir sind nur wenige Tage in Frankreich bei seiner Familie. Wir reisen viel."
„Wohin wollt ihr denn reisen?" Ich wollte gerade antworten, als hinter uns ein lautes, hohes „Draco!" zu hören war. Ich ballte sofort meine Hände wieder zu Fäusten, während ich mich umdrehte.
Draco kam mit seinen zwei Schlägern auf uns zugelaufen. Pansy Parkinson und die anderen beiden Mädchen aus unserem Schlafsaal liefen ihnen nach. Erstere hatte nach dem platinblonden Jungen gerufen, welcher es einfach ignorierte.
„Da seid ihr ja", rief Draco mit einem glücklichen Grinsen auf dem Gesicht. Misstrauisch betrachtete ich den Jungen. Entweder hatte er über Nacht wesentlich stärkere Gefühle für einen hier entwickelt, weshalb er sich jetzt so sehr freute, uns zu sehen, oder etwas anderes hatte ihm sehr glücklich gemacht. Das Seidenschnabel entkommen war, hatte ihn sicherlich zuerst komplett die Laune verhagelt. Also mussten es aus seiner Sicht die allerbesten Nachrichten der Welt sein. Vielleicht hatten sie Potter und Granger doch irgendwie bestraft.
„Draco, Primrose wollte uns gerade erzählen, wo sie alles ihre Ferien verbringt. Marlon und sie werden viel reisen. Also Primrose, wo geht es hin?"
„Nach Amerika, hier nach England und wir gehen einen alten Freund von Marlon besuchen."
„In Amerika wohnt doch deine leibliche Familie, richtig?", hakte Zabini sofort nach.
„Ja, in Texas. Wir gehen sie ein paar Tage lang besuchen."
„Oh, sie geht ihren Werwolf-Onkel besuchen", hörte ich Parkinson rufen. Ruckartig sah ich zu ihr herüber.
„Wie meinst du-?"
„Dein liebster Onkel Remus, die ganze Schule weiß es. Ein lausiger Werwolf! Das Dumbledore so einen eingestellt hat!", fauchte meine Klassenkameradin.
„Er ist kompetent. Was spricht dagegen, dass er Lehrer ist?", fragte ich ziemlich kleinlaut, auch wenn ich wusste, was ihr Problem war.
„Was dagegen spricht? Er ist ein Werwolf! Ein gefährliches Monster!"
„Nur einmal im Monat. Und durch den Wolfbanntrank nicht einmal das", verteidigte ich den Lehrer.
„Werwölfe sind Bestien! Jeden Tag im Jahr!"
„Pansy, halte die Klappe! Werwölfe sind im verwandelten Zustand gefährlich. Wenn es stimmt, dann hat Professor Lupin im letzten Jahr niemanden verletzt. Dumbledore und er haben wohl eine Lösung gefunden", ging Blaise dazwischen.
„Und dann geht es einmal schief und wir werden alle getötet! Aber das ist der kleinen Black wahrscheinlich nur recht! Hat schließlich ihren liebsten Daddy befreit! Einen Mörder! Letzte Nacht! Wahrscheinlich haben die beiden von Anfang an zusammengearbeitet", tobte Parkinson ungerührt weiter.
Ich eilte mir gesenktem Kopf durch Hogwarts. Antiope kam mir auf leisen Pfoten nachgelaufen. Sie schien genauso wenig Aufmerksamkeit auf uns lenken zu wollen, wie ich es wollte. Am liebsten würde ich mich gerade unter Harrys Tarnumhang verstecken, während ich in Remus Büro lief.
Um mich herum tuschelten die Schüler. Sie gaben sich nicht einmal die Mühe so leise zu sprechen, dass ich sie nicht verstand. Ich konnte ihren Worten problemlos lauschen, während ich durch die Gänge eilte. Mal wieder drehten sie sich größtenteils um mich und Sirius Black, allerdings war dieses Mal auch Remus ein Gesprächsthema.
Vorsichtig klopfte ich gegen die Tür von Professor Lupins Büro.
„Komm rein, Patricia", hörte ich den Mann drinnen rufen. Ich öffnete die Tür weit genug, dass ich mich durch den Spalt schieben konnte.
„Hallo, Remus." Ich sah mich neugierig im Büro um. Der Lehrer war schon weiter beim Packen, als ich die ganze Zeit vermutet hatte. Die Karte des Rumtreibers lag auf dem Tisch.
„Du gehst wirklich?", stellte ich unnötigerweise fest.
„Ja, das tue ich. Die Schüler wissen Bescheid und damit auch sehr bald die Eltern. Diese werden es nicht gerne hören, dass ein Werwolf hier herumläuft. Und ich kann sehr gut verstehen, warum sie es nicht wollen. Letzte Nacht hatten wir sehr viel Glück, dass ich niemanden verletzt habe-"
„Es war doch nur ein wirklich unglücklicher Zufall. Du bist doch eigentlich doppelt abgesichert."
„Und wie wir gesehen haben, reicht es nicht. Patricia, ich will ehrlich sein. Ich habe nicht damit gerechnet, länger als ein Jahr hier Lehrer sein zu können."
„Warum denn nicht?"
„Man sagt, das Amt ist verflucht. Jedes Jahr gibt es einen neuen Lehrer."
„Der Lehrer nächstes Jahr kann aber nur schlechter werden. Außer ich darf Lehrerin sein."
„Mache du erstmal deinen Schulabschluss." Schulabschluss war ein gutes Stichwort. Dieses Schuljahr hatte ich irgendwie überstanden. In vielen Momenten eher schlecht als recht. Ohne Remus hätte ich es sicherlich gar nicht überstanden. Pansy wäre mit Sicherheit bei einen meiner Wutausbrüche zur Matsche verarbeitet worden, lesen und schreiben hätte mir niemand beigebracht und wahrscheinlich würde ich noch immer nicht hierbleiben wollen.
„Ich schaffe meinen Schulabschluss nicht, ohne dich als meinen Lehrer", gab ich kleinlaut zu.
„Natürlich schaffst du den. Du brauchst mich nicht dafür. Patricia Rona Primrose Black, du bist ein verdammt kluges Mädchen. Du hast genug wissen im Kopf –"
„Ich kann noch immer nicht beim Lesen und Schreiben mithalten. Die ZAG-Prüfungen sind alle schriftlich und praktisch. Ich kann aber nur praktisch."
„Zu den ZAGs hast du noch zwei Jahre Zeit. Du hast in den letzten Wochen größere Fortschritte gemacht, als ich gedacht habe. In den Ferien wird Marlon mit dir üben."
„Und wer hilft mir in der Schule?"
„Professor McGonagall und Professor Snape haben sich dazu bereit erklärt, dass sie mit dir üben."
„Ich will Snapes Hilfe nicht. Er ist ein Idiot." Nicht nachdem er meinen Vater hatte umbringen wollen.
„So verhalten wir uns alle mal, Patricia. Nimm es ihm nicht übel, dass er es letzte Nacht war. Und vor allem, verbaue dir nicht deine eigene Zukunft."
„Kann ich bei McGonagall auch auf dem Sofa schlafen, wenn ich mal wieder mit Parkinson gestritten habe?"
„Nein, aber vielleicht stellt dir Professor Dumbledore eines unten in deinen Raum. Dann kannst du dort schlafen. Blaise Zabini nimmt dich bestimmt auch auf."
„Und wenn-"
„Patricia, es wird immer ein und wenn geben. Aber ich glaube, du hast hier Freunde gefunden und somit auch ein zu Hause. Renne nicht weg, weil es gerade mal schwer ist." Verunsichert fing ich an, mit den Fingern zu spielen. Hatte ich hier ein zu Hause gefunden? War es nun an der Zeit hierzubleiben? Aber eigentlich wollte ich doch Natasha suchen. Meine kleine Schwester, noch immer irgendwo dort draußen. War es nicht meine Aufgabe, nun wirklich nach ihr zu suchen? Hier drohte für keine Nymphe mehr Gefahr. Doch bei der Gewitternymphe sah es vielleicht anders aus.
„Worüber denkst du nach, Patricia?", riss mich Remus aus meinen Gedanken.
„Ich muss meine Aufgabe noch beenden."
„Und was ist deine Aufgabe?", wurde ich misstrauisch gefragt.
„Die anderen Nymphen zu beschützen."
„Hier sind alle sicher. Pettigrew ist geflohen. Er wird sich nicht zurück trauen."
„Ich weiß, dass Kira, Marianne und Adina sicher sind. Aber es gibt-"
„Von Natasha fehlt jede Spur, Patricia. Alle suchen nach ihr. Glaubst du wirklich, du kannst etwas ausrichten, indem du Hogwarts verlässt?"
„Hier kann ich gar nichts mehr ausrichten."
„Musst du auch nicht. Du bist vierzehn. Du hast die Aufgabe, ganz viel Blödsinn zu bauen. Aber das ist auch gar nicht dein Hauptproblem, nicht wahr?"
„Ich habe Angst. Alle Reden – Was ist, wenn ich die Kontrolle verliere?"
„Dann sind wir alle da für dich. Jeder Einzelne von uns."
„Und wenn ich euch dann nicht mehr bei mir haben will, was dann?"
„Dann wirst du uns trotzdem nicht los. Patricia, du brauchst keine Angst vor deinem Fluch zu haben. Du musst nicht gehen, weil er hier durch die Sticheleien vielleicht ausgelöst wird. Wir lassen Dumbledore ein bisschen Beruhigungstrank hier und im Notfall schaltet er dich aus bis wir einen Weg gefunden haben, dich zurückzuholen." Ich nickte leicht.
„Lass dich nochmal drücken." Er zog mich an sich, weshalb ich mein Gesicht in seinem Oberteil vergrub. Ich war nicht bereit, ihn gehen zu lassen.
Vorsichtig löste ich mich wieder von dem Lehrer. Obwohl jetzt war er wohl eher ein ehemaliger Lehrer.
„Remus, wie hast du es eigentlich geschafft, mich zu betäuben?" Auf dem Gesicht des Angesprochenen bildete sich ein breites Grinsen.
„Wie du schon richtig bemerkt hast, Patirica, deine Magie warnt dich vor Angriffen. Will dir jemand Schaden, wirst du darauf aufmerksam. Wenn dir jemand aber nicht Schaden will, bleibt deine Magie ruhig."
„Das heißt, du wolltest mir einfach nie schaden. Das willst du mir sagen."
„Ich wollte nur verhindern, dass du dich noch mehr in Schwierigkeiten bringst. Mehr wollte ich nie. Das konnte deine Magie nicht erkennen. Wenn du unter dem Fluch stehst, kann man dich auf die gleiche Weise aufhalten."
Ich saß auf dem Schreibtischstuhl von Remus und beobachtete die Leute in Hogwarts über die Karte des Rumtreibers. Unter anderem Potter, welcher gerade mit Hagrid redete. Kurz darauf drehte er sich um und rannte wieder in Richtung Schloss, die Treppen rauf und immer weiter in diese Richtung.
„Ich glaube, Potter hat auch ein bisschen Redebedarf." Der ehemalige Lehrer trat neben mich. Neugierig sah er ebenfalls auf die Karte herunter.
„Da hast du wohl recht." Zusammen beobachteten wir, wie Potter den Gang entlanglief. Wir sahen erst auf, als der Gryffindor an die offenstehende Tür klopfte.
„Wir haben dich kommen sehen", verkündete Remus lächelnd und zeigte auf das Pergament vor uns.
„Ich hab eben Hagrid gesehen. Und er meinte, Sie hätten gekündigt. Das stimmt doch nicht, oder?", rief Potter entsetzt.
„Ich fürchte, doch." Kiras Onkel zog die Schreibtischschubladen heraus und begann sie zu leeren.
„Warum? Das Zaubereiministerium glaubt doch nicht, dass Sie Sirius geholfen haben, oder?" Ich ließ mit einem einfachen Fingerschnipsen die Tür zufallen. Dieses Gespräch musste nun wirklich nicht jeder mitkriegen.
„Nein. Professor Dumbledore konnte Fudge davon überzeugen, dass ich versucht habe, euch das Leben zu retten. Das hat das Fass für Severus zum Überlaufen gebracht. Ich glaube, es hat ihn schwer getroffen, dass er den Orden des Merlin nun doch nicht bekommt. Also hat er heute Morgen beim Frühstück - ähm - versehentlich ausgeplaudert, dass ich ein Werwolf bin", erklärte der Lehrer leise.
„Sie gehen doch nicht etwa deswegen!", rief Potter.
„Morgen um diese Zeit trudeln die Eulen von den Eltern ein ... sie werden keinen Werwolf als Lehrer ihrer Kinder haben Wollen, Harry. Und nach dem, was letzte Nacht passiert ist, kann ich sie verstehen. Ich hätte jeden von euch beißen können ... das darf nie mehr vorkommen."
„Sie sind der beste Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste, den wir je hatten! Bleiben Sie!" Remus schüttelte den Kopf und schwieg. Stattdessen nahm er sich die nächste Schublade vor. Potter sah hilfesuchend zu mir, doch ich hatte es eh schon aufgegeben, Remus zum Bleiben bewegen zu wollen. Es würde nicht passieren.
„Nach dem, was der Schulleiter mir heute Morgen erzählt hat, hast du letzte Nacht einige Leben gerettet, Harry. Wenn ich dieses Jahr auf etwas stolz sein kann, dann darauf, wie viel du gelernt hast ... erzähl mir von deinem Patronus", lenkte Remus von seinem Gehen ab.
„Woher wissen Sie das?" Potters Blick glitt wieder zu mir. Fragend sah er mich an, doch ich schüttelte leicht den Kopf. Remus und ich hatten viel zu besprechen gehabt, doch die Patroni von letzter Nacht waren kein Gesprächsthema geworden.
„Was sonst hätte die Dementoren vertreiben können?"
Potter begann zu erzählen, wie er letzte Nacht den zweiten Patronus heraufbeschworen hatte. Er erzählte davon, dass er vermutete, er und sein Vater hätten den gleichen Patronus gehabt. Einen Hirsch. Lupin lächelte am Ende.
„Ja, dein Vater hat sich immer in einen Hirsch verwandelt. Du hast richtig geraten ... darum haben wir ihn Krone genannt." Die letzten Bücher landeten in dem Koffer. Remus wandte sich erneut Potter und mir zu.
„Hier - das hab ich letzte Nacht aus der heulenden Hütte geholt." Dem Gryffindor wurde der Tarnumhang hingehalten. Dann wanderte der Blick des Lehrers der Karte zu.
„Patricia, hast du schon eine Entscheidung getroffen?" Jetzt wurde ich angesehen. Potter sah verwirrt zwischen uns beiden hin und her.
„Was für eine Entscheidung?"
„Ich denke darüber nach, Hogwarts zu verlassen. Hier gibt es nichts mehr für mich zu tun. Pettigrew ist fort. Ihr seid nicht mehr in Gefahr. Aber außerhalb dieser Mauern- dort gibt es noch etwas für mich zu tun."
„Und niemand tuschelt hinter deinem Rücken", stellte Potter missmutig fest.
„Hinter meinem Rücken? Sie versuchen es nicht einmal mehr, vor mir zu verstecken." Ich merkte, wie Remus mir die Hände auf die Schultern legte.
„Lass dich nicht von ihnen unterkriegen." Mir wurde ein leichter Kuss auf die Wange gedrückt, bevor der Onkel meines Spiegelbildes nach der Karte des Rumtreibers griff.
„Ich bin nicht mehr dein Lehrer, also fühle ich mich auch nicht unwohl dabei, wenn ich sie dir zurückgebe, Harry. Ich kann sie nicht gebrauchen und ich bin sicher, Ron und Hermine werden sie noch nützlich finden." Grinsend nahm Potter die Karte entgegen.
„Sie haben gesagt, Moony, Wurmschwanz, Tatze und Krone hätten mich aus der Schule locken wollen ... sie hätten das lustig gefunden."
„Das hätten wir auch getan", gab Remus zu. Er bückte sich, um den Koffer zu schließen. „Ich will dir nicht verhehlen, dass James mächtig enttäuscht gewesen wäre, wenn sein Sohn nie einen der Geheimgänge aus dem Schloss gefunden hätte."
Es klopfte an der Tür. Potter stopfte sich hastig die Karte und den Tarnumhang in die Tasche. Gerade noch rechtzeitig, da ging schon die Tür auf. Professor Dumbledore stand im Türrahmen. Auf seiner Schulter saß Meggie, welche glücklich fiepte, als sie Remus und mich erblickte.
„Ihr Abholservice ist hier, Remus." Der Schulleiter trat ein Stück bei Seite, weshalb man die vier jungen Frauen im Flur sehen konnte. Ich erkannte Elaina Caron und Rachel Robertson, doch die anderen beiden kannte ich nicht.
Die eine Frau hatte schwarzes Haar, welches ihr knapp über die Schulter fiel. Ein fransiger Pony endete kurz über den Augen, welche fast so dunkel wie die Haare waren. Nur wenn Licht auf sie viel konnte man erkennen, dass sie dunkelbraun waren. Ansonsten schienen Iris und Pupille zu einem zu verschmelzen. Während die anderen drei Mädchen ziemlich sportlich wirkten, war sie ein wenig pummelig. Sie kaute auf irgendetwas herum, vermutlich einem Kaugummi.
Die zweite mir unbekannte Frau hatte etwas längere hellbraune Haare. Auf der linken Seite waren sie hinter das Ohr gestrichen worden und dort mit einer Haarspange befestigt worden. Sie wirkte ein wenig wie ein kleines Modepüppchen mit ihren maßgeschneiderten Anziehsachen, die sie perfekt kombiniert hatte.
Ihr breites Lächeln ließ sie trotzdem sehr nett wirken, fast als könne sie kein Wässerchen trüben. Dies widersprach allerdings wieder den Ausdruck in ihren dunkelblauen Augen. Zwar kam das Lächeln dort an und ließ sie strahlen, doch wenn man genau hinsah, konnte man noch etwas anderes erkennen. Hinter dem kleinen Modepüppchen steckte wesentlich mehr, als vielleicht nur ein nette Persönlichkeit. Sie wusste, wie sie herüberkam und wie sie es sich zu Nutze machen konnte.
„Elaina, Rachel, Erica und Azura, was macht ihr vier denn hier? Wolltet ihr nicht noch eine Woche in Neuseeland verbringen, um Meggie auszuwildern?" Remus sah verwirrt zu den vier Frauen herüber.
„Die anderen antipodischen Opalaugen waren nicht nett zu ihr. Und die Occamys auch nicht. Außerdem weiß sie doch gar nicht, wie man in der Wildnis überlebt. Ich dachte, ich kann es ihr beibringen, aber ich konnte es nicht. Also behalte ich Meggie und wir kommen jetzt schon nach Hause." Der Mischling hatte sich mittlerweile wieder zu ihrer Besitzerin gesellt, welche ich über denn kleinen Kopf strich.
„Und sammeln dann gleich noch einen Werwolf auf", rief das Modepüppchen, welche mittlerweile in den Raum trat und einige der Gegenstände einsammelte. Unter anderem das Aquarium, indem mal der Grindeloh lebte, doch jetzt war es leer.
„Azura, ich kann das alles nehmen", meinte der Lehrer. Azura? Das Mädchen aus der Kriegsnymphenfamilie, die mit Elaina und Rachel herumreiste? Ich wusste doch, hinter dem kleinen Modepüppchen steckte ein bisschen mehr. Eine hübsche, liebe Fassade nur um zu verstecken, welche Stärke im Inneren schlummerte. Sie wollte, dass man sie unterschätzte, nur damit sie hinterrücks ihr Messer zücken konnte.
Neugierig musterte ich die junge Frau genauer. Ob ihre Haarspange wohl auch eine versteckte Waffe ist, wie die Blumen an meinem Gürtel. Oder ihre langen Ohrringe? Die Kette? War in dem Ring ein Behälter für Gift oder diente er als eine Art Schlagring? So viele glitzernde Dinge, alle durch Kobolde hergestellt, perfekt um eine kleine Waffe zu verstecken.
„Ach, lass mal. Seitdem ich den Tierhändlern eins auf den Deckel gegeben habe, hält mich Elaina an der kurzen Leine. Kleine Pazifistin, wie alle von ihrem Schlag."
„Du hast einem den Arm abgehackt. Wir wollten sie den Auroren übergeben. Da hätte Niederschlagen oder Schocken wohl gereicht."
„Du wolltest verhindern, dass die Händler weiterhin illegal mit Tieren handeln. Mit einem Arm lässt es sich schwerer Tierwesen fangen. Die Auroren in Papua-Neuguinea sind die Galleonen nicht wert, die ihnen der Staat zahlt. Die Tierhändler hätten sich mal eben freigekauft. Meine Methode war effektiver", verteidigte sich die Frau.
„Und blutiger, Azura. Aber dass du einem Mann ein Messer in die Hand gerammt hast, war auch nicht besser, Elaina", gab Rachel von sich, welche leichenblass geworden war. Sie war definitiv nicht aus dem Holz einer Kriegerin geschnitzt.
„Das kann man heilen! Aber lass mal den Arm nachwachsen!", grummelte die Rothaarige.
„Als ihr losgezogen seid, wusstet ihr sehr genau mit wem. Jetzt beschwert euch nicht", ging Remus dazwischen. Er hob seinen alten Koffer hoch.
„Also - auf Wiedersehen, Harry. Es hat richtig Spaß gemacht, dein Lehrer zu sein. Ich bin sicher, wir sehen uns eines Tages wieder. Patricia, mach keinen Quatsch und geh morgen zu Marlon. Direktor, Sie müssen mich nicht hinausbegleiten, ich schaff das schon ..." An seinem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass er möglichst schnell hier wegwollte. Wahrscheinlich wollte er über alle Berge sein, wenn die Schüler aus Hogsmeade zurückkamen.
„Dann auf Wiedersehen, Remus", gab Dumbledore trocken von sich. Remus schüttelte dem Schulleiter kurz die Hand. Dann, mit einem letzten Kopfnicken für Harry und mich und dem Anflug eines Lächelns, ging Lupin hinaus.
„Remus warte!" Ich sprang von dem Schreibtischstuhl auf. Ich schlängelte mich an dem Schulleiter vorbei durch die Tür. Sobald ich raus war, wurde sie geschlossen. Im Flur stand Remus mit den vier jungen Frauen.
„Ist noch etwas, Patricia?", wurde ich freundlich gefragt, aber ich hörte auch die Ungeduld in seiner Stimme. Er wollte wirklich los.
„Darf ich dich noch nach draußen begleiten?"
„Natürlich." Mir wurde vorsichtig ein Arm um die Schultern gelegt, bevor wir weitergingen.
„Und dir liegt sicherlich nichts mehr auf der Seele?", fragte mich der ehemalige Lehrer beim laufen. Ich schüttelte leicht den Kopf. Ich musste selber wissen, ob ich nun stark genug war, ein weiteres Schuljahr alleine hier durchzustehen oder ob ich gehen wollte. Nur zu gerne würde ich diese Entscheidung einem anderen überlassen, doch Remus hatte Recht. Ich musste sie selber treffen.
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